Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel
Gelbe Rosen

Wirf nur herab vom Brückenrand
Der Rosen duft'ge Fülle!
Sorg nichts – ich weiß, sie sind nicht mein –
Ich hab ein blondes Schwesterlein –
Sei still, mein Herz, sei stille!

Die Hände falt ich auf der Brust
Beim Avemaria-Läuten!
Einst hab ich um mein Glück gefleht –
Jetzt weiß ich nimmer mein Gebet –
Mein Herz, was soll's bedeute»?

 

Novembernebel lag über Paris. Ein naßkalter Wind zog durch die Straßen und trieb ein Heer von Flocken durch die Lüfte. Um Giebel und Erker zog es klagend und pfeifend, und wen die Not nicht hinaustrieb, der blieb daheim am Kaminfeuer sitzen und wärmte sich an der Glut. Aber manch Heimatloser irrte frierend durch die Straßen der Weltstadt, vergeblich nach einem Asyl spähend, und grollend schüttelte die Armut die Fäuste unter den kerzenhellen Fenstern der vornehmen Welt, die weder Not noch Kälte kannte und einen Tag wie den andern in Genuß und Frohsinn dahinlebte.

Im Faubourg St. Germain war das Hotel Sérévan hell erleuchtet. Elegante Karossen hielten am Portal, Bedienstete eilten die Stufen herab und öffneten den Schlag, Damen des Hofes und der vornehmsten Kreise schritten an der Seite der Kavaliere die Treppen hinan in die hohen, strahlenden Gemächer, wo eine schöne Frau in silbergrauem Sammet und kostbarem Brillantschmuck anmutig die Honneurs machte. Frau von Sérévan war nicht mehr jung, aber sie besaß jene natürliche Grazie, die sich an die Jahre nicht kehrt, jene innere Schönheit des Geistes und Herzens, die nicht altert und das Verschwinden des äußeren Liebreizes vergessen läßt. Ihr Gemahl war vor drei Jahren gestorben. In ihrer tiefen Witwentrauer hatte die Marquise sich lange Zeit ganz von allem Verkehr zurückgezogen und nur ihren Kindern gelebt. Aber ihre Töchter wuchsen heran, ihr einziger Sohn und Erstgeborener, ein junger, lebensfroher Offizier der Elitetruppe, hatte sie wiederholt mit Bitten bestürmt, ihre Salons wieder zu öffnen und seine schönen Schwestern bei Hofe vorzustellen, und die liebevolle und pflichtgetreue Mutter gab ihm nach und versprach ihm, mit der kommenden Saison Margot und Héloise der Kronprinzessin zu repräsentieren und ihr Haus der Geselligkeit wieder zu öffnen.

Bei allem Frohsinn und aller Lebenslust hatte der junge, bildhübsche, von aller Welt verzogene Gardeleutnant seiner Mutter nie einen Kummer bereitet. Mit Sorgen hatte die alleinstehende Frau ihn dem Wunsche des sterbenden Vaters und den Traditionen ihres Hauses entsprechend in das Elitekorps eintreten sehen, aber diese Sorge war längst vergessen. Gérard bewahrte sich sein reines, klares Gemüt und war bei all seiner Jugendlust und Frische, die ihm in so hohem Grade die Liebe seiner Vorgesetzten und Kameraden erworben, doch nie leichtsinnig. Wohl war die Versuchung wie an jeden anderen auch an ihn herangetreten, aber er hatte der mahnenden Abschiedsworte des Vaters, der geliebten vereinsamten Mutter gedacht und auf die Stimme seines Gewissens gehört. Er hatte sich das erste- und zweitemal stark gezeigt und sich den verlockenden Stimmen verschlossen, und allmählich fanden sich diejenigen seiner Kameraden darin, die es nicht scheuten, für nicht ganz einwandfrei zu gelten, und gaben es auf, Gérard Sérévan in ihre Netze zu ziehen. Aber trotz seiner soliden Ader verachteten ihn auch die Leichtsinnigsten nicht; sie lernten im Gegenteil die Festigkeit des Jünglings achten, der bei allem Ernst, aller Pflichttreue doch der frische, fröhliche Kamerad war und blieb, der Kavalier in Gesinnung und Tat, der den letzten Tropfen Blut für Frankreichs Ehre vergossen haben würde, der, von jedermann verwöhnt, bescheiden blieb und selbst dann das Haupt nicht höher trug, als ihn die schöne Kronprinzessin vor allen anderen auszeichnete. Der junge Marquis hatte sich ein wahrhaft kindliches Gemüt bewahrt, die Liebe zu seiner Mutter begleitete ihn durchs Leben wie ein Amulett, ohne seine Entwicklung zum Manne verweichlichend und beengend zu beeinflussen. Die einfache, protestantische Erziehung hatte einen festen, klaren Grund in den Sérévanschen Kindern gelegt und eine Erkenntnis gezeitigt, die ihnen in jeder Lebenslage Nutzen und Segen bringen mußte. Der verstorbene Marquis und seine Gemahlin waren trotz allem sie umgebenden Glanz und Reichtum schlicht und anspruchslos und hatten ihre Kinder in diesen Grundsätzen erzogen. Im Gegensatz zu dem damaligen Leben am Hofe, wo Genußsucht und Verweichlichung die erste Rolle spielten, war das Hotel Sérévan eine Stätte vornehmer Einfachheit und ehrwürdiger Sitten, eine Stätte, da man sich noch mit Kindern und Gesinde um die Bibel scharte und dem zersetzenden Gespött leichtsinniger Zeitgenossen mit unnachsichtiger Schärfe die Tür wies. Manch einer scheute dies Haus, um der Reinheit willen, die darin herrschte, andere suchten ihre Erfrischung und Stärkung daselbst, wenn der Trunk aus dem Giftbrunnen ihnen zum Ekel geworden – aber wie man auch über das Christentum dieses vornehmen Geschlechts dachte, kein einziger hätte es gewagt, dem frommen Royalisten, der das Oberhaupt desselben war, anders, als mit der größten Ehrerbietung zu begegnen. Ja, manch einer mochte es im stillen beklagen, daß er zu tief in die Sünden des Hofes und die sinnenberauschende Lust seiner Zeit verstrickt war, daß sein Auge den schmalen, klaren Pfad nicht mehr verfolgen konnte, daß jenes helle Ziel sich im Dunst seines Lebenswandels, in täglich neuer Niederlage verlor. Wie eine feste Burg erschien ihm das Haus, das seit den Tagen der Hugenotten treu zu Luthers Lehre gestanden, aber der Weg der Umkehr war zu dornenvoll und entsagungsreich für das Kind der Welt, das in vollen Zügen den Becher der Lust getrunken. – –

Von ihren Kindern umgeben, empfing die Marquise ihre Gäste; Gérard vertrat den Hausherrn, und wie ein Kranz duftiger Rosen umgaben die drei Schwestern die Mutter, die noch immer die schönste unter ihnen war. Die beiden Ältesten, Margot und Héloise, zwei schlanke, elegante Erscheinungen in weißer Seide, waren der vornehmen Welt schon bekannt, aber Frau von Sérévans Jüngste, die liebliche Blanche, feierte heute ihr Debüt. Es war ein eigenartiges, anziehendes Gesichtchen, dessen zarte Schönheit durch die Befangenheit des ersten Auftretens noch erhöht ward. Sie war wegen ihrer schwankenden Gesundheit noch nicht bei Hofe vorgestellt und sollte dort auch nicht erscheinen, bevor sie sechzehn Jahre geworden. Das Fest im Hause der Mutter sollte das einzige sein, das Blanche Sérévan in diesem Winter mitfeierte. Wie eine rosa Wolke umgab das leichte Gewand aus Seidengaze die schlanke Mädchengestalt, welche die älteren Schwestern fast überragte. Perlen zierten den weißen Hals und den feinen, gepuderten Kopf, den sie leicht gesenkt hielt. Lange, dunkle Wimpern beschatteten die großen, tiefblauen Augen, die wie eine ungelöste Frage in das bunte, schimmernde Treiben blickten. Ein Strauß halberblühter Rosen duftete an ihrer Schulter, Gérard hatte ihn seiner Lieblingsschwester zum ersten Ball gebracht

Die Marquise hatte ihre jüngste Tochter den Damen vorgestellt, nun trat der Bruder an sie heran, gefolgt von Kameraden. Ein Gardedukorps nach dem anderen verneigte sich vor dem schönen Mädchen, und manch bewundernder Blick flog zu dem jungen Antlitz hinüber.

»Sérévan, warum hielten Sie soviel Liebreiz verborgen wie ein Königskind im Zauberschloß?« fragte ein junger Offizier Gérard, als man sich dem Tanzsaal näherte.

»Weil das Königskind erst fünfzehn Sommer zählt,« gab er im Vorübergehen lachend zur Antwort.

»Welch ein Grund!« klang's hinter ihm her, während er sich vor seiner Dame, einem jungen Mädchen, das durch sein goldlockiges, ungepudertes Haar und sein liebliches Gesicht auffiel, verneigte und es zum Tanz führte. Wie eine Waldfee schritt sie in ihrem meergrünen, duftigen Hofkleide neben dem Gardedukorps her.

»Wie reizend Blanche aussieht,« plauderte sie, lächelnd zu der Freundin hinüberblickend; »ich bin beglückt, daß ihr liebes Gesicht wieder hell ist und ihr Blick wieder klar!«

Er stimmte ihr lebhaft bei, während sein Auge sinnend auf der Schwester weilte.

»Ja, es ist meine größte Freude, sie heute im Festsaal zu sehen, an der Lust der Jugend teilnehmend, ohne jene düsteren Schleier vor den Augen, jene geheimnisvollen Ahnungen in der Seele,« sagte er. »Als vor drei Jahren mein Vater starb und dies Kind das Unheil unseres Hauses voraussah – es war mehr als ich ertragen konnte! Der Gedanke, daß die Schatten der Schwermut dies junge Gemüt umnachten sollten, vielleicht für immer – er ward mir fast schwerer als der unersetzliche Verlust des Vaters!«

Sie blickte ernst zu ihm auf, in den schönen Augen, denen jene eigentümliche goldige Färbung eigen war, lag ein feuchter Glanz. Blanche Sérévan war die Gespielin und liebste Freundin der beiden Töchter des Marquis de Saint Hilaire, Cécile und Aimée, und die Freundschaft aus der Kinderzeit war ein festes Band zwischen den beiden Häusern geworden. Freud und Leid teilten die Sérévans mit den Hilaires, und der heimliche Wunsch einer zwiefachen Vereinigung durch die Kinder lebte fortgesetzt in den Herzen der beiden Frauen. Adalbert de Saint Hilaire stand mit Gérard zusammen in der Elitetruppe, und die beiden jungen Offiziere teilten alles miteinander. Kaum verging ein Tag, ohne daß eine der beiden Familien eine Botschaft von der anderen empfing, daß eines der jungen Mädchen die Gespielinnen aufsuchte, daß der Freund den Sohn des Hauses um die Abendstunde zu den Seinen begleitete. Es war ein ungezwungenes, heiteres Beisammensein junger, lebensfroher Menschen, in den gleichen Grundsätzen erzogen, von denselben Idealen erfüllt; aber noch schien sich der Traum der beiden Edelfrauen nicht verwirklichen zu sollen – harmlos verkehrte die Jugend miteinander, und die gute Kameradschaft blieb die Losung. Nur einmal gewahrte Frau von Hilaire jenen weichen, sehnenden Ausdruck in den Augen ihrer Jüngsten, als Gérard sie abends verließ. Prüfend weilte ihr Auge auf dem ernsten Antlitz des Gardedukorps, aber Gérards Züge verrieten nichts, als er sich abschiednehmend über die Hand der Marquise neigte. Eine leise Sorge erwachte in ihrer Seele. Sie hatte Gérard ihrer ältesten Tochter Cécile zugedacht, schon in der Wiege hatte sie die Kinder füreinander bestimmt. Cécile schlug manche Werbung aus, nannte aber nie einen Grund für ihr ablehnendes Verhallen. Sollten die Schwestern beide dem Jugendfreunde ihr Herz geschenkt haben? Céciles Benehmen, Aimées stiller, weicher Ausdruck redeten dafür. Die Marquise sprach ihre Gedanken gegen niemand aus. Trotz ihres großen Wunsches, eine Vereinigung mit dem Hause Sérévan zustandezubringen, würde sie sich doch nie in Herzensangelegenheiten gemischt oder versucht haben, Ehen zu stiften; es hätte ihren schlichten, vornehmen Grundsätzen widersprochen. Aber ihre Gedanken waren mehr denn je mit dem Glück ihrer Kinder beschäftigt, und unablässig folgte sie ihnen mit ihrem Gebet. Ihr lebhafter Geist konnte es nicht lassen, Zukunftsbilder zu malen, bald hell und sonnig, bald trübe – aber immer wieder fand sie die Ruhe in dem Bewußtsein eines höheren, gnadenvollen Willens. Die Zeit, in der sie lebte, barg soviel des Ungewissen in ihrem Schoße, vielleicht grenzenloses Unheil, vielleicht den Niedergang eines ganzen Volkes – sie wußte, da war's besser, die Zukunft seiner Lieben in ewige Hände zu legen, als selbst, ein kurzsichtiges Menschenkind, Pläne zu schmieden und eigenmächtig Glücksschlösser zu erbauen.

Als nun Gérard Sérévan mit Aimée den Ball im Hause seiner Mutter eröffnete, als sie die beiden eifrig miteinander reden sah und der Marquis immer wieder den Blick auf dem lieblichen Antlitz ruhen ließ, da stürmten aufs neue die Fragen und Wünsche auf die Mutier ein, und unruhig suchte ihr Auge ihre älteste Tochter, die anscheinend heiter in ein Gespräch mit dem Adjutanten des Königs vertieft war.

» C'est un miracle!« seufzte sie leise, mit dem kostbaren, schwarzen Fächer spielend, dann wandte sie sich freundlich an den neben ihr sitzenden greisen Hofmann. »Pardon, Marquis,« sagte sie sich entschuldigend, »ich überhörte Ihre letzten Worte! Verzeihen Sie der Mutter junger Töchter, daß ihre Gedanken denselben folgen, ihre Auge sie bewacht!«

Der Greis neigte sich verbindlich zu der schönen Frau. »Ich habe nichts zu verzeihen, Madame! Der Mutter, die ihre Kinder in der großen Welt unbeobachtet ließe, würde ich die Würde absprechen; ich achte und verehre die Frau, die nur für die Ihrigen lebt, insonderheit die Frau, deren Äußeres Anspruch auf die Vorrechte weiblicher Schönheit machen kann!«

Sie drohte dem alten Bekannten mit dem Fächer. »Marquis, vergessen Sie nicht unsere Falten und Runzeln!« scherzte sie lächelnd.

»Ich vergesse sie nicht,« klang die Antwort, »aber ich bitte um Nachsicht. Die Stille vor dem Sturm möcht ich die Zeit benennen, in der wir leben, nicht lange mehr werden wir unsere fröhlichen Feste feiern – lassen Sie uns das Leben genießen, solange die Sonne scheint, das Unwetter kommt früh genug!«

Sie zog die weißen Schultern in die Höhe. »Ist die Gefahr so nahe?« fragte sie, ihm fest ins Auge blickend.

»Das weiß Gott – daß sie aber vorhanden ist, daß sie mit jedem Tage wächst, weiß jedermann. Der König,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »ist durch sein zügelloses Leben längst ein gebrochener Mann, vergiftet an Leib und Seele; er wird bald die Augen schließen, und seinen morschen Thron besteigt ein junges Paar, dem die Krone zu schwer ist. Glauben Sie mir, Madame, der Kronprinz ist ein schwankes Rohr, und unsere hinreißende Dauphine, sie mag, wie ihr Gemahl, das Gute wollen, doch sie vollbringt's nicht! Sie flattert von einem Fest zum andern, hört eine Schmeichelrede nach der andern, ihre Anmut entwickelt sich zur vollendeten Frauenschönheit, aber sie wird stets mehr Weib als Königin sein, die schönste Frau, die je einen Thron bestieg – und doch gehört mehr zur Landesmutter eines hungernden, empörten Volkes, das die Achtung vor der Krone verloren hat, mehr – tausendmal mehr!«

Er war erregt geworden und blickte, beim Klang der eigenen Stimme erschreckend, scheu um sich; aber niemand hatte seine Worte vernommen, nur die Marquise hörte ihm aufmerksam zu.

»Wäre nur ein Thronerbe da,« klagte sie, »die Kronprinzessin soll darunter leiden, daß es ihr bisher versagt ist, Mutter zu sein, und ich meine, wenn sie jene heiligsten Pflichten der Frau zu erfüllen hätte, sie würde auch im weiteren, größeren Sinne wachsen und die Aufgaben erkennen lernen, die ein Volk an seine Herrscherin stellt.«

»Ihr meint, die Mutter des Königskindes müsse zur Landesmutter erwachsen!« erwiderte er sinnend. »Das ist groß gedacht, und man fühlt's den Worten an, daß sie dem Herzen einer Mutter entsprangen – aber – kennt Ihr Maria Theresias Tochter nicht?«

Er erhob sich, um der Frau des Hauses seinen Platz einzuräumen.

Die Marquise blickte dem alten Royalisten gedankenvoll nach – noch nie war ihr die Gefahr, die ihrem Volk und Königshause drohte, so grell beleuchtet worden. Es mochten ja noch Jahrzehnte vergehen, bis das Unglück hereinbrach, aber jetzt wußte sie es, daß sie und ihre Zeitgenossen über einem Vulkan wandelten, dessen Glut sie plötzlich vernichten konnte. Sie schauderte. Das elegante, sorglose Leben um sie her erschien ihr plötzlich frevelhafter Leichtsinn. Sie war den Rest des Festes über still, niemand ahnte, was der liebenswürdigen, lebensfrohen Frau begegnet war.

Nur der alte Royalist mit der ordengeschmückten Brust wußte, warum die schönen Augen so melancholisch und nachdenklich in das schimmernde Treiben blickten. Er sah im Geist das Lilienbanner in den Staub sinken, sah Altar und Thron in Gefahr und die alte Königstreue zerbrochen. Diese Gedanken drückten die Frau, der die Treue gegen Gott und seine Stellvertreter von Kind auf ins Herz gepflanzt war – die vornehme Welt aber, welche die Marquise nur in strahlendem Frohsinn kannte, flüsterte einander zu, Adalbert de Saint Hilaire habe sich bei einer Herzogin den ersten Korb geholt.

Das Fest näherte sich seinem Ende.

Cécile tanzte mit dem Sohn des Hauses. Lachend und scherzend bewegte sich das schlanke, vornehme Paar nach den Klängen der Quadrille. Gérard schien einen leichteren Ton anzuschlagen als in der Unterhaltung mit Aimée, und das Mädchen mußte es wohl zufrieden sein, denn die dunklen Augen blitzten vor Lebenslust. Ihnen vis-à-vis tanzten Blanche und der junge Marquis de Saint Hilaire. Adalbert redete eifrig auf seine Tänzerin ein, die mit stillem, sinnendem Ausdruck neben ihm stand, die Wimpern tief gesenkt. Gérard schaute fast unausgesetzt hinüber. Endlich fing er einen Blick des Freundes auf, sekundenlang schauten die beiden Männer einander ins Auge – Gerard wußte genug. Glücklich blickte er auf die hold erglühte Schwester – sein Kleinod war in starken, treuen Händen. Eine aufsteigende Sorge drängte er mit Entschiedenheit zurück – Blanche war seit fast zwei Jahren vollständig gesund, warum sollten jene Schatten, die zur Zeit des Leides ein Kindergemüt verdüstert hatten, mit dem Sonnenglanz der Liebe wiederkehren und ihren schwermütigen Einfluß auf ein aufblühendes Frauenleben ausüben? Mit aller Gewalt suchte er den Gedanken zu bannen, daß es ein Hasardspiel sei, das schönheitstrahlende Mädchen zu lieben, das jetzt die großen Augen glückselig zu seinem liebsten Freund und Waffenbruder erhob – und am Ende fühlte er sich beruhigt, lag doch keine Veranlassung zu einer Befürchtung der Rückkehr des Leidens vor, die Schwermut des Mädchens schien lediglich äußeren Ursachen entsprungen und hatte sich seit ihrer Genesung nicht wiederholt, warum sollte er durch unzeitige Befürchtungen sich selbst und anderen das Herz schwer und der Schwester vielleicht ihr Glück streitig machen? – –

Durch die Stille der Winternacht rief die Turmuhr; fröhlich klang das Halali, abschiednehmend scharten sich die Gäste um die Hausfrau.

Langsam bewegte sich der glänzende Zug aus den festlichen Räumen, die Marmortreppen hinab. Der junge Marquis hatte der letzten der vornehmen Frauen das Geleit gegeben und schritt die Stufen wieder hinan. Suchend flog sein Blick über die hellen Gestalten im Vestibül. Endlich schien er gefunden, wonach er ausgeschaut. Einen Augenblick sah er still hinab, als wollte er sich das Bild der zarten Erscheinung im weißen Pelz tief in die Seele prägen, dann nahm er aus dem wundervollen Rosenstrauß, der das Vorzimmer schmückte, die schönste und ließ sie über das goldene Gitter hinabfallen. Ein leuchtendes Liebeszeichen, lag die Teerose Aimée de Saint Hilaire zu den Füßen. Vier Augen sahen empor, zwei helle, goldene, klar wie die eines Kindes, und zwei dunkle, fragende – die Augen der Jungfrau, die stolz und scheu das Geheimnis der Seele zu bewahren sucht und sich doch durch die schweigende Frage verrät.

Der Marquis erschrak; er hatte es übersehen, daß Cécile neben der Schwester stand. Er hatte ihre Liebe geahnt – jetzt war sie ihm Gewißheit. Von dem jungen Gardedukorps blickte das Mädchen auf Aimée, die, als könnt's nicht anders sein, die Rose aufhob und mit strahlendem Lächeln hinaufgrüßte. Dunkle Röte wechselte mit tödlicher Blässe auf Céciles Zügen, sie wankte und lehnte sich an die Säule. Erschrocken blickte die Schwester sie an. »Was ist dir?« flüsterte sie und suchte sie zu stützen. Aber das Mädchen hatte seine Selbstbeherrschung schon wiedergefunden.

»Nichts,« erwiderte sie kühl und schritt, sich hochaufrichtend, ihren Eltern zu, die den Vorgang nicht bemerkt hatten. Ein Schatten glitt über Aimées liebliches Antlitz, eine Ahnung stieg in ihrer Seele auf. Sie gedachte jener alten Geschichte von zwei schönen Töchtern Venedigs, die im Mondlicht ihre nächtliche Gondelfahrt machten. Vom steinernen Brückenrand fiel eine gelbe Rose; sie mochte bestimmt sein, einer der Schönen in den Schoß zu fallen, aber sie flatterte auf den Boden, in die Mitte des Fahrzeugs, und scheu blickten die Schwestern einander an, die stumme Frage im Auge, welcher der Preis gebühre. Und am nächsten Abend, als die Ruder die Wasser teilten und die Schiffer ihr südliches Liebeslied sangen, da trug eine Gondel eine verhüllte Gestalt weit übers Meer, wo keine Menschenseele die ersten brennenden Frauentränen erspäht.

Seufzend drückte Aimée die gelbe Rose an die Brust, und als die Schwestern die Ruhe suchten, verbarg sie ihr Kleinod vor Céciles Augen. Bald war sie fest eingeschlafen, aber es war ein Schlaf voller Träume, ohne Erquickung. Sie sah die Lagunenstadt vor sich, sah das Meer glitzern und funkeln, und fern in dämmernder Weite teilte eine Gondel die Flut. Wie gebannt blickte sie auf die schlanke Gestalt, die in gebeugter Haltung vor sich hinschaute und das Fahrzeug dem Spiel der Wellen überließ. Sie kannte sie nur zu gut.

Unter heißen Tränen erwachte sie – der Zauber des Südens war zerronnen, grau in grau lag der Himmel über dem Faubourg St. Germain, und der Sturm zog pfeifend um die Dächer.


 << zurück weiter >>