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Viertes Buch.
Das Schloss von Leukadia

 

 

Der Weise, ob er liebt oder träumt,
trägt seine Welt in sich.
Er fragt nicht, was die Andern fühlen,
inmitten der Wirklichkeit
sucht er nur seinen Traum.

Peladan, Semiramis.

 

 

I.
Schrift oder Kopf

 

I

Zwei russische Offiziere beugen sich über einen Tisch, auf dem zahlreiche geleerte Flaschen stehen.

– An was denkst du? fragt der eine.

– An etwas, verführerisch wie ein Zarentraum und schrecklich wie die Bergwerke von Sibirien.

– Sprich!

– Wozu? Ei, man muß zu zweien sein.

– Ich bin der Zweite: topp!

– Ach, du spottest.

– Bei meinem Andreaskreuz!

– Nun gut! Ich denke, daß zu dieser Stunde eine der hübschesten Prinzessinnen des Kaiserreichs ihr Abendgebet spricht, eine Waise und fast allein, unter ihrer Dienerschaft in dem fernen Schlosse.

– Wie fern?

– Wenn man ein Pferd zu Schanden reitet, sind es sechs Stunden: die Nächte sind lang, man würde vor der Morgendämmerung ankommen.

– Aber gibt es nur eine Prinzessin?

– Nur eine! Aber wir werden zu zweien reiten: sind wir bei ihr angekommen, ziehen wir das Los: wer gewinnt, nimmt das Kind.

– Auf den Weg, sagte der andere und erhob sich.

 

II

Das Schloß von X schläft, monumental und düster, mitten in der Steppe. Ein Balkonfenster allein erhellt die Nacht ohne Mond. Im Schatten versuchen zwei robuste Männer vergeblich, es zu ersteigen. Unten in den Pachthöfen bellen wütend die Hunde.

Für Augenblicke wirft das Gespenst einer zarten jungen Frau in fließendem Nachtgewande einen Halbschatten auf das leuchtende Fenster.

Plötzlich wird eine vergessene Leiter geräuschlos an den Balkon gelehnt: doch niemand steigt hinauf.

Unten hat eine männliche Stimme gesagt:

– Schrift.

Eine andere.

– Kopf.

Ein Geldstück fällt auf den Boden; die beiden Männer beugen sich.

– Mir gehören also die fünfzehn Jahre der Prinzessin Simzerla!

Er eilt die hohe Leiter hinauf und erreicht das Fenster, hinter dem die Jungfrau, die sich wieder hingelegt hat, ohne Zweifel von der Legende träumt, die ihr die Gouvernante am Morgen erzählt hat.

 

III

In der Galauniform seiner Garde erwartet der Zar mit gerunzelten Augenbrauen zwei Offiziere, die ein Adjutant hereinführt.

Lange betrachtet sie der Autokrat, dann spricht er kurz:

– Schrift oder Kopf.

Bestürzt, schwiegen die Offiziere.

– Schrift oder Kopf, wiederholte der Despot. Ich befehle einem von Ihnen, unter den beiden Worten zu wählen.

– Schrift, antwortet der, welcher verlor.

Da nimmt der Zar ein Geldstück.

– Schrift, das ist die Heirat mit der Prinzessin Simzerla und die Verbannung; Kopf, das ist Sibirien.

Er wirft das Geldstück auf die Erde.

Und so heiratete die Prinzessin Simzerla mit fünfzehn Jahren den Fürsten Roussalkys, in der Kapelle des Hofes, und kam nach acht Monaten mit einem Mädchen nieder, das Olga genannt wurde.


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