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IX.
Bekenntnisse

 

I

– Es scheint mir, daß Sie eine ideale Frau geworden wären für einen Forscher, selbst für einen Abenteurer, auf fernen Reisen, sagte Tammuz zu Lucia von Goulaine.

– Mit welcher Begeisterung hätte ich den Mann geheiratet, der mich in Gefahren führen würde, den Genossen von Abenteuern! Ich brauche Bewegung, Veränderung, Romantik, Exotik, aber nicht Erotik. Man hat Ihnen gesagt, daß ich neulich abend im Jardin des Plantes eine Frau aufgegriffen habe: lächerlich, es einzugestehen, aber es ist wahr. Ich habe dem gehorcht, was Sie den Trieb der geschlechtlichen Initiative nennen. Als ich alle diese Männer, dümmer und körperlich schwächer als ich, sich als Männchen ergehen sah, fühlte ich in mir den Willen aller Eigenschaften, die mich verderben, Entschluß, Mut, stolzer Traum: da tat ich wie jene, um es besser zu tun. Ergebnis: eine Zeitungsnotiz und ein Ekel. Ach, warum kann ich nicht Ausgrabungen in Kleinasien leiten oder Büffelherden in Amerika führen! Würden Sie mein Gefährte sein?

– In Kleinasien ja, wenn ich Gold hätte.

– Aber ich bin ein Mann, und von einem Manne könnten Sie es annehmen.

– Ihr männliches Geschlecht würde nicht dauern, und dann …

 

II

– Warum ich Orchidee bin? antwortete Ennar. Warum empfängt man im Schloßleben seinen Pfarrer immer wieder? Weil er dreißig Meilen in der Runde der einzig mögliche Mensch ist. Die Einsamkeit bedrückt mich, ich bin kokett, aber ich kann mich nicht zu den Konsequenzen des Gesellschaftslebens entschließen. Das ist zu albern und konventionell; Flirt ohne Geschmack und mit gewaltsamem Ende. Bei Aril wird mir geschmeichelt; man ist dankbar, wenn ich mich etwas entkleide, was mir gefällt; und man berührt mich nicht, was mich entzückt. Oh, nicht berührt werden, das ist das Ideal, wenn man zu gleicher Zeit begehrt wird! Ich ziehe Ihre Gesellschaft der Arils vor: ich schwöre es Ihnen. Aber Sie geben mir nur einen Augenblick, und wer Ihnen gleichen wird, wird Ihnen auch darin gleichen. Die köstlichen Persönlichkeiten sind selten und ziehen schnell an uns vorbei, ohne daß man sie festhalten kann. Schamlos und träge und empfindlich bin ich; ich möchte mich in einem Wesen spiegeln, das mich nicht zurückstrahlt; ich habe die Seele eines lebenden Bildes. Tammuz, betrachten Sie mich nicht so, meine Haut errötet: Sie berühren mich mit den Augen.

– Nein, ich möchte, daß eine Seele Sie berührt, die Ihre Seele der Norm wiedergibt.

– Möge Eros dieses verräterische Wort nicht hören!

 

III

– Haben Sie Ein Blatt aus der Geschichte von dem großen Barbey d'Aurevilly Seillière, Barbey d'Aurevilly. Deutsche Ausgabe, Hendel, Halle. gelesen? Nun, dann nehmen Sie die Schwestern Ravallet, murmelte Hemera auf die dringende Bitte des Tammuz.

Sobald sie das Geständnis abgelegt hatte, fing sie wieder an:

– Sie starb jung, und es gab niemals im eigentlichen Sinne Wollust zwischen uns: die Seele allein bebte, aber ganz! Ich habe diese Trauer lange getragen. Um sie abzuschütteln, erschien es mir weniger lästerlich, zu sündigen … wie ich vielleicht gesündigt hätte, wenn der Tod nicht gekommen wäre, um sie mir zu nehmen. Zuweilen sagen mir heftige Gewissensbisse: Gott hat sie dem Leben entrissen, um sie vor dem Schmutz zu bewahren. Ich schwöre indessen, daß ich die Sünde und diese Sünde nicht kannte, solange sie lebte, und daß Jahre vergangen sind, ohne daß ich lernte, Böses zu tun. Sagen Sie mir nichts, ich bin einer zurückblickenden Begierde schuldig, die unverzeihlich ist. Diese Bestürmung liest man in der Müdigkeit meiner Haltung, in der Angst meines Herzens. Ich leide am meisten unter den Verdammten, die Sie zählen: bin ich die Schuldigste? Woher kommt es, daß es in mir etwas gibt, das will, wenn ich kämpfe und nicht will?

 

IV

– Bulis und Aurine haben nicht den Glauben und dessen Ausschließlichkeit; selbst Trinquetailles läuft nur in den Hafen von Lesbos ein, wird aber bald den Kiel wieder nach Kythera lenken … Nundi und Tutine machen sich darüber wie über alles lustig; wenn sie oft blaß sind, so hat sie das Festefeiern welk gemacht. Die leichtfertige Frau, die allen Vergnügungen nachläuft, gehört zu Lesbos, wie sie zu allem gehört. Die wirklich das Normale verleugnet, werden Sie daran erkennen: sie lacht niemals, und ihr Auge färbt sich mit Traurigkeit, sobald sie sich nicht beobachtet glaubt.

So sprach die sanfte Mermaid zu Tammuz, der überrascht war, daß sich eine so tiefe Schwermut wie ein Schatten über einen gefühllosen See erhob.

– Ich bin resigniert und müde; das Schicksal hat mich dahingestoßen; ich passe mich so gut an, wie ich kann, da ich einer Anstrengung unfähig bin. Da ich aber überlegen kann, so weiß ich, daß der Boden schlecht und trügerisch ist, und verhängnisvoll der Schatten, in den ich mich setzte. Es ist mein Stolz, das zu wissen und den schönen Anblick eines schottischen Sees, den ich biete, zu bewahren. Sie selbst haben sich getäuscht, gestehen Sie es nur: das ist mein schönster Erfolg. Ich scheine ein schlafendes Gewässer zu sein, und ich bin nur ein stehendes: ich stagniere bewußt, bis der Wind des Lebens mich bewegt und zum Bessern oder Schlimmem treibt.

 

V

– Warum ich die Frauen liebe? Um sie schamloser zu finden als mich und mit ihnen wettzueifern. Die Männer, das ist so einfach, daß es wehe tut, und dann bleibt der Mann würdig, etwas anständig. Die eifersüchtige Frau, die zornige Frau: ah, das ist das wahre Theater. Wer nicht eine Hoheit wütend gesehen hat, weiß nicht, was aus einer Frau herauskommen kann: die Kröten des Märchens, Perlen neben Geschrei und Beleidigungen … Und die Begehrenden mit der Trunkenheit des Absurden, mit der Einbildungskraft, die wie eine Flamme im heftigen Winde flackert … Zuweilen springt die Schönheit aus der Heftigkeit, öfter der Schrecken. Ich, die Schauspielerin, ich, Sadinet, liebe die dramatische Komödie von Lesbos, ich liebe sogar dessen Werke, weil sie mir verbotener erscheinen.

– Sie sollten das Böse um seiner selbst willen lieben?

– Nein, ich liebe niemanden um seiner selbst willen. Das Böse ist ein Herr, der mit jenem Andern, genannt das Gute, entzweit ist; ich glaube, mein Lieber, ich habe diese Herren gemacht; aber sie hat soviel Leute gemacht, die Diva von den Folies lyriques!

Und sie drehte sich im Kreise herum.

 

VI

Die Baronin Brétancourt sagte her: »Dieser Gedanke kam mir, daß die Männer in ihren Liebschaften viel begünstigter sind als wir; daß wir ihnen die reizendsten Schätze in Besitz geben und daß sie uns nichts dergleichen zu bieten haben. Welches Vergnügen es sein muß, mit seinen Lippen über diese so feine und so glatte Haut zu fahren, über diese so gerundeten Konturen, die dem Kuß entgegenzukommen scheinen und ihn herausfordern! Dieses atlasartige Fleisch, diese wogenden Linien, die sich ineinander hüllen, dieser seidenartige Haarwuchs, der so süß zu berühren ist: welche unerschöpfliche Fülle feinster Wollust, die wir nicht bei den Männern finden! Unsere Liebkosungen können kaum anders als passiv sein, und doch liegt mehr Vergnügen im Geben als im Empfangen.«

Tammuz zuckte die Achseln:

– Es handelt sich also darum, sich zu enthaaren, um Ihnen zu gefallen! Ich halte die Wette gegen Sie! Entblößen wir uns vor dem versammelten Royal Maupin: ich will gehängt werden, wenn man wie Gautier Das Zitat stammt aus Gautiers »Mlle. de Maupin«. urteilt. Vergessen Sie nicht, daß alle Frauen hier Sie um das Wenige, was Sie an Brüsten und Lenden haben, beneiden. Folglich frage ich mich, warum Sie plastisch eine Frau dem Tammuz vorziehen.

– Wenn ich Ihnen antwortete, weil Tammuz sich nicht um mich kümmert?

– Das wäre ein Kompliment – und zu sehr gynandrisch.

 

VII

– Ich will herrschen, und die Männer, die sich beherrschen lassen, liebt man nicht; deshalb liebe ich die Frauen, weil deren Dummheit der meinigen gleich kommt und mich nicht demütigt. Ich liebe die Frauen, weil ich in ihnen meine Schwächen wiederfinde, weil sie meinen kleinen Sinn spiegeln; weil ich nicht groß zu tun brauche, sie aber in schlechten Trieben übertreffen kann. Glauben Sie, daß es für eine selbständige Frau auszuhalten ist, wenn ein Herr ihr jeden Tag sagt: »Du bist ein Kind – du bist nervös – du faselst – schweig, meine Liebe.« Eine Frau ist auch ein Kind, ist nervös, faselt und spricht mehr als ich. Ich habe eine österreichische Prinzessin gekannt, die von einem Ball, den sie gab, entschlüpfte, um mit ihrem Portier, der ihr den Klatsch seines Dienstes zu erzählen pflegte, ein Plauderstündchen abzuhalten; dann erschien sie wieder auf dem Balle, wo die Botschafter ihr die Spitze des Handschuhs küßten. Ich bin in der Liebe ein wenig diese Prinzessin; mein Ich duldet keinen »Er«, der mich schulmeistert. Dann liebe ich zu geben, nicht zu empfangen; in allem soll man sich nach meinem Belieben richten. Sich erniedrigen, um herrschen zu können, das ist mein seltsamer Stolz und seine Losung.

– Sie würden diesen Geschmack sehr leicht unter den Männern befriedigen.

– Nein, es würde immer einige Fälle geben, in denen der Mann Mann wäre, und das will ich sein, wäre es auch über die Unwürdigste der Frauen.

 

VIII

– Nehmen Sie an, ich habe ein bizarres kleines Häuschen gekauft, für große Kosten die passenden Möbel bestellt, die anderswo unmöglich sind: ich würde zögern umzuziehen! Das ist das Bild von meiner Gynandrie, wie Sie sagen. Ich habe zuerst einen Ausflug nach der Insel gemacht, als ginge ich zum Fest der Logen, um abends heimzukehren und nicht mehr daran zu denken. Mein Ausflug hat Klatsch erregt: ich habe mich gegen den Klatsch gesteift und bin aus Trotz nach Saint-Cloud zurückgekehrt. Man hat geschrien: »Sie gehört dazu«; ich habe geantwortet: »Ich gehöre dazu.« Das ist meine Geschichte … Wenn ich die Insel auf der Barke eines Kytherers verlasse, wird dieser mir, sobald sich unsere Liebe bewölkt, meinen langen Nothafen vorwerfen, falls er mich ernst nimmt; oder wird glauben, ihm sei alles erlaubt, selbst es an Zartgefühl fehlen zu lassen, falls er mich lustig nimmt! Nein, wenn ich ein wahres Gefühl fände, das alles verzeiht, was gewesen, würde ich die Gardenia eines falschen kleinen jungen Mannes hinwerfen, um den klassischen Strauß der Dame wieder aufzunehmen. Aber man trifft nur übelgesinnte Wölfe oder zu einfältige Hammel, nie einen zärtlichen Geist. Ich bin untergebracht, sage ich Ihnen! Nur eine Feuersbrunst in meinem Leben oder eine Pest auf der Insel kann mich an die Ufer zurückschicken, wo der Phallus der Leuchtturm der Nächte ist.

 

IX

– Ich weiß nicht, ob man Ihnen auf der Schule Furcht vor der Frau macht, wie man uns vor dem Manne erschreckt. Mehr Weisheit würde uns gegen den Trieb bewahren, und nicht gegen das Geschlecht, das uns anziehen soll. Wenn wir in die Ferien gingen, empfahl man uns eine große Zurückhaltung, selbst gegen unsere Vettern, weil es Männer seien. Wir gehorchten und widmeten unser Vertrauen und unsere Begeisterung den Freundinnen: wenn abends die jungen Mädchen zusammenschlafen, weil die eine Furcht hat, gibt es in diesem Schmachten der Dinge, das Sünde um uns schafft, keine Zurückhaltung, keine! … Man machte Heu. Wir lagen im kurzen Schatten eines Schobers, in Hauskleidern aus Perkal, und waren köstlich betäubt. »Paul und Virginie«, der einzige Roman, den wir kannten, fiel uns ein. »Machen wir es wie jene,« sagte ich, »ich bin Paul, komm und schlaf auf meiner Schulter.« Sie sagte zu mir: »Mein kleiner Paul!« Mein Kuß fand ihre Lippen: das war eine Offenbarung! Wie sollte man diesen Kuß am Abend nicht zurückgeben, wenn man im selben Zimmer schläft? Ihr Männer müßt ebenso fallen, vom selben unsichtbaren Dämon getrieben.

– Aber einmal im Leben, sagte Tammuz; der Mann schwört die Verirrung ab, die er als klösterlicher Jüngling durchgemacht hat.

– Er ist der Mann, er hat den Willen; eine Gewohnheit der Nerven ist bei der Frau nicht zu ändern.

 

X

Frau Coliade, der Tammuz schmeichelte, gestand:

– Ich kenne sie alle; ich habe die Hand auf alles gelegt, was in Lesbos seit zehn Jahren geschehen ist, denn vor zehn Jahren gab es Lesbos gesellschaftlich noch nicht; ich kann Sie also informieren. Zumal ich überlege, da es mein Vergnügen, mein Wille ist, bei jeder Sinnenlust wohlwollend zu helfen. Es gibt nicht eine einzige wahre Leidenschaftliche, nicht eine einzige Genießerin in Lesbos! Betrogen, alle sind betrogen! Keine erotische Täuschung ist dieser zu vergleichen. Oh, keine gesteht es ein; aber sehen Sie alle: unruhig und begehrlich, entnervt und traurig! Suchen Sie auf deren Gesicht, was man so oft auf dem Gesicht einer vorübergehenden Frau sieht: das Auge etwas verwirrt, jedoch leuchtend; der Mund angeschwollen und über Dinge lächelnd, die eben geschehen sind. Sie kehrt zurück, nachdem sie geliebt worden ist; strahlend vor innerer Freude kommt sie von ihrem Liebhaber … Sie hören mir zu, Sie nehmen mich ernst, während die Gynandria mich mit Verachtung behandeln, als käme deren Verderbtheit nicht meiner gleich. Nun, ich werde Ihnen in diesen Tagen die wahre Geschichte von Simzerla erzählen. Aber wollen Sie in einem Wort mein Urteil, so kompetent wie kein anderes? Wenn Gott mich fragte, welche Züchtigung ich der Frau wünsche, die mir das Glück gestohlen hat, würde ich weder den Tod noch den Brand nennen, sondern – Lesbos.


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