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IV.
Erwachen der Weiblichkeit

Eine Woche verging. Der Schoner berührte Paimpol, Roseoff; ein Teil der Mannschaft ging jedes Mal an Land.

Tammuz nahm seine seltsame Lage als natürlich hin und studierte die Fliegende Gräfin mit aufmerksamer Sorgfalt. Sie leistete seiner Analyse Widerstand und beichtete nicht. Doch sie verweiblichte sich: eines Abends kam sie zu Tisch in einem Kleide, das sich unter ihre Jacken verirrt hatte. Es war ein Kleid aus weißem Mohair, das dem einer Braut glich, und die Wirkung erhöhte sich durch den Ausschnitt. Gesicht, Hals, Arme von der Sonne gebräunt; die Schultern und die halbnackten Brüste von äußerster Weiße. Der Kopf geschoren wie der eines Sklaven, eines Soldaten; so geschoren, daß die weiße Schädelhaut durch das feine Haar hindurch schien.

Sie stellte sich vor Tammuz hin, lachend und verwirrt, mit einer kaum weiblichen Bewegung; sie fühlte sich unter dem Blick des jungen Mannes entehrt und wollte sich umkleiden. Er hielt sie schmeichelnd zurück.

Dieser Toilettenversuch zeugte davon, daß die Weiblichkeit wieder in ihrer Seele erwachte und zur geschlechtlichen Wirkung zurückkehrte.

Von hoher Gestalt, sah sie groß im Kleide aus; aber ihre weißen Schultern schienen nicht ihren wahren Kopf zu tragen: das Zwitterhafte konnte nicht stärker betont werden; selbst in den Worten fand es sich wieder.

Beim Nachtisch sagte sie, den Rauch ihrer Zigarette durch die Nüstern stoßend:

– Mein lieber Tammuz, Sie sind ebenso stark wie ich und beherrschen Ihre Neugier, aber ich erlasse Ihnen eine längere Verstellung. Sie sind hier, weil ein umherirrender Brief, an meine Yacht, nicht an mich adressiert, mich auf der Reede von Cherbourg erreicht hat. Hier ist er.

Tammuz erkannte die Handschrift des Chevalier de Faventine und machte sich einen Vorwurf, daß er auf eine so lebhafte Sorge solange geschwiegen hatte.

– Ich las diesen Brief wieder und wieder. Der Gedanke ergriff mich, mir in Muße den Mann anzuschauen, der mit solchem Eifer gesucht wurde. Der Brief enthielt diesen Satz: »Er ist auf Ihrer Yacht oder im Schloß Leukadia.« Ich entdeckte schließlich, daß Leukadia gleich Teutat ist. Eines Abends kam das Schloß in Sicht. Ich ließ die Flagge hissen, die nach einem alten Gelehrten, meinem Erzieher, die Empörung der Frau bedeutet: grün und schwarz, Venus trauernd, Venus entsagend; dazu der Mond, vermehrt um einen Kegel, oder die Frau, die Zweiheit, maßt sich das Männliche an, die Dreiheit. Von diesem romantischen Vorspiel belustigt, sandte ich bei Tagesanbruch das Boot: ich war sehr erstaunt, daß es mit Tammuz beladen zurückkam. Diese Entführung, ohne einander zu kennen oder zu benachrichtigen, verführte mich! Jetzt entreißt der Entführte mich meiner Gleichgiltigkeit und verführt mich: ich kann es ja sagen, Sie würden es selbst sehen. Ich darf Sie nicht länger in Unwissenheit lassen, daß man Sie ängstlich sucht: wenn Sie zum Chevalier de Faventine zurückkehren wollen, werden Sie morgen bei Tagesanbruch das Festland betreten.

– Ich wünsche noch zu bleiben.

– Ah! rief sie freudig aus.

Doch ironisch fuhr sie fort:

– Ich vergaß, daß ich Ihnen noch nicht gab, was ich stillschweigend versprach: meine Beichte. Nun, hier ist sie!

Der junge Mann protestierte nicht gegen die Bitterkeit, die ihr endlich die Lippen öffnete.

– Ich bin Amerikanerin, also beinahe eine Barbarin, wie Sie neulich sagten; Amerikanerin durch meinen Vater; durch meine Mutter stamme ich aus Schweden. Da ich reich war, machte man mich adlig: ich heiratete einen Grafen, Lord und Pair von England. Meine Kühnheit war unglaublich: ich wußte nichts, gar nichts vom ehelichen Leben. Ich wurde … kein Wort kann den Eindruck wiedergeben, als ich von einem Blödsinnigen besessen wurde, als ich das Nervenleben mit Entsetzen begann. Ich bin immer entschieden gewesen: ich habe meinen Gatten betrogen, dann habe ich meinen Liebhaber betrogen. Ich habe ihm sogar seine Geliebte genommen, sobald ich erfuhr, daß sich das machen läßt. Seitdem, mein Gott, habe ich wie ein Mann gelebt: ich habe meine Launen befriedigt, bis ich fühlte, daß ich mir die Seele beschmutzte, ohne meine Sinne zu ergötzen. Da ließ ich diese Yacht bauen. Ich bin nach Indien gefahren: die Radschas sind vertiert. Ich hatte einen Brahmanen zum Liebhaber: er wollte aus mir eine besonders hellsichtige Somnambule machen! Im Umherirren meinen Launen nur selten nachgebend, bin ich dazu gekommen, sie zu vernichten. Wenn ich zuviel Nebel in der Seele habe, schicke ich meine Mannschaft ans Land; jeder bringt eine Hafendirne mit; ich lasse sie auf Deck schlemmen; von der Wachtbank betrachte ich das Tier mit zwei Rücken in zwanzig Exemplaren. Diese durch die Augen empfangene Dusche ist unfehlbar: wollen Sie dieses Schauspiel?

– Nein, sagte Tammuz lebhaft.

– Warum nicht?

– Weil ich, Gräfin Limerick, in diesen Nächten zuviel an Sie gedacht habe, um nicht darunter zu leiden, wenn Ihre Augen von einem solchen Anblick entweiht werden.

– Habe ich recht verstanden? Tammuz verliebt? Und in mich?

– Zwischen uns wollen die Worte bestimmt sein.

– Ah, schon nehmen Sie zurück.

– Nein! Wenn Sie unter verliebt das verstehen, was den Gedanken lange beschäftigt hat, was der wirkliche Traum eines Augenblicks ist, was eine unauslöschliche Erinnerung sein wird, dann bin ich verliebt.

– Aber? … fragte sie.

– Aber, wenn für Sie der Verliebte der ist, der seine Ergänzung gefunden hat und sie nie mehr zu verlassen wünscht; wenn der Begehrende die Befriedigung seiner Begierde mit seiner Hingabe und seinem Schicksal bezahlen soll, so mache ich nicht mit.

– In der gewöhnlichen Sprache bedeutet das eine Laune.

– Mehr als das, weil es Wurzeln in meiner Vergangenheit treibt, Duft in meine Zukunft trägt. Fühlen Sie selbst für Tammuz mehr, als er für Sie fühlt? Ist das nicht der Mann, der begehrt wird, um den man sich streitet, der sich zurückhält?

– Und der, seines Geheimnisses und Zaubers sicher, gern seine dekorative und kaltblütige Rolle aufgeben würde.

– Es gibt auch eine gewisse Fliegende Gräfin, der wenig daran gelegen wäre, sich zu verheiraten. Sie wird auf einen Mann zugetrieben, der denen überlegen ist, die sie besessen hat, weil er seine Gefühle zurückhalten kann.

– Warum uns in die Seele blicken? Das ist vergeblich! Sie werden meine Yacht verlassen, wann Sie wollen; aber ich würde untröstlich sein, wenn es jetzt oder bald geschähe … Ich bin weder ein Ungeheuer noch eine Geliebte: ich hege eine lebhafte Neigung für Sie; Sie empfinden keinen Abscheu vor mir. Lenken wir das Schiff weder auf die Liebe noch auf die Gleichgiltigkeit, lassen wir alles in der Strömung, die aus unseren beiden Personen besteht.

Sie reichte ihm beide Hände:

– Sagen Sie mit mir wie die Seeleute, wenn sie früher ihre schweren Schiffe wendeten, was immer gefährlich war: »A Dieu va!«


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