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IV.
Neue Ehre durch die Künste

 

I

In dem Atelier mit den japanischen Tapeten, mit den verschwenderischen Blumen macht Nahema das Pastell eines jungen in Gaze gehüllten Mädchens: und der Farbenstift zerbricht oft in den fieberhaften Fingern der Künstlerin.

Ihr Teint belebt sich, ihr Auge glänzt: sie hält inne und will sich erheben, von der angezogen, die ihr sitzt.

Diese, eine Tänzerin, fragt zum hundertsten Male.

– Sind Sie sicher, daß das Pastell in die Ausstellung kommt?

Das ist der einzige Gedanke des Modells: diese Eitelkeit, sich unter Glas und Rahmen zu sehen, um im Bildnis fortzufahren, ihre Netze nach einem reichen Gönner auszuwerfen.

Die Pastellistin dagegen besudelt ihre Farbentöne, denn ihr Blick wird durch die Begierde getrübt. Und da sie, Nahema, etwas Stolz bewahrt, wird sie ein schlechtes Pastell machen, von ihrem geheimen Verlangen gefoltert, das die Tänzerin nicht einmal bemerkt.

 

II

Die Leserin wird heiser und erhebt oft die Augen zu ihrer neuen Freundin:

Begehen wir, was seltsam ist und dreist?
Erkläre die Verwirrung, die mich packt:
ich beb' vor Furcht, wenn du mich »Engel« heisst,
und doch verlangt mein Mund nach deinem Akt.

Die zuhört, streckt die Hand langsam nach dem Buche aus und schlägt es zu; sie bleibt in dieser Gebärde, sinnend, die Augenlider geschlossen; dann richtet sie sich durch einen plötzlichen Entschluß auf und murmelt entschieden:

– Nein!

Aber die andere fällt auf die Knie und fleht:

– Kannst du einen Schöntuer vorziehen, der nur Zeitungen liest und für die große Dichtung kein Gefühl hat? Ich, ich werde dir mehr Liebe geben, und dann werde ich das Genie als dritten hinzunehmen: wir werden einander Baudelaire, Swinburne, Verlaine vortragen. Glaube mir!

Und die zögernde Freundin lacht sanft über diese Beweisführung, bei der die Lektüre der modernen Poeten als Lockvogel für die Begierde dient.

 

III

– Laß diese Feder, laß sie für die Häßlichen: wenn man dein Bein hat, ist man da ein Blaustrumpf? Ich reiche dir die Arme und die Lippen, und du ziehst es vor, dich mit diesem dummen und weißen Papier abzugeben?

– Bitte einen Augenblick, damit ich dieses Kapitel beende.

Die andere wird heftig:

– Bist du arm? Hat dir ein plötzlicher Zusammenbruch nur die Wahl gelassen, Tintenfässer zu leeren oder Klavierstunden zu geben? Nein! Dann gehorchst du diesem albernen Gefühl, Nichtigkeiten hervorzubringen, um dich in Elzevirlettern zu lesen … Da fällt mir ein, dieser Titel … du bewirbst dich um den Preis der Akademie … du, die Tolle von Fontenay aux Roses, du, die … du bist zu vornehm für die Preise, die Camille Doucet Französischer Dramatiker, 1812-95. verteilt … oh, du empörst mich.

Ruhig legt die andere ihre Feder hin und sagt:

– Du vergissest, liebe Schöne, daß ich eine geborene de Loches bin und die geschiedene Gattin des Marquis von Aygual: diesen beiden Namen bin ich es schuldig, der … Unabhängigkeit meiner Sitten den Vorwand der Literatur zu geben.

 

IV

Auf dem Erardflügel schlägt die Baronin von Chaynaies in ihrem Salon religiöse Akkorde an, während der gelehrte Organist von St. Clotilde auf Notenpapier schreibt.

Da tritt die Herzogin d'Herrera unvermutet ein und ist verblüfft, als sie den Maëstro erblickt; sie küßt ihre Freundin auf den Hals; diese hält ihr den Nacken hin, ohne ihre Studien nach Palestrina abzubrechen.

Die kleine Herzogin d'Herrera setzt sich und schlägt auf dem Teppich den Takt mit ihrer Fußspitze, dann mit ihrem Sonnenschirm; endlich stampft sie mit dem Fuße auf; plötzlich wird sie wütend und will flüchten.

Da hält Frau von Chaynaies inne und sagt:

– Meine Liebe, sei geduldig, wenn man sich damit beschäftigt, deine Streiche wieder gut zu machen! Du hast mich kompromittiert: um meinen Ruf wieder herzustellen, arbeite ich mit großer Mühe an einer Kantate mit Chören.

– Du machst … du machst, sagt Herrera und zeigt mit dem Sonnenschirm auf den immer noch schreibenden Kapellmeister.

– Ich mache … ich mache Kantaten … und du machst … du machst den Mann, ruft die Baronin geärgert.

Die Herzogin antwortet nicht, aber ihre Freundin hört ihr Kleid zischen, während sie geht: dieses Zischen des Hasses bei nervösen Frauen, das elektrisiert und beunruhigt.

 

V

Um ihre innige Freundschaft zu rechtfertigen, die sie selbst auf dem Balle zeigen, indem sie zusammen tanzen, haben die blonden Kusinen sich ausgedacht, ein Meßbuch zu illuminieren: und sie hören auf, aus reinem Gold einen Heiligenschein zu machen, um sich zu küssen.

– Im Rauchzimmer stritt man sich; ich schlich in den Korridor, um zu horchen, denn die Gespräche unserer künftigen Herren sind wirklich lehrreich. Guntram stellte diese Frage, die für uns sehr interessant ist:

– Würde es dich abhalten, zu heiraten, wenn du erführst, daß deine Verlobte weibliche Liebeleien gehabt hat?

– Erstens ist man niemals sicher; in Lesbos noch mehr als in Kythera wiederhole ich das Wort einer Marquise des letzten Jahrhunderts: »Wie macht man es, um über jene Dinge so sicher zu sein?« Zweitens, denke an das Schulleben und stelle dir vor, daß das Pensionsleben ihm im Grunde gleicht. Man muß eine Jungfrau heiraten; aber eine reine Jungfrau … Wo ist der Einfältige, der sich über die reine Jungfräulichkeit seiner Verlobten sicher ist, selbst wenn sie zu Hause erzogen wurde? Man bewahrt ein Mädchen vor anderen: bewahrt man sie auch vor sich selbst? Es gibt Jungfrauen; aber über die reinen Jungfrauen mag der Teufel allein Bescheid wissen. Kurz, das wäre für mich kein Grund zur Weigerung.

 

VI

Zwei Freunde, von einer alten Brieffreundschaft, die sie durchs Leben fortgesetzt haben, rauchen die Zigarren eines feinen Diners, bei dem sie sich an die Vergangenheit erinnert und einander gebeichtet haben. Vertraulich und berauscht sagt der eine:

– Frau X ist sehr intim mit deiner Frau!

– Sie verlassen einander nicht.

– Beunruhigt dich diese Intimität nicht?

– Man wird nicht Hahnrei durch eine Frau! Im Gegenteil, diese allzu zärtliche Freundschaft bildet meine Sicherheit: ich bin frei wie ein Junggeselle und so ruhig, daß ich einen argwöhnischen Türken neidisch machen könnte. Meine Frau ist überwacht: ich bürge dir dafür.

– Aber was, glaubst du, geht zwischen deiner Frau und der andern vor?

– Ich will es nicht wissen. Die Gesellschaft erlaubt es, daß eine Frau eine Freundin hat, mag der Teufel … Hast du einen einzigen Mann lächerlich werden sehen, weil seine Frau eine Freundin ihres Alters, ihres Standes hat? Nein! Nun, seien wir nicht strenger als die Gesellschaft.

Der so sprach, war ein anständiger und vornehmer Mann.

 

VII

– Das Beiwort Künstlerin erlaubt der gefallenen Frau eine Reihe Vorrechte, die sehr wertvoll sind. Ueber die Dummheiten im Kloster schweigt man, denn man müßte zuviel Jungfrauen anklagen; das zweifelhafte Benehmen eines jungen Mädchens verzeiht man noch; aber, meine Liebe, ruft die Witwe, wenn man sich die Haare abschneidet und auf den Premièren am Rande der Loge eine Knabenbüste zeigt, mit umgelegtem Kragen, in Smoking und steifen Manschetten, dann geht die herausgeforderte öffentliche Meinung streng vor. Bedenken Sie doch, Sie legen die Uniform eines Lasters an, das man zu meiner Zeit nicht einmal dem Namen nach kannte. Obwohl Sie eine Aufschrift tragen, beklagen Sie sich, daß man liest, was darauf geschrieben steht, und daß man sich nicht abschrecken läßt.

– Aber Sie wissen sehr wohl, daß man mir während meines typhösen Fiebers die Haare abgeschnitten hat.

– Wer wird es glauben? Für Sie gibt es nur eine Rettung: ein Talent entdecken! Da Sie nicht mehr zur feinen Welt gehören und zu reich sind, um zur Halbwelt überzugehen, müssen Sie Künstlerin werden. Der Salon paßt nicht für Ihr Leben, nehmen Sie ein Atelier und machen Sie darin irgend etwas; so kann man wenigstens auf das Geschrei antworten: »Das ist eine Künstlerin.«


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