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Drittes Kapitel
1773

Es lagen im goldnen Morgenlicht
Der Seine glänzende Wogen;
Die Rosen blühten im Sommerwind,
Da kam ein schönes, erlauchtes Kind
In die Tuilerien gezogen.

Es trug sein deutsches Herz ins Land
Und deutsche, edele Sinne;
Mit blauem Aug' schaut's still umher,
Als ob die Welt ein Märlein wär
Mit all ihrem Glanz und Minne.

Es schaut mich oft verstohlen an
Und blickt sich um aufs neue,
Als spräch's: Gib mir darauf die Hand,
Daß ich auch find im welschen Land
Die heilige deutsche Treue.

 

Es war an einem strahlenden Sommertage im Jahre 1773. Ein wolkenloser Himmel spannte sich wie ein lichtblaues Zelt über Frankreichs Hauptstadt, deren prächtiger Festschmuck sich glänzend von der klaren Schönheit abhob. Kostbare Teppiche und Fahnen zierten die Straßen, die Triumphbögen brachen fast unter der Fülle der Girlanden, das alte Tuilerienschloß aber trug seinen königlichen Lilienschmuck und ließ die silbergestickten Banner fröhlich im Sommerwind flattern.

Und das glutäugige, enthusiastische Volk drängte sich in schillernden Festkleidern in den Straßen, der Ankunft seines künftigen Herrschers wartend, der nach altem Brauch mit seiner Gemahlin an einem bestimmten Tage seinen feierlichen Einzug halten sollte.

Die am Hofe Ludwigs des Fünfzehnten spielenden zahllosen Intrigen hatten es bewirkt, daß der Einzug des kronprinzlichen Paares von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr hinausgeschoben wurde. Das Schloß zu Versailles war eine Stätte bitterer Parteikämpfe, elender Ränke und maßloser Machtbegierde. Als die noch nicht fünfzehnjährige Erzherzogin Maria Antonia im Jahre 1770 dem Thronerben Frankreichs die Hand zum Ehebunde reichte, teilte der Hof sich in zwei feindliche Lager, die miteinander um die Macht kämpften. Die eine, zu jener Zeit die mächtigste Partei, war die des Ministers Choiseul, desselben, der die Vereinigung seines Königshauses mit dem Hause Habsburg befürwortet, die andere führten der Kanzler Maupeon, die Gouvernante des Dauphins, Gräfin Marsan, und sein Lehrer, der ränkesüchtige Herzog von Vauguijon. Zwischen diesen beiden Parteien bewegte sich eine Menge kleiner Streber, intrigante, schlechtdenkende Persönlichkeiten, die, um Glanz und Gold buhlend, ein unwürdiges Dasein führten.

Der Herrscher selbst stand am Ende eines zerrütteten Lebens; sein Vorgänger, Ludwig der Vierzehnte, hatte das Wohl des Volkes seinem Ehrgeiz geopfert; er war seiner würdig. Die Schuldenlast des Staates wuchs unter seinem Régime auf tausend Millionen Taler, in den Distrikten La Marche und Limousin allein starben viertausend Menschen den Hungertod. Er aber verschloß sein Herz der Not, und den allgemeinen Unwillen ignorierte er. Er spielte leidenschaftlich; eine eigene Kasse, die er durch Spekulationen in Staatspapieren füllte, diente diesem Laster. Daneben ließ er sich vom willkürlichsten Despotismus leiten, ohne Scheu entledigte er sich mißliebiger Persönlichkeiten durch lettres de cachet, Geheime Verhaftungsbefehle. die Bastille war von Gefangenen überfüllt, Elend und Haß wuchsen von Tag zu Tage – verächtlich blickte das Volk zum Thron empor – der Glanz der Souveränität war erloschen. Und er sah das Nahen des Sturmes, aber sein Herz war fühllos geworden, und sein grenzenloser Leichtsinn täuschte ihn über die drohende Gefahr hinweg. »Die Monarchie wird wohl halten, solange Wir leben,« erwiderte er, als man ihn auf den wachsenden Volkshaß aufmerksam machte,» àprès Nous e déluge!« Diese Welt in Versailles, wo das Laster seine Wohnstätte aufgeschlagen, wo Intrige und Herrschsucht miteinander stritten, war die Heimat einer kaum zur Jungfrau erblühten Fürstentochter geworden, die im deutschen Elternhause nur das Gute kennengelernt, der man andere Gebote, andere Begriffe von Recht und Unrecht in die junge Seele gepflanzt hatte. Es war für ein kaum reifes Kind unmöglich, sich selbständig auf diesem schlüpfrigen Boden zu bewegen, ohne zu Fall zu kommen, und noch war Marie Antoinette keinen Monat in Versailles, als sie schon tausend Intrigen ausgesetzt war.

Ihre Mutter hatte ihr geraten, sich Choiseuls Partei anzuschließen, aber das genügte, um sie dem Haß und der Verfolgung der Gegenpartei auszusetzen. Man suchte ihre Popularität durch üble Nachrede zu untergraben, bevor dieselbe begonnen, andere strebten, Macht über sie zu gewinnen und scheuten keine Mittel. Die Töchter Ludwigs des Fünfzehnten, Adelaide, Victoire und Sophie, sahen schon, ehe sie das Land betreten, ihre bitterste Feindin in der künftigen Königin, und wenn sie der jungen Nichte auch äußerlich freundlich begegneten, haßten sie sie doch aus tiefster Seele. Von Jugend auf von ihrem Vater vernachlässigt und fern vom Hofe in einem Kloster erzogen, kannten die Königstöchter, als sie das zwölfte Jahr erreicht, kaum das Alphabet, und obgleich sich der damalige Kronprinz seiner Schwestern bei ihrer Rückkehr nach Versailles annahm, und sie selbst das Versäumte nachzuholen suchten, fehlte ihnen doch die fürstliche Erziehung, die Bildung des Herzens und jeder weibliche Takt. Als Marie Antoinette an den Hof kam, waren die Prinzessinnen alternde Jungfrauen Adelaide war 38 Jahre alt. und mit den gewöhnlichen Schwächen derselben behaftet. Sie waren empfindlich und anspruchsvoll, beschränkt und eifersüchtig und redeten gern Nachteiliges über ihre Mitmenschen. Unter dem Deckmantel der Frömmigkeit verbargen sie Herrschsucht und Intrigen, und besonders Adelaide ließ es sich angelegen sein, den neuen Stern, der sich am Horizont des Hofes zeigte, zu stürzen, und zog ihre Schlingen um die junge, unerfahrene Fürstin, die sich ihr als einer der nächsten Anverwandten ihres Gemahls zutraulich genähert. Eine gewisse Vertraulichkeit zwischen der Kronprinzessin und ihren Tanten, die das Leben ihres kleinen geschwätzigen Kreises dem Treiben des Hofes vorzogen, zeitigte böse Früchte. Marie Antoinette ließ sich in ihrem heiteren, sorglosen Sinne bald dazu verleiten, an den boshaften Verleumdungen der Prinzessinnen teilzunehmen, sie glaubte sich in dem kleinen, abgeschlossenen Kreise sicher und wog ihre Worte nicht ab. Aber bald war's hinausgetragen, was Frankreichs Kronprinzessin über hochstehende Persönlichkeiten geredet, und ebensobald war ihre Lachlust verschwunden. Marie Antoinette ward gleich den alten Prinzessinnen befangen, sie entzog sich, so weit es möglich war, ihrer Repräsentationspflicht und zeigte, wenn sie sich gezwungen sah, Cercle zu machen, ein scheues, linkisches Benehmen.

»Die Prinzessinnen lassen sich nicht daran genügen, die Kronprinzessin in Dingen zu beherrschen, die sie persönlich angehen,« berichtete der österreichische Gesandte an Maria Theresia, »sie dehnen ihre Herrschaft auch auf Personen aus, welche in ihrem Dienst stehen. Sie treten ihre Vorrechte mit Füßen und vernichten den bedeutenden Rangunterschied, welcher zwischen dem Hofstaat der Kronprinzessin und jenem der Prinzessinnen herrschen muß.«

Die Warnung, welche die große Kaiserin ihrer Tochter zugehen ließ, trug Frucht. Nach und nach löste Marie Antoinette die Bande, und nach wenigen Jahren hatten die Tanten ihre Macht verloren; wenn die Kronprinzessin bisweilen noch ihrem Willen folgte, geschah es aus Höflichkeit oder aus Furcht. Die alternden Damen ließen es jedoch nicht ungestraft geschehen, daß die Österreicherin, wie sie Marie Antoinette spottweise benannten, sich ihrem Einflusse entzog, und zeigten offenkundig ihren bisher heimlich gehaltenen Haß. Sie kritisierten ihre Nichte laut, jede Kleinigkeit gab Anlaß zum Gerede; sie suchten den ganzen Hof gegen sie aufzubringen. Und der leichte, flatterhafte Sinn der jugendschönen Frau gab den bösen Zungen täglich neuen Stoff. Verleumdungen und Intrigen jagten sich, und die Tanten wurden ein schwerer Stein des Anstoßes für Marie Antoinette; jedoch gab sie ihnen nicht ein zweites Mal nach. Der Haß der Prinzessinnen aber wuchs mit der Erkenntnis ihrer sinkenden Macht. Als sie es aufgeben mußten, die Herrschaft über die Kronprinzessin zu gewinnen, beschlossen sie, die Königin von Frankreich zu stürzen; und sie erreichten ihr Ziel.

Einige der ersten Schmähschriften, welche wenige Jahre später den Ruf der Majestät in den Staub zogen, waren in Bellevue Unter der Regierung Ludwigs des Sechzehnten bewohnten die Prinzessinnen das Schloß Bellevue. verfaßt – sie waren die Vorboten der Zeit, die, an Thron und Altar rüttelnd, der unglücklichen Frau das letzte nahm, das sie an ihre Königskrone erinnerte.

Lange vor der Hochzeit des Dauphins hatte Prinzessin Adelaide große Macht über den Prinzen Ludwig besessen. Sie hatte ihm fast die Mutter ersetzt und die einsame Jugend des scheuen, linkischen Kindes versüßt. Noch als König hielt er viel von ihrem Rat und Urteil. Sie war es, die dem Jüngling die aus einer Verbindung mit dem Hause Habsburg erwachsenden Gefahren vorstellte, die ihm halbvergessene Familienerinnerungen wachrief; sie nannte geringschätzig den Namen Choiseuls, der seinen Vater wie ein unmündiges Kind behandelt habe. Sie flüsterte ihm jenes alte Gerücht ins Ohr, danach sein Vater einer Vergiftung erlegen, und fügte hinzu, daß man den Minister verdächtige, seine Hände bei dieser Affäre im Spiel gehabt zu haben. Sie war es auch, die den Kronprinzen, welcher der natürliche Beschützer und Führer seiner jungen Gemahlin hätte sein sollen, auf jede Weise derselben fernzuhalten suchte. Er ward mit vierzehn Jahren Dauphin, mit sechzehn Jahren vermählt. Sein schwankender, schwacher Charakter bedurfte einer festeren Stütze, als ein vierzehnjähriges Kind sie ihm bieten konnte. So fand keines am anderen den nötigen Halt, und Prinzessin Adelaide war's eine leichte Mühe, bei jeder Gelegenheit zwischen das kronprinzliche Paar zu treten. Sie trug einen großen Teil der Schuld daran, daß Ludwig und Marie Antoinette sich in den ersten Jahren ihrer Ehe fremd und kühl gegenüberstanden; und als sie einander endlich verstehen lernten, war es noch immer die alternde Königstochter, die, soviel es in ihren Kräften stand, ihren gefährlichen Einfluß geltend machte.

Die Urheber der Verzögerung des Einzuges des Kronprinzenpaares sind unter diesen Umständen leicht zu erkennen. Mit finsterem Blick schauten die Töchter des fünfzehnten Ludwig dem Galawagen nach, der den Dauphin und seine Gemahlin nach Paris führte, und Adelaide biß sich die Lippen wund, als sie sich wieder über den Stickrahmen beugte.

»Du sollst es noch einsehen lernen, Österreicherin, daß du nicht unseres Geschlechts bist!« murmelte sie mit umwölkter Stirn.

Die Traditionen ihres Hauses, die Geschichte ihres Landes hatten einen unversöhnlichen Haß gegen alles, was Habsburg hieß, großgezogen. – – –

Indessen war das Kronprinzenpaar in Paris mit nicht endenwollendem Jubel empfangen worden. Die strahlende Schönheit Marie Antoinettes, ihre hinreißende Anmut und graziöse Liebenswürdigkeit bezauberten jedermann und gewannen ihr aller Herzen im Sturm; denn noch hatten die zersetzenden Mächte am Versailler Hofe nicht so weit gesiegt, daß das Volk von Frankreich an der Herzensreinheit und der edlen Gesinnung der jungen Fürstin zweifelte, und jeder, der ein Lächeln, einen Gruß von ihr empfing, pries sich glücklich. Man warf sich vor dem Galawagen, der im Gedränge kaum vorwärts kam, nieder, küßte die Hände der künftigen Herrscherin und streute ihr Rosen und Lilien. Es war ein Jubel, ein Hochrufen ohne Ende. Bis in die Tuileriengärten, bis in die königlichen Gemächer hinein war es voll von fröhlichen, begeisterten Menschen.

Fast erschrocken blickte Maria Theresias Tochter, auf den Balkon hinaustretend, auf die ungeheure, zu ihren Füßen wogende Menge. Da wandte sich der Bürgermeister von Paris ehrerbietig zu der schönen Frau und sagte, sich tief verneigend: »Madame, ich hoffe, daß es dem Kronprinzen nicht mißfällt, aber da unten stehen zweimalhunderttausend Menschen, die in die Person Eurer Königlichen Hoheit verliebt sind!«

Der Kronprinz kannte keine Eifersucht. Die allgemeine Begeisterung hatte ihn mit fortgerissen, die Schönheit seiner jungen Gemahlin übte auch auf ihn ihren Einfluß, und seine gewöhnliche Verlegenheit und Ungeschicklichkeit überwindend, erwiderte er würdig und gewandt die Ansprachen, die ihm gehalten wurden. Voller Hoffnung blickte man auf das künftige Herrscherpaar. Die traditionelle Liebe des Volkes zum Königshause war unter Ludwig dem Fünfzehnten fast erloschen, man wußte nicht mehr, wem man seine Verehrung zuwenden sollte. Um so freudiger ward daher der neue Stern begrüßt, der in der lieblichen österreichischen Kaisertochter erschienen war, und aus vollem Herzen huldigte die Nation der künftigen Landesmutter.

Marie Antoinette aber rührte der grenzenlose, allgemeine Jubel, helle Freudentränen schimmerten in ihren Augen. Sie legte den Arm in den ihres Gemahls und wanderte mit ihm durch die Menge. Und die Hochrufe klangen, ein nicht endenwollender Blumenregen fiel auf ihren Pfad, und Frankreichs Nationalhymne klang feierlich durch die Laubengänge der Tuileriengärten. – – –

Es war spät geworden, als das kronprinzliche Paar nach Versailles zurückkehrte. Ungeduldig und verstimmt harrte der alternde König der Enkel. Er war längst nur Haß und Verachtung von seinem Volke gewohnt und dachte nicht an die Möglichkeit eines Empfanges, wie er dem Dauphin und seiner Gemahlin zuteil geworden. »Ich war euretwegen unruhig, Kinder,« sagte er, als sie ihn endlich begrüßten, »ihr müßt müde sein!«

»Es war der schönste Tag unseres Lebens,« erwiderte die Kronprinzessin, den weißen Sammetmantel zurückschlagend und sich an seiner Seite niederlassend; dann fügte sie, in das mißtrauische Greisenantlitz blickend, mit ungewohnter Vorsicht hinzu: »Die Pariser müssen Eure Majestät sehr liebhaben, sie machten gar zu viel Wesens aus unserer Ankunft!«

Der König schien ihre Worte zu überhören; zerstreut weilte sein Auge auf den funkelnden Steinen, die den zarten Hals und das prachtvolle, weiße Festkleid zierten – es war seine Hochzeitsgabe an die Braut des Enkels. Der Dauphin schien keinen Blick für den kostbaren Schmuck zu haben. Aus dem Rosenbukett an der Brust der jungen Frau waren zwei dunkle Knospen zur Erde gefallen. Ludwig bemerkte es und gab sie seiner Gemahlin zurück. Mit lieblichem Lächeln dankte sie ihm und steckte die Blumen über Perlen und Brillanten an ihren alten Platz – es waren die Rosen, die das Volk von Frankreich seiner künftigen Königin gestreut.

*

Jener triumphreiche Sommertag schuf eine Umwandlung im Leben des kronprinzlichen Paares, die Prinzessin Adelaide vorausgesehen haben mochte. Die Stellung Marie Antoinettes besserte sich, und das Verhältnis der jungen Gatten ward ein vertraulicheres. Ludwig begann sich von jener einnehmenden Frauengestalt, die man ihm zugesellt, angezogen zu fühlen, während sie seine Charaktereigenschaften kennen und schätzen lernte. Die großen, inneren Schwierigkeiten, die, außer vielen ins Auge fallenden äußerlichen, ihr Glück hinderten, verloren allmählich ihren Stachel und schwächten sich ab, wenn auch wohl zeitlebens, besonders für die junge Königin, vieles zu überwinden blieb, und manches erst seine Ausgleichung fand, als die Not das Innerste der Herzen offenbarte. Wohl selten hat es Charaktere gegeben, die schroffere Gegensätze bildeten, als dieses fürstliche Paar. Es war nichts in ihnen und an ihnen, das von vornherein harmoniert hätte, widerstreitende Rassen und Charaktere, widerstreitende Meinungen und Geschmacksrichtungen, Wünsche und Gefühle begegneten und rieben sich auf Schritt und Tritt. Marie Antoinette war von Natur warm und enthusiastisch, lebhaft und frohen, oft gar zu sorglosen Sinnes und hatte ein elegantes, leichtes Auftreten. Allem Schönen hold, liebte sie es, sich damit zu umgeben, und die vollständige Gleichgültigkeit des Kronprinzen für sein Äußeres war ihr ein Stein des Anstoßes. Er war träge, kühl und linkisch, und selbst seine Freundlichkeiten hatten etwas Plumpes, Ungehobeltes und entbehrten eines gewissen Reichtums der Gefühle und Ausdrucksweise, darauf seine Gemahlin Wert legte. Seine einzigen Passionen waren die Jagd und das Schmiedehandwerk. In einem Turm, den er zur Ausübung des letzteren erbauen ließ, verbrachte er mit dem Schmiedegesellen Gamain seine Tage, überanstrengt und mit schmutzigen Händen kam er aus der Werkstätte, und die Höflinge sahen mit spöttischen Mienen auf den Erben der Krone, der das Reich der Schönheit mied. Das Volk aber setzte seine Hoffnung auf den Jüngling, den es › le désiré‹ nannte.

Ludwigs ganzes Äußere entsprach seinem Wesen, seiner letztgenannten, bürgerlichen Passion. Er war klein und unansehnlich, sein Haar, das er die Gewohnheit hatte mit den Händen zu durchfahren, stets verwirrt, seine Stimme rauh. Der Kopf war hübsch, die Haltung desselben würdig, aber die hervortretenden, glanzlosen, kurzsichtigen Augen gaben ihm etwas Unsicheres und Ungewandtes, das durch seine Verlegenheit noch erhöht wurde. Es war das erstemal, daß er etwas aus sich herauskam, als er im Sommer 1773 in Paris einzog. Der nicht endenwollende Jubel des Volkes, dem beim Anblick des jungen Paares der Glaube an kommende bessere Zeiten wieder erwachte, die begeisterten Huldigungen, welche die Kronprinzessin empfing, stärkten sein Selbstvertrauen und gaben ihm unbewußt eine würdige, sympathische Haltung. Voller Freude berichtete Marie Antoinette darüber nach Wien, als sie der Kaiserin den Einzug schilderte.

So hatte dieser Tag trotz der großen, inneren und äußeren, bleibenden Verschiedenheiten und Schwierigkeiten doch eine Wendung zum Besseren angebahnt. Wäre des Dauphins Charakter weniger schwach und Marie Antoinette weniger leichtsinnig, wäre der Thron, den sie besteigen sollten, nicht der morsche, schwankende des fünfzehnten Ludwig gewesen, der helle, sonnige Sommertag in den Gärten der Tuilerien hätte vielleicht edle Frucht gezeitigt – aber am politischen Horizont standen Wetter, die kein Menschenmund mehr bannen konnte.

» Après Nous le déluge!« hatte Ludwig der Fünfzehnte in frevelhaftem Egoismus gesprochen, und die entsetzliche Wahrsagung sollte in Erfüllung gehen.


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