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Drittes Buch.
Pentapolis

 

 

Die Kunst, die Menschen zu leiten,
läuft nicht darauf hinaus,
den Trieben Zwang anzulegen:
indem man sie begünstigt,
erschöpft man sie!

Peladan, Semiramis.

 

 

I.
Lesbisches Souper

– Meine Liebe, er hat mich gefragt, ob Lesbos stark in der Theaterwelt vertreten sei … Sollte er etwa ein Naiver sein, Ihr Freund? …

So sprach Sadinet, als sie ihre Loge verließ, um den letzten Akt zu spielen, bis auf die Bühne von Aril begleitet.

– Naiv, Tammuz! … Er ist beinahe Weib, so fein nimmt er wahr, aber er hat sehr für sich gelebt; als er in Paris ankam, hat Lesbos ihn gepackt durch das Problem, das es erregt. Er verfolgt eine hartnäckige und scharfsinnige Forschung, bei mir bezaubernd, bei Goulaine verehrt. Er ist wirklich bezaubernd mit seiner zurückhaltenden und fliehenden Zärtlichkeit; und man muß ihn verehren in seiner traurigen Heiterkeit und eleganten Indifferenz: ein Wesen aus Diamant, das man nicht ritzt.

– Und wer wird ihn ritzen?

– Niemand, weil er nicht geruht standzuhalten. Die Vouivre, der Chevalier, Stella, selbst Goulaine schwärmen für ihn.

– Wenn ich es täte?

– Schwierig … Sie müßten ihm denn Dokumente für seine Forschung geben … und auch dann noch! Stellen Sie sich vor …

– Sadinet, dein Stichwort! heulte ein Komiker.

Mit dem Sprung eines Gassenjungen stürzte sich die Schauspielerin auf die Bühne.

Aril suchte Tammuz wieder auf, in der Loge der Diva.

Die Marquise de Trinquetailles, zur Zeit in Sadinet verliebt, plauderte mit dem jungen Manne. Zwei Gefühle stritten sich in ihr: ein lebhaftes und plötzliches Interesse für ihr Gegenüber, eine ebenso lebhafte und plötzliche Eifersucht auf die Schauspielerin. Tammuz ahnte sofort, welchen doppelten Eindruck er machte, und amüsierte sich.

– Aril, warum haben Sie diesen gefährlichen jungen Mann hergeführt? Er ist ja viel gefährlicher als alle Bewunderer der Sadinet!

– Marquise, sagte Tammuz, über die Leute vom Theater bin ich der Ansicht Wagners: das sind Instrumente! Ein Klavier erhält erst Wert durch das, was man auf ihm spielt: wunderbar, wenn es dazu dient, Beethoven zu lesen; abscheulich, wenn man es für das nationale Repertoire gebraucht. Ich verachte Sadinet als Frau und ich leugne sie als Talent: ich studiere ihre Laster, das ist alles.

Frau von Trinquetailles dachte böse zu werden, zu schreien, aber lachte.

– Ihr Laster bin zur Zeit ich.

– Sie interessieren mich also ebensosehr wie jene: ich möchte Sie beide gern zusammen studieren.

– Ich habe mehr Verlangen als Scham, ich ziehe das vor, denn Sie sind beunruhigend.

– Der Uneigennützigste der Männer.

– Ei, bestehen Sie nicht darauf: Sie verletzen die ewige weibliche Eitelkeit.

– Ich würde dieser Eitelkeit schmeicheln, um mich zu belehren.

– Ueber was? Ueber die lesbische Art! … Hören Sie, der Vorhang fällt, bringen Sie Aril nach Hause und kommen Sie in meinem Wagen zurück: ich lade Sie zum Souper ein. Sadinet liebt ohnehin die Zahl drei.

Während das Coupé schnell dahinfuhr, sagte Aril:

– Ich habe heute abend für Sie getan, was ich niemals für jemand tun würde: ich habe mich dazu hergegeben, einen seltsamen Plan einzufädeln.

– Ich weiß Ihnen dafür Dank, Aril.

– Oh, Sie werden weiter meine Halle meiden, um den Fechtsaal der Maupins aufzusuchen. Finden Sie bei diesen Sportdamen die aufrichtige Zuneigung Arils?

– Aber ich bin Ihnen sehr verbunden, protestierte er.

– Sie jemandem verbunden? Sie beobachten ja die größte Zurückhaltung! Sie, Tammuz, Sie sind eine Frau mit den Frauen: die Sie Gynandria nennen, gehorchen, trotzdem sie Ihnen widerstehen wollen, einer geheimen Anziehung und nehmen Sie auf.

– Erklären Sie mir doch diese Erscheinung, Aril.

– Nicht um Wollust betteln, heißt schon sich der Ausnahmefrau empfehlen; gegen die Ausnahmefrau gleichgültig sein, heißt sie herausfordern; auch sie zugleich sich verbinden, wenn ich es gestehen soll. Sie geben die Idee von der idealen Liebe, der Liebe ohne Kosen.

Bei diesem Worte sprang Aril aus dem haltenden Wagen.

Auf der Rückfahrt fragte sich Tammuz, was das für ein Souper sein werde.

Trinquetailles und Sadinet warteten schon an der Tür der Künstler. Sadinet setzte sich der Marquise auf die Knie; sie hatte unter ihrem Mantel das Bauernkostüm der Hosenrolle anbehalten. Während der Fahrt küßten sie einander die Lippen mit einer Gier, über die Tammuz erstaunte.

Als sie bei der Künstlerin ankamen, wurde auf dem kleinen Tisch, der fertig gedeckt war, ein Couvert hinzugefügt. Da Tammuz Hunger hatte, aß er ruhig angesichts des Paares, das hübsch war in seinen überraschenden Liebkosungen.

Man vergaß ihn; er füllte ihnen das Glas mit aufmerksamem Eifer.

Die Marquise legte ihr Mieder ab: sie verglichen ihre Brüste.

Tammuz, zum Richter angerufen, fällte seinen Spruch.

Gereizt, ging Sadinet zum Angriff über; da der Champagner wirkte, rief sie:

– Sie haben die Gemütsruhe eines Impotenten.

Was den Betrachter nicht erregte.

– Lieben Sie schon lange so? fragte er.

– Eine ganze Woche.

– Das ist viel!

– Sie spotten!

– Die Liebe, die sich nicht ewig glaubt, ist häßlich.

– Die ewige Liebe in Lesbos! Woher kommen Sie, mein Kind? Eine Woche, das ist nur dadurch zu erklären, daß wir eifersüchtig sind … Denn, in der Eifersucht kommt Lesbos Kythera gleich.

– Die Eifersucht ist die Hälfte der Liebe. Und kennen Sie eine Leidenschaft Ihrer Art, die gedauert hat? Erwähnt die Legende oder Geschichte keine?

– Kann dies dauern?

Und Sadinet goß ihr volles Glas hinunter.

– Du denkst mich mit dieser schamlosen alten Habitarelle Peladan, Einweihung des Weibes (deutsch erschienen). zu betrügen, rief die Marquise.

– Sei ruhig, ich werde sie Nolay Peladan, Einweihung des Weibes (deutsch erschienen). nicht streitig machen.

– Nolay, die Unverstandene, die es schlimmer als irgendeine macht und dann schreit: »Das ist so wenig!« Nolay, immer an der Arbeit mit Lavalduc, um etwas Neues im Schmutz zu finden. Nolay …

– Wenn du fortfährst, küsse ich diesen jungen Mann, der sich langweilt.

– Wenn du ihn küssest, tue ich es auch.

– Setzen wir diesen Wetteifer fort, so kommen wir schnell dahin, unsere Götter zu verleugnen; Verzeihung, unsere Göttinnen …

Während die Schauspielerin und die heruntergekommene Dame sich schnäbelten, sprach Tammuz für sich mit halber Stimme Erinnerungen aus der Lektüre, hervorgerufen durch das Wort »unsere Göttinnen«.

– Die Bußerlasse von Burchard aus Worms nennen zwei Häupter der Hexerei: Herodias und Hekate. Das Pandämonium »Wütendes Heer« heißt sie Erzdämonin. Im zehnten Jahrhundert sagte Ratherius, der Bischof von Verona, mit Schrecken, daß die Henkerin von Johannes dem Täufer unter den Abergläubischen als Königin eines Drittels der Erde gilt. Ist nicht die Dame Habonda noch immer Herodias, die Patronin der Ungetauften?

Plötzlich ernst geworden, rief die Marquise:

– Sie lassen mich an das seltsamste Wesen denken, dem ich begegnet bin: Merodach Merodach und Alta, Prinzessin Este und die Nina sind die Hauptgestalten in Peladans Roman »Das höchste Laster«, der deutsch bereits erschien.. Er hatte diese Ruhe, die den Taumel herausfordert, und war immer mit Wissen geladen … In jener Zeit übertraf mich die Prinzessin Este an Entartung: sie liebte den berühmten Dominikaner Alta … Sag, Sadinet, ist die Nina zur Zeit in Paris?

– Sie sucht noch immer ihren Sohn, den Merodach und seine Freunde ihr vor zehn Jahren gestohlen haben.

– Erzählen Sie mir doch diese Geschichte, bat Tammuz.

– Der Prinz Courtenay beging Selbstmord, nachdem er seine Geliebte, die Nina, geschwängert hatte, und die Freunde des Prinzen haben das Kind gestohlen, um es nach ihrer Art, also besser, zu erziehen.

Die Marquise verschwand einen Augenblick, um in Kniehosen aus Batist und in Bauernjacke zurückzukehren. Sie goß sich Champagner ein und rief:

– Auf Lesbos!

– Aber nein, erwiderte Sadinet, wir sind in Hosenrollen … es gibt hier keine Frau.

Sie erhob ihr Glas.

– Ich trinke auf Sodom.

Tammuz erhob sich und suchte seinen Hut; auf die fragende Gebärde des Paares sagte er:

– Sie fordern den Donner heraus: ich rette mich.

– Haha, der Donner!

Sich in einem Pfauentanz der Mignons wiegend, erklärte die berauschte Sadinet:

– Es gibt keine Lesbierinnen mehr, wir sind Päderasten.

Auf der Schwelle drehte sich Tammuz um.

Die beiden tanzten noch immer den Pfauentanz, nach einer gemeinen Melodie singend:

– Wir sind die kleinen Päderasten … die kleinen Päderasten …

– Ekelhaft, sagte Tammuz.

Das war sein Abschiedswort, das aber nicht gehört wurde.


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