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Marie Antoinette und ihre Kinder

Marie Antoinette und ihre Kinder, 1787

Erster Teil

Erstes Kapitel
Jean Axel

Die Segel rauschen im Abendwind,
Die Sonne sinkt in die Fluten;
Ein altes, rosenumblühtes Schloß
Liegt schimmernd in Abendgluten.
In dämmernder Ferne winkt mir das Glück –
Das Liebst' und Beste laß ich zurück:
Vater und Mutter!

 

Durch die Bogenfenster eines alten Adelsschlosses der Reichshauptstadt Schwedens fielen die letzten Lichter eines schönen Spätsommertages. Die Rosen blühten noch um die Fassaden des Renaissancebaues und brachten den stillen Frauen, welche die Last des Portals auf steinernen Schultern trugen, ihren duftigen Gruß; aber es lag in dieser wunderbar reichen, späten Blüte ein stummes Abschiednehmen, eine sanfte Trauer, deren stille Mahnung vom Welken und Sterben keiner hören will.

Der letzte Strahl war erloschen, purpurn sank die Sonne in den Mälarsee, jene Farbenpracht hinterlassend, die kein Künstler dem Ewigen nachahmt. Wie ein rosendurchwundener Schleier lag's über der königlichen Inselstadt mit ihren Palästen und Kirchen, ihren Brücken, welche, die silbernen Wasser überspannend, ein blühendes Viertel dem anderen vereinten zu dem stolzen, wogenumrauschten, nordischen Venedig. Hoheit und Würde waren dieser stillen Schönheit eigen, als dürfe sie getrost ihre Krone ins Meer werfen und bliebe dennoch Königin.

Weich und sehnend klang Schwedens Nationalgesang über das Wasser, ein weißes Segel nach dem andern tauchte auf, ein lampengeschmückter Nachen nach dem andern. Leuchtkäfer schwebten über der grünen Tiefe und schlossen einen strahlenden Ring um die Königsstadt, sternübersät breitete sich der Nachthimmel über die Erde, und von Nachen zu Nachen klang, zum jauchzenden Chore sich einend, das nordische Lied.

In dem hohen Gemach des rosenumrankten Schlosses, dessen Fenster einen weiten Blick über den Mälarsee boten, war's dämmerig geworden; der Mond sandte seinen milden Glanz herein, die Bilder der alten Schwedenkönige an den Wänden und die schlichte, vornehme Ausstattung matt beleuchtend. In einem hochlehnigen Armstuhl am Schreibtisch saß ein Mann in der Uniform der schwedischen Feldmarschälle; er mochte gerade heimgekehrt sein vom Dienste seines Königs. Handschuh und Dreimaster lagen auf einem Nebentisch unter dem kostbaren Spiegel, seine Kleidung war bestaubt und die Stirn feucht vom Ritt in der Augusthitze. Seine Erscheinung hätte auch ohne die Abzeichen des schwedischen Kriegsherrn den Kavalier verraten, jeder Zoll an der mannhaften, stolzen Gestalt zeugte von edlem Geblüt.

Der tiefe Ernst der klaren Augen redete von scharfem Denken, von der Treue im Kleinen, die Großes errungen und auf der Höhe irdischer Macht des Geringen wartet, wie bisher. Graf Friedrich Axel Fersen war seiner Vorfahren würdig, jener Männer, die zu Altar und Thron gestanden mit Ehre und Leben, deren Weisheit Schwedens Könige beraten von Geschlecht zu Geschlecht.

Sinnend saß der Marschall vor dem geöffneten Schreibtisch, aber die Feder lag unberührt. Sein Auge weilte auf dem Antlitz einer jungen, braunäugigen Dame, deren lebensgroßes Gemälde ihm im breiten Goldrahmen gegenüberhing. Perlen schmückten die dunklen, ungepuderten Locken und die kostbare, weiße Hoftracht. Sinnend sah er zu dem schönen Antlitz auf, dessen tiefe, sonnige Augen ihm noch heute den Lebensweg erhellten, und gedachte der Stunde, da er die Braut zum erstenmal ans Herz genommen.

»Er hat die reine Seele seiner Mutter,« sprach er leise, »ihr Erbteil wird ihm zum Segen werden.«

Den Schreibtisch öffnend, nahm er ein Päckchen daraus hervor. Es war ein kleines Pastellbild, die junge Komtesse Delagardie darstellend, dasselbe, welches lebensgroß über dem Schreibtisch hing. Der Graf strich leise über das Bild seiner Gattin, als trenne er sich schwer davon, dann legte er es seufzend auf den Tisch.

»Es soll sein Amulett sein,« sagte er, sich erhebend.

Da öffnete sich die Tür. Eine schlanke Frau erschien auf der Schwelle, von einem kerzentragenden Diener gefolgt. Es waren dieselben reinen Züge der von Künstlerhand gemalten jugendlichen Braut, dieselbe sonnige Freundlichkeit der braunen Augen, nur älter und reifer war die längst zur vollen Schönheit des Weibes Erblühte.

Gräfin Fersen trug die Tracht des französischen Hofes, dessen Reglement zu jener Zeit überall als Vorschrift galt; nur die dort herrschende Übertreibung fehlte ihrer Kleidung. Ihr lockiges Haar war leicht gepudert, Brust und Schultern verhüllte ein weißes, mit kostbaren Spitzen besetztes Tuch, und das rotseidene Kleid umschloß knapp die schönen Formen der vornehmen Frau. Aber ihr ganzes Sein war frei von Eitelkeit; was sie anmutig machte, war ihr eigenstes, inneres Wesen, dessen Reinheit mit äußerem Liebreiz gepaart war. Sie eilte auf den Gemahl zu und sagte, den Arm in den seinen legend: »Vergib, daß ich dich warten ließ, Friedrich Axel, ein armes Weib war bei mir und schüttete mir ihr Herz aus – du weißt, sie gehen so leicht nicht wieder fort!«

»Ist Axel reisefertig?« fragte ihr Gemahl.

Ein Schatten zog über ihr Antlitz. »Er kommt in einer Minute,« antwortete sie. »Mach es kurz, Geliebter,« bat sie dann, »du weißt, wie sehr er seiner Mutter gleicht, die das Abschiednehmen nicht ertragen kann!«

Ein Lächeln ging über seine Züge, während sein Auge auf dem Frauenantlitz an seiner Schulter weilte.

»Ich weiß es; für die Delagardies gibt es nichts Härteres als Lebewohl sagen, und soviel ich kann, will ich deinem Wunsche folgen, Hedwig; – ist mir's doch selbst seltsam ums Herz bei dem Gedanken, daß dies Kind heute hinausziehen soll – eine Ahnung sagt mir, daß es nicht nur Großes erleben wird, sondern einen Wechsel des sittlichen Lebens, eine Umgestaltung der Dinge nach außen und innen – Gott gebe zum Guten!«

Sie erblickte die Wolken auf seiner Stirn und bot ihre Kunst auf, sie zu verscheuchen.

Zärtlich schlang sie die Arme um seinen Nacken.

»Du siehst immer Schatten, Fritz Axel,« sagte sie, über seine gefurchte Stirn streichend, »vertreib sie und laß sie dein Leben und das Glück, das Gott uns beschert, nicht verdunkeln! Leid und Not kommen früh genug, laß uns warten, bis sie da sind!«

»Was weiß ein Weib von den Zeichen der Zeit!« sagte er, sich ungeduldig aus ihrer Umarmung lösend.

Gräfin Fersen blieb ruhig vor ihm stehen.

»Soviel, daß sie vorhanden sind, daß sie wie ein Alp auf der Seele liegen und den Blick in die Zukunft trüben, daß sie dem Manne und insonderheit dem Staatsmanne und Feldherrn die größte der Verantwortungen aufbürden. Wir Frauen sind nur zum Mittragen in der Stille da, zum Mitbeten und Glauben in der Verborgenheit – darin liegt unsere Stärke, aber sie liegt auch darin, und darin allein!«

Er zog sie an sich. Das Bewußtsein des unendlichen Segens, den dies Frauenherz in sein Leben getragen, erwachte, wie so oft in seiner Seele.

»Vergib mir,« bat er, ihr Haupt emporhebend und tief in die braunen Augen blickend, »ich will's nicht wieder vergessen, wenn Wetterwolken aufsteigen, daß ich ein Weib habe, dessen Glaube stärker ist als der meine!«

»Fritz Axel, sprich nicht so!« flüsterte sie, errötend wie in den Tagen der Brautzeit, »wie oft hast du mich getröstet!«

Schritte nahten; es pochte.

»Es ist Axel,« sagte er und geleitete seine Gemahlin an den Schreibtisch, wo sie in einem Armstuhl Platz nahm.

Zwei junge Gestalten betraten das Gemach, ein kaum dem Knabenalter entwachsener Jüngling, das Abbild des Vaters, hoch und schlank, in den schönen Augen sinnenden Ernst und tiefes Empfinden – an seinem Arm eine zarte Mädchenknospe, das Antlitz rot und weiß wie Sommerrosen, von langen, blonden Locken umrahmt, die kein Puder noch sonstige Künste berührt; nur ein lichtblaues Seidenband hielt die goldene Fülle zusammen. Die Gestalt war die eines kaum reifen Kindes, knospenhaft ruhten die zarten Formen unter dem weißen Musselinkleide, das, über der Brust ausgeschnitten, Hals und Schultern freiließ. In den tiefen träumerischen Augen, die denen des Bruders gar ähnlich waren, standen große Tränen, krampfhaft umklammerte sie ihn, als er sich, aus ihren Armen lösend, den Eltern nahte.

»Geh hinaus, Sophie,« sagte die Gräfin, während der Jüngling sich über das weinende Mädchen neigte und es küßte. Das Köpfchen gesenkt, schlich sie still davon, mitleidig folgte das Auge der Mutter dem Kinde, das den Bruder hergeben sollte, doch sie konnte ihm den Schmerz nicht ersparen.

Friedrich Axel aber ließ sich am Schreibtisch nieder und rief den Sohn an seine Seite.

»Du weißt es, was mich zu dem Schritt, dich ins Ausland zu schicken, bewogen, mein Kind,« begann er. »Nach den Traditionen unseres Hauses und den Sitten unserer Zeit verläßt du das Elternhaus, deine Studien zu vollenden, deinen Gesichtskreis zu erweitern, fremden Brauch und Art kennenzulernen – nicht, weil das Vaterland zu klein, weil es unfähig wäre, den Jüngling zum Manne zu reifen – es ist eine Gunst, die ich dir gewähren möchte, dein fleißig errungenes Wissen zu bereichern, deinem Geist neue, fremde Eindrücke zu geben, dein Auge die Unterscheidungskunst des Guten und Bösen zu lehren. Du wirst neben dem Großen und Edlen das Niedrige, neben dem Guten das Böse kennenlernen, neben manch reinem Genuß wird die Sünde an dich herantreten mit ihrem versucherischen: Sollte Gott gesagt haben? – Vergiß es nie, der Satan stellet sich als ein Engel des Lichtes, und weise die erste Verlockung, die dir naht, zurück. Laß das Wort des jungen Joseph im Hause Potiphars deine Mahnung und deine Waffe bleiben: ›Wie sollte ich solch groß Übel tun und wider den Herrn meinen Gott sündigen!‹ so wirst du siegen, so wirst du rein bleiben an Leib und Seele! Vergiß dein Gebet nicht! unterläßt du es, so wirst du schwach, und der Feind tritt in die Bresche. Die tägliche Bitte um ein reines Herz ist uns allen not wie der Trunk aus frischem Quell!

Ich trenne mich heute um deinetwillen von einem Schatz,« fuhr er, das Pastellbild seiner Gemahlin vom Tische nehmend, fort: »Das Bild deiner Mutter, das sie mir an unserem Verlobungstage gab, soll dich begleiten – möchte es dir ein Amulett werden, wenn die Sünde an dich herantritt, wenn Lust und Leidenschaft dich verlocken. Und wenn dich das Böse gut dünkt, so sieh in die Augen deiner Mutter, so wird dir der Blick wieder klar, und dein Herz wird mit Gottes Hilfe den Weg wissen, den es gehen soll!«

Mit wachsender Bewegung hatte er gesprochen; bei den letzten Worten schweifte sein Blick zu seiner Gemahlin hinüber. Sie aber erhob sich und sagte, als er geendet, dem Sohne die Hand auf die Schulter legend: »Ich weiß es, mein Axel wird den Wahlspruch seiner Mutter nicht vergessen: Selig sind, die reines Herzens sind! Bete darum, wie ich darum bitte, so wird Gott mit dir sein!«

Mit großen, klaren Augen hatte Jean Axel zu ihr aufgeblickt, die hellen Tränen rannen ihm über die Wangen, als er sich über die schmale Hand beugte; dann kniete er vor seinen Eltern nieder und empfing ihren Segen.

Draußen wurden mahnende Stimmen laut, der Hofmeister des jungen Grafen, Herr Bolemanny, der ihn auf seiner Reise ins Ausland begleiten sollte, trieb zur Eile.

Noch einmal umarmte Jean Axel Vater und Mutter, die kleine blonde Schwester hing ein letztes Mal an seinem Halse, dann bestiegen die beiden Reisenden die offene Kalesche, die sie zum Hafen führen sollte.

Dem jungen Glückskinde, dem die Welt mit ihrer Schönheit offenstand, schien alles ein Traum zu sein. Wie hatte Jean Axel diese Stunde ersehnt, und nun sie da war, überwog des Scheidens Bitterkeit die Freude. Vom Balkon wehten weiße Tücher, die hohe Gestalt seiner schönen Mutter stand neben dem Vater und winkte ihm nassen Auges den Scheidegruß – ein letztes Mal noch wandte er sich um, dann waren die lieben Gestalten seinen Blicken entschwunden.

Schweigend saß er neben Herrn Bolemanny und blickte, mit seinen Gefühlen kämpfend, auf das Pastellbild, das er noch in den Händen hielt, bis die Tränen ihm den Blick verdunkelten. Da machte er sich stark, doch die Erinnerung an das letzte Beisammensein mit Vater und Mutter machte ihm das Reden unmöglich. Der Hofmeister aber ehrte den Schmerz seines Zöglings und blickte seitwärts auf das Treiben in den Straßen.

Sie waren am Ziel. In der See spiegelte sich schimmernd der Vollmond, gleich einem silbernen Netz lag's über den Wassern, die der Nachtwind ab und an säuselnd berührte, als verkünde er den Wogen ein Geheimnis. Eine Viertelstunde noch, und das Schiff ging in See.

Gedankenverloren lehnte der junge Fersen am Gitter und sandte seiner Vaterstadt die letzten Grüße. Tausende von Lichtern blitzten herüber, und die Leuchttürme warfen ihren Schein über das Meer. Warm und lind war die Luft, Rosen und Myrten blühten am Ufer in den Gärten, als trüg' die Königin des Nordens das strahlende Brautgewand südlicher Zonen. Es war eine Sommernacht ohnegleichen.

Er aber stand träumend an Bord, und sein Auge suchte ein einziges unter den tausend Lichtern. Seine Gedanken kehrten zurück in das rosenumrankte Schloß, das er verlassen. Dort, hinterm seidenen Vorhang kniete eine und betete für den Sohn, den sie gesegnet und hinausgesandt, daß er ein Mann werde. Wieder und immer wieder zog er das Pastellbild hervor und betrachtete es im Mondlicht.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter, und Herrn Bolemannys freundliche Stimme fragte: »Woran denken Sie, Jean Axel?«

Er wandte sich um und blickte in das treue Antlitz, dann umschlang er den Freund und antwortete, auf das Porträt weisend, mit leiser Stimme: »An meine Mutter!«


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