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IX.
Magnetisieren

Jeden Tag um fünf Uhr kam Tammuz zu Aril, von allen Frauen aufgenommen, wie kein anderer Mann es wurde. Es gefiel ihm in dieser Umgebung und er säumte dort, ohne die Formel für dieses seltsame Milieu zu finden.

Stheno, der gute Hund, Emene, das Vögelchen, erregten kein Problem: die eine dazu geboren, die dienende Freundin zu sein, die andere, die Freundin Ara Ara, Arara, langschwänziger Papagei aus Südamerika: Peladan, Einweihung des Weibes, 277., beide ohne Leidenschaft.

Hemera und Mermaid, zwei traurige Seelen, die bei Aril eine innere Ruhe fanden, wo sie, fern vom Lärm der Gesellschaft, sich vor dem Flirten schützen konnten.

Von den beiden charakteristischen Paaren gehörte das eine nicht ausschließlich der Perversion; man schrieb Bulis und Aurine viel männliche Abenteuer zu: sie ließen die Männer von Hand zu Hand gehen. Nundi und Tutine dagegen setzten als Lasterhafte vielmehr die Streiche des Pensionats fort, die Gewohnheiten des Klosters und das Vergnügen, einander alles anzuvertrauen, sogar und besonders, die Gedanken der Scham.

Ennar hatte beim Souper sich erklärt: es reizte sie nicht, was nahe, bereit, erreichbar war.

Blieb Carmente, die sich selbst anbetete, der Aril huldigte, sie zum Mittelpunkt eines Hofes machend; blieb Lilith, die für Aril schwärmte, sich aber an eine andere Gruppe anschloß, an die Sportweiber des Royal Maupin.

Bei der Analyse fand er sehr wenig Wollust und keine Leidenschaft unter den Orchideen.

Doch bestand diese Gruppe seit mehreren Jahren, ohne sich aufgelöst zu haben: wo war das Band, das diese ungleichen Geschöpfe vereinte? Wodurch wirkten diese Verschiedenheiten zusammen, um eine solche Uebereinstimmung hervorzubringen? Denn niemals überraschte Tammuz eine bei schlechter Laune oder Hinterlist: alle diese Frauen entwaffneten unter einander. Augenscheinlich verehrten die Orchideen Aril, schätzten Carmente über alles, der einen wie der andern den Hof machend und Dienste leistend.

Tammuz studierte dieses Dutzend Weiblichkeiten, ohne zu begreifen; dann richtete er seine Beobachtung auf Aril allein: man konnte eine Frau nicht fragen, die in ihrer Gegenwart kein Wort über ihr Laster aussprechen ließ, die dieses Laster mehr im Kopfe als in den Lenden trug.

Ruhig, mit klarem Blick, niemals zögernd, schien ihm Aril mit einer Fähigkeit schneller Entscheidung begabt, die bei einer Frau selten war; noch mehr, von großer Selbstbeherrschung, jedes Zeichen von Verdruß oder Traurigkeit unterdrückend.

Dieser Seite einer männlichen Seele mußte man eine heroisch entwickelte und angewandte Gabe hinzufügen, immer liebenswürdig zu sein, von einer zarten und etwas gönnerhaften Liebenswürdigkeit, diese Umgebung tröstend, beratend, streichelnd, besonders aber mit einer rhythmischen Hand orchestrierend.

Er nahm schließlich wahr, daß Aril die Herrschaft der Frau über den Mann verkörperte; daß man sie ehrte, weil sie ruhige Klarheit, die anmutig geblieben war, entwickelte; und daß die Orchideen ihre Macht liebten, weil ihr beständiger und starker Wille diesen kleinen Schwarm von Gefühlen und Nerven beruhigte.

Ins Leben eingetreten durch die unsaubere Kränkung eines Schöntuers; zurückgewiesen, weil sie für die Gesellschaft nicht hübsch genug erschien, hatte sie, statt zu weinen, sich langsam gewandelt. Diese Eigenwillige erlernte das Handwerk und sogar die Kunst, die unerbittliche. Zehn Jahre kämpfte sie gegen die Meinung der Menschen und trieb harte Studien. Obgleich sie nur mäßig begabt war, hatte sie die Freude, eines Tages in einem Wettbewerb über den zu siegen, der sie verachtet hatte. Ob sie nun eine zweite Kränkung fürchtete, oder ob ihre Entwicklung zur positiven Tätigkeit auf ihr Geschlecht wirkte: sie wurde die Feindin des Mannes. Durch ihren Willen, durch ihre Arbeit männlich geworden, hielt sich Frau Architekt, die Häuser baute, für einen Herrn und wollte Geliebte, nicht Liebhaber.

Diese große Veränderung vollzog sich ausschließlich in der Einbildung. Ohne Temperament hatte sie Carmente erwählt, diese aus Kälte geschaffene Frau. Wenn aber der Körper wenig bedeutete, so hatte sich das Donjuantum des Herzens, wie Armand Hayem Armand Hayem, Le Donjuanisme, Lemerre, Paris. Vgl. Peladan, Sieg des Gatten, 14. sagt, toll entwickelt. Um eine Frau seelisch zu verführen, zu verwirren, zu besitzen, war nichts zu teuer.

Tammuz erfuhr von Lilith, daß Arils liebster Traum sich Rose de Faventine nannte, aber über diese Jungfrau, die Tammuz beschützen sollte, wie Ennar gebeten, wachte man so, daß Aril nicht an sie herankam. Das war ihre große Niederlage; deshalb grollte sie Lilith, die, auch in Rose verliebt, diese aus dem Atelier der Frau Architekt entfernt hatte.

Schließlich, über diese Züge hinaus, die größte kaufmännische Fähigkeit, eine unbegreifliche Kunst, aus der Sache und dem Menschen den besten Vorteil zu ziehen, und zwar auf feine Art.

– Wenn sie mich bäte, ins Feuer zu springen, würde ich ihr antworten: danke, daß du an mich gedacht hast, sagte Emène.

So gab es in diesem von ganz Paris gekannten Kreis keine Liebe und wenig Wollust. Die Orchideen suchten einander nicht, da sie fürchteten, ihrer guten Freundschaft zu schaden, wenn sie diese erotisch machten.

Höchstens die Passantin – die neugierige Weltdame, die durch schlechte Romane erregte Provinzlerin, die Schauspielerin, die Geschmack daran fand, die Geliebte comme il faut zu kosten – höchstens die Passantin, die auf Arils Weigerung das Atelier wieder verließ, gehörte zu den Orchideen; und noch dazu war dies so heimlich, so wenig ausgedrückt, daß Aril es nicht zu verstehen schien.

Was das Atelier der Frau Architekt in Wirklichkeit bedeutete, das war die Oase für die Frauen dieser Art: da konnte man traurig sein, da brauchte man nicht zu sprechen, da wurde die Melancholie respektiert; einen ganzen Tag konnte man schweigen, ohne daß eine taktlose Frage die Nerven verstimmte.

Die Orchideen brachten ihr Leiden und ihre Klage zu dieser Frau mit dem kühlen Herzen, die sie aber so klug aufzunehmen wußte, weil sie die gleichen Leiden einst überwunden hatte.

Sie kamen, sich aus Krisen und Enttäuschungen rettend, um sich in dieser ganz weiblichen Atmosphäre, die doch der Weiblichkeit überlegen war, zu erholen. »Nachtherberge der Seele«, sagte Nundi: dieses barocke Wort bezeichnete gut den seltsamen Hafen der wracken Geschöpfe.

Tammuz mußte zugeben, daß Aril es verstand, Gutes zu tun und ihre Sache wunderbar zu führen, da sie stets Dankbare schuf; daß sie auch die weibliche Anmut mit einer Festigkeit wahrte, auf die sich fünfzehn treibende Existenzen stützen konnten.

Er ahnte deshalb, daß er das Geheimnis der weiblichen Perversion in den Verirrungen des Geistes, in dem gefälschten Begriff finden würde: alle Orchideen enthielten nichts Entscheidendes, Lilith de Vouivre vielleicht ausgenommen; nur Aril zeigte eine Art Männlichkeit, die von diesen nicht gewöhnlichen Frauen anerkannt und ertragen wurde. Er stellte also diese Prämisse auf:

Die weibliche Perversion existiert nicht als Leidenschaft; sie ist eine verdorbene Form des Geckentums; sie ist die Hosenrolle, aufs Seelische übertragen und im Leben gespielt. Aber wie in der Kunst die Hosenrolle nur Wert für Fünfzehnjährige hat, so kann sie in der Wirklichkeit nur die Entwicklung eines Epheben erlauben: die Gynandre wird niemals die Gehirnfähigkeit eines Primaners übertreffen.


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