Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17. Kapitel.
In der Falle.

Sinclair öffnete die Augen. Wo befand er sich? Er lag auf einem Sofa und konnte nur mühsam seine Gedanken sammeln, so benommen und schlaftrunken war er. Bei der Türe stand bewegungslos ein Inder, den Blick starr auf den Detektiv gerichtet. »Wo bin ich?« fragte dieser auf englisch. Der Inder verzog keine Miene.

Allmählich kehrte die Erinnerung an die letzten Geschehnisse zurück. Das Nachtlokal, das unverhoffte Auftauchen Barrats und dann – nichts mehr.

Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke. Er befühlte seinen Kopf. Perücke und Schminke waren verschwunden. Natürlich – er hätte es wissen können. Das also war das Ende seiner Entdeckungsfahrt! Er hatte versagt wie ein grüner Anfänger. Hatte Barrat irgendwie die Hand dabei im Spiele? Er erinnerte sich an die Begegnung im Zuge und an den Franzosen, der Barrats Kupee geteilt hatte. Er war jetzt sicher, daß es Forester gewesen war, nur in anderer »Maske«. Derselbe Forester, dem er jetzt allem Anschein nach in die Hände gefallen war.

Er stand mit Mühe auf, fühlte sich schwindlig und krank. Der Inder erhob warnend einen Finger und klopfte an die Türe.

Ein Mann trat ein, warf einen Blick auf Sinclair und begann dann laut zu lachen.

Forester – denn er war es – trat näher, noch immer lachend, und setzte sich an den Tisch, auf den er einen Revolver legte. Er trug Reithosen und hohe Stiefel, eine Sportjacke und eine grüne Weste. Der Halunke sah unleugbar gut aus.

»Bravo, bravo! Ich hätte nie gehofft, daß es mir gelingen würde, den großen Sinclair zu fangen. Aber selbst die klügsten Leute machen Fehler. Wenn man bedenkt, daß der arme französische Herr einen Schlaganfall hatte und daß ihn der gute hilfsbereite Doktor aus dem Nachtlokal schaffen ließ! Wenn ich mir den Luxus erlauben könnte, würde ich Sie am liebsten laufen lassen, zum Gaudium von ganz Scotland Yard. In den Klubs würde man sich über diese Geschichte vor Lachen den Bauch halten!«

Sinclair verzog keine Miene. Er fragte ruhig: »Wie haben Sie das angestellt?«

»Sie tragen Ihr Unglück mit Würde, wie ich sehe. Ich habe Sie immer für einen Sportsman gehalten. Gewiß, ich habe das Ding nicht ungeschickt gedreht, aber Sie haben mir die Sache mächtig erleichtert. Warum sollen wir uns vor Ihrem Ende nicht noch einmal gemütlich unterhalten? Denn Sie werden wohl schon begriffen haben, daß Ihr Leben keinen Penny mehr wert ist. Ich hätte Sie schon früher um die Ecke gebracht, aber die Sache hätte mir nicht halb so viel Spaß gemacht, wenn ich Ihnen die Geschichte nicht noch vorher erzählt hätte. Wer weiß, ob Sie in der Hölle alle Tage so amüsante Anekdoten zu hören bekommen!« Er gab dem Inder ein Zeichen.

»Führ' die Mem-Sahib herein, sage ihr, daß Se. Exzellenz erwacht ist und sie zu sehen wünscht.«

Ein indisches Mädchen von eigenartiger Schönheit, in die Tracht ihrer Heimat gekleidet, trat ein. Sie warf einen schüchternen und furchtsamen Blick auf Sinclair. Es war leicht zu erkennen, daß Sie völlig im Banne des Halunken stand.

»Darf ich vorstellen? Meine Frau – jawohl, meine rechtmäßige Frau. Sie ist nämlich die alleinige Erbin des Vermögens ihres Vaters, verstehen Sie. Sie haben wohl schon unter dem Namen Zania von ihr gehört und gesehen haben Sie sie ja auch schon, wenn auch in anderer Aufmachung. Wenn ich nicht irre, sind Sie den weiten Weg von England hergekommen, um sie zu sehen. Ihr Wunsch ist erfüllt! Nimm Platz, Liebling, während ich dem ehrenwerten Herrn Detektiv die ganze Geschichte erzähle. Darf ich rauchen? Und gib doch unserem Freund auch eine Zigarette.«

Sinclair nahm die Zigarette, die das Mädchen ihm reichte. Ihre kleine Hand zitterte, als sie ihm Feuer gab.

»Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen,« fuhr Forester fort, »daß ich nicht Frangi heiße und kein Grieche bin. Ich trug einmal einen ehrenwerten Namen.«

Ein Schatten huschte über sein Gesicht und er hielt einen Augenblick inne. »Bah, das ist vorbei. Ich hätt' es zu was bringen können, aber etwas passierte, das. … na, lassen wir das. Kurz und gut, ich mußte mit Schimpf und Schande die Armee verlassen. Nachdem ein bißchen Gras über meine Affaire gewachsen war, trat ich in die Dienste des Rajah von Bhipor …«

»Sie mißbrauchten sein Vertrauen und ermordeten seine Diener,« unterbrach ihn Sinclair.

Forester lächelte. »Wie ich sehe, sind Sie orientiert. Aber außerdem hatte ich auch eine angenehmere Beschäftigung,« er warf einen Blick auf das Mädchen. »Der Rajah stellte ihr nach und das durfte ich doch als moralischer Mensch nicht zulassen, nicht wahr? Ich liebte sie heiß und meinte es ehrlich,« ein zynisches Grinsen entstellte sein Gesicht. »Ich bewundere ihre Schönheit und noch ein paar kleine Vorteile, die mit ihrer liebenswerten Person verknüpft sind. Der Rajah hat verfluchtes Glück gehabt. Es war merkwürdigerweise nicht notwendig, ihn umzubringen. Die wohlweisen Herrschaften von der Polizei hatten inzwischen schon ihre Nase in die Sache hineingesteckt und witterten einen politischen Skandal. Na, und dann kam die – Entfernung Alis.«

»Sie meinen Zanias Vater?« Sinclair war empört über den Unmenschen.

»Ganz richtig! Der Mann wollte keine Vernunft annehmen. Denken Sie sich nur, er war gegen die Heirat seiner Tochter mit mir. War ich vielleicht keine gute Partie?«

»Sie haben ihn selbst ermordet?«

»Ich hatte einen Kompagnon, einen gewissen – aber nomina sunt odiosa. Die blöde Polizei hielt es für einen politischen Mord. Und dabei war es nur eine harmlose kleine Familienangelegenheit.«

Das Mädchen warf einen gequälten Blick auf seinen Peiniger.

»Einer meiner Kollegen konnte den Mund nicht halten und beinahe wäre die ganze Geschichte aufgekommen. Ich hielt es jedenfalls für ratsam, den Schauplatz meiner Tätigkeit für einige Zeit zu verlassen und begab mich nach dem alten England, nach Sussex.«

Sinclairs Herz begann schneller zu schlagen, aber er verriet sich mit keiner Miene.

»Das Malheur war, daß mein Freund und ich wenig Moos hatten. Ich wußte natürlich, daß ich das Vermögen meiner Frau einsacken konnte, wenn der Skandal vorüber sei. Inzwischen aber mußten wir leben. Infolgedessen nahm mein Freund eine Stelle als Privatsekretär an. Zania brachte ich in einer hochanständigen Familie in Therapia unter. In England wäre sie uns im Wege gewesen. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß ich der Untersuchungsverhandlung über einen gewissen Mordfall beiwohnte. Allerdings nicht in dieser Kleidung.«

»Sie waren in Littleworth? Das glaube ich Ihnen nicht.« sagte Sinclair, um womöglich mehr aus ihm herauszulocken.

»Ob Sie es mir glauben oder nicht, ist mir ziemlich schnuppe, mein Sohn. Ich beobachtete, daß Sie ein Telegramm erhielten und folgte Ihnen nach London. Ich wohnte dorrt zusammen mit meinem Freund – Sie wissen ja, wer es ist.«

Die unerträgliche Einbildung des Halunken riß an Sinclairs Nerven. Er hatte Mühe, sich zu beherrschen, biß aber die Zähne zusammen.

»Ich fuhr mit Ihnen im Orientexpreß, falls Sie das interessieren sollte.«

»Ich weiß es wohl. Sie waren der sogenannte Franzose, den ich im Zuge begegnete.«

»Erraten. Ich teilte das Kupee Ihres weinerlichen Freundes Barrat. Wenn ein Mensch schon ein Verbrecher ist, sollte er doch wenigstens ein lustiger sein.«

»Sie halten ihn für einen Verbrecher?«

»Ich hörte, wie Sie ein Geständnis aus ihm herauskitzelten. Alles konnte ich allerdings nicht verstehen. Jedenfalls ist er ein langweiliger Patron.«

Dieser Barrat war am gleichen Abend wie er im Nachtlokal gewesen. Forester mußte ihn erkannt haben. Sinclair konnte sich über die Rolle, die Barrat in der ganzen Sache spielte, nicht klar werden.

»Fahren wir in unserer Erzählung fort,« sagte Forester. »Ich hatte zwei treu ergebene Diener. Hier ist der eine und den andern haben Sie im Tanzlokal gesehen. Auf meine Weisung hin, holten sie meine schöne Frau in Therapia ab. Das ging übrigens nicht so glatt. Ein Türke hatte seine Augen auf sie geworfen. Er mußte zum Paradiese fahren, aber da das das Ziel der Sehnsucht aller Muselmanen ist, ist der Bursche ja nicht weiter zu bedauern. Wir verwandelten sie in eine Europäerin. Sie sahen sie mit mir dinieren. Es war zu köstlich mitanzuschauen, wie Sie und Stevens die Köpfe feierlich zusammensteckten. Ich konnte Ihrer Unterhaltung herrlich folgen, denn ich beherrsche die Kunst, die Worte vom Mund abzulesen. Dann im Reservoir hatte ich Sie beinahe, aber dort haben Sie sich verdammt gescheit benommen. Ehre, wem Ehre gebührt! Der Trick mit Ihrem angeblichen Tod war gut, sogar ausgezeichnet, und Sie haben mich wirklich damit hereingelegt. Ich hatte geglaubt, Sie damals im Bett ein für allemal kalt gemacht zu haben.«

»Das waren also Sie?«

»Natürlich! So wichtige Angelegenheiten überlasse ich niemals einem Untergebenen.« Forester war in seiner Berufsehre gekränkt. Wie konnte man so etwas von ihm glauben!

»Glücklicherweise hielt aber einer meiner Inder Wacht, wenn ich auch selbst das Hotel etwas plötzlich – sogar, zu meinem Bedauern, ohne die Rechnung bezahlt zu haben – verlassen mußte. Er erbot sich zu helfen, und obgleich man ihn barsch abwies, fand er doch Gelegenheit, sich zu vergewissern, daß es sich nicht um eine wirkliche Leiche handelte.

Ich wußte natürlich sofort, daß Sie zu Stevens gehen würden, und seither haben meine Diener Sie keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Ich hätte Sie leicht aus dem Weg räumen können, aber ich wollte erst sehen, wo Sie hinaus wollten. Ihre Verkleidungen waren übrigens ganz gut gemacht. Der Franzose war in seiner Art ein kleines Meisterstück. Allerhand Hochachtung! Na und dann gaben wir Ihnen ein seltenes indisches Betäubungsmittel ein, das glänzend wirkt, ohne zu töten. Den Rest wissen Sie. Und was glauben Sie ist der beste Witz bei der ganzen Sache? Daß Ihr kleines Plänchen, den toten Mann zu spielen, vollen Erfolg hatte. Man hält Sie allgemein für tot. Na, und einmal mehr oder weniger sterben, darauf wird's Ihnen wohl jetzt schon nicht ankommen, lieber Freund. Ihr Grab wird man niemals finden. Haben Sie noch irgend etwas zu fragen? Ihre Zeit geht nämlich zu Ende.«

»Was geschah mit der jungen Armenierin?«

»Oh,« sagte Forester leichthin, sich eine neue Zigarette anzündend, »sie wurde unbequem, sie hatte zu viel in Erfahrung gebracht. Ich traf sie eines Abends allein am Quai – ganz zufällig natürlich, ganz zufällig. Eine sehr einsame Stelle, wo ein kleiner Stoß genügt und – plumps.«

»Sie Schurke! Sie haben sie ermordet?«

»Warum denn so häßliche Worte? Ich habe sie – unterdrückt. Voilà tout

»Sie Teufel! Haben Sie auch den Mord an Kitty Lake auf dem Gewissen?«

»Möchten Sie gerne wissen, was? Ich habe aber keine Lust, Ihre müßige Neugierde zu befriedigen. Uebrigens wird sie's Ihnen ja bald persönlich verraten können – ich nehme an, daß Sie an denselben Ort kommen, wie die Kleine.«

Sinclair blickte auf Zania und sah Haß und Schrecken in ihren Augen aufleuchten. Es war klar, daß ihr vieles von dem, was sie eben gehört hatte, neu war. Würde Forester sich einmal ihres Vermögens bemächtigt haben, so hatte das arme Ding wohl auch kaum viel Chance mehr, noch lange unter den Lebenden zu weilen. Vielleicht ahnte sie das jetzt schon, und doch stand sie dermaßen unter dem Einfluß seines dominierenden Willens, daß sie nicht einmal den Versuch machte, zu entfliehen.

»Und jetzt, Herr Detektiv,« sagte Forester aufstehend und nach wie vor lächelnd, »habe ich genug von Ihnen. Sie kennen die ganze Geschichte, aber Tote pflegen nichts auszuplaudern.«

Sinclair sah ihm gerade in die Augen. Niemand sollte ihn zittern sehen. Er sah den andern den Revolver heben und erwartete den Tod.

Dann folgten die Ereignisse einander mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ein lauter Krach und die Fensterläden hinter Sinclair fielen zersplittert zu Boden. Der Detektiv wandte instinktiv den Kopf. Im gleichen Augenblick tönten zwei Schußdetonationen. Das Zimmer füllte sich mit Rauch und Sinclair schwanden die Sinne.


 << zurück weiter >>