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Viertes Kapitel
Auf Schloß Eu

Ich weiß, du hast mich einst verschmäht.
Doch ist's zum Lieben nie zu spät!
Dein ist mein Leben Zoll um Zoll,
Und wenn's um dich vergehen soll.

Die Stunde rinnt, die Zeit vergeht,
Mein Deingedenken ist Gebet. –
Die alte Lieb ist jung und neu –
Das ist die wahre Königstreu!

 

Über Schloß Eu lag der Glanz des scheidenden Tages, milde, sonnige Oktoberschönheit mit goldenem Laub und fallenden Rosenblättern. Zwischen den letzten bunten Astern wanderte die Prinzessin von Lamballe auf und nieder und brach die stolzen Blumen zum Strauß. Sinnend blickte sie darauf hin.

»Es sind die letzten,« flüsterte sie, »dürft ich sie meiner Königin senden! Doch sie sind verwelkt, bevor sie in Marie Antoinettes Hände gelangen!«

Langsam setzte sie ihren Weg fort, die Schleppe ihres lichtgrünen Musselinkleides emporhebend, denn schon fiel der Tau, funkelnd lag er in Gräsern und Büschen.

Die Dämmerung brach herein, kühl wehte der Nachtwind um die Locken des jungen Weibes. Sie zog das Fichü, das Brust und Schultern leicht verhüllte, zusammen.

In violetten Tönen lag die ferne Weite wie ein Traumland da, im Dunst der weißen Nebel schwammen die Wiesen, und die Wasser murmelten ihr einförmiges Lied. Sie blieb stehen und lauschte, klang nicht Hufschlag von der Landstraße herüber? Das Herz schlug ihr laut, eine lähmende Angst überkam sie, sie preßte die Hand gegen die klopfende Brust.

Immer lauter klang der Hufschlag des gehetzten Tieres durch die klare Herbstnacht, näher, immer näher – was wollte der einsame Reiter zu so später Stunde auf Schloß Eu? Ein Unglück stand vor ihren Augen, riesengroß, die Seele der Frau, die allezeit Not und Schmerzen vorausgesehen, deren ganzes Leben Leidesahnung war, durchzitterte der Name, der ihr das Liebste auf Erden war: Marie Antoinette!

Sie flog in das Schloß zurück.

Am Kamin in seinem Arbeitszimmer saß ihr greiser Schwiegervater in ernster Unterhaltung mit der Herzogin von Orléans, die seit einigen Tagen sein Gast war. Hell beleuchtete die Flamme die ehrwürdige Gestalt des alten Royalisten und das Haupt der treuen Dogge auf seinen Knien. Ihm gegenüber in erdbeerfarbenem Brokat saß die Gemahlin des Mannes, dessen Name seit Jahrzehnten in tragischem Verein mit dem Namen der Bourbonen genannt ward. Das Leben lastete auf der stolzen Frau, sie hatte dem alten Royalisten ihr Herz ausgeschüttet.

Da öffnete sich die Tür; marmorbleich stand Marie Thérèse auf der Schwelle. In der herabgesunkenen Hand hing der Asternstrauß, die Rechte lag auf der Brust, als sollte sie etwas Entsetzliches darin verschließen, die ganze Gestalt bebte und schien wie gebrochen. Erschrocken blickte der Greis empor, die zitternden Hände auf die Stuhllehnen stützend, wollte er sich erheben, scheu blickte die Herzogin zur Tür.

Da kam plötzlich Leben in das bleiche Antlitz unter dem Türbogen, mit einem Schrei stürzte die Prinzessin zu den Füßen ihres Schwiegervaters nieder und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Die Blumen waren ihren Händen entglitten, fassungslos wie ein Kind, dem man das Liebste genommen, schmiegte sie den zitternden Körper an die Brust des Greises und weinte herzbrechend an seinem Halse.

»Kind, Kind, was ist geschehen? um Gottes willen, sprich!« Liebevoll neigte sich der Herzog über die Tochter, sanft glitten die welken Hände über das lichte Haar: »Marie Thérèse!«

Da hob sie das Antlitz, von Tränen überströmt, zu dem alten Manne empor und hauchte kaum hörbar mit zuckenden Lippen: »Meine Königin!«

Mit lähmendem Schmerz überkam's auch ihn. »Tot?« flüsterte er.

»Nein!« Sie sah in die starren Augen, sah auf die fliegenden Hände nieder, die sich gewaltsam an den Stuhllehnen hielten, und die eigene Kraft kehrte ihr wieder. Sie richtete sich auf und wollte sagen, was sie wußte, so schwer's auch war.

Da trat ein staubbedeckter Kurier durch die offengebliebene Tür ins Gemach. Er verneigte sich vor dem Hausherrn und berichtete die furchtbaren Vorgänge der letzten Tage in Paris und Versailles. Und ganz zuletzt, als alles heraus war und er noch stehenblieb wie einer, der das Schwerste noch zu sagen hat, als das schöne, blasse Frauenantlitz ihn mit verzweifeltem Flehen ansah und die durchdringenden Augen des Greises ihn mahnten: »Es ist noch nicht alles – sprich!« da klang es leise durch den grabesstillen Raum, wie aus einer anderen Welt: »Die königliche Familie ist in den Tuilerien!«

Er stand noch immer auf den Degen gestützt, das Auge auf das Bild des Grams gerichtet, das sich seinen Blicken darbot. Hätte ein Künstler die ergreifende Szene gemalt, er hätte nichts darunter zu setzen brauchen, als das eine Wort »Royalisten«, und jedermann hätte es gewußt, daß es die Getreuen darstellte, die in den Oktobertagen des Jahres 1789 das Schicksal der schönen, unglücklichen Königin beweinten.

»Gefangen,« sagte Penthièvre endlich mit dumpfer Stimme; es war das erste Wort, das das lange Schweigen brach.

Da richtete sich die Frauengestalt an seiner Seite auf; ihre Augen leuchteten, grell beschien die Flamme die zarte Erscheinung in sommerlicher Gewandung. Sie hob die weißen Arme und faltete die Hände über der Brust.

»Ich gehe nach Paris!« kam's im Tone fester Entschlossenheit von ihren Lippen; dann neigte sie sich über die Hand des Greises, drückte einen langen Kuß darauf und verließ geräuschlos das Gemach.

Er blickte ihr schweigend nach, dann stützte er das weiße Haupt in die Rechte und weinte wie ein Kind.

»Ich weiß es,« murmelte er, »sie geht an Stelle des Mannes, der nichts mehr nützen kann – ich weiß es – Gott lohne ihr ihre Königstreue.«

Es ward still im Gemach, nur die Kienäpfel knisterten im Kamin, und ab und an unterbrach ein tiefer Seufzer der Gemahlin Philipps von Orléans das Schweigen.

Es war Mitternacht. Klar und deutlich hallten die Schläge der Turmuhr über das stille Land. Da klang Hufschlag im Portal, eine verschleierte Frau stieg in den Wagen, und fort ging's durch das Dunkel der Herbstnacht auf mondheller Landstraße.

Auf seinen Krückstock gestützt, stand der greise Herzog noch an der Seite seines Gastes unter dem Torbogen, als das Rollen des Reisewagens längst verhallt war.

»Adieu, Marie Thérèse, adieu, chérie!« flüsterten seine zitternden Lippen, während ihm große Tränen über die Wangen liefen.

Dann gingen sie schweigend Seite an Seite ins Schloß. Die Lichter erloschen, die Glut im Kamin verglomm, winselnd fuhr die treue Dogge aus wirrem Traum.

Ein Greisenhaupt neigte sich über die Bibel, eine gebrochene Stimme sprach das Vaterunser, scheu blickte das Gesinde auf den Gebeugten, mit sorgenschwerem Antlitz suchte einer nach dem andern seine Ruhestätte, dann ward es still auf Schloß Eu, nur der Nachtwind wehte in den Kaminen, und die Käuzchen flatterten ruhelos um die dunklen Erker. – – – – – – –

Vierundzwanzig Stunden später, am Abend des 8 Oktober, hielt ein Reisewagen am Portal der Tuilerien. Eine tiefverschleierte Dame stieg aus, zwei Frauengestalten hielten einander fest umschlungen. Krampfhaftes Weinen klang durch die Stille der Nacht – es war die Prinzessin von Lamballe, die an den Hof zurückgekehrt war.


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