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Zehntes Kapitel
Graf Fersens Liebe

Sag mir noch einmal, daß es Lenz geworden,
Trag noch ein einzig Mal das weiße Kleid,
Sing mir wie sonst die allen, lieben Lieder
Aus holder Zeit!

Blick mich noch einmal an so still und sinnig,
Als könntest du mein ganzes Herz verstehn:
Dann schlag den Königsmantel um die Schultern,
So will ich gehn.

Noch einmal zieh im Diadem vorüber
Und grüß wie sonst den jungen Kavalier.
Und sag kein Wort vom Meiden und vom Scheiden,
So dank ich's dir.

 

Vier Jahre waren vergangen, seit Graf Axel Fersen Paris verlassen. Als ein Jüngling voller Träume und Erwartungen war er gegangen, als ein früh zum Mann Gereifter kehrte er im August des Jahres 1778 in die stolze Königsstadt zurück, die ihm mit ihren tausend Freuden und Abwechslungen wie eine Fata Morgana winkte.

Der Graf hatte die vier Jahre seiner Abwesenheit ausgenutzt. Er hatte eine Saison am englischen Hofe mitgemacht, avanzierte in Schweden zum Eskadronchef und war einer der gefeiertesten Kavaliere am Hofe König Gustavs. Sein gewandtes, liebenswürdiges Wesen, seine sympathische, vornehme Erscheinung gewannen ihm aller Herzen. Im April 1778 verließ er seine Heimat und begab sich über London, wo er drei Monate blieb, nach Paris, das die alte Anziehungskraft auf ihn ausübte.

An einem schönen Spätsommertage kam er aus Versailles zurück, wo er sich dem neuen Herrscherpaar hatte vorstellen lassen. Er hatte in keiner Weise darauf gerechnet, daß man sich seiner erinnern werde, seine Überraschung und Freude waren daher groß, als die Königin ihn bei ihrem Eintritt in den Saal wiedererkannte und ihn mit den Worten: » Ah, c'est une ancienne connaissance!« freundlich begrüßte. Ihre Schönheit und der Charme ihres Wesens übten wie einst ihren Einfluß auf ihn aus. Gedankenverloren kehrte er heim, und das Bild der holden königlichen Frau schwebte seit jenem Tage einsam über seinem Leben und begleitete ihn auf Schritt und Tritt.

Er gab sich zuerst keine Rechenschaft von seiner Liebe; das Weib aus königlichem Geblüt stand so hoch über ihm, daß er selber glaubte, seine Gefühle seien weiter nichts als unbegrenzte Verehrung und Bewunderung. Und als er zu der Erkenntnis kam, daß keine andere Frau den Platz in seinem Herzen erringen werde, den die Frau im Diadem inne hatte, als es ihm unmöglich ward, auf die Heiratspläne, die sein Vater und Graf Creutz für ihn machten, einzugehen, da verschloß er die Liebe, die ihm so hoch und hehr erschien, wie ein Kleinod im Herzen die wunschlose Neigung ward die stille Vertraute seines einsamen Lebens und zeigte sich stets nur als tiefe unwandelbare Ergebenheit und Freundschaft. Graf Fersens Liebe stand hoch über allen Liebesaffären des französischen Hofes, sie glich in ihrer selbstlosen Reinheit jenem ritterlichen Minnedienst vergangener Tage, da der Kavalier für die Dame seines Herzens mit Ehre und Leben eintrat. So sehr er bei Hofe verwöhnt ward, so sehr die Königin ihm ihre Gunst zuwandte und sittliche Freude darin fand, ihm täglich neue Beweise ihrer Zuneigung zu geben, so übertrat er doch nie die Grenze und vergaß auch in Augenblicken, wo Marie Antoinette ihm nur als Frau gegenübertrat, niemals, daß sie Königin, daß sie das angetraute Weib eines andern war. Er hatte sich in dieser Angelegenheit nichts vorzuwerfen, aber die lebensfrohe, liebenswürdige, warmherzige Frau schenkte ihr Herz dem schwedischen Edelmann und vergaß Selbstbeherrschung und Willenskraft über ihrer Neigung.

»Der schöne Fersen«, wie man ihn in Versailles nannte, war einer der vollendetesten Kavaliere, die man seit langer Zeit bei Hofe gesehen. Er war der jungen Königin zuerst durch sein Äußeres und seine feinen Formen ausgefallen, aber es währte nicht lange, so bestand eine offenkundige Freundschaft zwischen Marie Antoinette und dem Grafen; war's, daß sie in seinen Blicken Zuneigung gelesen, war's ihre eigene Liebe, der sie sich rückhaltlos hingab – am Hofe zu Versailles zweifelte keiner daran, daß sich eine gegenseitige Neigung aus dem täglichen Verkehr der Herrscherin mit dem Edelmann entwickelte. Keiner ward lieber in Trianon gesehen als er, auf keinem Fest der Majestät durfte er fehlen, an jedem Vergnügen mußte er teilnehmen. Marie Antoinettes Weise, ihre Günstlinge zu bevorzugen, war bekannt, jedermann wußte, daß die königlichen Freundschaften nicht lange währten und leichter Art waren. Hier aber hatte man trotz ihres flatterhaften Leichtsinns Grund zu der Annahme, daß sie ihr Herz an den schwedischen Kavalier verloren. – – – – – – – – –

Es war an einem warmen Dezemberabend; die Gärten von Klein-Trianon mit ihren Teichen und Springbrunnen, ihren zierlichen Brücken und Laubengängen lagen tief verschneit, aber die Pavillons waren hell erleuchtet, Veilchen und Rosen dufteten hinter den Scheiben.

Schellengeläut klang durch den Winterabend, ein Schlitten flog unter den weißen Zweigen den stillen Pfad entlang, es war die Königin Marie Antoinette, die ein letztes Mal vor dem Winter ihr geliebtes Trianon aufsuchte, die Stätte ihrer ländlichen Freuden und Schäferidyllen. An der Seite ihrer Freundin, der Gräfin Polignac, betrat sie das kleine Haus. Unter den weißen Pelzen sahen die lichten Gewänder der schönen Schäferinnen hervor, leichte Hütchen, mit Blumen geschmückt, saßen kokett in den hoch toupierten Locken. Bekränzte Hirtenstäbe in den Händen, schritten die beiden jungen Frauen die Stufen hinan.

Bald war's lebendig in den stillen Räumen. Um das flackernde Kaminfeuer, daran die Königin mit der Gräfin Platz genommen, scharten sich die Gäste. Einen bunten, malerischen Anblick boten die sommerlich hellen Räume. Kavaliere und Damen in Schäfertracht bewegten sich wie die Erscheinungen einer längst vergangenen Zeit auf dem Parkett. Großblumige, leichte Seide, Sammet, Gaze und Blumen vereinigten sich zu einer reichen, schillernden Fülle, welche die einzelnen Farbentöne nicht mehr unterscheiden ließ. Allein die Unmenge der zierlichen Frauenfüße, die sich in buntseidenen Stöckelschuhen über die glänzenden Dielen bewegten, machte das Auge unruhig, gab aber dem stimmungsvollen Bilde seinen eigenartigen, fast märchenhaften Charakter.

Die Königin war in ihrem Element. Sie scherzte und lachte, ließ sich den Hof machen und flatterte von einem zum anderen. Sie fühlte sich in Klein-Trianon wohler als auf dem Thron zu Versailles. Hier vertauschte sie die Krone mit dem Feldblumenkranz, das Zepter mit dem Hirtenstabe, aber sie ging auch hierin, wie in allem, was sie tat, zu weit und vergaß, daß man von einer Königin verlangt, daß auch ihre Vergnügungen königlicher Art sind.

Wie eine losgelassene Kinderschar war der Hof im Sommer durch die Gärten von Trianon gejagt, »Blindekuh« oder »Schwarzer Mann« spielend. Über Hecken und Beete wurde gesprungen, und zum Schluß eilte die fröhliche Gesellschaft durch die Gemächer der Königin, daß die zierlichen Möbel wackelten und die Porzellanfiguren herabfielen und zerbrachen. Daß durch diesen zwanglosen Verkehr die Etikette litt, war nicht zu verwundern. Die Bosheit aber vergrößerte und verschlimmerte die Fehler der hohen Frau, wo sie konnte, und Klein-Trianon stand in wenig königlichem Renommee.

Am heutigen Abend wurden lebende Bilder gestellt und Theater gespielt. Altfranzösische Liebeslieder und ländliche Weisen klangen hinter der Szene. Das letzte der Bilder stellte Dornröschen dar. In einem rosenumblühten Turmgemach schlummerte Marie Antoinette, über sie geneigt stand Graf Tilly, ihr Page, in scheuer Zurückhaltung, und doch mit dem Ausdruck unbezwinglicher Sehnsucht, die träumende Königstochter zu küssen. Ein rauschender Beifall erklang im Zuschauerraum, dreimal hob sich der Vorhang. Als das anmutige Bild zum letztenmal enthüllt ward, öffnete Dornröschen die Augen und streckte dem Prinzen mit strahlendem Lächeln die Arme entgegen. Der Vorhang fiel, als der Jüngling sich zu ihr niederbeugte. Blumen flogen, Hochrufe klangen der königlichen Schauspielerin, aber in den allgemeinen Jubel mischte sich abfälliges Gemurmel, fast klang's wie Zischen.

Am Eingang des Saales, nahe der Bühne, stand die hohe Gestalt eines jungen Mannes in violettsamtener Hoftracht mit kostbaren Spitzen verziert. Auf seiner Stirn lagerten die Schatten tiefer Melancholie, wie gebannt hing sein Auge an der lieblichen Erscheinung. Es war Graf Fersen. Das Blut war ihm ins Antlitz gestiegen, als der Page sich verlangend über die Königin geneigt – warum, o warum konnte Marie Antoinette nicht in den ihr vorgeschriebenen Grenzen bleiben, warum vergaß sie es immer wieder, daß sie ein Diadem trug, daß sie die erste Frau im Lande war, über deren Ruf ein ganzes Volk mit leidenschaftlichem Eifer wachte? Warum trübte dies hinreißende Geschöpf immer wieder das reine, hoheitsvolle Bild in seiner Seele? – Er liebte sie dennoch, trotz allem und mit all ihren Fehlern und Schwächen, der Gedanke, zu ihren Füßen zu knien und ihr sein Schwert und Leben zu weihen, erfüllte sein Herz Tag und Nacht, aber ihre Fehler leugnen konnte er nicht. Seine Liebe war weit entfernt vom Begehren verbotener Frucht, doch sie war voll und ganz sein eigen, und wie einem andern die Liebe der Braut ein heilig Besitztum ist, das ihm keiner antasten darf, so hielt auch er die seine hoch, und ein tiefer, seelischer Schmerz durchzuckte ihn, so oft er einen Flecken oder eine Runzel an ihr gewahrte. Er konnte sich ja nicht darüber hinwegtäuschen, daß Marie Antoinette Fehler beging, die eine Herrscherin nicht begehen darf, die den Thron untergraben und die Liebe des Volkes verscherzen mußten, aber seine Liebe blieb dieselbe.

Er hatte mit sich gerungen und gekämpft, bis sein Herz still und klar geworden, bis er sich sagen konnte: du darfst bleiben, ohne dem Ruf der Majestät zu schaden. Zu bescheiden, um sich die Liebe der Herrscherin zu sich zu gestehen, erkannte er die Gefahren nicht, welche Marie Antoinette durch ihr eigenes Verhalten über sich heraufbeschwor. Fersen glaubte, ihr sympathisch zu sein; daß sie ihn mit der ganzen Glut eines vereinsamten, liebedurstenden Frauenherzens liebte, war ihm nicht bewußt.

Seit einigen Wochen ward im Schlosse zu Versailles einem Königskinde die Wiege gerüstet, und es kam dem schwedischen Kavalier nicht in den Sinn, daß ein fremder Gedanke das Herz des jungen Weibes in dieser Zeit erfüllen könnte. Er begriff es nur nicht, daß die Königin jene Monde nicht in Stille und Abgeschiedenheit verbrachte, sondern sich mit Schäferspiel und Theateraufführungen die Tage verkürzte.

Gedankenvoll weilte sein Blick auf der hohen Frau, die sich umgekleidet und sich im weißen, goldgestickten Tuchgewand dem Piano näherte und in den Noten zu blättern begann. Sie hielt das zarte Haupt gesenkt, sinnend vertiefte sie sich in den Liederband. Endlich schien sie gefunden zu haben, was sie gesucht. Ein flüchtiges Rot stieg in ihre Wangen, als sie sich setzte und die kleinen Hände einen Augenblick auf den Tasten ruhen ließ. Dann hob sie das Haupt, und während sie dem Instrument die begleitenden Akkorde entlockte, sang sie, zitternd vor innerer Bewegung, jene anmutigen Strophen aus der Oper Dido:

» Ah! que je fus bien inspirée,
Quand je vous reçois dans ma cour!
«

Ihre strahlenden Augen weilten auf Fersen, ihr Blick war ganz Liebe und Sehnsucht, und jeder, der den weichen, hinreißenden Ausdruck in dem Antlitz der jungen Königin sah, wußte, wem derselbe galt und was er bedeutete.

Fersen selbst ward die Situation plötzlich wie mit einem Schlage sonnenklar. Einen Augenblick gab er sich dem berauschenden Gefühl hin, das die Gewißheit der königlichen Minne in seiner Seele erweckte – aber auch nur einen Augenblick – das Pflichtgefühl des Christen und Edelmanns war zu stark in ihm, um sich übertäuben zu lassen. Wie mit einem Federstrich gezeichnet, lag die Zukunft vor ihm, er wußte, er durfte nicht bleiben – jetzt nicht. Später vielleicht, wenn ihr lichtes Haar schneeweiß geworden, wenn keiner mehr in Versailles und Klein-Trianon nach dem »schönen Fersen« fragte, dann wollte er wiederkehren und sich unter die Schar der Kavaliere mischen – vielleicht kannte sie ihn dann wieder und reichte ihm mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln die Hand zum Kuß: » Ah, c'est une ancienne connaissance!« – –

Wie öde war's plötzlich um ihn! Das Bewußtsein, daß jene blauen Augen ihm nicht mehr leuchten würden, war wie ein Rauhreif auf seine junge Liebe gefallen, aber immer wieder sagte er sich, während sein Blick auf dem schönen Frauenantlitz ruhte, es dürfe nicht so zwischen ihnen weitergehen. Der ganze Hof war aufmerksam geworden; was bisher nur als ein Gerücht aufgetaucht war, flüsterte einer dem anderen als Tatsache ins Ohr, und immer aufs neue sagte er sich, daß es nur ein Mittel gäbe, die bösen Zungen zum Schweigen zu bringen, nämlich seine Abreise.

Müde und gedrückt kehrte er heim. Vor ihm lag sein einsames Leben, das kein Glück kennenlernen sollte, nur das Antlitz der schönen Königin schwebte wie ein Heiligenbild darüber, und die Erinnerung saß an seiner Seite und erhellte ihm seine Tage. Aber für eines war er dankbar, für die Klarheit, mit welcher er sofort den Weg erkannt, den er gehen sollte. Als die Stimme der königlichen Sängerin ihm bis in die tiefste Seele drang, als sie zitternd den Schleier lüftete, der das Innerste ihres Herzens verbarg, da war ihm einen Augenblick zu Sinn gewesen, als dürfe er nur zugreifen, wie jeder der französischen Kavaliere zugegriffen und den süßen Trunk bis zur Neige geleert haben würde. Aber vor der Seele des schwedischen Edelmannes tauchte inmitten des glänzenden Hofes ein Bild aus der Heimat am Mälarsee auf. In dem alten, rosenumsponnenen Schloß, im Gemach seines Vaters, sah er die Eltern, wie sie von dem scheidenden Sohne Abschied nahmen. Er sah des Vaters vornehme Gestalt in der schwedischen Feldmarschallsuniform, die schlanke, braunäugige Mutter, jene zur vollendeten Frauenschönheit erblühte Erscheinung, wie er sie selten im Leben gesehen, und dann meinte er die Abschiedsworte des Vaters zu vernehmen: »Laß das Wort des jungen Joseph im Hause Potiphars deine Mahnung und deine Waffe bleiben: Wie sollte ich solch großes Übel tun und wider den Herrn, meinen Gott, sündigen! – so wirst du siegen, so wirst du rein bleiben an Leib und Seele!«

Halblaut sprach er die letzten Worte vor sich hin, während er, in seinen stillen vier Wänden am Kamin sitzend, die Gedanken in die Zukunft schweifen ließ, und es war ihm, als würde ihm jedes dieser Worte zum Schutz und Schirm. Er wußte es: er hätte ungehindert seiner Liebe leben können, das alte Versailler Schloß und die lauschigen Gärten von Trianon hatten unendlichen Raum – für Gute und Böse, für Gerechte und Ungerechte – wie ein Hofmann einst in beißendem Spott gesprochen. Aber eines hatte dann ein Ende: Er konnte nicht mehr mit gutem Gewissen vor seine Eltern und, was noch tausendmal härter war, vor seinen Gott treten, er würde einen Teil der Schuld auf sich laden, die den Ruf der Majestät in den Staub zog, er würde sich sagen müssen, selbst wenn er die Schranken der Sitte nie übertrat, daß er mit Wissen und Willen sündigte.

Er zog das Bild seiner Mutter hervor. Klar und freundlich lächelten ihm die schönen Augen entgegen, als wollten sie dem Kinde, das der Versuchung mit seiner ganzen Kraft widerstand, ihren Wahlspruch und seine himmlische Verheißung zurufen: »Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.«

Jean Axel drückte das Porträt wie einst als Kind, wenn der Vater ihm das Brautbild der Mutter zeigte, an die Lippen. Klare, feste Entschlossenheit lag auf seinem traurigen Antlitz. Dann erhob er sich, ging in das angrenzende Gemach und kniete nieder zum Gebet. –

Es war Mitternacht, als er sich wieder erhob, laut und feierlich rief die Turmuhr von Notre Dame die zwölfte Stunde über der schlafenden Stadt. Graf Fersen stand am Fenster und blickte zum Himmel auf, der sich sternklar über der Erde wölbte; über den Millionen Giebeln und Erkern lag Vollmondschein, golden leuchtete das Kreuz vom First eines alten Gotteshauses. Sein Auge weilte darauf und, versunken in seinen Anblick, faltete er die Hände.

Es war ein Friede über ihn gekommen, wie er ihn mitten im Glück nicht empfunden, als klopfe einer an seine Seele, der alle Schmerzen kennt und lindert. Er hatte früher geglaubt, man dürfe nur mit der Bitte um Sündenvergebung und Errettung aus schwerer leiblicher Not vor Gott treten, die tausend anderen Dinge rechneten nicht als Mühsal und Last.

Der Eingangsspruch über einem alten Hause im Harz hatte ihn eines anderen belehrt. »Not ist Not, und Gott ist Gott,« hatte der schlichte Bewohner jenes Hauses über seine Tür geschrieben, und als Jean Axel und Herr Bolemanny seine Bekanntschaft gemacht und ihn um den Spruch befragt, hatte er ihnen geantwortet: »Ja, sehen's, liebe Herren – wenn ich alleweil erst fragen soll, ob ich mit meiner Sorg' den Herrgott belästigen darf, da komm ich nimmer vom Fleck! Darum hab ich mir das alte Sprüchlein über die Tür gesetzt, und wenn mir ein Zweifel kommt, ob ich um dies oder das meine Hände fallen darf, so heißt's: Ach was, Jochen, bet man immer darauf los – Not ist Not, und Gott ist Gott! und damit Punktum!« – –

Diese Antwort war dem Jüngling zu Herzen gegangen, sie hatte ihn überallhin begleitet, und dem Manne ward sie zum Segen. Sinnend blickte er in die Winternacht hinaus, wo das Zeichen der Erlösung und des Glaubens im Mondlicht funkelte. – »Not ist Not, und Gott ist Gott,« sagte er vor sich hin, und seine Stimme klang fest und klar: »Herr, führe mich nicht in Versuchung!«


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