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IV.
Frau Architekt

Das Auge verführt durch schmachtende Stellungen, die von lebhaften Bewegungen unterbrochen wurden; die Nüstern geliebkost von dem Duft, den Frauen mit sorgsam gepflegtem Körper ausströmen; das Ohr gewiegt von dem Zwitschern mit halber Stimme, in der für einen Augenblick ein Ausruf trillerte: ließ Tammuz, wie Rinaldo bei Armida Tasso, Befreites Jerusalem, 16. Gesang:
Da gab sie Körper körperlosen Dingen,
es kann die Mischung keiner sonst gelingen …
, seine Nerven eine Weile von diesen Fluiden der weiblichen Intimität einspinnen.

Windhunde streckten sich auf dem Teppich aus.

Alle schienen Schwestern zu sein und einander zu lieben; ihr kurzes und beherrschtes Wort wirkte die Illusion, als dächten sie: es waren Katzen, und sie spielten Güte und Geist.

Einige rauchten diese köstlichen und duftenden ausländischen Zigaretten, nicht aus dem unedlen französischen Tabak; andere gossen sich Mischungen von seltsamen Likören ein und schlürften sie mit hübschem Verziehen der Lippen, die Finger kokett gruppierend.

Vor der Dame des Hauses angekommen, in die als Atelier dienende Halle geführt, diesen unbekannten Damen unbekannt, blieb er unbeweglich auf einem großen Renaissance-Stuhl sitzen, den Stock in der Hand, den Filzhut auf dem Schenkel gefaltet, und betrachtete, mehr erobert als prüfend, dieses Dutzend hübscher Mädchen, alle jung, alle modern, aber alle jünglingshaft, die nicht schwatzten, wenig lachten und leise sprachen, wie bei einem Podesta.

Die Hunde erhoben sich.

Alle Mädchen richteten sich auf und traten vor, Hände und Lippen ausgestreckt, zusammen mit den Windhunden, die ihre lange Schnauze zur Liebkosung reckten.

– Aril.

– Guten Tag, Aril.

– Arilette.

– Arilo.

– Ril.

Klein und gut gewachsen, mit einer feinen Hand den kostbaren Vorhang hebend, stand eine Frau von fünfunddreißig Jahren, mit dem Auge eines Vogels, auf der Schwelle, etwas theatralisch.

Tammuz hatte sich auch erhoben, aber ernüchtert, der Wirklichkeit zurückgegeben, wieder fähig, die Seele zu ergründen.

– Frau Merkur, murmelte er für sich.

Stehend, wartete er geduldig, bis die Umarmungen zu Ende waren: die Ankommende empfing sie weniger lebhaft, als man sie ihr bot. Sie schien die Gebieterin dieses Schwarmes erstaunlich disziplinierter Mädchen zu sein.

Sie trat auf Tammuz zu, den sie sofort gesehen hatte, aber auf den sie als Bezaubernde wirken wollte.

»Hof oder Harem?« fragte sich der junge Mann, während Aril ihm die Hand bot und, in schmeichelhafter Weise ihm jede Probezeit ersparend, sagte:

– Sie sind Nergals Freund, Sie sind mein Freund!

Mit einem Blick auf die jungen Frauen deutend, die ihre schlaffen Haltungen wieder eingenommen hatten, jetzt aber Aril ansahen, fügte sie hinzu:

– Sie sind deren Freund!

Dann stellte sie ihn vor:

– Tammuz, meine Kinder. Ihr wißt nicht, wer das ist? Ich auch nicht; aber Nergal dixit.

Von einer zur andern gehend, sie mit dem Finger auf der Wange berührend, einen Haarstreifen glättend, ein Band flattern lassend, einen zu tief sitzenden Hut höher rückend, dieser ein Gesicht schneidend, jener einen Blick zuwerfend, zählte sie auf, wie ein Tierbändiger seine Pensionäre vorführt:

– Lilith de Vouivre, die allerliebste der Baroninnen, ein feiner Degen. Carmente, die Königin der Orchideen. Bulis, mein erster Page. Aurine, mein zweiter Page. Emène, mein Benjamin. Nundi, der geheimnisvolle Teufel. Hemera, die Melancholie von Gavarni. Mermaid, die schottische Sirene. Stheno, die Seele eines Hundes im Körper eines Mieris Mieris, holl. Maler des 17 Jhs., in Dresden und München gut vertreten.. Tutine, mein Schüler in der Architektur. Ennar, die Rote, oben aus Lilien, unten aus Halbschatten gemacht.

Sofort suchte Tammuz das Tier zu finden, dem jede ähnlich war.

Die braune schlanke geschmeidige Lilith war eine beunruhigende Pantherin, augenblicklich gezähmt. Carmente, eine Frau Narziß, stellte einen Pfau vor; Emène eine Hirschkuh. Hemera glich einem Pferd und Mermaid einem etwas wütenden Hammel. Stheno sah aus wie ein Hund, Ennar wie eine Angorakatze.

Aber ein allgemeiner Charakter von Katzenart verband alle, glich die Verschiedenheiten aus, stellte Wechselbeziehungen zwischen diesen Naturen her, die sich einander näherten, aber nie zusammen fielen.

Als Tammuz seine Augen und seine Aufmerksamkeit wieder auf Aril wandte, fühlte er eine unbesiegbare entschiedene Antipathie in sich aufkommen; doch vermochte er sich so zu beherrschen, daß sein Gesicht alsbald eine sofortige Ergebenheit, eine sich nicht getrauende Zärtlichkeit ausdrückte.

– Es ziemt sich, daß die Musen und Grazien die umgeben, die ihrem Geschlecht so viel Ehre erwies, indem sie als erste mit Meisterschaft die Ars magna pflegte, die alle andern Künste geschaffen.

– Ja, das monumentale Gebäude ist die Mutter Gigogne In Kindertheatern Mutter mit vielen Kindern, die überall unter ihren Röcken hervorkriechen. von allem: die Statue, die Freske, das Fenster kehren dorthin zurück.

– Wie schade, sagte Tammuz, daß das monumentale Gebäude für immer gestorben ist: es wird nicht mehr vom Geist einer Persönlichkeit erzeugt, es geht aus der Seele einer Masse hervor. Welche Kirche soll man bauen, wenn der Priester unter dem Chorhemd und dem Meßgewand die Uniform des nationalen Mörders sehen läßt? Welcher Palast ist möglich für einen Mann im Frack?

– Es bleibt das Boudoir, das Häuschen, die Bonbonnière, der palazzino, wo man liebt; es bleibt das Nest der modernen Frau zu finden.

– Das gehört mehr zur Ausstattung als zur Architektur.

– Nergal hat mir gesagt, daß Sie das Moderne verkennen.

– Keineswegs! Aber etwas Kleines kann nichts Großes hervorbringen, und das Liebesmotiv scheint mir zum Bauen nicht genügend zu sein.

Ein Gemurmel protestierte, unmerklich.

– Jede ist hier Architekt? fragte der junge Mann.

– Jede ist hier Arilianer, sagte Lilith de Vouivre klar und deutlich.

Er antwortete nicht und grüßte Aril mit einem bewundernden und ironischen Blick, der bedeutete: »Wie Sie die ziehen!«

– Sie sind Musiker, Tammuz; wir verehren alle die Kunst des Unsagbaren.

Der junge Mann ging an den Flügel.

– Etwas von Ihrer Musik, nicht wahr?

Tammuz schien in seiner Erinnerung zu suchen.

– Wollen Sie die Sonate hören, die man die von Lesbos nennt?

Aril runzelte die Brauen, ihr Blick härtete sich, während das unmerkbare Rauschen einer allgemeinen Gebärde den Musiker warnte, daß man unter diesen Gehenkten nicht vom Strick sprechen dürfe, daß hier die Dinge nicht so benannt wurden.

Ohne über seine Taktlosigkeit, welche die Situation klärte, verlegen zu werden, setzte er sich an den Flügel und improvisierte.

Seltsam begabt mit der Fähigkeit des Paraphrasten, durch eine sichere Erinnerung an die alten Meister bedient, konnte er über prächtige Themen so kontrapunktisch improvisieren, daß man erstaunte.

Seine Wirkungen aus dem unvermuteten Abbrechen der Rhythmen ziehend, einen Organisten-Akkord ans Ende von unbestimmten und schleppenden Tönen setzend, oder bis zum Ueberdruß das selbe Motiv in allen Tonarten wiederholend, hatte er Meister ergriffen: Frauen mit kranken Nerven mußte er entnerven.

Zuerst spielte er das Largo des sechzehnten Quartetts Beethovens letztes Streichquartett, Op. 135, aus dem letzten Lebensjahre 1826., diese majestätische Anmut, diesen heiteren Eindruck von Macht.

Dann ließ er auf zehn Takte Mollakkorde die furchtbaren Bässe des Kugelgießens aus dem Freischütz folgen, die er mit den schrecklichen des Klingsor, des schwarzen Zauberers, mischte.

Plötzlich sprang aus diesem von Furcht erfüllten Schatten eine Romanze Cherubins hervor, ein »mio cuore sospire«, das Sehnen der Mannbarkeit, das Lied eines lebhaften und gebieterischen Frühlings. Eine Schwesterstimme, eine Stimme desselben Geschlechtes antwortete auf den Ruf, vereinigte sich mit Cherubin; und das Duett wurde langsamer, gedämpfter, bis man nur noch die matten Zwischenräume hörte, die das weiche Zurückfallen eines Wasserfalls in warmen Halbschatten nachahmten.

Eine feine Arabeske, zuerst in Moll, bald mehr verstärkt, beschwor den Abend, der über die schlafende Befriedigung fällt.

Unter dem Wasserfall klingt in der Nacht ein unbestimmtes Wiegenlied, das schwächer wird, sich hinzieht, um sich schließlich in einem bösen Traum aufzurichten.

Scharf wie die Stimmen von Greisen, zerrissen, kreischend, ein Flüstern im Halbschatten, zuerst fern, dann zu traurigen und boshaften Klängen, zu Geständnissen von Selbstverachtung anschwellend.

Vergebens nimmt die weibliche Doppelstimme ihr Liebesthema wieder auf: der Chor von tausend kleinen Stimmen kreischt drohend, schwillt bald von fernem Sarkasmus. Erschreckt, bleibt die Doppelstimme stumm; und eine Stelle aus Bach, mit Absicht nachlässig, schien die lästerliche Parodie auf einen feierlichen Kult zu sein, bis zu ganz dunklen Tönen, bis zu einer Wirkung von menschlichem Schatten, in dem die Doppelstimme wie sterbend ihr Leben aushauchte, gebrochen, gelähmt, verflucht, erwürgt.

Tammuz hob den Kopf und seine Augen erweiterten sich, als er die Niederlage sah, welche die Halle zeigte. Düster, sprachlos, erschüttert, wurden die Zuhörerinnen gelähmt von dem Eindruck.

Er hatte auf ihren Nerven gespielt, und die Seele einer Frau steckt in den Nerven. Selbst Aril, die Sorge um ihr Ansehen vergessend, krümmte sich unter der Wucht der Beschwörung.

Jetzt stehend und an den Flügel gelehnt, nahm er seinen Sieg wahr. Er dachte an die wunderbare Mythe von Orpheus Shakespeare, Heinrich VIII.:
Orpheus' Laute hieß die Wipfel,
wüster Berge kalte Gipfel,
niedersteigen, wenn er sang …
, an diese Macht der musikalischen Nervenkraft.

Ist es nicht ein Zeichen, daß die Frau mit der Materie zusammenhängt, wenn der Don Juan immer mächtiger ist, sobald er sich Liszt nennt, als Wagner selbst? Tammuz fühlte, daß er in diesem Milieu der verhängnisvolle Mann wurde, der Pianist, das heißt, der alles wagen kann, vorausgesetzt, daß er der erste der demütigen Diener von Frau Architekt wurde.

– Unser Schweigen drückt Ihnen mehr Beifall aus als die klatschenden Hände eines Saales, sagte Lilith de Vouivre.

– Sie haben auf uns gespielt, nicht auf dem Klavier.

– O nein, erwiderte Tammuz, ich habe das getan, was Sie im Prater zu Wien sehen können. Stellen Sie sich vor, Sie seien im chinesischen Pavillon. Der Zigeunerhäuptling sieht Sie an, während er spielt, erhebt sich und kommt auf Sie zu, ohne sein seltsames Orchester im Stich zu lassen; er kommt Ihnen ganz nahe, beugt seine Geige, als wolle er Ihnen die Melodie ins Ohr gießen. Da spielt er Ihr »Leitmotiv«, Ihre wahre Melodie: er läßt die Schicksalstöne Ihres Traumes erklingen! Sein Bogen flüstert Ihnen Ihr geheimstes Lied zu: so musikalisch Sie auch sind, Sie wissen nicht, an welche Kunst, an welche Art sich das anschließt, was Sie hören; aber Sie sind bezaubert, denn Sie hören Ihre eigene innere Stimme; Ihre Seele scheint in dieser Teufelsgeige zu klagen und zu leben … Boshaft und gierig, hält der Zigeuner inne: Sie geben ihm Ihre Börse; gleich werden Sie ihm Ihre Uhr geben. Es sei denn, daß Sie gewarnt sind und ihm nur die Hälfte einer Banknote gaben, die Sie zerrissen haben, während Sie die andere Hälfte bis zu dem Augenblick aufbewahren, wo Sie von der musikalischen Zauberei gesättigt sind … Dieser Zigeuner ist der Wilde, der die Leier schlägt: man kann jene Zeit beschwören, als unter den noch triebhaften Thraziern der Zitherspieler Arphakasd, der chaldäische Orpheus, durch die lyrische Bezauberung zivilisierte.

– Könnten Sie es nicht so machen wie der Zigeuner im Prater, könnten Sie nicht einer jeden die Schicksalsmelodie, das geheime »Leitmotiv« spielen?

Tammuz sah das Mittel, alle in einer Sitzung zu studieren: er nickte einfach mit dem Kopfe »ja«.

Etwas beunruhigt, etwas aufgebracht, daß sie sich der Ahnung des jungen Mannes unterwarf, aber noch mehr erstaunt und neugierig, stellte sich Aril militärisch in die konkave Kurve des Flügels.

Geschickt fixierte Tammuz sie eine Weile, als ob ihr kompliziertes Wesen seine Kunst irreführe; er tastete auf dem Klavier, aber nur verlegen, da er lügen mußte, solch einen abscheulichen Eindruck machte die Frau Architekt auf ihn.

Er las in ihr diese gewandte und liebenswürdige Selbstsucht, welche die vom Merkur beeinflußten Leute bezeichnet, die ihre Laster ihren Interessen dienen lassen; die auf dem Floß der Medusa Als die Fregatte »Medusa« 1817 scheiterte, rettete sich die Mannschaft auf einem Floß: Gemälde von Géricault. das Mittel finden würde, den letzten Bissen Brot zu erhalten, ja sich noch danken zu lassen, daß sie es genommen. Unter beständiger Liebenswürdigkeit eine stets wache Sorge verbergend, wie sie aus jedem Nutzen ziehen konnte, indem sie die Seelen geschickt behandelte, zeigte Aril körperlich hübsche, etwas volle Formen, hatte die spitzen Finger der Lügner und trug einen bald erschrockenen, bald erschreckenden Vogelkopf.

Tammuz spielte ihr etwas Männliches: sie schien in ihrem geheimen Gedanken sehr befriedigt, daß sie zwanzig Männer und zehn Frauen wert war.

Lilith de Vouivre, eine Pantherin mit gebeugtem Körper, deren Auge durch einen gelben Schimmer beunruhigte, zügellos und abenteuerlich, schien die Bedeutendste der seltsamen Gruppe zu sein: er jagte ihr Furcht ein durch ein Nokturno von Chopin.

Für Mermaid, die Miß mit dem Sirenennamen, spielte er Motive aus der schottischen Symphonie Mendelssohn, III. Symphonie, A-moll, in Schottland entstanden.: er beschwor reine nächtliche Erinnerungen, die mit ihren nackten und durchsichtigen Füßen den gewellten Spiegel eines vom Monde angezogenen Teiches streiften.

Für Stheno, etwas männlich häßlich, ein wenig Virago mit dem Blick eines Hundes, ließ er einen klaren und ruhigen Rhythmus des großen Sebastian Bach in Moll hören, um ihre Passivität auszudrücken.

Für Tutine, ein Ding aus Paris, eine Larve an Gesicht, eine Schwätzerin an Gedanke, eine Nervenkranke an Seele, eine Puppe an Kleidung, maß er einen Walzer von Brahms ab, verweltlichte er einen Tschardas.

Für Ennar, eine Madonna von schlechtem Gehalt, mit der mystischen Ruhe des Körpers, ahmte er das Schlängeln einer Schwimmerin nach, das Motiv der Rheintöchter.

Nundi malte er mit dem vereinfachten Motiv der Kundry, diesem Motiv, das bei Wagner einem Windstoß des Mistrals gleicht, in dem die ganze weibliche Absurdität weht.

Hemera ließ eine einförmige Wiederkehr von unerbittlich angeschlagenen Tönen entstehen, eine düstere Melodie, aus verlorenen und unmöglichen Dingen gemacht.

Für Emène war es ein Seufzer von Harfen, das hübsche Stammeln, das die Geige unerfahrener Kinder bei Prozessionen hervorbringt.

Das Erstaunen einer jeden fiel auf die andern zurück: alle bewunderten diese Psychologie auf dem Klavier.

Carmente stellte sich hin, wie ein Pfau das Rad schlagend; Tammuz trug etwas Klingendes und Leeres vor, was dem Liebling Arils unendlich gefiel: sie erklärte, sich darin wiederzuerkennen.

Für Bulis spielte er, falsch und scharf, düster und kurz, Sätze aus der »Islamey« von Balakirew.

Aurine, die hübsche und nervöse Schelmin, zuletzt betrachtend, verrenkte er sich ihr zu Ehren zu einem spanischen Pfauentanz.

Alle waren entzückt: noch nie hatten sie sich so amüsiert; noch nie hatten sie so den Reiz eines Mannes empfunden.

– Tammuz, woher kommen Sie? Tammuz, was machen Sie? Tammuz, was suchen Sie?

Unter weniger lebhaften Formen brach sich das ebenso intensive Fragen an der Ruhe des jungen Mannes, der wiederholte:

– Ich bin ein träger Künstler; ich lebe in der Sonne von Bordighera, unter den Palmen; wenn ich etwas Gold habe, reise ich; ich war das letzte Jahr in Rom, vorher in Nürnberg; ich tue nichts, ich lebe von Liebe, von Gedanken, von Musik, von Kunst, wie die andern Menschen von Nahrung und Eitelkeiten leben. Ich strebe nach nichts, ich bin nichts. Ich bemühe mich, den ganzen Duft einzuatmen, den das Leben meinem Geiste, meiner Seele, meinen Nerven bietet.

Wie hielt Aril dieses wunderbare Gespann von Mädchen im Zaum? War es ein Harem, in dem das Taschentuch der Frau Architekt von Hand zu Hand ging?

Diese Frage beschäftigte den Psychologen vor allen andern. Das Gleichgewicht, das unter den Orchideen herrschte, setzte ihn in Erstaunen. Er bewunderte Aril, aber liebte sie nicht: seine gerade und edle Natur wurde durch die dauernde Gewandtheit dieser Frau Merkur zurückgestoßen.

Diese Frau, die ihre Interessen und ihre Laster so gut in Einklang brachte, nützliche Seitensprünge wählte, ihre Wollust gebrauchte, um ihre Kundschaft und ihren Wohlstand zu vermehren, mißfiel ihm nicht weniger als diese stete Liebenswürdigkeit, diese Kunst, jedem Vergnügen zu machen und jeden zu ihrem Vorteil zu benutzen, ohne daß es ihm anders als angenehm auffällt.

Obgleich sie sich dem vierzigsten Jahre näherte, blieb Aril jung und unvergleichlich in den magnetisierten Augen ihrer Umgebung. Man sah ihre ersten Runzeln nicht: Lilith de Vouivre hätte einem Scharfsichtigen gedroht, ihm die Augen auszukratzen, wenn es ihm eingefallen wäre, ihr Idol zu verleumden.

Indiskret, wartete Tammuz, bis die Orchideen gingen. Er wollte vermeiden, daß sie den ersten Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, durch Geschwätz zerstörten.

Aus der Art, wie sie Aril beim Abschied küßten, sah er, daß diese ohne Zweifel jeder lieb war.

Wie kam das? Es war noch ein Geheimnis für den jungen Mann, der nicht das Wort der wegen »Zauberei« angeklagten Marschallin d'Ancre Leonora Dori, genannt Galigaï, verheiratet mit Concino Concini, später Marschall d'Ancre, beide Günstlinge der Maria von Medici, beide unter Ludwig XIII. 1617 ermordet. als Losung über Aril schweben sah.

Lesbos erschien ihm verschlossener und schwieriger zu fassen, als er gedacht hatte. Er zweifelte an dem guten Glauben jener neuen Bücher, in denen die weibliche Sodomie das Gewebe bildete. Er zweifelte sogar an dem Urteil, das die Auguren über diese Frage verkündeten; und sein Wille, den Zauber zu durchdringen und die Erscheinung auf einen Zwang zurückzuführen, befestigte sich in ihm. Er wiederholte sich die beiden Verse, die er bei Nergal niedergeschrieben hatte:

Tammuz führt zurück zum verzeihenden Eros
die edlen Scharen der Sappho, die schied.

– Auf Wiedersehen an einem dieser Tage, alle Tage, sagte Aril, ihm die Hand zum Kuß hinstreckend.

Er ging mit Lilith de Vouivre, indem er ihr anbot, sie nach Hause zu bringen. Im Wagen sagte Lilith:

– Sie werden sehen, welch ein Liebhaber dieser Aril ist! Ein Edelmann … und gute Kameradin, weder »rosse« noch »vache«.

– Verzeihung, welch wesentlicher Unterschied besteht zwischen diesen beiden Ausdrücken?

– Das »Roß«, das ist die Perverse, die Boshafte; die »Kuh«, das ist die Leichtfertige, die Schwache. Man muß sich vor der einen hüten, man darf sich der andern nicht anvertrauen. Die Frau, die den Vater mit dem Sohn, den Sohn mit dem Vater betrügt, ist »rosse«; die andere, die betrügt, weil sie zu viel getrunken hat, weil es sie langweilt, sich zu verteidigen, ist »vache«.

– Ich weiß nicht, ob Sie schamlos sein können …

– Ja, mit den Männern, nicht mit den Frauen.

– Aber Sie sind sicher niemals leichtfertig.

– Gewiß, ich gehorche meinen Nerven, aber sie gebieten so stark, daß man ihnen nicht leicht Gewalt antut.

Das Geplauder wandte sich dazu, Aril im einzelnen zu loben und alle Orchideen besonders zu beurteilen.

– Da sind ein Dutzend Frauen, die sich lieben, die ihre Bosheit ablegen und eine ideale Familie bilden: das ist zu wunderbar, um etwas anderes als eine Täuschung zu sein. Später, bald wird es sich entscheiden.


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