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22. Kapitel.
Das verhexte Landhaus.

Während der Nacht hielt Sinclair Wache in dem feuchten Gebüsch, unweit Kenyons Landhaus. Es war totenstill. Langsam verlöschten die Lichter in den über die Hügel verstreuten Bauernhäusern.

Von Zeit zu Zeit erhob sich ein leichter Wind, um gleich darauf wieder kraftlos zu ersterben. Blaß schaute der Mond zwischen Wolkenfetzen hervor und tauchte das tote Antlitz des Landhauses in gespenstiges Licht.

Sinclair fror erbärmlich und er versuchte sich durch kräftige Bewegungen notdürftig zu erwärmen. Angespannt horchte er auf jedes Geräusch. Aber alles blieb still bis auf das Aechzen des Windes in den Baumkronen und das ferne melancholische Heulen eines Hundes.

Sollte er überhaupt noch länger warten? Waren alle seine Folgerungen falsch?

Das Quaken von Fröschen kam aus dem sumpfigen Teich unterhalb des Hauses.

Plötzlich glaubte er ein kaum merkbares Geräusch zu hören, das so leise war, daß er es wohl überhaupt nicht vernommen haben würde, hätte er nicht so angespannt darauf gewartet.

Ein Schlüssel wurde in einem Schlüsselloch umgedreht. Er warf einen angstvollen Blick auf den Himmel und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er den Mond zwischen Wolken hervorlugen sah. Er umklammerte seinen Revolver und wartete. Im undeutlichen Licht des Mondes bemerkte er, wie die Fenstertüre vor ihm behutsam geöffnet wurde. Welches Geheimnis würde das fluchbeladene Haus offenbaren?

Zwei Männer traten ins Freie. Der eine war in einen Wettermantel gehüllt und hatte den Hut tief über das Gesicht gezogen, der andere stand in der Türöffnung. Die beiden Männer unterhielten sich im Flüsterton und Sinclair konnte kein Wort erhaschen. Der Verhüllte stahl sich durch das hohe Gras gerade auf den Wald zu, in dem sich Sinclair verborgen hielt. Einen Augenblick schien der Mond voll auf den Mann bei der Tür. Sinclair vermochte ein bärtiges Gesicht und eine verwachsene Gestalt zu erkennen.

Im nächsten Augenblick hastete der Mann, der einen Schritt vorgetreten war, mit einem Sah in das Innere des Landhauses zurück. Sinclair hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloß fiel.

Inzwischen hatte der dunkle Wald den ersten Mann verschlungen, nur ein schwaches Geräusch von geknickten Zweigen bezeichnete seinen Weg.

Sinclair erhob sich eilig, lief über das Gras, so rasch als es seine steif gewordenen Beine erlaubten, auf eine Stelle zu, die einen guten Ueberblick über die Straße gewährte. Der Regen hatte den Erdboden schlüpfrig gemacht, Kot und Schlamm hängten sich an seine Stiefel; auch die Notwendigkeit, kein Geräusch zu verursachen behinderte ihn. Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie eine dunkle Gestalt sich in ein bereitstehendes Auto schwang, das sich gleich darauf in Bewegung setzte und in der dunklen Nacht verschwand.

Sinclair verhielt sich mäuschenstill, bis der Wagen außer Sicht war, dann eilte er, so rasch er konnte, nach Littleworth und ging unverzüglich zur Ruhe.

*

»Und ich sag' Dir, ich hab' alles so klar und deutlich gesehen, wie ich Dich jetzt vor mir sehe.«

»Blödsinn! Deine verdammten Nerven haben Dir einen Streich gespielt.«

»Dich möcht' ich mal sehen, wenn Du ein paar Stunden dort zubringen solltest.«

»Warum nicht? Alles pure Einbildung. Es gibt überhaupt keine Geister.«

Sinclair hörte dem Gespräch, das auf einer Bank vor dem Rauchzimmer der »Epheuranke« stattfand, mit Interesse zu. Jetzt mischte sich eine andere Stimme hinein, offenbar in der Absicht, Frieden zu stiften.

»Also erzähl' mal, Bill, wie hat sich alles abgespielt?«

»Damit Ihr mich auslacht!«

»Wer lacht? Geh, schieß los!«

»Na schön. Also ich komme vergangene Nacht von Ketworth herüber. Ich mach' sonst immer den Abstecher über die Felder, weil ich natürlich nicht gern an dem Haus vorübergehe. Gestern aber war es so verdammt dreckig, daß ich mir dachte, riskierst es. Wie ich in die Nähe komme, sah ich einen Mann den Pfad herunterkriechen. Das kam mir nicht richtig vor, wo doch niemand das Haus bewohnt, und ich denk' mir, schaust einmal nach, was da los ist.«

»Auf einmal bist Du also ein gewaltiger Held geworden, Bill!«

»Na, schön, dann erzähl' ich überhaupt nichts mehr!« Draußen schien sich ein Streit zu entspinnen, als er eine neue Stimme hörte, die im typischen Londoner Dialekt sprach. »Wie kann man denn gleich so empfindlich sein. Los, erzähl' weiter!«

Sinclair erkannte die Stimme Hunters.

»Was geht denn das überhaupt Dich an?« sagte der erste Sprecher wieder, der sich offenbar beleidigt fühlte.

»Sei doch nicht so rasch beleidigt. Kein Mensch hat Dich ausgelacht. Also ein Mann kroch den Weg entlang. Und was geschah dann weiter?«

»Viel mehr gibt's nicht zu erzählen,« sagte der andere mürrisch. »Während ich auf den Mann aufpasse, kommt ein fürchterliches Ding aus dem Wald, ganz in Weiß, mit lauter blauen Flammen bedeckt. Und da lief ich, was ich nur laufen konnte.«

»Und was ist mit dem anderen Mann geschehen?«

»Woher, der Teufel, soll ich das wissen? Wahrscheinlich hat das Gespenst ihn erwischt.«

»Sonst hast Du gar nichts gesehen?« fragte Hunter. Er bekam nicht so rasch genug von dieser Erzählung.

»Ich glaube, im oberen Stock des Hauses, hab' ich dann ein Licht brennen sehen, aber beschwören könnt' ich's nicht.«

»Das ist alles bloß Deine verdammte Phantasie, Bill,« mischte sich eine andere Stimme ein.

»So, glaubst Du? Dann möcht' ich bloß wissen, was dieses Ding von einem Auto dort oben zu suchen hat? Ich begegne ihm fast jeden Abend.«

Die Unterredung wurde durch den Eintritt Kenyons unterbrochen.

»Ich bin soeben angekommen. Etwas Neues?«

»Bis jetzt noch nicht,« antwortete Sinclair. »Aber ich habe allen Grund zur Annahme, daß sich jemand in Ihrem Landhaus aufhält.«

»Sie haben etwas Weiteres in Erfahrung gebracht?«

»Ein idealeres Versteck kann man sich doch nicht wünschen. Die ganze Bevölkerung ist davon überzeugt, daß das Haus verhext ist und jedes Lebenszeichen würde als Spuk ausgelegt werden. Ich habe von Erscheinungen und nächtlichem Heulen gehört, kurz und gut, von allem, was bei Spukhäusern zum guten Ton gehört. Das kann nicht alles Einbildung sein. Wer immer dahinter steckt, hat den einzigen Fehler gemacht, daß er zu dick aufträgt.«

»Warum gehen wir dann um des Himmels willen nicht geradewegs hin. Diese Ungewißheit bringt mich um. Vergessen Sie nicht, daß möglicherweise meine Frau in Gefahr ist.«

Sinclair warf einen Blick auf Kenyon und ging dann zum Fenster. Draußen blies ein heftiger Wind und es hagelte. Er machte ein saures Gesicht. »Ein Wetterchen, in dem man eigentlich keinen Hund ins Freie jagen sollte.«

»Aber, lieber Freund, wer wird denn in einem solchen Falle ans Wetter denken? Wenn Sie nicht gehen wollen, dann gehe ich eben allein.«

Sinclair schien einen plötzlichen Entschluß zu fassen. »Also gut, gehen wir.«

Kenyons Miene klärte sich auf. »So gefallen Sie mir,« sagte er. »Ich will nur meinen Wettermantel und meine Sportstiefel holen.«

Sinclair ging auf und ab. Er war unschlüssig. War es klug, bei hellem Tageslicht den Dingen auf den Grund zu gehen? Vielleicht war es aber sogar das richtigste. Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein und ging in sein Zimmer, um sich fertig zu machen. Als er zurückkehrte, erwartete ihn Kenyon schon mit Ungeduld und sie schritten zu Fuß die Dorfstraße entlang.

»Sind Sie bewaffnet?« fragte Sinclair.

»Außer diesem Stock hier habe ich keine Waffe bei mir,« antwortete Kenyon erstaunt. »Ich weiß mit Feuerwaffen nicht sonderlich gut umzugehen. Bei Ihnen ist das wohl anders?«

»Ich trage stets meinen Revolver bei mir,« sagte Sinclair ernst.

Bei dem alten Schuppen, wo Kenyons Wagen früher eingestellt war, blieben sie stehen. Der steile Aufstieg in dem heftigen Wind hatte sie beide außer Atem gebracht.

»Hier müssen wir uns trennen,« sagte Sinclair. »Sie arbeiten sich am besten durch den Wald durch. Eine unangenehme Aufgabe, aber das läßt sich nicht ändern. Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde Vorsprung, da Sie einen weiten Umweg machen müssen. Dann gehe ich geradewegs zum Landhaus. Ich wähle diesen Teil unserer Aufgabe, da ich bewaffnet bin. Wenn meine Ansicht über die Sache richtig ist, werden die Insassen des Hauses entweder versuchen, Widerstand zu leisten oder zu flüchten. In beiden Fällen werden sie sich dem Wald zuwenden und Sie wissen, was Sie dann zu tun haben. Wenn es mehrere sind, versuchen Sie nicht, sie aufzuhalten, sondern sie nur zu identifizieren.«

»Gut,« sagte Kenyon. »Allerdings wenn meine Frau darunter ist, werde ich sicher versuchen, sie zu befreien.«

»Also in einer halben Stunde,« sagte Sinclair. »Sie wissen, was Sie zu tun haben.«

Als Kenyon gegangen war, machte sich Sinclair daran, den Schuppen zu untersuchen. Spuren von Automobilrädern waren deutlich sichtbar. Das Tor war nur notdürftig verschlossen und es kostete Sinclair wenig Mühe, in das Innere einzudringen. Der Raum war leer, aber deutliche Anzeichen dafür, daß vor kurzem ein Auto hier eingestellt war, waren unverkennbar. Kleine Lachen von Benzin und Oel waren auf dem Boden sichtbar, und halb versteckt, unter faulendem Heu, bemerkte er eine Benzinkanne.

Sinclair schloß das Tor vorsichtig und machte sich auf den Weg, in der Richtung nach dem Landhaus. Das letzte Stück des Weges kroch er auf allen Vieren. Langsam richtete er sich auf und schaute zwischen den Latten des kleinen Gartentores durch. Alles war totenstill, kein Rauch kam aus dem Schornstein. Das ganze Haus machte den Eindruck einer Ruine und einen Augenblick lang setzte Sinclairs Herzschlag aus. Sollten alle seine Berechnungen falsch sein? –

Sein Gesicht zeigte kalte Entschlossenheit, als er geradewegs auf die Eingangstüre zuschritt. Er hatte von Sergeant Curtis den Schlüssel erhalten. Bevor er ihn aber benützte, ging er rund um das Haus herum. Nur mit Mühe konnte er sich einen Weg durch das üppig wuchernde Unkraut bahnen. Keinerlei Zeichen menschlicher Gegenwart waren zu sehen, obgleich Fußspuren in diesem Unkrautgewirr leicht zu erkennen gewesen wären. Die geschlossenen Fensterläden schauten ihn stumm und tot an. Enttäuscht kehrte er zur Eingangstür zurück.

Knarrend drehte sich der Schlüssel im Schlüsselloch und der Detektiv betrat das Wohnzimmer. Nichts, das darauf schließen ließ, daß der Raum in letzter Zeit bewohnt worden sei, wurde sichtbar, ebensowenig im danebenliegenden Arbeitszimmer, das aussah, als sei es seit Monaten nicht betreten worden. Er durchsuchte die beiden Schlafzimmer, gleichfalls ohne Erfolg. Das eine, in welchem das ermordete Mädchen geschlafen hatte, war noch möbliert, während das andere vollkommen ausgeräumt war.

Sinclair stieg die Treppe wieder hinab und traf im Wohnzimmer Kenyon. Der Schriftsteller sah naß und durchfroren aus und war nicht eben gut aufgelegt. »Nun,« sagte Kenyon, »was haben Sie gefunden?«

»Nichts,« sagte der Detektiv, »wir scheinen einem Phantom nachgejagt zu sein.«

»All Ihr Gerede von Geistern war also ein Unsinn. Ich habe mir das gleich gedacht,« meinte Kenyon. »Also gehen wir wieder.«

»Tut mir leid,« sagte Sinclair, »aber vergessen Sie bitte nicht, daß Sie darauf bestanden haben herzukommen.«

»Gewiß. Wo doch meine Frau möglicherweise in Gefahr war! Aber vergessen Sie auch nicht, Herr Sinclair, daß dieses Haus furchtbar quälende Erinnerungen für mich birgt und daß ich geschworen hatte, es nie wieder zu betreten.«

»Ich weiß es, Herr Kenyon.« Sinclairs Stimme klang demütig. »Ich werfe nur einen Blick in die Küche, dann wollen wir gehen.« Er öffnete die Türe und sah sich in dem kleinen Raum um, doch nichts war zu sehen, was im geringsten für die Nichtigkeit seiner Annahme gezeugt hätte. Er trat vollends ein und berührte ganz unabsichtlich die an der Wand hängenden Töpfe und Pfannen. Dann strich er ebenso über die Platte des kleinen Petroleumherdes. Mit einer raschen Bewegung fuhr er zurück. Die Platte des Herdes war warm.

Er kniete nieder und zog mit äußerster Vorsicht die Dochte hervor. Sie bewiesen ihm mit vollkommener Sicherheit, daß der Herd vor wenigen Stunden benutzt worden war.


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