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VIII.
Abtei Thelem

– Die wunderbarste Freiheit für einen Künstler, für einen Nervenmenschen, der zu arbeiten hätte, rief Tammuz am nächsten Morgen.

In der Tat, nicht einmal eine Stunde für die Mahlzeiten, niemals diese Glocke, zwei Male am Tage, der man in dem bequemsten der Schlösser gehorchen muß.

Wenn nicht am Abend vorher eine Partie geplant war, erhob man sich spät auf Teutat: jeder verlangte das erste Frühstück, wann es ihm gefiel. Gegen ein Uhr fand man sich bei der Mahlzeit wieder, die bei Zigaretten und Likören bis drei Uhr dauerte.

Man soupierte mehr als daß man dinierte: zwischen neun und zehn Uhr saßen alle Teutes um einen funkelnden Tisch, in Balltoilette, während der Prinz wieder den roten Anzug trug.

Dann glich das allgemeine Plaudern in seltsamer Weise, abgesehen von der Haltung und der Roheit, einem Männersouper. Nie ein allgemeiner Gedanke, sondern aufgefangene Anekdoten und nichtige Erörterungen.

Sobald die geringste Elektrizität in der Luft lag oder Och Stücke aus dem Fliegenden Holländer gespielt hatte, wurden die Teutes traurig. Einige versuchten zu Bett zu gehen: aber von Schlaflosigkeit gejagt, kamen sie im Nachtgewande wieder in den kleinen Salon zurück.

Das glich nicht den Orchideen. Simzerla dachte nicht im geringsten daran, zu herrschen: freundlich zu allen, übte sie nicht die aufmerksame Liebenswürdigkeit der Frau Architekt.

Es glich auch nicht dem Royal Maupin, wo man mit Bewußtsein den Mann spielte, sich mit Fechten und Turnen ermüdend. Der Prinz jagte oft das Wild des Meeres, auf einer Jolle, mit zwei oder drei von der Schar; die andern rührten sich kaum in ihrem süßen Nichtstun.

Nichts auf Teutat erinnerte an den Zynismus von Pentapolis: weder unkeusch noch erotisch, anmutig miteinander vertraut, alle von vornehmer Herkunft, alle nahe an dreißig, alle müde.

Tammuz glaubte zuerst, daß sie die Geliebten von Simzerla seien oder daß sie sich gegenseitig liebten. Ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, spähte er. Wenn Simzerla sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, las sie Geschichten von Abenteuern, Jagderzählungen, Unterhaltungsromane. Arathon las Schopenhauer vorm Einschlafen, Phul sagte sich Baudelaire her. Allein Phalig und Bethor schienen intim zu sein.

Bei der Prüfung löste sich das Schloß von Leukadia in eine lesbische Verneinung auf: es war eine Reede, wo gescheiterte Existenzen sich ausruhten, nicht eine Burg für Orgien, wie man hätte glauben können.

Seitdem zweifelte Tammuz daran, daß die Fliegende Gräfin ein Ungeheuer sei.

Simzerla verbrachte einen Nachmittag damit, um Körbchen zu vergolden; einen andern, um artig zu zeichnen; gab ihrem weißen Raben ein Bad; wurde zornig, weil man ein Tierchen zertreten hatte; bot dem Seemann, der sie aufs offene Meer zur Jagd hinausfuhr, fünf Franken, damit er sie Admiral nannte, da sie dessen Kostüm trug – Simzerla, so in allen Augenblicken ihres Lebens gesehen, schien ein Kind von dreizehn Jahren zu sein, traurig, sanft, einfach, von der Neigung beherrscht, im Leben Komödie zu spielen.

Niemals hatte man sie mit jemandem so gesehen, wie sie sich mit Tammuz zeigte: der nächtliche Kuß hatte sie wie ein Liebestrank an Tammuz gebunden. Sie vermied es zuerst, mit ihm wieder unter vier Augen zusammenzukommen. Als er das bemerkte, sagte sie:

– Warum beginnen, was man nicht behalten kann?

Diese einfachen Worte trafen so genau auf das Bedenken von Tammuz, daß er schwieg, von Bedauern für sich, von Mitleid für sie ergriffen.

Er ließ seine seidenen Kniehosen und seine Sammetjacken kommen, die ihm den gleichen Dienst leisteten wie im Royal Maupin: so gekleidet, wurde er verhätschelt und umschmeichelt, wurde er der Herr von Teutat.

Er hatte ihnen schon am zweiten Abend die Idee zu einem eigenartigen Stück erzählt, die mit Begeisterung aufgenommen wurde: man drängte ihn, es zu schreiben.

Es spielte zur Zeit, als Leonardo da Vinci jung war, in einem Toskana, das etwas den Ardennen Shakespeares glich.

Die Prinzessin Cornaro verehrt die kleine Prinzessin Grimani und entführt sie. Diese ruft voller Gewissensqual aus:

– Wenn wir nicht schuldig wären, könnten wir uns heiraten.

Alsbald läßt Cornaro einen Franziskaner kommen und verficht diese seltsame Ansicht: die Tiefe des Gefühls gilt außerhalb jeder Regel. Der Mönch entrüstet sich und verwünscht.

Im zweiten Akte hält sich Leonardo da Vinci bei der Prinzessin Cornaro auf: diese verliebt sich in den großen Künstler. Die kleine Grimani begeht Selbstmord, sobald sie die Untreue der Frau entdeckt, die sie verführte.

Er arbeitete an dieser Seltsamkeit abends nach dem Souper. Tammuz spielte den Mönch, dann den Vinci, und die acht Frauen halfen bei den Gesprächen zwischen den beiden Prinzessinnen.

Er erstaunte, wie gering die Geisteskraft der Frau war, wie unfähig sie selbst als Sophistin sich zeigte: er mußte ihnen die Antworten vorsagen, mußte sich zum doppelten Advokaten machen.

Vierzehn Tage vergingen, so ruhig, so voller Gutmütigkeit, ohne ein anderes Ereignis, als daß Phalig abreiste und eine junge Schauspielerin, Aschera, kam. Diese brachte das lebhafte Lächeln einer überzeugten und angreifenden Entartung, ohne jedoch auf die schlaffen Nerven der Teutes eine Wirkung auszuüben.


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