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Siebzehntes Kapitel
Hochsommer

Du hast den scheuen Stolz gebrochen,
Der dir mein Frauenherz verschloß,
Du trocknetest vom Aug' die Träne,
Die um vergangne Zeiten floß.
Und doch – laß meine Lippen schweigen,
Bis meine Seele sonnenklar –
Erst laß mich stille Einkehr halten,
Frag mich noch einmal übers Jahr!

 

Wochen waren vergangen, unten im flachen Land wogten die Kornfelder – die Erntezeit war nahe.

Ihrer ursprünglichen Absicht entgegen, waren die beiden französischen Kavaliere bis zu dieser Stunde Frau von Schülers Gäste geblieben. Die liebenswürdige Aufnahme, die sie im Waldhaus gefunden, die warme, ungekünstelte Bitte der alten Edelfrau, noch eine Weile zu bleiben, das frische, frohe Leben endlich, das in den stillen Räumen herrschte, dies alles hatte über die letzten Skrupel gesiegt – dankbar nahmen sie die deutsche Gastfreundschaft an; war's doch eine zu große Wohltat für die beiden Heimatlosen, die solange Häuslichkeit und Familienleben entbehrt, die nichts mehr gekannt als Gefängnis und Revolutionsschrecken, als unwirtliche Schlupfwinkel auf gefahrvoller Flucht, als Notwehr und Todesgedanken.

Den stillen Frieden der Harzberge störte selten ein Mißklang von jenseits des Rheins; bisweilen kamen wohl Emigranten vorüber, aber es waren zumeist veraltete Nachrichten, die sie brachten, und Abt Edgeworth schrieb seiner Freundin Cécile nur alle paar Monate. Das war freilich immer ein Ereignis, und Cécile mußte vor versammeltem Publikum die Pariser Nachrichten vortragen. Es waren keine Freudenbotschaften, und still und schweigsam ging man nach dieser Lektüre auseinander.

Besonders Gérard konnte es nicht verschmerzen, daß die Verhältnisse ihn zur Flucht gezwungen, und er nicht für die königliche Frau, die sein erstes Kind über die Taufe gehalten und seinem geliebten Weibe diesen Freudentag durch ihre Gegenwart verschönt, das Schwert ziehen durfte. Dieser Gedanke nagte an ihm Tag und Nacht, sein Kavalierssinn, seine Königstreue, sein Mannesmut und sein stolzes, klares Ehrgefühl sträubten sich gegen das friedliche Stilleben, das er seit einigen Wochen unter den Seinen führte, während man die Witwe seines Königs und seine verlassenen Waisen mit Füßen trat. Und doch sagte er sich, daß ihm die Hände gebunden seien, daß er als einzelner nichts, gar nichts ausrichten werde. Diese Gedanken, die er nicht los ward, machten ihn zum Hypochondristen. Er sprach nicht von dem, was ihn quälte, und man schrieb seine Melancholie der Trauer um sein Weib zu. Adalbert freilich ahnte den wahren Grund, er teilte Cécile seine Vermutungen mit, denn Gérard war seit Edgeworths letztem Brief verschlossen und unzugänglich wie nie. Zu Adalberts größtem Erstaunen war Cécile vollständig orientiert. Nach und nach kam sie damit heraus, daß ihr Schwager ihr vor einigen Tagen anvertraut, er könne das untätige Leben nicht mehr ertragen, der Gedanke an die Rettung der Königin beschäftige ihn Tag und Nacht. Mehr sagte sie nicht. Ihr Bruder blickte sie scharf an, ihr Gesicht war klar und ruhig, während sie es über ihre Stickerei beugte, und die Nadel flog, als gälte es das Leben Marie Antoinettes.

Endlich wandte er sich ab.

»Es wird ihm nicht zu helfen sein. Jetzt nach Frankreich zurückzukehren wäre selbst in dem Gedanken, mit dem Einsatz des eigenen Lebens die Königin zu retten, der reine Wahnsinn, denn wenn Gott nicht ein Wunder tut, so ist sie nicht mehr zu retten.«

Er verließ das Gemach. In der Halle begegnete ihm sein Kammerdiener mit mehreren Briefen. Fragend blieb Hilaire vor dem ehemaligen Schließer von La Force stehen, und Jacques breitete die Post vor ihm aus. Ein Brief an Gérard lag dabei, von klarer, männlicher Hand adressiert – sinnend weilte sein Auge auf den eleganten Schriftzügen – sie schienen ihm bekannt.

»Sonderbar,« murmelte er vor sich hin, »sie haben doch sonst nicht miteinander korrespondiert,« dann ging er zu seiner Blanche, die rosig wie ein junges Mädchen zwischen ihren Kindern im Garten saß.

»Komm,« sagte er, »ich muß dir etwas erzählen, Kind,« und sie hing an seinem Arm.

»Ich habe allerhand Soupçons,« fuhr er fort, während sie miteinander durch den Garten gingen, »sag mal – hältst du es für möglich, daß Gérard und Cécile den Weg zueinander finden – jetzt noch finden, Blanche?«

Sie blitzte ihn mit den lachenden Augen an. »Wie klug ihr Männer doch seid, viel klüger als wir! Also vraiment? wie mich das freut!«

»Du sollst mich nicht mit deinem Schelmgesicht zum Narren haben, sondern mir sagen, was du denkst, du böse kleine Frau!« sagte er, stehen bleibend.

»Was ich denke,« entgegnete sie ernsthaft – »nun, sie würden schon zueinander passen – Cécile müßte vielleicht ein wenig fügsamer werden, das ist ja immer das Häkchen, wenn ein Mädchen über die dreißig hinaus ist und dann noch ans Freien denkt!«

»So – so. Und glaubst du, daß Cécile es tun würde?«

»Du lieber Himmel, Schatz, du fragst mich zuviel. Kann ich ihr ins Herz sehen? Bei all meiner Vorliebe für deine Schwester – du kennst doch auch ihre vornehm scheue Zurückhaltung, die sie kein Wort zuviel sagen läßt. Ich glaube nicht, daß irgendein Mensch auch nur ein Sterbenswörtchen von ihr hört, bevor sie den Brautring am Finger trägt. Ich liebe diese Art an den Hilaires, aber es darf keiner verlangen, daß ich ihre Geheimnisse weiß.«

»So – meine etwa auch nicht?«

»Nein, deine auch nicht,« schalt sie, »ich sehe dir's ja an, du weißt viel mehr, als du sagst!«

»Ich weiß gar nichts,« sagte er, »es ist alles nur Vermutung. Aber ich möchte Gérard noch einmal glücklich sehen, und ich glaube, er würde es mit Cécile. Wer zu lange der Trauer um die Toten nachhängt, der wird am Ende dem Leben entfremdet, und wenn Gérard sich nicht bald entschließt, so ist die rechte Stunde versäumt, ich kenne ihn. – Zudem wird er bald ganz vereinsamt sein, und das ist dem Menschen nicht gut.«

»So – meinst du?«

»Ja, das meine ich! – Sieh dir doch diese verliebten Bürschchen, Hertzberg und Itzenplitz, an – du tust heute wirklich, als hättest du absolut keine Erfahrung in dergleichen Affären.«

Nun lachte sie ihm doch hell ins Gesicht, daß die blendenden Zähne wie eine Perlenschnur sichtbar wurden. »Aber Schatz, quelle idée! Marie Antoinette ist noch nicht fünfzehn, und Adrienne ist ein Kind ...«

Er unterbrach sie: »Ja, ja, ein Kind, aber was für eins! Ein Studienkopf für die Lebrun, ein Gesichtchen, das Zukunft hat, Schatz! Ich sage dir, die Kleine wird eine erstklassige Schönheit – die bleibt nicht lange daheim! Und um auf fünfzehn Jahre zurückzukommen – ich kannte in Paris eine junge Demoiselle, die liebte einen Kavalier zum Sterben und glaubte es nicht überleben zu können, als man ihr am sechzehnten Geburtstage mitteilte, mit dem Freien hätte es noch keine Eile! Das kleine verliebte Fräulein war nämlich Marie Antoinettes Tante!«

»So, so, natürlich; die Hilaires neigen alle zur Verliebtheit ...«

»Ich meine die Sérévans!«

»Du bist heute grenzenlos unhöflich!« sagte sie, seinen Arm fassend, »stütze doch wenigstens deine arme, verliebte Frau!«

Wie sie da neben ihm stand, so jung und frisch, sah es ihr keiner an, daß ein Sturmwind über sie hingegangen war, daß sie den Witwenschleier getragen und das Leben ihr zu einer schweren Last geworden.

»Also du weißt nichts?« fragte er endlich.

Sie schüttelte die Locken.

»Auf Ehre?«

»Auf Ehre!«

Sie zog ihn an seinem dunklen Bart zu sich herab und drückte den rosigen Mund auf seine Lippen. Dann wanderten sie langsam weiter.

Am Ende des Gartens war ein lindenbeschatteter Luginsland; einen weiten, freien Blick in das flache Land boten die umrankten Fenster, in die sonnenbeglänzte Ebene, auf die fernen Türme des Hochstifte.

Da legte Blanche die Hand auf den Arm ihres Gemahls und blieb stehen. Stimmen klangen aus dem Lindenschatten herüber, neben dem violettsamtenen Kavalierrock schimmerte ein weißes Sommerkleid.

»Wahrhaftig, sie sind es! inséparables, wie mir scheint – – – komm, Liebchen, wir wissen genug!« rief Hilaire.

Er zog ihren Arm in den seinen und machte kurz kehrt. Gleich darauf waren sie unter den langherabhängenden Zweigen der Buchen verschwunden. – – – – – – – – –

Blanche und ihr Gemahl hatten sich nicht getäuscht. Unter dem vollen Laub der Sommerlinde saßen zwei Menschen an lauschiger Stätte beieinander – ein Mann in der Jahre Blüte und ein dunkeläugiges, schlankes Weib, eine vollerblühte, reife Frauenschönheit.

Sie stickte. Unter den weißen Fingern entstanden jene, von Künstlerhand stilisierten Kirchenrosen, die so oft Altar und Kanzel schmücken helfen, schwer ging der Goldfaden durch die dichte, schimmernde Seide, und das Mädchen blickte nicht von der Arbeit auf.

»Also Fersen ist meine Mitarbeit willkommen,« sagte der Mann an ihrer Seite, und in seinen Augen leuchtete es. »Es war ein guter Gedanke von Ihnen, Cécile, ich bin Ihnen dankbar dafür! Dies tatenlose Stilleben in Ruh und Frieden, während die unglückliche Königin langsam im Kerker dahinsiecht, es ist mehr, als ein Mann ertragen kann! Ich weiß ja, daß ich nichts ausrichten würde, wenn ich nach Paris zurückkehrte, sonst – bei Gott – wäre ich längst dort!«

Er schwieg und sah zu ihr hinüber, aber sie hob den Blick nicht von der Altardecke.

Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen: »Morgen reise ich nach Brüssel!«

Das wirkte. Die schwarzen Augen sahen erschrocken zu ihm auf, eine flammende Röte bedeckte den weißen Hals und stieg langsam in das zarte Gesicht. »Morgen schon?« entfuhr's den verschwiegenen Lippen, und dann bückte sie sich nach dem Goldknäuel, das ihr von den Knien gefallen war. Er sprang hinzu, aber sie hatte es schon erhascht und hielt es ihm lachend hin. Der verräterische Purpur war bis unter die dunklen Haarwurzeln gestiegen.

»Ja, morgen,« sagte er, sich neben sie setzend. »Warum sollte ich es aufschieben?«

Sie antwortete nicht. Der Faden war gerissen, und der neue Anfang schien den sonst so geschickten Händen große Schwierigkeiten zu bereiten.

»Fersen schreibt, sein Schaffen gleiche einer Danaidenarbeit,« begann der Marquis aufs neue, »aber er könne und dürfe es nicht aufgeben, obgleich er kaum zu hoffen wage, die Königin jetzt noch zu retten. Die Fluchtversuche scheinen als unausführbar endgültig aufgegeben zu sein, wenigstens ruht Fersens ganze Hoffnung auf den Verbündeten. Er scheint sich aufzureiben im Dienste Marie Antoinettes, aus jeder Zeile spricht eine tiefe Sorge, die nur den wärmsten Gefühlen entspringt!«

Er sah bei den letzten Worten zu ihr hinüber, ihre Hände ruhten im Schoß, ihr dunkles Auge blickte in die Ferne, eine Träne rann ihr über die Wange.

»Was sie wohl sinnt,« dachte er. »Ob sie nur für die verlassene Fürstin eine Träne hat?«

»Fersen schreibt, das Härteste für Marie Antoinette sei die Trennung von dem kleinen Karl Ludwig,« fuhr er dann fort; »das Kind scheint von seinem Peiniger, dem Schuster Simon, an Leib und Seele systematisch verdorben zu werden!«

»Ja,« sagte sie leise, »das ist wohl das Härteste für eine Mutter! Edgeworth schrieb mir nämlich, er hätte durch einen Beamten von jener Szene erfahren, es müßte einer der furchtbarsten und ergreifendsten Augenblicke gewesen sein, als Marie Antoinette ihr zitterndes Kind wie eine Löwin verteidigte und sich dann im Bewußtsein ihrer Machtlosigkeit gefügt, wie sie dem Kleinen zum Gehorsam geholfen und ihn ermuntert, seinen Feinden alle Kränkungen zu vergeben!«

Ihre Stimme zitterte bei den letzten Worten, die Erinnerung an einen anderen Frevel schien sie zu übermannen.

»Ja, es ist oft übermenschlich schwer, zu vergeben, und doch müssen und sollen wir's, nicht nur um des anderen – um unser selbst willen,« sagte er.

Sie sah gespannt zu ihm hinüber. In ihrem Blick lag eine Frage.

Er stützte den Kopf auf den Kavalierdegen. »Ob ich vergeben konnte? ich lese die Frage in Ihrem Blick! Sprechen Sie sie nur aus, Cécile, Sie haben ein Recht dazu. Der Mann, der mein Weib tötete, der tötete Ihre Schwester, Ihren Vater, wir haben ein gegenseitig Recht zu fragen: Konntest du vergeben? denn unser Schmerz ist ein gemeinsamer. Ich weiß, daß dieser Mann Sie leidenschaftlich geliebt, daß er vor Beginn der Revolution Ihrer Liebe gewiß war, aus seinem eigenen Munde erfuhr ich's ...«

»Alignolle? meiner Liebe?« Sie war emporgefahren, dunkle Glut wechselte mit tödlicher Blässe auf ihrem Antlitz, sie rang nach Atem. »Herr von Sérévan,« sagte sie endlich, und ihre Stimme klang kalt und fremd zu ihm hinüber, »ich habe diesem Manne viel vergeben, ich möchte sagen alles, was ich zu vergeben hatte, das er mir angetan hat. Ich vergebe auch dies dem Toten, er steht vor einem höheren Richter, aber Ihnen schwöre ich, daß mein Herz nie für den Mann geschlagen, der sein Leben in der Fäulnis der Sittenlosigkeit und des Genusses verpraßte!«

An allen Gliedern zitternd stand sie vor ihm, ein Weib, das seine Ehre in Gefahr sieht. Plötzlich senkte sie den Blick. »Er ist tot!« sagte sie wie zu sich selber, als schäme sie sich des Zornes wider den, dessen Lippen für immer geschlossen. Dann nahm sie, von plötzlicher Eile getrieben, ihre Arbeit vom Tisch und schickte sich an, das stille Plätzchen zu verlassen. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, das Haupt hochmütig zurückgeworfen, ging sie hoch aufgerichtet an dem Manne vorüber, und doch sah er's, wie die heißen Tränen über ihre Wangen liefen.

In einem Augenblick stand er neben ihr und vertrat ihr den Weg.

»Ich bitte Sie, lassen Sie mich gehen,« sagte sie mit mühsam erkämpfter Fassung. »Ich habe Ihren Wunsch erfüllt und Rechenschaft vor Ihnen abgelegt, obgleich ich nicht dazu verpflichtet war, und denke, wir haben uns nichts weiter zu sagen!«

Mit einer Handbewegung forderte sie ihn auf, den Weg freizugeben. Aber er blieb stehen.

»Sie haben recht,« sagte er, »Sie haben mir meine Frage beantwortet, aber noch weiß ich nicht alles, was ich wissen muß, zudem habe ich Ihnen etwas abzubitten. – Doch erst sagen Sie mir eines: hielten Sie es für möglich, daß ich den Worten jenes Mannes Glauben schenkte?«

Sie sah erstaunt zu ihm auf: »Warum sprachen Sie denn dies Wort aus, wußten Sie nicht, daß Sie damit meine Ehre angriffen?« entgegnete sie strenge.

Er blickte ihr fest in die Augen. »Vielleicht vergeben Sie mir meine Worte, wenn Sie erfahren, daß ich von Ihren eigenen Lippen jene Lüge widerlegt wissen, daß ich es von Ihnen selbst hören wollte: ich habe ihn nicht geliebt – nie im Leben!«

Sie senkte den Blick, wie eine Offenbarung kam es bei seinen Worten über sie. Still ließ sie es geschehen, daß er sie bei der Hand nahm und an den Platz, von dem sie soeben geflohen, zurückführte und sich an ihre Seite setzte. Und dann sprach er weiter, und jedes Wort fiel wie ein leuchtender Funken in ihre Seele.

»Es ist eine alte Weisheit, daß der Mann das Weib, das er liebt, durchschauen will bis auf den Grund ihrer Seele. Vergeben Sie es mir daher, daß ich's von Ihren eigenen Lippen hören wollte, Cécile – ich durfte nicht um das Mädchen werben, das, wenn auch nur eine kurze Zeitlang, das leiseste Gefühl für den gehegt, an dessen Hand das Blut meines Weibes klebt; – es stände eine Scheidewand zwischen uns, die uns vielleicht zuerst verborgen bliebe, später aber um so schärfer hervorgetreten wäre. Und ob wir ihm beide vergaben, eine Vereinigung wäre unmöglich gewesen! Diese Frage mußte getan werden; aber ich habe stets gewußt, was Ihre Antwort sein würde! – Ich weiß es nicht, ob ich Sie fragen darf, ob mein Glück Ihr Glück, mein Leid das Ihre sein kann,« fuhr er nach kurzem Schweigen fort, »ich weiß nur, daß ich Sie fragen muß, ehe ich morgen gehe, weiß nur, daß die Liebe zu Ihnen ein Teil meiner selbst geworden!«

Er hielt inne. Regungslos saß sie an seiner Seite, die Hand auf die Bank gestützt; er sah, wie sie zitterte.

»Stört Sie das Grab in meinem Leben, Cécile?« fragte er traurig. »Ich habe Aimée sehr geliebt, so sehr, wie ein Mann zu lieben weiß, und werde die erste große Liebe meines Lebens nie vergessen. Aber ich danke es Gott, der mir diese neue Liebe ins Herz gelegt, wie eine blühende Blume mitten im Winter – – Cécile, sagen Sie mir ein Wort, ob Sie dem einsamen Manne vergeben, ob Sie ihm vertrauen, ihn lieben können!«

Da raffte sie sich auf.

»Sie fragen mich viel, und ich muß weit ausholen,« erwiderte sie. »Zuerst aber lassen Sie mich eines beantworten: Ja, ich vergebe Ihnen von ganzem Herzen, Gérard! Ihre Erklärung rechtfertigt die Frage, die mich verwundete – auf Klarheit und Wahrheit beruht das Glück der Ehe, und Mann und Weib sind berechtigt, die Grundlagen ihres Glückes zu kennen.

Und nun das zweite. Ich vertraue Ihnen von ganzem Herzen, als dem Manne und Kavalier, als den ich Sie schätzen lernte!«

Das war eine klare Antwort, und doch fehlte ihm noch das Wort, darauf er wartete.

»Und das dritte?« sagte er endlich.

Aber statt der erhofften Antwort sagte sie leise unter tiefem Erröten: »Vergessen Sie ganz, wie alt ich bin?«

»Danach frage ich nicht, nur das eine will ich wissen, ob Sie mich lieben, Cécile?«

»Lassen Sie mir Zeit,« bat sie. »Das Weib, dessen Liebe einmal unerwidert geblieben, hat einen Stolz, einen tiefen, scheuen Stolz, und die Zeit lehrt's, ob die Liebe ihn überwindet, oder ob er stärker ist als sie. Lassen Sie mir Zeit, Gérard, vielleicht weiß ich's übers Jahr, wenn ich mein Herz geprüft, wer größer ist von den zweien. Vielleicht ist's die Liebe, die ich Jahr um Jahr niederzwang, vielleicht ist's der Stolz mit seinem Zweifel: Bist du stark genug, um zu lieben wie einst, von ganzer Seele mit allen Kräften? – Siegt der Stolz, so müssen wir scheiden, Gérard, wir dürfen uns nicht täuschen!«

»Ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit, Cécile,« sagte er. »Sie sind mir noch lieber geworden um dieses Wortes willen, ob Sie mich auch durch dasselbe von sich treiben. Aber ich komme wieder übers Jahr, wenn die Rosen blühen!«

»Ja, wenn die Rosen blühen!« antwortete sie, und ein Lächeln zog über ihr schönes Antlitz.

Und dann ging er. Ein letztes Mal neigte er sich ehrerbietig über die feine, zarte Hand, die ihm vor kaum einer halben Stunde so gebieterisch den Weg gewiesen. Die großen dunklen Augen sahen mit feuchtem Glanz zu ihm auf.

»Gott behüte Sie!« flüsterte sie. »Grüßen Sie Fersen!«

*

Bei der Abendmahlzeit wurden der fröhlichen Tafelrunde zu Frau Blanches größtem Erstaunen statt der erwarteten Verlobung die Reisepläne ihres Bruders unterbreitet. Ruhig saß Cécile daneben, kein Zug in ihrem Gesicht verriet, daß sie mehr als die übrigen an der Abreise ihres Schwagers teilnahm.

»Du hast dich doch geirrt, Adalbert,« flüsterte die Frau Marquise ihrem Gebieter zu, als er nach Tisch ihre Hand küßte.

Sein heller Blick flog über die blühende Gestalt: »Abwarten, meine Gnädigste!«


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