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IX.
Der höchste Zauber

Ein Monat verging, ohne daß Tammuz daran dachte, abzureisen; er hoffte, die Yacht Sappho würde in der Nähe des Schlosses Leukadia Anker werfen; selbst ohne diese Hoffnung wäre er mit Vergnügen geblieben.

Weder ein Gedanke an die Eroberung von Simzerla noch das Treiben Ascheras, die sich toll in ihn verliebte, ohne ihn betören zu können, fesselten den jungen Mann. Er fand hier nur, in Reinkultur, die köstlichste geschlechtliche Atmosphäre für einen Mann, der höher stand, aber sich noch für die Anziehungen interessierte.

Die Frau, die sich hingibt, nimmt den Mann und kann ihn nicht lieben, ohne ihn für sich in Anspruch zu nehmen. Der mögliche Geliebte aller Frauen einer Gruppe zu sein und doch diesseits der Liebe zu bleiben, das erfordert eine große Kraft der Persönlichkeit und einen höchsten Zauber, aber nichts gibt dem Stolze eine so erfrischende Weide.

Tammuz krönte durch seinen Aufenthalt in Teutat die leuchtende Laufbahn, die er bei Aril begonnen, im Royal Maupin fortgesetzt, durch Pentapolis vollendet hatte.

Er war das Männliche, dem man nicht ausweicht, der Mann, stärker als Lesbos, der genehme Gesandte des ewigen Eros, der lebende Beweis gegen die weibliche Sodomie. Durch die offenbare und eingestandene Tatsache, daß er der Liebhaber der Lesbierin werden könnte, die er wählen würde, hatte er das Ungeheuer besiegt. Aber sein rein geistiger Sieg rächte das Ideal und die Normen, ohne die Verirrung zu tilgen, ohne die verlorenen Seelen zu retten.

Wenn er eine Gynandre bekehren wollte, war Simzerla vor allen andern zu wählen; um aber den Skandal glücklich in sein Gegenteil zu wenden, fehlte es ihm an Mut, ein Dasein so völlig zu ändern, zum Nutzen der Moral, ohne Zweifel, aber zum Schaden des reizenden Wesens, das diese Liebe beim unvermeidlichen Bruch noch beklagenswerter zurückgelassen hätte.

Wenn sie nicht, dann keine! Er ahnte, daß ihn allein die Kaltblütigkeit zum Meister dieser seltsamen Nervösen machte: sobald er Schwäche zeigte, würde sein Einfluß aufhören. Er genoß also die bewundernde und schmeichelnde Vertraulichkeit, mit der man seine zarte Unempfindlichkeit ehrte.

Er hatte von den Gynandria in Paris weder Abschied genommen noch ihnen seine Adresse gegeben. Beunruhigt, schrieben diese ans Schloß Teutat; da aber das Departement nicht richtig angegeben war, gingen die Briefe verloren. Dagegen kam ein Brief an, der aus reinem Zufall an die Yacht Sappho, Reede Saint-Malo, adressiert war. Eines Abends Ende Oktober sahen die auf der Terrasse versammelten Teutes in der Höhe des Schlosses eine Yacht wenden, dann rollen, dann zittern, die eine grünschwarze Flagge mit der dreifachen Hekate Mondgöttin: zunehmender, voller und abnehmender Mond. Vgl. Nork, Etymologisch-symbolisch-mythologisches Realwörterbuch, Stuttgart 1844. im roten Schilde hißte.

An diesem Abend war das Essen traurig. Tammuz reiste am nächsten Morgen, ohne es gesagt zu haben, obgleich keine davon sprach.

Gegen Mitternacht verschwanden alle aus dem Salon, mit einem Zartgefühl, das bei Frauen selten ist, Simzerla und Tammuz allein lassend.

Schweigend saßen sie einander gegenüber, vom Orchester der Meereswellen begleitet.

Da legte die Prinzessin den Finger auf ihre Lippen, zeigte auf die Terrasse und ging.

Tammuz begriff und lehnte sich wieder an die Brüstung aus Granit wie am Abend seiner Ankunft.

Wie damals kam sie in weißem Kleide und reichte ihm die Lippen: das war köstlich und traurig.

– Zwei Küsse, das ist mein ganzes Gefühlsleben, mein ganzes Sinnenleben, Tammuz: diesen letzten habe ich dir gegeben, den ersten habe ich empfangen. Ich habe ihn dir gegeben, wirkend wie ein Talisman über alles, was mir gleicht, ach! Herrsche über Lesbos, aber denke nicht daran, Lesbos zu retten. Was du nicht für mich getan hast, tue es für keine, ich bitte dich darum, nur darum. Und jetzt, sprechen wir nicht mehr, die Worte bedeuten nicht genug. Ich will meinen Kopf an deine Brust lehnen bis zum Morgen: das soll meine Liebesnacht sein.

– Oh, denken Sie nicht, begann sie wieder, als der junge Mann eine liebkosende Bewegung machte, daß ich mich durch die Idealität täuschen lasse. Was ich von Ihnen verlange, ist genau das, was ich will. Ich würde Ihr Bett verlangen, wenn ich Ihr Bett wollte: ich will nur, daß Sie mich wiegen. Wir haben Ihr Schicksal, das groß ist, und meines, das elend ist, zu achten. Ich will das eine nicht fesseln und Sie wollen das andere nicht verdüstern. Es gibt eine Prinzessin Simzerla, verleumdet und verirrt: beklagen wir sie zusammen. Es gibt eine andere, aufrichtige und zärtliche, die mit Ihnen spricht und die von Ihnen einen Eindruck will, der nichts Erlebtem, nichts Gelesenem, nichts Möglichem gleicht … Und jetzt, mein Tammuz, Schweigen, Schweigen bis zum Morgen.

Auf dem Korbstuhl, im Schoß des jungen Mannes träumend, bebte die Prinzessin, ohne sich zu rühren, die Augenlider geschlossen, bis der Tag anbrach.

Beim ersten Strahl erschien am Rande der Bucht eine Barke, die grünschwarze Flagge mit der dreifachen Hekate in rotem Schilde tragend.


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