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V.
Der Sieg des Androgyns

Die Yacht fuhr durch die Straße von Fromeur an der Insel Quessant vorbei, bei einer schönen nächtlichen Brise von zehn Knoten in der Stunde, als Tammuz und die Gräfin, Seite an Seite auf Pelzen ausgestreckt, sich zu einander getrieben fühlten wie zwei Schiffe, die der Strudel im Hafen zusammen stößt: auf die Lippen des Tammuz legt sich der Kuß der Limerick, den der Prinzessin Simzerla auslöschend.

In diesem Augenblick bebte der Stolz mehr als der Trieb. Siegreich auf dem Schiffe und siegreich auf dem Schlosse, erlebte Tammuz eine unbeschreibliche Sekunde der Betörung: seine Liebeskraft erschien ihm ganz wunderbar, er jauchzte über sich selbst. Furchtbares Geheimnis des Gehirns: die Niederlage der widerspenstigsten Gynandre entzückte ihn, nicht die fieberhafte Liebkosung dieser von Traum und Meer berauschten Frau. Verdoppelt, sah Tammuz seinen Doppelgänger über die Unabhängigkeit der feindlichen Frau siegen, und er klatschte diesem Zwillingsbruder Beifall.

Auf stammelnde Lippen stiegen die schleppenden und abgebrochenen Worte, die dem Liebesgenusse folgen.

– Du hast mich besessen, Tammuz, seltsames und verhängnisvolles Wesen, du hast mich besessen, wie eine Frau den Mann besitzen würde. In deiner Nähe empfinde ich die Furcht, die ein Mann fühlen würde, wenn er eine Tochter von Leonardo da Vinci liebte, die sanft ist und trügerisch, liebkosend und scheu. Seit dem Tage, an dem du im Kostüm eines Pagen auf Deck kamst, seit dem Tage habe ich dich begehrt; aber deine Intelligenz hat mich abgeschreckt. Sie erschreckt mich nicht mehr: bei deiner Liebkosung, durch deine Liebkosung habe ich gefühlt, daß du ein Meteor bist. Gesegnet sei der Himmel, daß du kamst! Zertritt meine einst so rebellische Seele mit dem leuchtenden Schritt deines Geistes. Obwohl noch bebend von deiner Umarmung, denke ich ohne Zorn daran, daß deine Abreise nicht zu vermeiden ist … Was dir diese Freiheit einbringt, will ich dir sagen: man läßt dich gehen, Tammuz, weil man weiß, daß du nie verweilen, dich nicht festsetzen wirst: der Hafen, in den du einläufst, wird niemals der Schoß einer Frau sein.

Tammuz hatte sich von dem Rausch seines Sieges wieder erholt und murmelte:

– Du sprichst wahr: ich bin die umherirrende Seele, die ein Gedanke führt, der dem Leben überlegen ist. Ich hätte mich schon gegeben, ich würde mich dir geben, wenn ich mir gehörte. Etwas, das mich überragt, wie der Leuchtturm dort die Wasserfläche überragt, erleuchtet mich: dann bin ich ein Held; verläßt es mich, dann falle ich in eine klägliche Menschheit zurück. Ich blende, weil ich vorübergehe; wenn ich bliebe, was würde daraus werden? Ich säe Erinnerungen, die duften; ich mische in meine Leidenschaft soviel Barmherzigkeit, wie ich kann; ich möchte durch meine Zärtlichkeit läutern … Ist diese Begierde schändlich oder schön? Weint mein Schutzengel zu dieser Stunde? Nein, ich glaube, er ist bestürzt, da er selbst nicht begreift, wie sich in mir diese beiden gleich lebhaften Permanenzen verbinden: die Liebe mehr als mich selbst zu lieben, die Liebe nur durch die Seelen zu lieben. Bin ich denn ein moralisches Ungeheuer wie die, welche ich mit meinem zärtlichen Studium verfolge? Nein, denn ich war ein Gedanke, nichts als ein Gedanke, vor einigen Monaten. Ich bin geworden, was ich werden mußte, als ich die Leidenschaft erforschte: heute abend wird dieses Forschen gekrönt durch dein Umschlingen.

– O meine Schwester, fuhr er fort, denn trotz der Begierde, die unsere Körper zu einander zieht, liebe ich dich besonders als Bruder, du hast mir den Eindruck des Forschers gegeben, der an den unendlichen Traum rührt: nach dir gibt es kein Problem mehr! Dein Zucken, so süß, ist der Tod eines verhaßten Gespenstes, da ich mit etwas Zauber, mit einem Kostüm, mit meiner Zartheit deine Seele und deine Sinne zur Höhe der Harmonie gehoben habe. Von diesem Augenblick kann ich, meine reine Hand auf deinen nackten Schoß legend, bezeugen und angesichts dieser Natur, welche die göttlichen Gesetze offenbart, ausrufen:

– Lesbos, Betrug des Körpers, Verleumdung der Seele; Lesbos, Alpdrücken der Nächte; Lesbos, du hast nie gelebt!

– Und ihr, beklagenswerte Frauen, enttäuscht und empört, schloß er, macht nur noch auf das Mitleid Anspruch, das jeder Schmerz ruft: vor dem Auge des aufmerksamen Geistes lebt ihr nicht, leere Gespenster, Schauspielerinnen des Lebens, Schauspielerinnen der Liebe, Gynandria!


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