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VII.
Die Totenbucht

Plötzlich legt sich der Wind, die Segel schlagen hin und her, die Yacht stampft und rollt; die tote Stille macht das unbewegliche Meer bleiern, so weit man sehen kann, und der Nebel wattiert und opalisiert die Luft.

Ein furchtbarer Fluch des Kapitäns, der Ruf »Alle Mann auf Deck!« lassen die beiden Liebenden erzittern.

Zur Gräfin Limerick sagt der Kapitän:

– Wir sind in der Strömung der Meerenge von Sein Die Yacht hat die Küste der Bretagne umsegelt; von der Insel Brehat im Norden über die Insel Quessant im Westen nach der Insel Sein im Süden. … Die See geht hoch, der Nebel löscht das Licht von Teveneck und jedem andern Leuchtturm … Ich kann nicht mehr steuern … In einer Viertelstunde wird uns die reißende Strömung des Sundes erfassen: das ist der Tod! Retten kann uns nur eine Brise aus Südwest und der Strahl eines Leuchtturms.

Tammuz beugt sich über die Seekarte und läßt sich die Gefahr von der Gräfin erklären.

– Sehen Sie zwischen der Küste und der offenen See dieses Wehr von Felsen und jene Oeffnung; die Strömung stürzt sich dort mit einer Heftigkeit hinein, die durch die relative Enge gesteigert wird; wenn man einmal in diesen Ungeheuern Wirbel gezogen wird, gibt es keine Hoffnung mehr, sich auf einem Wrack oder schwimmend zu retten; Yacht und Mensch würden zerbröckelt werden auf dieser Straße, wo das Meer kocht, an diesen Riffen, welche die Wellen peitschen.

Die Nacht kommt.

– Wir sind von der Strömung erfaßt, sagt der Kapitän; in zwei Stunden werden wir zerrieben sein.

Die Gräfin wird unruhig.

– Tammuz, nehmen Sie mir die Beichte ab.

Sie kniet auf Deck nieder, und er hört das Bekenntnis der blassen Büßerin.

Dann betet er auf der Seite für sich.

Bald kommt sie und legt ihre Hand auf ihn.

– Ich bin schuld an Ihrem Untergang; wir werden wenigstens als Liebende sterben.

– Nein, es handelt sich nicht mehr um Liebe, es handelt sich um die Ewigkeit! Lassen Sie mich zu Gott sprechen und meine Seele darauf vorbereiten, daß sie meinen Körper verläßt.

– Im Augenblick der Gefahr werden wir uns umschlingen, sagte sie.

– Nein, erwiderte Tammuz, vermischen wir nicht unsere letzten Augenblicke.

Sie ringt die Hände bei diesen Worten: Tammuz ist zu seiner höheren Vision zurückgekehrt und sieht nur noch die Sorge um die Rettung und den Glauben.

– Hört, ruft ein Matrose.

Ein ungeheurer, noch dumpfer Lärm: das sind die Strudel in der Totenbucht, die Stimme der Hölle.

– Die Strömung packt uns, heult der Kapitän; betet zu Gott; nur ein Wunder kann uns retten.

Ein Augenblick von unbestimmbarer Dauer vergeht; in der schwärzesten Nacht, die kein Schimmer vom Himmel erleuchtet, in der man das Meer nicht sieht, selbst wenn man sich über die Verschanzung beugt, treibt die Yacht Sappho dahin in den Tod, in den sicheren, furchtbaren Tod, und die Totenbucht heult wie der Schlund einer dantischen Hölle.

Tammuz betet noch immer.

Plötzlich erhebt er sich.

– Gerettet! ruft er; eine leichte Brise hat mir das Gesicht gestreift. Sehen Sie, das Segel faltet sich, es wird sich spannen.

– Die kommt sicher aus Südwest, sagt der Kapitän.

– Ein Leuchtturm, ruft Limerick.

Der Kapitän berechnet, der Wind frischt auf, die Segel spannen sich, der Strahl des Leuchtturms wird allen sichtbar.

– Seewärts, wenden!

Die Brise weht bald und füllt die Segel.

– A Dieu va!

Die Yacht, aus der Strömung heraus, segelt auf den Leuchtturm zu.

Tammuz kniet nieder: seine Seele fließt über von der Gnadenhandlung.

– Gerettet, ruft der Kapitän.

– Aber unsere Liebe? fragt sie.

– Ist das Sühnopfer, das wir den Göttern darbringen.

– Leider!


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