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Zweiter Teil

Erstes Kapitel
Die Reichsversammlung

Laß alte Rechte alte Rechte bleiben,
Gib sie nicht auf und nimm sie andren nicht!
Gerechtigkeit ist eine ew'ge Weisheit –
Die erste und die letzte Königspflicht!

 

Es war am 5. Mai des Jahres 1789. Strömender Regen ringsum, grau in grau hing der Himmel über Versailles, aber trotz des Unwetters wogten unermeßliche Menschenmassen durch die Straßen; gedrängt standen sie auf den öffentlichen Plätzen oder irrten in der Stadt umher, vergeblich nach einem Nachtquartier suchend. Alles war überfüllt, und eine große Zahl Auswärtiger mußte sich mit dem Gedanken vertraut machen, auf irgendeinem Treppenabsatz oder aufrecht stehend unter freiem Himmel die Nacht zu verbringen, um des mühsam errungenen Platzes, an welchem am folgenden Tage der Festzug vorüberkommen sollte, nicht wieder verlustig zu gehen. Es war ja der Vorabend der Reichsversammlung, Zum letztenmal tagte die Reichsversammlung im Jahre 1614 unter Ludwig dem Dreizehnten. die nach Verlauf von hundertfünfundsiebzig Jahren berufen worden war, jener großen Vereinigung der Vertreter aller Schichten der Nation, und in gehobener Stimmung schaute das leicht bewegliche Volk dem kommenden Tage hoffnungsfreudig entgegen. Und es hatte ja alle Ursache, das Haupt hoch zu tragen. Seine Vertreter hatten in den letzten zwei Jahren Großes durchgesetzt, man war einen Schritt weitergekommen. Seit die Versammlung der Notabeln im Mai 1787 resultatlos auseinandergegangen, seit die Parlamente aufgehoben und in einen cour plénière Staatshof. verwandelt worden, seit tausend unzufriedene Stimmen gegen diese Maßregel laut geworden, seit der König sich genötigt gesehen, Necker wieder einzusetzen, und der dritte Stand in verdoppelter Zahl auf die Reichsversammlung berufen ward, seit all diesen Vorgängen sagte sich das französische Volk, daß es nur aufzubegehren brauche, um seinen Willen durchzusetzen, und siegesgewiß harrte es des kommenden Tages.

In dem alten Renaissancehause, der einstigen Wohnung des Fürsten Guéméné, welches Ludwig der Sechzehnte seiner Schwester, der Prinzessin Elisabeth, zum Geschenk gemacht, standen zwei Frauen am Fenster und schauten auf die wogenden Volksmassen hinab.

»Wenn der Regen nur aufhören möchte,« sagte die Ältere, eine schöne, goldhaarige Erscheinung in der Mitte der Dreißiger, »solch trübe Witterung paßt schlecht zu dem Tage, da ein ganzes Volk Festtracht anlegt, und auch für die Stimmung wäre Sonnenschein besser.«

»Meinst du, Aimée,« sagte die Prinzessin, eine kleine, untersetzte Dame mit frischem, jugendlichem, aber durch seine allzu bourbonische Nase fast unschönem Antlitz, »mich bedünkt, auf die Stimmung haben Regen und Sonnenschein keinen Einfluß mehr. Wir sind zu weit vorgeschritten in einer unglückseligen Politik, wir haben zuviel versehen und versäumt, als daß der Glanz und Pomp und wenn's hoch kommt die stolzen Versprechungen eines einzigen Tages den Haß und die Bitterkeit des Volkes in Liebe und Frohsinn zu wandeln vermöchten.«

»Die Pariser sind rasch zum Hassen wie zum Lieben,« warf die junge Marquise ein.

»Sie sind es,« lautete die Antwort, »aber ich bleibe bei meiner Meinung. Unser Defizit an Können und Kraft – ich will nicht sagen an Wollen – ist zu groß. Selbst wenn das Volk morgen zufrieden sein sollte, was ich noch bezweifle, es bleibt nicht so, Aimée, es kann nicht so bleiben!«

»Sehen Eure Königliche Hoheit nicht gar zu schwarz?« sagte die schöne Frau bescheiden.

Die Prinzessin wandte sich vom Fenster ab und ließ sich, Aimée mit einer Handbewegung zum Sitzen einladend, auf einem Taburett nieder.

»Ich will dir etwas erzählen,« begann sie, »aber du mußt darüber schweigen. Es ist so traurig, so herzzerreißend traurig, daß ich's zuerst kaum glauben konnte,« fuhr sie, die aufquellenden Tränen gewaltsam zurückdrängend, fort, »und doch gibt's kaum etwas, das uns unser Verhängnis vor Augen stellt, wie diese Tatsache. Der Polizeipräfekt von Paris hat vor einigen Wochen die Königin davon in Kenntnis setzen müssen, daß sie sich nicht mehr in der Hauptstadt zeigen dürfe.«

Sie schwieg, Aimée blickte sie starr an.

»Mein Gott,« flüsterte sie, »mußte es dahin kommen?«

»Es sagt uns alles, nicht wahr?« sagte Elisabeth. »Ich sprach gestern mit Edgeworth Henri Allen Edgeworth de Firmont, Beichtvater der Prinzessin. darüber; auch er, der sonst so Hoffnungsvolle, schüttelte sorgend das Haupt, und seit ich ihn zweifelnd gesehen, ist auch mir der Mut gesunken. Meine arme Schwägerin ist nicht wiederzuerkennen,« fuhr sie traurig fort. »Krank und schwermütig hat sie sich seit einigen Tagen nach ihrem geliebten Trianon zurückgezogen, aber ich zweifle, daß sie in den Räumen voll froher, sommerlicher Erinnerungen das findet, was sie braucht. Es ist mir, als müßte sie dort stündlich daran gemahnt werden, daß eine Zeit im Leben kommt, wo die Blätter fallen, eine Zeit, wo uns Schlag auf Schlag trifft und das Glück vorüber ist, gibt's doch kaum größere Kontraste, als die Erinnerung an jene idyllischen Tage und die Stunden voll dunkler Ahnung in tiefer Verlassenheit, die sie heute durchkämpft! – Es ist der Kummer meines Lebens, daß ich die Königin nicht besser verstehe, daß ich ihr so wenig sein kann, obschon sie mir mit viel Liebe entgegengekommen ist. Aber wir sind gar zu verschieden, ich kann mich nicht in diesen grenzenlosen Leichtsinn hineinversetzen, ich kann's nicht fassen, daß man in solch sturmbewegter Zeit nicht Tand und Schimmer beiseite wirft und nach dem fragt, der allein unsere Hilfe in guten und bösen Tagen ist – nach Gott. Sie ahnt ja nichts von der Riesenaufgabe, von den Pflichten und Verantwortungen, die eine Landesmutter erfüllen soll. Sie trägt ihre Krone zum Vergnügen; daß sie sie von Gottes Gnaden tragen soll, weiß sie nicht – nein, nein, sag nicht, ich sei hart, es ist so, Aimée, und deshalb können wir uns nicht verstehen! Unsere Meinungen sind von Grund aus verschieden. Sie ist Habsburgerin, ich Bourbonin, das ist die Kluft, die unsere Häuser trennt, sie trennt auch ihre einzelnen Glieder. Marie Antoinettes ganze Interessen liegen in Österreich, sie vergißt, daß unser Volk ihr Volk geworden, daß ich selbst Elisabeth von Frankreich heiße!«

Sie hatte erregt gesprochen, ihre blauen Augen blitzten. Ein flehender Blick Aimées begegnete ihr, als sie zu der Freundin hinübersah.

»Meine holde Aimée kann's nicht begreifen, daß die Interessen zweier Völker zwei Menschenherzen voneinander scheiden,« sagte sie mit melancholischem Lächeln. »Ach, Liebling, das ist's ja nicht allein, die Hauptsache sind unsere Charaktere, die sich reiben und sich gegenseitig nicht verstehen. Weißt du,« fuhr sie, das Haupt senkend, leicht errötend fort, »außer den tausend Äußerlichkeiten, die uns trennen, ist's im letzten Grunde ein anderes, das uns nicht zueinander kommen läßt. Was mir das tägliche Brot ist, die tiefste, seelische Erquickung, die mein ganzes Sein erfüllt, die Religion – das ist meiner Schwägerin eine so gänzliche Nebensache, daß ich nicht warm werde in ihrer Gegenwart, daß ich mich abgestoßen fühle, so oft sie mir entgegenkommt.«

»Sie werden einander verstehen lernen, Madame,« sagte die Marquise, die Hand der Königstochter ergreifend und an die Lippen ziehend.

»Vielleicht in der Not,« flüsterte Elisabeth und schaute gedankenverloren in die glimmende Glut im Kamin, dann sah sie plötzlich auf: »Sei versichert, Aimée, es gehört zu meinen ersten Pflichten, diese Abneigung zu überwinden und mich zu bestreben, der Gemahlin meines Bruders Liebe und Verständnis entgegenzubringen,« sagte sie leise.

»Das weiß ich, Madame,« klang die ruhige Entgegnung, »und ich danke Euer Königlichen Hoheit aus tiefstem Herzen für das Vertrauen, dessen Sie mich gewürdigt!« Eine Träne hing an ihren Wimpern, in den schönen Augen lag ein feuchter Glanz.

Die Prinzessin strich über das lichte Haar. »Und ich danke dir für deine Liebe und Treue, Aimée! Du siehst es so gut wie andere, daß der Thron wankt, daß alle irdischen Stützen schwanken! Die Königin ist verlassen, ohne Halt steht sie da – ich möchte sagen, ohne Freund, mein armer Bruder ist, ich kann es nicht leugnen, zu schwach, um das französische Volk zu regieren, zu energielos, um angesichts solcher Wirrsale mit starker Hand zu retten, was zu retten ist – ich sehe die Sache sehr ernst an! Alle verlassen uns, wo ist die Schar der Höflinge von Versailles geblieben? Sie sind in alle Winde verweht, und die Frau, die ihr Glück in Glanz und Schimmer gesucht, steht vereinsamt. In solcher Zeit ist ein treues Herz ein Gottesgeschenk, Aimée, und ich bin aus tiefstem Herzen dankbar, daß ich dich habe!«

Die schöne Frau blickte ihr ins Antlitz.

»Haben Eure Königliche Hoheit jemals gedacht, daß es anders sein könnte? Ich bin die Tochter eines der ältesten Geschlechter, die zu Altar und Thron gestanden mit Gut und Blut, und ob die Hilaires seit den Tagen der Hugenotten der neuen Lehre zugetan sind, so sind wir doch in der Gesinnung für unser angestammtes Herrscherhaus dieselben geblieben. Ich bin das Weib eines der treusten Royalisten,« fuhr sie dunkel erglühend fort, »und bis zum letzten Blutstropfen gehört mein Herz meinem König.« Sie legte ihre schmale weiße Rechte, die den Ehering Gérard Sérévans trug, wie zum Schwur in die Hand der Tochter der Bourbonen.

Elisabeths Augen leuchteten hellauf, sie zog die Freundin ans Herz und küßte sie. »Gott sei Dank,« sagte sie, in Aimées Augen blickend, die ihr klar wie die eines Kindes entgegenstrahlten, »Gott sei Dank, daß uns noch Herzen schlagen, wie das deine!«

Aimée lehnte das Haupt an die Schulter der fürstlichen Freundin, keine von den beiden Frauen sprach ein Wort. Schweigend blickte das Königskind, das um seines schönen, südlichen Vaterlandes willen einsam geblieben, Elisabeth hatte alle Freier ausgeschlagen, um Frankreich nicht verlassen zu müssen. auf die blühende Gestalt der Jugendgespielin, die über dem lieblichsten Weibeslos ihrer großen Pflichten nicht vergaß, sondern Hand in Hand mit dem Manne, dem ihr Herz gehörte, unter dem Lilienbanner stand, Gott und ihrem König getreu bis zum letzten Blutstropfen.

Unter strömendem Regen war der Abend hereingebrochen, durch die Stille der Mainacht rauschte es unaufhaltsam, bis der junge Tag unter neuen, verheißungsvollen Zeichen anbrach: Die Wolken zerstreuten sich, der Horizont ward klar, und im Glanz der Morgensonne strahlte ein leuchtender Himmel über Versailles. –

Auf den Straßen und Plätzen drängte sich die Menge, aus allen Fenstern rings um den Dom, von den Balkonen und Erkern, ja, von den Dächern herab schaute das Volk, des Augenblicks harrend, da die Deputierten der drei Stände erscheinen sollten.

Von den Türmen schlug es zehn. Ein Gemurmel ging durch die Menge. Stallmeister, königliche Jäger und Pagen ritten voran. Ihnen folgte ein Galawagen. Zur Rechten des Grafen von Provence saß Ludwig der Sechzehnte, mit milder Leutseligkeit sein Volk grüßend, ihm gegenüber der Graf von Artois.

Lustig flatterten die wehenden Federbüsche der Rosse im Winde, auf den leuchtenden Farben, auf Gold und Edelgestein flimmerte die Sonne, und brausend grüßte das Volk von Frankreich den Souverän: » Vive le roi!« und wieder und immer wieder: » Vive le roi!«

Der Galawagen rollte vorüber, ein zweiter folgte. Kunst und Natur halten an diesem Tage ihre Gaben verschwendet, um Marie Antoinette zu einem Bilde unvergleichlicher Majestät und wunderbarer Schönheit zu gestalten. Aber alles blieb stumm, als sie vorüberfuhr, gleichgültig starrte das Volk in den Wagen, und ihr fragendes Auge begegnete finsteren, haßerfüllten Blicken.

Vor dem Portal der Domkirche stieg die königliche Familie aus und wartete im Chor, bis der Zug sich geordnet.

Bald darauf setzte sich die Prozession in Bewegung; Schweizer und Gardisten bildeten Spalier; wie durch eine Gasse schritt die Geistlichkeit von Versailles dem langen, glänzenden Zuge voran. Ihr folgte der dritte Stand, dessen Repräsentanten die Etikette von 1614 eine düstere, demütigende Tracht vorschrieb: schwarze schmucklose Gewänder und breitkrempige Hüte ohne Federn. Ein einziger unter ihnen machte eine Ausnahme, ein Arbeiter aus der Bretagne, welcher in der Tracht seiner Heimat erschienen war.

Brausender Jubel grüßte die schlichten Gestalten, die altbekannten Deputierten, jene Kräfte, auf die man baute und hoffte. Besonders als Mirabeau, der Freund des Volkes, vorüberschritt, erklangen nicht endenwollende Hochrufe, und der Mann aus edlem Geblüt, dem man soviel Gutes und soviel Böses nachsagte, blickte mit dem Ausdruck eines Siegers über die Massen; ein Lächeln ging über die auffallend häßlichen Gesichtszüge, freundlich nickte er den Nahstehenden zu.

Der letzte Volksvertreter schritt vorüber, die Freudenrufe verstummten. Verschwenderische Pracht folgte dem ernsten Bilde. Goldbrokat und Geschmeide wetteiferten mit wallendem Helmschmuck, mit der stolzen Samt- und Seidentracht eines vergangenen Jahrhunderts, dessen traditionelles Festkleid der Adel von 1789 angelegt. Hochmütig schaute die Ritterschaft über die Köpfe des trotzig verstummten Volkes hinweg, und ihre eisigen Mienen vermehrten die Bitterkeit. Nur einen grüßte die Menge freudig, den Herzog von Orléans, den Freund des Volkes, den erbitterten Feind der Königin und des französischen Hofes, der sich lieber unter den Deputierten seines eigenen Kirchspiels als in seiner Familie zeigte.

Hinter dem Adel schritt die Geistlichkeit des Landes in zwei Gruppen, die Bischöfe des Reiches und der niedere Klerus, Gardisten und Schweizer folgten, dem Mittelpunkt der Prozession voranreitend. Unter einem von den Prinzen des königlichen Hauses gehaltenen Baldachin trug der Erzbischof von Paris die Hostie, und umgeben von den höchsten Würdenträgern der Krone folgte der Herrscher im königlichen Schmuck dem Heiligsten, gleich allen übrigen ein Wachslicht in der Hand.

Dicht hinter ihrem Gemahl nahte Marie Antoinette an der Spitze der Prinzessinnen und Hofdamen.

Schwermütig schweifte ihr Blick über die starren, finsteren Gesichter zum Balkon des Schlosses hinauf, wo das Kind von Frankreich totenblaß und abgezehrt in den Kissen lag und mit halberloschenem Auge der Prozession folgte. Mit einem versteinerten Lächeln suchte die königliche Mutter ihren armen Kleinen, sie wußte, daß der bunte schimmernde Anblick seine letzte Erdenfreude war. – –

»Hoch der Herzog von Orleans!«

Brausend klang der Ruf ringsum, ein Haufen Fischweiber war aus Paris gekommen, um der Königin die Kränkung anzutun, ihrem bittersten Feind, der nicht zum wenigsten dazu beigetragen, den Volkshaß wider Marie Antoinette zu entfachen, eine Ovation zu bringen. Dreimal klang das Hoch auf den Volksaufwiegler, von schmutzigen, haßerfüllten Reden begleitet, und die Hefe des weiblichen Geschlechts drängte die ungeschlachten Gestalten dicht an die Herrscherin.

Der König schien die boshafte Demonstration nicht zu hören, er merkte es nicht, daß seine Gemahlin, die eine Strecke von ihm entfernt, von ihrem Gefolge umgeben, schritt, erbleichend stehen blieb, daß sie wankte.

Die Prinzessinnen stützten sie.

»Es lebe der König!« »Hoch die Königin!« riefen die Royalisten, eine Stimme in ihrer Nähe flüsterte: »Gedenken Sie daran, daß Sie Maria Theresias Tochter sind!« und halb besinnungslos raffte die unglückliche Frau die letzte Kraft zusammen und setzte mit majestätischer Würde, das diademgekrönte Haupt hoch erhoben, ihren Schmerzensweg fort.

Eine Stunde später lag sie in ihrem Schlafgemach im königlichen Schloß in Krämpfen. Ihr Kollier, ihre Armbänder zersprangen, in zitternder Hast durchschnitten die Kammerfrauen ihre Kleider, um ihr Luft zu schaffen. Dunkle Ahnungen ängstigten sie, sie sah ihr grauenvolles Schicksal voraus. Als der Anfall vorüber war, schaffte ihr ein Strom Tränen Erleichterung. Durch die Bogenfenster blickten die letzten goldenen Strahlen des scheidenden Sommertages; Rosen und Klematis schauten herein, und der Sommerwind zog lind durchs Gemach, wo ein totenbleiches Antlitz in den Kissen lag. In den Fensternischen saßen die Prinzessinnen des königlichen Hauses in ihrer goldgestickten, starren Hoftoilette, scheu blickten sie zur seidenen Bettstatt hinüber, wo die Königin wie ein Marmorbild ausgestreckt ruhte. Vergeblich suchte eine in den Augen der anderen Trost und Ermunterung; die furchtbaren Ahnungen, von denen jene weißen Lippen geredet, hatten alle Anwesenden mit Zentnerschwere belastet, keine der schönen Frauen, die bisher nichts als Glanz und Glück gekannt, wagte in diesem Augenblick, sich oder andere zu trösten. Das Entsetzen stand vor ihnen in unabweisbarer Härte und Nacktheit.

Und die Nacht brach herein, auf den Straßen ward es ruhig, nur der gleichförmige Ruf der Wächter klang durch die Stille, und die Nachtigallen schmetterten ihr sehnendes Lied in den Fliederbüschen. Linder Regen tränkte die Flur, leise regten sich die Blätter, als spräche ein Rauschen im Wald von vergangenen Zeiten.

Als die Sonne aufging, ward es lebendig auf Straßen und Plätzen; vor einer schmalen Seitentür des Schlosses versammelte sich eine Schar dunkel gekleideter Männer; ernst und streng war der Ausdruck der wetterbraunen, gefurchten Gesichter, es waren die Vertreter des dritten Standes, die sechshundert Auserwählten, denen das Volk bei der Prozession zugejubelt hatte. Endlich öffnete sich die bescheidene Pforte, um die Deputierten in den Saal voll königlicher Herrlichkeit einzulassen. Weit entfernt vom Thron nahmen sie die Plätze ein, die dem dritten Stand seine demütigende Stellung aufdrückten. Aber die Sympathie der Massen gehörte diesen Sechshundert, durch die schmale Tür war die Hoffnung des Volkes in die glänzende Versammlung eingedrungen.

Mit einer Ansprache voller Liebe und Güte für sein Volk, getragen von königlicher und landesväterlicher Gesinnung, von dem Wunsch und der Hoffnung beseelt, der Nation neues Glück und neue Stärke zu erwerben, eröffnete Ludwig der Sechzehnte die Reichsversammlung. An seiner Seite saß Marie Antoinette, ein Bild ernster Majestät und hinreißender Frauenschönheit. Fragend schweifte ihr Auge über die Versammlung, während die Rede des Königs Anhänglichkeit und Gerechtigkeit versprach, während Necker den Bericht über die Finanzverhältnisse verlas, und ihr schwermütiger Blick suchte in den tausend unbekannten Gesichtern die Gesinnung für den König und sein Haus zu lesen. Eine Träne stahl sich ihr brennend heiß ins Auge, sie neigte einen Augenblick das stolze Haupt.

Eine schwere Last lag auf ihrer Seele, die Vorahnung dunkler, drohender Zeit, als wüßte sie's, daß es das letztemal gewesen, daß sie im königlichen Schmuck vor ihr Volk getreten war.


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