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II.
Der Chevalier

– Einmal auf dem Wege, mit den Lumpen eines Gärtnerburschen bekleidet, folgte ich der Straße, die nach der Station Saint Thibault führt, und nahm meine Fahrkarte nach Paris … Ich fror bis ins Herz auf dem Lyoner Bahnhof, der von häßlichen Wohnhäusern umgeben ist. Alle Ankommenden nahmen einen Wagen: ich öffnete ebenfalls einen Wagenschlag. – Wohin fahren wir, kleiner Kerl? – Ja, wohin? Durch einen Zufall waren die Romane Nergals ins Kloster gelangt: ich gab also die Adresse seines Verlegers. Dort hatte ich das Glück, den Romancier selbst zu treffen. – Sie erkennen mich nicht unter dieser Verkleidung; betrachten Sie meine Hände; ich bin der Androgyn, den Sie feiern: wollen Sie mein Freund sein? – Ich zog ihn in meine Droschke: wir schwiegen, bis wir bei ihm waren. Dort bemerkte ich ein geschmeidiges japanisches Gewand, das herumlag, und zog es an. So wieder weiblich geworden, sagte ich meinen Namen, mein Ziel und meine Hilflosigkeit. Er konnte zweifeln, er glaubte mir. Zwei Nächte verbrachte ich dort, auf seinem Diwan schlafend: er kam sehr leise, um mich wie ein Verliebter zu betrachten. Am Tage besuchten wir die Geschäfte. Ich war bald ausgestattet, wie es sich für einen jungen Studenten, der reist, ziemt. Er gab mir soviel, wie er konnte, viertausend Franken, und ich reiste ab, auf gut Glück, mehr um seine Liebe zu fliehen, als aus Lust zu reisen. Ich zog durch Flandern, ich fuhr bis nach Norwegen: dort setzte ich mich fest. Ein Pfarrer, bei dem ich eines Abends einkehrte, erwies sich als Gelehrter und sprach ziemlich gut französisch. Sein Haus zierte auch eine Minna, ebenso hübsch wie die von Balzac, und ich spielte Seraphitus Balzacs Swedenborgroman »Seraphitus-Seraphita«, den Strindberg populär gemacht hat. … Zwei Jahre vergingen … Ich lernte, was die Männer wissen; ich wurde geliebt, wie man einen jungen Mann liebt. Ein Wort von Nergal meldete mir, daß meine Großeltern gestorben waren. Ich kehrte zurück, immer von dem berühmten Romancier unterstützt. Ich konnte bald mein Vermögen besitzen, und ich richtete mich ein. Meine Unabhängigkeit brachte mich zu denen, die Sie Gynandria nennen. Die öffentliche Meinung, die diese belastet, verleumdet mich. Was tut es? Ich bin Jungfrau, Tammuz, nicht nur unschuldig, sondern jungfräulich und wissend. Ich bin traurig, Tammuz, nicht über das, was ich vom Leben gesehen habe, sondern über alles, was ich ahne. Ich bin müde, Tammuz, nicht von der Vergangenheit, sondern von der ungewissen Zukunft. Auf wen soll ich mich stützen?

Und Rose legte ihren melancholischen Kopf auf ihre feine Hand.

Wunderbar in seiner nervösen Schönheit, erinnerte der Chevalier de Faventine an die Struktur gewisser Gestalten Mantegnas. Abgesehen von den lebendigen und etwas vorspringenden Brüsten, verriet nichts an ihr das Weib. Sie glich dem aufrecht stehenden jungen Manne, der seine Geige stimmt, auf dem Konzert von Caravaggio im Louvre; und dieses schöne Profil würde seltsam bezeichnend sein, um den Theodor von Gautier wiederzugeben Mlle de Maupin, in Gautiers Roman, verkleidet sich in Theodor und wird als Weib von Albert, als Mann von Rosette geliebt..

– Weder Albert noch Rosette? fragte Tammuz.

– Albert, das ist Nergal, und Nergal, das ist ein Genie, das heißt ein Wesen, das ich weder aufs Korn noch in Anspruch nehmen kann und das sein Werk stets mir und allem vorziehen wird. Was die Rosetten betrifft … die Liste ist voll, aber keine hat mich geliebt. Nur eine Freundin aus der Pension, die passive Belit Peladan, Die höchste Tugend (deutsch in Vorbereitung)., so schwach, so weiblich, daß ich mich ihr gegenüber wirklich als Jüngling gefühlt habe. Was ist aus ihr geworden in diesen vier Jahren, seit ich Seraphita in Norwegen und ich weiß nicht was in Paris gespielt habe?

– Die letzte Rolle ist schlecht, Chevalier.

– Weder Mutter noch Bruder: niemand! Und in dieser Einsamkeit ein Buch, Vitae et immortalitatis ars magna, gedruckt auf Kosten meines Ahnherrn, des Feldzeugmeisters unter Heinrich IV.

– Ich kenne das Werk: haben Sie es verstanden?

– Ja, es beginnt also: »Erkenne dich, und wenn du dich erkannt hast, wähle einen der beiden Wege: der eine heißt GEHORCHEN, der andere heißt BEFEHLEN. Wenn du gehorchst, bist du von den schmerzlichen Vorwürfen des Gewissens befreit: indem du den Gedanken annimmst, den du von deinen Mitbürgern empfängst, wirst du ruhig unter der Menge leben. Wenn du deinem Schicksal befiehlst, indem du Gewohnheit und Vorurteil verbannst, wirst du hundertfach leben, aber unter dem Schmerz. Erkenne dich: hier Aristides und dort der Bauer des Scherbengerichts«.

– Chevalier, Gewohnheit und Vorurteil verbannen, das ziemt Ihrem außerordentlichen Wesen; aber Sie verbannen die Natur und das Urteil von Jahrhunderten. Um den Mann zu spielen, müßte man damit anfangen, richtig zu denken!

– Was habe ich verbannt? Einige Küsse, einige Liebkosungen, an denen der Champagner mehr Anteil hatte als die Sinne: das ist meine ganze Sünde.

– Sie sind so köstlich, daß man Sie verschont; alle diese Frauen ziehen ihre Begierden vor Ihnen zurück; man wagt den edlen und schönen Chevalier nicht mit Liebkosungen zu verletzen, die ihn verwirren. Man liebt ihn genug, um ihn von sich zu weisen. Wie oft haben die Gynandria vor Ihren Küssen den Kopf gewendet, wie oft hat man Sie begnadigt, wie oft waren Sie in deren Gewalt: nur deren Mitleid hat Sie gerettet.

Ihre Büste aufrichtend, die Nasenflügel bewegend, sich die Lippen beißend, senkte Rose ihre durchsichtigen Augenlider; plötzlich sagte sie, sanft und bleich, aufrichtig:

– Das ist wahr!

– Stützen Sie sich auf mich, sagte Tammuz langsam.

– Sie kennen die Geschichte des heiligen Christophorus Adrien Peladan, Der heilige Christophorus, sein Leben, sein Kult, seine Wunder. Catelan, Nimes, 1885.. Das war ein Riese, der nur dem größten König der Welt dienen wollte. Er kam an den Hof des Königs von Kanaan. Als dieser Monarch sich aber bei dem bloßen Namen des Teufels bekreuzigte, wollte Christopherus beim Teufel Dienste nehmen. Eines Tages gestand der Teufel, daß er Furcht vor Gott habe. Da erkannte Christopherus als seinen Meister Jesus und diente ihm bis zum Märtyrertod. Nun, bei meiner norwegischen Minna habe ich mit soviel Entsetzen von Paris sprechen hören, daß ich so schnell wie möglich hergekommen bin. In Paris habe ich gehört, wie galante Frauen beim Namen Lesbos Schreie ausstießen: da bin ich dorthin gegangen. Wenn ich ein Wesen finde, das weder Paris noch Lesbos fürchtet, werde ich ihm dienen bis zum Märtyrertod.

So groß war beider Erregung, daß sie nichts mehr sagten; und ohne einander anzusehen, trennten sie sich.


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