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Drittes Kapitel
Die Oktobertage

Du holde, königliche Frau,
Ich beuge das Knie vor dir!
Die Ehre, den letzten Tropfen Blut,
Das Leben weihe ich dir!

Das Lilienbanner trage ich stolz
Vor Frankreichs Männern her
Und streite für meine Königin,
Für des Vaterlandes Ehr!

Und färbt mein letzter Tropfen Blut
Die Erde scharlachrot,
So fall ich als ein Kavalier
Und hoff auf Gnad bei Gott.

 

In den Gärten von Versailles glühten die Trauben, klar und durchsichtig leuchtete der Himmel über dem südlichen Lande, und die Rosen unter den Fenstern der Herrscherin entfalteten noch einmal ihre ganze sommerliche Pracht, als gälte es Abschied zu nehmen von der schönen Frau, die so still und gedankenvoll im Erker saß, ihr Königskind in den Armen.

Kein Laut ging durchs Gemach, der Knabe spielte mit einer halbentblätterten Rose, während die Königin ihren Gedanken nachhing, trüben Gedanken voll Not und Anklage, voll fassungslosen Jammers. –

Und draußen fielen die Blätter.

Sie sah hinab, wie eins nach dem anderen vom Stamm flatterte, wie der Herbst der stillen Erde das goldgelbe Seidenkleid wob, wie sie zum letztenmal jungfräulich geschmückt im Sonnenglanze dastand – bis der Winter mit rauher Werbung kam, den Tod im Geleite – sie schauerte fröstelnd zusammen – wie glich doch dies Scheiden und Vergehen ihrem Leben!

Es pochte. Ein Page meldete die Marquise von Sérévan. Gleich darauf trat Aimée, von zwei Hoffräulein begleitet, ins Gemach und verneigte sich tief vor der Majestät.

Marie Antoinette setzte den Kleinen auf den Teppich und empfing die Damen mit ihrer alten, anmutigen Freundlichkeit.

Aimée kam als Bittstellerin. Drüben im Opernsaal des Schlosses gab die Leibgarde dem Regiment Flandern ein Fest. Der Wunsch, die Majestäten daselbst als Mittelpunkt zu sehen, war immer lebhafter geworden, und am Ende hatte man sich entschlossen, einige Gardedukorps zu den Hofdamen Marie Antoinettes zu schicken, mit dem Ersuchen, dem Herrscherpaar ihren Wunsch vorzutragen.

Aimée, die gerade bei den Hofdamen war, wurde gebeten, sich als Gemahlin eines Gardedukorps der Deputation anzuschließen und im Namen des Regiments die Königin zu bitten, auf dem Feste zu erscheinen.

Frau von Sérévan zauderte, aber endlich gab sie dem Drängen der Offiziere nach und überbrachte Marie Antoinette die Einladung der Elitetruppe.

Auch die Königin schwankte, obschon sie gern gegangen wäre. Sie träumte von einem letzten Rest alter Königstreue und lullte sich, wie so oft schon, in den Glauben ein, daß noch nicht alles verloren sei, daß Frankreichs Ritterschaft zusammentreten werde, wie ein Mann für Altar und Thron zu kämpfen. Sie ahnte es nicht, wie sehr sie sich verrechnete.

Während sie noch mit ihren Damen über das Für und Wider sprach, kehrte Ludwig von einem Jagdausfluge zurück. Von den Kavalieren bestürmt, trat er halb entschlossen in das Gemach seiner Gemahlin, und als auch diese ihn nicht zurückhielt, gab er endgültig nach, und bald darauf machte sich die königliche Familie auf den Weg.

Brausender Jubel empfing sie. Alles vergessend scharten sich Offiziere und Mannschaften um die Majestäten, aller Blicke ruhten auf der Königin, welche, den Dauphin an der Hand, an der Seite ihres Gemahls stand. Tränen hingen an ihren Wimpern, während sie sich lächelnd nach allen Seiten verneigte, in ihrer stillen Trauer hinreißender denn je.

Rosen und Lilien fielen zu ihren Füßen nieder, die Kavaliere zogen die Säbel. Die rotblauen Kokarden wurden von den Uniformen entfernt, die Damen trennten weiße Seidenbänder von den Kleidern, und das Symbol der Bourbonen trat an die Stelle der Volksfarben.

Das Orchester setzte ein – weich und sehnsüchtig klang des treuen Blondels Lied aus Gretrys »Richard Löwenherz« von den Galerien nieder, und die große, glänzende Versammlung stimmte wie aus einem Munde ein:

»O, Richard, o, mein König,
Ob dich die Welt verläßt,
Ich bleib dir treu!«

Wie ein heiliger Schwur brauste das Lied von der britischen Königstreue durch die Reihen, und die tränenschweren Augen Marie Antoinettes leuchteten Frankreichs Ritterschaft entgegen, die, aufs Schwert gestützt, Leben und Ehre für ihr Herrscherhaus einzusetzen versprach. Die wachsende Begeisterung berauschte sie, der Glaube an das altehrwürdige Vasallentum, an die unentwegte Treue zu Altar und Thron, die das Reich befestigt und das Königtum auf seine souveräne Höhe gestellt hatte, erstarkte aufs neue in ihrer Seele und verlieh ihr einen Mut, der sie die Größe der Gefahr, welche diese leidenschaftliche Ovation hervorrufen mußte, verkennen ließ.

Ludwig schien durch die ungewohnten Huldigungen mehr überrascht als erfreut, aber er hatte nicht die Energie, die heißen Schwüre der Ergebenheit und Treue zurückzuweisen. Er täuschte sich lieber über die Gefahr hinweg, als sich und anderen einen peinlichen Augenblick zu bereiten.

Endlich verließen die Majestäten den Festsaal, von den Regimentern unter wachsendem Jubel begleitet. Mit strahlenden Augen lauschte Marie Antoinette den Huldigungen, fragend schaute das Kind von Frankreich umher, die zarte Gestalt scheu an die Mutter geschmiegt.

Am Ausgang stand ein hochgewachsener Mann, eine schlanke, edle Erscheinung, einen Zug tiefer Melancholie in dem edlen Antlitz. Als die Königin vorüberkam, verneigte er sich tief, mit dem Ausdruck bitteren Schmerzes ruhte sein Auge auf ihr, aber sein ganzes Wesen atmete jene vornehme Zurückhaltung, die dem Edelmann von Geblüt eigen ist. Da verhielt die Frau im Diadem den Fuß und reichte ihm die Hand zum Kuß.

»Graf Fersen,« hauchte sie, »ich wußte es, daß Sie zu unseren Getreuen zählen!«

»Bis in den Tod, Majestät!« klang ebenso leise die Antwort des Kavaliers.

Sie neigte ernst das Haupt, als sei ihr die Last der Juwelen zu schwer, und der alte Zug schmerzvoller Ahnung lagerte auf ihrem Antlitz.

Langsam schritt sie weiter. Jubelnd umbrauste sie Blondels Lied, aber die Tränen rannen ihr unaufhaltsam über die Wangen. Sie waren am Ziel. Ein letztes Grüßen, ein letztes Säbelklirren, ein letzter, nicht endenwollender Schwur heiliger Königstreue, und die Majestäten begaben sich in ihre Gemächer. Blondels Lied auf den Lippen kehrten die Regimenter in den Festsaal zurück, wie ein Schwanengesang des sterbenden Königtums zogen die weichen Klänge durch die sternklare Herbstnacht, hinüber zu den stillen Fenstern im jenseitigen Flügel des alten Schlosses, wo das Kind von Frankreich von den weißen Lilien der Bourbonen träumte.

Bis spät in die Nacht währten Reigen und Becherklang; die Toaste nahmen einen drohenden Charakter an, immer wilder wurden die Mannschaften, der Wein tat seine Schuldigkeit. Bis zum Morgen währte die zügellose Freude, dann ward es still im Marmorhof, die Schwüre der Königstreue waren verhallt, Blondels Lied verklungen.

Als die Mittagssonne über Paris stand, war das Fest der Offiziere Tagesgespräch. An allen Straßenecken sammelten sich Volkshaufen und erzählten sich, man habe bei lukullischem Mahle die Not des Landes verhöhnt und beschlossen, die Reichsversammlung zu sprengen und die Volksvertreter zu hängen. Von Mund zu Munde ging's, Marie Antoinette habe keinen anderen Gedanken mehr, als die Begebenheiten des 14. Juli zu rächen.

*

So fand der Fehltritt, aus Unbedachtsamkeit und Sorglosigkeit getan, seine Strafe. Das Volk hatte nur auf einen derartigen Anlaß gewartet, um seiner Wut die Zügel schießen zu lassen.

Am 5. Oktober brach der Aufruhr los.

Marie Antoinette war ihrer Gewohnheit gemäß früh am Nachmittage, nur von einem Kammerdiener begleitet, nach Trianon gewandert. Die Sonne hatte sich hinter den Wolken verborgen, grau hing der Himmel über der herbstlichen Erde.

In einer Grotte saß die Königin auf der Moosbank und blickte gedankenverloren auf die fallenden Blätter. Einsamer denn je war ihr ums Herz, und die leergewordene Stätte ihres Lieblingsaufenthaltes gemahnte sie an ihr verlorenes Glück. Seit sie Marie Thérèse, ihre treuste und aufrichtigste Freundin, ziehen ließ, seit man ihr die kleine Sophie Beatrice begraben und der hoffnungsvolle Thronerbe dahingesiecht war, hatte sie Schlag auf Schlag getroffen, das Unglück war über sie hereingebrochen wie ein Unwetter, eine Stütze nach der anderen sank dahin.

Drohend blickte der Himmel herab, die ersten schweren Tropfen fielen zur Erde.

Sie erhob sich. Da eilte ihr ein leichter Schritt entgegen. Durch die Büsche schimmerte die scharlachfarbene Seidentracht eines Pagen. Marie Antoinette ging hastig auf ihn zu, mit tiefer Verneigung überreichte er ihr einen Brief.

Zitternd zerriß sie den Umschlag und las den Inhalt des Schreibens: »Das Volk von Paris ist auf dem Wege nach Versailles. Die Stadt ist in Verwirrung. Auf dem Wege zum königlichen Schlosse sieht man die ersten Bewaffneten, in einer Stunde werden sie die Gittertore des Palastes zu erstürmen suchen.«

Als könne sie die Worte nicht fassen, blickte die hohe Frau auf die knappen Zeilen nieder, dann raffte sie sich empor und brach nach Versailles auf. – – – – – – – – –

Und dann kam jener entsetzliche Tag, da Maria Theresias Tochter halb nackend aus ihrem Gemach fliehen mußte, an der Leiche des treuen Leibgardisten, der vor ihrer Tür die Wacht gehalten und für seine Königin geblutet, vorüber, nach den Zimmern des Königs, jener furchtbare 6. Oktober, da das vertierte Volk, das Leben der Herrscherin fordernd, den Palast umlagerte und drohte, Versailles nicht eher zu verlassen, bis es die Österreicherin gesehen.

Und nach hartem Kampf gab sie dem Drängen des Pöbels, den Bitten Lafayettes, der zum Schutz der Königsfamilie an der Spitze der 20 000 Mann starken Nationalgarde in Versailles eingerückt war, nach und trat allein auf den Balkon hinaus, zu den Füßen die starrenden Piken und drohend erhobenen Bajonette. Ein schlichtes Morgengewand umfloß ihre königliche Gestalt, kein Diadem zierte die reine Stirn, in langen seidenen Wellen hing ihr lichtes Haar auf Brust und Schultern herab. Die Lippen zusammengepreßt, das Haupt erhoben, stand sie da und schaute, die Hände über der Brust gefaltet, dem Tode ins Antlitz. Hunderte von Gewehren waren auf sie gerichtet, ein Mann zielte, wagte aber nicht zu schießen. Regungslos, wie ein Marmorbild, verharrte sie in ihrer Stellung – zwei Minuten lang – es dünkten sie Jahre.

Da küßte ihr Lafayette, der an die Seite der hohen Frau getreten war, die Hand. Eine Bewegung entstand unten im Volk. Die Stimmung schlug um. Die Wut der Massen wandelte sich in Bewunderung ihres Mutes.

»Hoch der General! Hoch die Königin!« klang es herauf. Aber Marie Antoinette hatte es längst verlernt, an die Gunst dieses Volkes zu glauben, und ihr Mißtrauen täuschte sie nicht. Kaum hatte sie den Balkon verlassen, als neues Geschrei ertönte, neue Forderungen laut wurden. Eine Stunde später verließ die königliche Familie Versailles, von heulenden, fluchenden Horden begleitet. Sechs lange Stunden fuhren sie im Schritt nach Paris, das blutgierige, leidenschaftliche Volk zu beiden Seiten des Wagens, lärmend und Gewehrschüsse in die Luft feuernd. Bleich, aber gefaßt saß Marie Antoinette da, den kleinen, vor Angst und Hunger weinenden Dauphin auf den Knien. –

Freundlich neigte sie sich bisweilen aus dem Fenster und redete mit den Fischweibern, die sich in Beleidigungen erschöpften, und ihr Mut und ihr Liebreiz zwangen mancher der rohen Kreaturen Mitleid und Bewunderung ab. Ein einziges Mal schaute sie nach Versailles zurück, der Stätte ihres Glückes und ihrer Schmerzen; eine Ahnung sagte ihr, sie werde es nie wiedersehen.

Die Tränen verbergend, schmiegte sie das Antlitz an die Wange des Dauphins. Liebkosend streichelte das Händchen des müden Kindes die Mutter, fast erschrocken weilten die großen Augen auf den stillen, versteinerten Zügen, auf dem lockigen Haar, mit dessen goldener Fülle es so oft gespielt; es war weiß geworden in der Stunde, da das Volk ihr Blut gefordert. Madame Campan sagt in ihren Memoiren, das Haar der Königin sei während der Rückreise von Varennes weiß geworden. Montjoye erzählt in seiner Geschichte Marie Antoinettes, daß es in den Oktobertagen 1789 geschah, und das letztere scheint das Glaubwürdigste, weil Montjoye seine Geschichte in einer den Ereignissen näher liegenden Zeit schrieb, als Madame Campan. Außerdem ist es bezeichnend, daß Graf Fersen, als er im Februar 1792 die Königin wiedersah, diese Veränderung in seinen Memoiren nicht erwähnt: Wenn er nicht schon früher das weiße Haar Marie Antoinettes gesehen, hätte es ihm auffallen müssen, und er hätte die Tatsache gewiß angeführt.

Eine dumpfe Resignation war über sie gekommen. Mit wachsender Bestimmtheit sagte sie sich, daß der 14. Juli Erstürmung der Bastille. ihr die Stunde der Errettung hätte bringen können. Der Augenblick war versäumt, er kehrte nicht wieder – es war zu spät.


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