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Fünfzehntes Kapitel
Sophie Beatrice

Warum bist du so bald gegangen?
Ich brauch ja doch den Sonnenschein.
Nun wird es nimmer Frühling werden,
Nun ist mein Herze ganz allein.

Als hätt' man mir mich selbst genommen,
Als wüßt mir keiner einen Rat –
Glaub mir's – so ist es mir zu Sinne,
Seit man mein Kind begraben hat!

 

Ein Jahr war vergangen, seit die Halsbandgeschichte den Namen der Königin von Frankreich in den Schmutz gezogen.

Das Laub fiel; wie goldgelbe Seide lag's über dem herbstlichen Boden ausgebreitet, und die Sonne warf ihr scheidendes Licht darüber. An den »großen Wassern« zu Versailles welkten die Rosen, in stiller Trauer standen die Zypressen, und die letzten roten Astern leuchteten durch die kahlen Büsche, die der Wind der dürren Blätter beraubt. Oben hinter den Scheiben des Bogenfensters stand Marie Antoinette und blickte mit heißen, verweinten Augen auf die stille Schönheit des schwindenden Jahres. Sie trug Trauerkleider, ihr goldenes Haar verhüllte ein schwarzer Schleier. Müde und gleichgültig stand sie eine Weile am Fenster und schaute auf die Wasserkünste des Sonnenkönigs hinab, dann wandte sie sich plötzlich ab und ging langsam, als läge ihr eine schwere Krankheit in den Gliedern, in das angrenzende Gemach. Die Fenster waren verhangen, Kerzenlicht erfüllte matt den schwarz ausgeschlagenen Raum, betäubender Blumenduft strömte ihr entgegen. Unter Lilien und weißen Rosen ruhte die Leiche eines kaum einjährigen Kindes; zart und blond lag es unter den Blumen mit dem süßen Ausdruck träumender Unschuld, und als die Mutier sich über den kleinen Sarg neigte, war's ihr, als ginge der Friede des schlafenden Mägdleins auf ihr unruhiges, friedloses Herz über, als träte ihr einer zur Seite, den sie längst über Erdenlust und Schimmer vergessen, und tröstete sie mit holdseliger Stimme: »Das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft!«

»Sophie Beatrice!« Jüngste Tochter des Königspaares, geb. 1785, gest. 1786. flüsterte die Königin, schluchzend niederkniend, und blickte mit umflorten Augen in das marmorweiße Gesichtchen, »warum bist du so bald wieder gegangen?« und der Schmerz um ihr verlorenes Kind machte sich in einem Strom von Tränen Lust.

Minuten waren verstrichen; da öffnete sich leise die Tür, und ein wunderschönes kleines Mädchen in weißem Atlaskleide erschien auf der Schwelle. Scheu verhielt sie den Schritt und blickte, eine Fülle goldener Locken aus der Stirn streichend, zu dem schlafenden Schwesterchen hinüber.

» Maman, chère maman,« flüsterte sie plötzlich erregt, als sie Marie Antoinette in Tränen aufgelöst an der Bahre knien sah, » chère maman!« und wie ein Echo klang noch ein anderes Sümmchen vom Nebengemach herüber, zart und fein, als sollte es zerspringen: » chère maman!«

Die hohe Frau erhob sich und trocknete die Tränen. Sie vernahm so oft diesen Ruf, und wenn sie dann kam, war es immer dasselbe erschreckte, furchtsame Gesichtchen, das sie empfing; aber sie machte sich immer wieder stark, es war ja doch ihr Kind, das nach ihr rief, das Kind, das ihrer doppelten Liebe bedurfte, um das sie sich sorgte Tag und Nacht, der schwache hinsiechende Thronerbe, das Kind von Frankreich. Von der Toten eilte sie zu den Lebenden.

Die kleine Madame Royale Marie Thérèse, älteste Tochter des Königspaares. schmiegte sich zärtlich an die Mutter und zog sie in das angrenzende Gemach, wo der kranke Dauphin auf dem Schoße seiner Pflegerin saß.

Der kleine Prinz, der in den ersten Lebensjahren ein schönes, gesundes Kind gewesen, fing plötzlich an zu kränkeln. Die eine Schulter wuchs höher als die andere, ein Buckel bildete sich auf seinem Rücken, seine Knochen wurden so schwach, daß sie den hinfälligen Körper kaum mehr trugen. Mit der Schönheit des Leibes schwand auch die Lebhaftigkeit des Geistes, wie eine kranke Blume welkte der Knabe dahin, und die Königin, die einst so stolz auf ihren Liebling gewesen, verbarg das Schmerzenskind, das sich langsam dem Tode entgegenschleppte, fremden Blicken. Ein schmales Gesichtchen mit dem Ausdruck eines lebensmüden Greises lehnte an der Schulter der Pflegerin, die kleinen abgezehrten Finger lagen matt auf der seidenen Decke, die man dem Kleinen über die Knie gebreitet. Zu seinen Füßen auf dem Teppich spielte der zweijährige Herzog der Normandie, Karl Ludwig, der spätere Ludwig der Siebzehnte. ein lebensfrohes, kräftiges Kind, das beim Eintritt der Königin hell auflachte und ihr die runden Ärmchen entgegenstreckte. Marie Antoinette beugte sich herab und küßte den Kleinen, dann kniete sie an der Seite der Pflegerin nieder und umfing den kranken Thronerben. Zärtlich drückte sie ihr Antlitz an die Wange des Kindes.

Aber erschrocken wich der Knabe zurück, die Hände abwehrend ausgestreckt, schaute er furchtsam in das Antlitz seiner Mutter. Verzweifelt sah die Königin zum Himmel, nahm den kleinen Karl Ludwig vom Boden und verließ mit dem frohen, blühenden Kinde, das sein blondes Lockenköpfchen zutraulich an ihre Schulter schmiegte, das Gemach. Ein langer schwermütiger Blick voll Trauer und Eifersucht folgte ihr aus den Augen des kranken Dauphins, dann barg er sein altes Gesichtchen an der Brust seiner treuen Pflegerin und schloß todmüde die Augen. –

Marie Antoinette war in ihren Gemächern angelangt. Sie setzte sich an das Fenster und ließ Karl Ludwig in den Garten hinabsehen. Gedankenverloren schaute sie dem Spiel des Kleinen mit einer goldenen Kette zu – das Herz war ihr zum Zerspringen schwer. Im angrenzenden Gemach stand die Leiche ihres Töchterleins, und wenige Schritte davon kämpfte das Kind von Frankreich mit dem Tode, mit verlöschendem Stimmlein sehnsüchtig ihren Namen rufend, doch sobald sie ihm nahte, zitternd vor Furcht das Antlitz an der Brust einer Fremden verbergend – die Tränen stürzten ihr über die Wangen, es war mehr, als ein Mutterherz ertragen konnte. Sie wußte, wem sie die Entfremdung ihres Kindes zu verdanken hatte. Der Hofmeister des Kronprinzen, der Herzog von Harcourt, und seine Frau waren von glühender Eifersucht gegen Madame Polignac Die obengenannte, von der Königin so sehr bevorzugte Gabriele Polignac war seit Beginn der achtziger Jahre Gouvernante der königlichen Kinder. erfüllt und entfachten in der Seele des kranken Knaben einen unüberwindlichen Haß gegen die Freundin seiner Mutter. Die Königin gab sich die größte Mühe, ihren Sohn zu besänftigen und mit Madame Polignac auszusöhnen, und es würde ihr vielleicht im Laufe der Zeit gelungen sein, dem Kleinen Vertrauen einzuflößen, wenn die Verleumdung nicht ihr selbst das Herz ihres Kindes entrissen hätte. Ihre zahllosen Feinde verbreiteten das Gerücht, die Königin habe dem schwächlichen Dauphin ihre Liebe entzogen und dieselbe ganz auf den Herzog der Normandie, der von Schönheit und Gesundheit strotzte, übertragen. Der boshafte Harcourt bemächtigte sich dieser Lüge; er riet seinem Schüler, nichts zu genießen, das nicht ärztlich untersucht worden wäre, und ließ durchblicken, daß dem Kronprinzen nahestehende Persönlichkeiten seine Tage zu verkürzen suchten. Das krankhaft erregte Nervensystem des Kleinen litt derartig unter den Folgen dieser Verleumdung, daß er den Anblick der Mutter, die er so sehr geliebt, nicht ertragen konnte, ohne vor Furcht zu zittern.

Wie Blei lastete der Gram auf dem Herzen der unglücklichen Fürstin, der Gedanke, diesem heißgeliebten Kinde in der Zeit der letzten, schweren Auflösung nicht die Mutter, sondern eine gefürchtete, fremde Persönlichkeit zu sein, zerschnitt ihr das Herz, sie fühlte sich einsamer und verlassener denn je, aus der lebensfrohen, sorglosen Königin war eine ernste, melancholische Frau geworden.

Zu dem Schmerz, der sie fast überwältigte, kamen noch andere, tief in ihr Leben eingreifende Dinge hinzu. Die politische Lage ward immer drohender, der Haß des Volkes wuchs von Tag zu Tag. Die Aristokratie zog sich, wenige treue Royalisten ausgenommen, immer mehr vom Hofe zurück; man konnte der Königin die Bevorzugung ihrer Günstlinge, ihre Verschwendungssucht und ihren Leichtsinn nicht vergeben. Die Vorzimmer von Versailles blieben leer, niemand begehrte eine Audienz, die glänzenden Säle, wo einst die rauschenden Feste der gefeierten Herrscherin stattgefunden, die hellen Räume von Trianon standen verlassen. Kein Bittender nahte dem Thron, wer Rat und Hilfe zu suchen genötigt war, der kroch vor den Höflingen, welche die königliche Gunst besaßen. Die vom alten Adel ausgehende Feindseligkeit untergrub zu einer Zeit, da auch andere Volksklassen ihre Ränke schmiedeten, den letzten Rest der königlichen Autorität und ihrer Verteidigungsgewalt im Falle der Not. Blind und egoistisch vergaß die Aristokratie, daß sie als Feind des Herrscherhauses sich selbst das Grab grub, daß ihr Groll wider das Königspaar den Haß gegen Altar und Thron unterstützte, der ins Riesenhafte anwachsend die letzten Stützen eines geordneten Staates niederreißen würde.

Schwermütig starrte die Königin ins Leere; wie ein böser Traum erschien ihr das Leben.

Da ward ihre Schulter leise berührt, die schönen Augen der kleinen Madame Royale sahen sie bittend an, und die Kinderhände legten einen Strauß duftender Herbstveilchen in ihren Schoß.

»Weine nicht, chère maman,« sagte sie mit weicher Stimme; »siehst du, Sophie Beatrice ist nun im Himmel und spielt mit den Engeln, und, chère maman,« setzte sie zaghaft hinzu, »wir bleiben bei dir, immer – immer!«

Die blauen Augen standen voller Tränen, während sie das feine, von langen Locken umrahmte Gesicht an die Schulter der Königin schmiegte.

Der kleine Karl Ludwig war von seinem Plätzchen auf den Schoß der Mutter geklettert und sah erschrocken und verwundert in ihr tränenfeuchtes Antlitz, dann riß er ein Veilchen vom Stengel und streckte ihr treuherzig das Händchen mit seiner Beute entgegen.

»Wie süß Karl Ludwig ist,« schmeichelte Marie Thérèse, »nicht wahr, chère maman, du bist nun wieder fröhlich?«

Die Königin raffte sich auf und drückte ihre Kinder zärtlich an sich. »Wir bleiben bei dir, immer – immer,« hatten die unschuldigen Lippen gesprochen, und das Trostwort ihres Töchterleins hatte sie an ein größeres, heiliges gemahnt. In Reue und Schmerz beugte sich die einst so stolze Frau vor Gott, und mit der letzten Kraft ihres müden, vereinsamten Herzens klammerte sie sich an die Zusicherung der Gnadennähe eines himmlischen Herrn und Meisters und sein gewaltiges Wort der Allmacht und des Erbarmens: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!«


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