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Dreizehntes Kapitel
Die letzte Revue

Du Königstreue, wo zogest du hin?
Wo bist du geblieben, du adliger Sinn?
Die du beschirmet Thron und Altar,
Bist du verflogen, du glänzende Schar,
Blieb mir nur meine treue Garde?

Mein Volk in Waffen, welch blutiger Hohn! –
Wer soll dich retten, du schwanke Kron?
Wer trägt das Lilienbanner zum Streit?
Wer ist für Frankreich zu sterben bereit?
Die Garde, die Schweizergarde!

Neunhundert Männer, im Kampf gestählt,
Von mutiger Königstreu beseelt!
Eine heiße Nacht, ein Morgen voll Not –
Die Schweizer starben den Heldentod,
Die letzten Getreuen, die Garde!

 

Hochsommer war's. In verschwenderischer Fülle hingen die Rosen unter dunklem Laub, Balkone und Gitterwerk mit leuchtender Blütenpracht umkränzend. Heiß stand die Sonne über Paris, selten nur wehte ein frischer Hauch von der Seine herüber. In durchsichtigen Gewändern wanderte das schöne Geschlecht durch die Anlagen, kokettierte und ließ sich den Hof machen oder saß müde und gelangweilt in den Cafés und redete vom Neusten und Allerneusten.

Der Krieg mit Österreich war Tagesgespräch. In Österreich war auf Leopold sein ältester Sohn, Franz der Zweite, gefolgt, der Frankreich gegenüber eine entschieden feindselige Haltung annahm. Die Lage spitzte sich immer mehr zu, und Ludwig der Sechzehnte sah sich durch seine Minister gedrängt, der Nationalversammlung am 20. April die Kriegserklärung gegen Österreich vorzuschlagen, welche auch sofort akzeptiert ward. Die wiederholten Niederlagen der Franzosen versetzten das ganze Land in furchtbare Aufregung. Der Haß gegen das Königspaar, welches man in geheimem Bunde mit Österreich glaubte, kannte keine Grenzen mehr. Wo die Majestäten sich sehen ließen, wurden sie beschimpft und beleidigt. Die inneren Unruhen verschlimmerten sich zusehends.

Die Nationalversammlung forderte die Verbannung der den Eid verweigernden Priester und eine Zusammenziehung von 20 000 Mann Milizen aus allen Departements in der Nähe vor Paris. Ludwig aber versagte beiden Dekreten die Bestätigung, entließ das Ministerium und bildete ein neues aus Feuillants. Dadurch machte er sich die Girondisten zu Feinden, welche von jetzt an den Haß wider den Hof schüren halfen.

Wilde Orgien wechselten mit Mord und Straßenraub. Am 20. Juni spielte sich eine entsetzliche Szene in den Tuilerien ab, eine schmachvolle Beleidigung der Königswürde, welche der unglückliche Monarch widerstandslos hinnahm. Die Hoffnung auf fremde Hilfe war seit dem Tode des Schwedenkönigs immer schwächer geworden, eine Stütze nach der andern zerbrach – unter Druck und Sorgen verging der Sommer.

Währenddessen dauerte der Krieg fort. Schon vor Beginn desselben hatte der Kaiser von Österreich ein Bündnis mit dem König von Preußen geschlossen, in welchem sich beide gegenseitig im Falle eines feindlichen Angriffs ein Hilfskorps von 20 000 Mann zusagten. Dieses Versprechen fand jetzt seine Erfüllung: Preußen trat dem Kriege gegen Frankreich bei, und zwar mit seinem ganzen Heer, unter der Bedingung der Gegenleistung, der österreichischen Zustimmung zur Annektierung einer polnischen Provinz. Während die gewaltigen Heere der Verbündeten Frankreichs Grenze nahten, wurde wohl bisweilen im Herzen der königlichen Gefangenen die Hoffnung auf Rettung wieder wach – aber nicht für lange. Die Haltung des Volks, welches immer einstimmiger das Königspaar als Bundesgenossen des Feindes erklärte, war in der Aussicht der Möglichkeit, seine kaum erworbenen Rechte zu verlieren, immer drohender geworden. Ein deutscher Fürst Herzog von Braunschweig., der Oberkommandierende der verbündeten Truppen, hatte ein Manifest erlassen, worin er für jede Gewalttat gegen das französische Königshaus furchtbare Rache an den Übeltätern und an Paris zu nehmen drohte. Das hieß Feuer ins Pulverfaß werfen. Die Freunde des Umsturzes benutzten die Gelegenheit, um das Volk noch mehr zu erregen – ein neuer Aufstand schien gewiß. – – –

Glühend heiß ging der Augusttag zur Neige. Im Süden standen Wetterwolken, kein Lüftchen ging durch die Schwüle der Sommernacht, über den Tuileriengärten strahlte der Vollmond, ab und an ging eine leuchtende Sternschnuppe nieder. Der großen Hitze wegen standen die Fenster des Schlosses weit geöffnet, wie zu einem Fest erleuchtet, strahlten die hohen Räume, weithin sah man den Schein der Kerzen. Alles schien ruhig und friedlich, in Wahrheit aber herrschte drinnen fieberhaftes Leben. Man war darauf vorbereitet, daß am 10. August ein Aufstand losbrechen werde. Verschiedene Rettungspläne waren in zwölfter Stunde geschmiedet worden, aber die Hindernisse, die sich einer Flucht entgegenstellten, schienen unüberwindlich. Man gab den Versuch, sich zu retten, auf und wartete in zitternder Erregung des Kommenden.

Von den Türmen schlug es Mitternacht. Da regten sich, wie mit einem Schlage, die Glocken von Paris; Sturmgeläut vereinte sich mit Trommelwirbel – die Revolutionsmänner schlugen Alarm. Royalisten eilten zum Schlosse, Schweizer und die letzten treuen Nationalgardisten vereinten sich mit den Edelleuten, sie alle waren bereit, für ihren König zu siegen oder zu sterben. Aus allen Vorstädten strömte bewaffnetes Volk, ganz Paris war auf den Fußen.

Auf dem Balkon des Schlosses lauschte Marie Antoinette mit ihrer Schwägerin dem auf- und niederwogenden Getümmel in den Straßen, während der König in seinem Arbeitszimmer mit seinem Beichtvater um Mut und Kraft für die kommenden Stunden betete. Der Ausgang eines Kampfes zwischen König und Volk schien ein zweifelhafter.

Neunhundert Schweizer und ein Teil der Nationalgarde standen in der Schloßkapelle, einhundert Mann berittene Polizei schützte die Eingänge der Tuilerien. Vor dem Marsanpavillon war eine Schar Reservetruppen postiert, und im letzten Augenblick strömten von allen Seiten Royalisten herzu, die letzten jener einst so glänzenden Schar, die den Thron umgab. In Seide gekleidet mit dem Kavalierdegen in der Hand erschienen sie, wie zu einem Hoffest in alten schönen Zeiten. Ihre Hoffnung, Waffen im Schlosse zu finden, betrog sie. Diese Vorsichtsmaßregel war, wie manche andere, vergessen worden. Einige Diener und Zivilbeamte des Königs gesellten sich, mit Feuerzangen und Stöcken bewaffnet, zum Adel. Ludwig war tief gerührt über ihre Treue und Ergebenheit, er vergaß darüber, wie klein die Zahl seiner Verteidiger war.

Mit klaren Augen stand Marie Antoinette an seiner Seite. Für jeden der kleinen Schar hatte sie einen freundlichen Blick, ein Wort der Dankbarkeit und Anerkennung und hob durch ihre herzgewinnende Weise und stille Größe den Mut der Versammlung.

Die Nacht verging, Madame Elisabeth stand noch auf dem Balkon. »Komm,« rief sie der Königin zu, »die Sonne geht auf!« Seufzend erhob sich die hohe Frau. Wie eine goldene Kugel stieg die Sonne über der Stadt empor, der Himmel glich einem Flammenmeer. Schweigend schaute sie dem Licht entgegen, eine schwere Träne rann langsam über ihre Wange, als ahne sie's, daß sie den Sonnenaufgang zum letztenmal durch ein Fenster ohne Eisenstäbe gesehen.

Der alten Hofetikette getreu, hatten einige Edelleute sich nicht in Gegenwart der Majestäten setzen wollen. Aber bald sahen sie ein, daß die ehrwürdige Sitte in dieser Stunde ihre Ausführbarkeit verloren hatte, in der steigenden Unruhe und Angst hörte jede Etikette auf. Verteidiger und Royalisten gingen aus und ein; auf Tische und Stühle, rings auf den Boden ließ man sich nieder. Die Königin saß auf einem einfachen Taburett, zu ihren Füßen hatte die Prinzessin von Lamballe Platz genommen und lehnte ihr blondes Haupt an die Knie ihrer Gebieterin. Prinzessin Elisabeth, die Fürstin von Tarente-La-Tremouille, Frau von Tourzel, die Gouvernante der königlichen Kinder, und ihre Tochter wie die übrigen Damen der Königin saßen, wo sie einen Platz gefunden, unter bewaffneten Männern.

Mit großen, angstvollen Augen saß die kleine Madame Royale auf Fräulein von Tourzels Knien und schmiegte sich zitternd an das junge Mädchen, das bei dem wachsenden Lärm in den Straßen unausgesetzt in ein schönes, todbleiches Antlitz blickte, das ihr in seiner tiefen Ruhe Trost zu gewähren schien. Es war Cécile de St. Hilaire, die es sich nicht hatte nehmen lassen, noch einmal ihrer geliebten Herrin als dame d'atour zu dienen. Die Prinzessin hatte es nicht gewollt, aber Céciles Bitten und Tränen bezwangen sie endlich, und so tat sie noch einmal Ehrendienst, wie im Sonnenglanz alter Zeiten.

Gegen drei Uhr vernahm man das Nahen bewaffneter Massen, Kanonen und Kriegsvorrat mit sich schleppend, rückten die Angreifer in festgeschlossenen Reihen bis zum Karussellplatz vor. Im Schloßhof fiel ein Schuß. Die Königin ließ den schlafenden Dauphin wecken und beschwor ihren Gemahl, sich seinen Getreuen zu zeigen. –

Ludwig gab ihren Vorstellungen nach.

Unsicher in jeder Bewegung, ein wohlwollendes, aber nichtssagendes Lächeln auf den Lippen, statt der Uniform, welche diese Stunde gebot, in einen violetten Frack gekleidet, die Perücke schief auf dem Kopf – so trat er auf den Balkon hinaus, der letzte Repräsentant einer Zeit, die sich überlebt.

Hochrufe empfingen ihn. Es waren Rufe der Teilnahme, nicht des Vertrauens, mitleidig grüßte man in seiner Person das sterbende Königtum. Und an seine Seite trat die Frau, auf welche alle Würde und Majestät, die der schwache Souverän entbehrte, übertragen schien, mit einer Ruhe und Klarheit, als beherrsche sie die drohenden Massen. Mit einem Blick ihres strahlenden Auges schaute sie über die ungezählten Scharen, die sich zu ihren Füßen drängten. Stolz und milde zugleich grüßte sie die letzten Getreuen, vom Licht der aufgehenden Sonne wie von einem Glorienschein umflossen – das Bild einer Majestät, voll Mut, Würde und Kummer.

Und das königstreue Heer ward von Begeisterung für die schöne, unglückliche Frau erfüllt. Wie ein Mann stand die Schar der mutigen Schweizer, bereit, den letzten Blutstropfen für ihr Herrscherhaus zu vergießen.

Man war nicht sicher, ob die Soldaten, welche vor dem Schlosse standen, königsfreundliche Gesinnungen hegten.

Ludwig wollte die Seinen vor Ausschreitungen bewahren und forderte daher seine Gemahlin auf, mit den Kindern und ihrem Gefolge im Schlosse zu bleiben.

Sie zauderte, aber seinem Drängen nachgebend, blieb sie endlich gegen ihren Willen. Und ganz allein, ohne einen einzigen treuen Mann zur Seite, hielt der unglückliche Monarch die letzte Revue. Unruhig und befangen schritt er über den Platz, die Soldaten umringten ihn, Hofrufe klangen. Aber das Oberhaupt der Armee fand kein Wort an seine Truppen. Je weiter er sich von den Tuilerien entfernte, desto kühler ward die Stimmung. Auf der nördlichen Terrasse empfingen ihn drohende Rufe. Noch feindlicher war die Haltung der Feuillants. Einige treue Diener mußten sich in doppelter Reihe vor ihn stellen, um ihn zu schützen. Immer lauter wurde der Lärm um ihn herum. So oft er zu Worte zu kommen suchte, ward er überschrien. Dämonischer Haß leuchtete ihm aus den rohen, höhnischen Gesichtern entgegen.

Die Königin hatte sich mit ihren Kindern, den Damen des Hofes und den Räten ihres Gemahls in sein Kabinett zurückgezogen, als das Toben und Wüten heraufklang.

Einer der Herren eilte zum Fenster, Marie Antoinette erhob sich. Plötzlich schlug der Minister das Fenster zu, das bleiche Antlitz auf seine Gebieterin gerichtet, schien er ihr den Ausblick wehren zu wollen. Aber sie hatte die Drohungen bereits gehört.

»Großer Gott,« rief sie, »es ist alles verloren! Es ist der König, den die Rotte anheult. Diese Revue hat mehr Schlimmes als Gutes bewirkt!«

Verzweifelt sank sie auf einen Sessel nieder. Da trat Ludwig der Sechzehnte herein, Schweißtropfen auf der Stirn. Die letzte Revue seiner Truppen war nicht nur ein Schmerzensgang ohnegleichen gewesen, sondern ein Fehltritt voll bittrer Folgen. Was Marie Antoinettes bestimmtes Auftreten, was die rührende Schönheit des Kronprinzen vielleicht erreicht hätten, das verdarb die weiche Gutmütigkeit Ludwigs, sein schlaffes, kraftloses, unkönigliches Auftreten, seine ängstliche Scheu, welche ihn bitten ließ, wo er befehlen sollte.

Und einstimmig gleich einem Donnerschlag durchzitterte der Ruf der Empörung die Luft: »Absetzung! Absetzung – oder Tod!« Offiziere stürzten herein – es sei allerhöchste Gefahr für das Leben der Majestäten. Ihnen folgte der Generalprokurator Roederer auf dem Fuße. »Eure Majestät haben nicht fünf Minuten zu verlieren,« wandte er sich an die Königin. »Nur die Nationalversammlung gewährt Ihnen noch Sicherheit.«

»Nagelt mich an diesen Wänden fest, ehe ich einwillige, dieselben zu verlassen,« entgegnete Marie Antoinette.

Derselbe Vorschlag war ihr schon vor wenigen Stunden gemacht worden, aber mit Entrüstung hatte sie ihn von sich gewiesen. Sie wußte, verließ der König, vor seinem Volke flüchtend, diese Stätte, so war alles verloren. Der Verzicht auf den Kampf auf Tod und Leben bedeutete eine tiefe Schmach für sie, die ihre stolze Seele nicht überwinden konnte: die Unterwerfung unter den Willen des Pöbels, eine Tat der Feigheit, gleichbedeutend mit der Unterfertigung der Thronentsagung.

Aber Roederer wiederholte seine Erklärung.

Marie Antoinette konnte sich nicht entschließen.

»So stehen wir allein!« flüsterte sie mit weißen Lippen.

»Ja, Majestät,« entgegnete er, »Sie stehen allein. Verteidigung ist unmöglich. Ganz Paris ist auf den Beinen. Wollen Sie die Verantwortung auf sich nehmen, wenn der König, Ihre Kinder und Sie selbst ermordet werden – abgesehen von den treuen Dienern, die Sie umgeben!?«

»Gott bewahre mich davor!« schrie sie auf. »Könnt ich allein das Opfer sein!«

Alles war in Aufruhr in ihr. In einem Augenblick wurden ihr Hals und Antlitz dunkelrot, während ihr der Schweiß über die Wangen perlte. Sie flehte ihren Gemahl an, sich an die Spitze der königstreuen Truppen zu stellen; doch er schwankte, wie immer, und schlug ihre Bitte ab.

»Wir wollen gehen!« sagte er dumpf.

Noch einmal widersetzte sie sich mit aller Kraft, deren ein Weib, dem man alles nimmt, fähig ist – umsonst. Mit nassen Augen erklärte Ludwig, ohne sie das Schloß nicht verlassen zu wollen. Da nahm sie unter strömenden Tränen ihre Kinder an die Hand und folgte ihm.

»Sie stehen mir für die Person des Königs, Sie stehen für meinen Sohn ein,« sagte sie zu Roederer.

»Madame,« erwiderte der Generalprokurator, »ich gelobe, an ihrer Seite zu sterben! Das ist das einzige, wofür ich einstehen kann!«

Sie blickte ein letztes Mal in dem weiten Raum umher, als wollte sie die Erinnerung an die bangen, leidvollen Stunden, die sie in dem alten Königsschloß verlebt, festhalten und in der Seele bewahren, dann schritt sie erhobenen Hauptes zur Tür. Hätte sie's geahnt, daß nicht alle dachten, wie der Mann, der sie und die Ihrigen aus den Tuilerien geleitete, keine Macht der Welt hätte sie lebend von der Stätte des Thrones vertrieben.

In der offenen Saaltür hatte während der letzten Viertelstunde ein junger Offizier gestanden. Teilnehmend hatten die dunklen Augen auf der schönen, unglücklichen Frau geruht, die sich zitternd dagegen sträubte, daß man ihre Krone und ihren Königsnamen in den Staub zog, die den schwachen Souverän an ihrer Seite vor Schmach und Schande zu schützen suchte. Wie eine Niobe erschien sie ihm in ihrem verzweifelten Mut, ihrer hilflosen Schönheit, ihrer starken Mutterliebe, die bis aufs Blut mit dem Herrscherstolze kämpfte. Als sie endlich den Bitten ihres kraftlosen Gatten nachgab, zuckte es wie Wetterleuchten über die eisernen Züge des Mannes im Reitermantel. Er hat später über diese Begebenheit, deren Augenzeuge er gewesen, berichtet und das kühne Wort gesprochen, mit zwei Bataillonen, Schweizern und einigen berittenen Soldaten zur Verfügung hätte er es auf sich genommen, den Aufrührern einen Denkzettel zu geben, den sie sobald nicht vergessen hätten – eine stolze Erklärung, aber die Jahre rechtfertigten sie; der Sprecher hieß Napoleon Bonaparte. – – – – – – – –

Von den Türmen schlug es acht Uhr. Nur von den Nächststehenden begleitet, schritt die königliche Familie die Stufen ihres Schlosses hinab.

»Wir kommen wieder!« rief der König den zurückbleibenden Dienern zu.

»Wir kommen wieder!« klang's unter Tränen von den Lippen der Königin, und das Kind von Frankreich, das die Mutter an der Hand führte, wandte sein Lockenköpfchen und winkte den Getreuen mit der kleinen Hand sein letztes freundliches Lebewohl.

Mit blutenden Herzen sahen die alten Diener der Königsfamilie nach; so gut wie dieselbe sagten sie sich, daß sie dies Schloß nie wieder betreten werde.

Die Sonne stach. Rasch durchschritten sie die Tuileriengärten. Von der Augusthitze versengt, fiel das erste gelbe Laub zur Erde.

»Wir werden nie zurückkehren,« sagte die Prinzessin von Lamballe zu der Schwester des Königs, »mit dem fallenden Laube sinkt das Königtum dahin!«

Elisabeth neigte stumm das Haupt, ihre ganze Hoffnung stand unbewegt auf Gott, ob auch die Not mit Zentnerschwere auf ihrer starken Seele lag.

Die treuen Nationalgardisten bahnten den Flüchtlingen mit Gefahr des eigenen Lebens einen Weg durch die Volksmassen, und dank Roederers Geistesgegenwart und des ruhigen, sicheren Auftretens der Königin, welche die drohenden Worte und Verwünschungen rings um sie her nicht zu verstehen schien, langten sie endlich in der Nationalversammlung an. Nach langem Warten auf einem düstern Flur wies man ihnen eine Journalistenloge als Unterkunft, wo sie sich, aufs äußerste erschöpft, niederließen.

Sechzehn lange, entsetzliche Stunden verbrachte der Unglückliche König mit seiner Familie in dem niedrigen, von der Augustsonne durchgluteten Raum. Hier mußte er Zeuge sein, wie man ihn seiner Macht entkleidete und den Beschlüssen der Reichsversammlung Gesetzeskraft zusprach. Draußen donnerten die Kanonen – der Pöbel stürmte die Tuilerien. Marie Antoinette bedeckte das Antlitz mit den Händen. Ihre Augen leuchteten, sie wußte, daß die Schweizer ihr Leben für sie einsetzen würden, daß drüben am Thron von Frankreich die Treue wachte, trotz Bluten und Morden.

Unbestimmte Hoffnungen erwachten in ihrer Seele, aber sie schwanden bald – es waren die letzten Royalisten, deren Blut in den Königssälen vergossen ward.

Draußen vernahm man die Forderung, die Schweizer sollten die Waffen niederlegen. Ein Edelmann drängte sich barhäuptig durch den Kugelregen bis zum Schlosse und brachte ihnen den Befehl, zur Reichsversammlung aufzubrechen, ihr Platz sei bei dem Könige. Und trotz ihres Kummers, den Kampfplatz verlassen und die Tuilerien preisgeben zu sollen, gehorchten die Mannschaften. Der Weg vom Schlosse bis zur Reichsversammlung forderte blutige Opfer, Scharen von Schweizern wurden niedergeschossen. Aber der Rest drang durch. Vom Eifer fortgerissen, den Degen in der Rechten, stürzte Baron Salis in die Versammlung.

»Die Schweizer!« schrie man von allen Seiten. Ein Deputierter befahl dem Anführer, Kapitän Dürler, seine Leute zu zwingen, die Waffen niederzulegen. Er weigerte sich. Man führte ihn zum König.

»Sire,« rief er mit erstickter Stimme, »ich soll die Waffen niederlegen!«

»Legen Sie sie nieder,« entgegnete Ludwig, »ich will nicht, daß so tapfere Männer umkommen!« und damit schrieb er folgende Worte auf einen Fetzen Papier: »Der König befiehlt den Schweizern, ihre Waffen niederzulegen und sich in ihre Kasernen zurückzuziehen.«

Das Billett wurde sofort abgesandt. Die Flucht der Majestäten aus den Tuilerien war mehr als eine bittere Enttäuschung für die königstreue Schar gewesen, nur die Ehrerbietung hatte Äußerungen des Unwillens und Schmerzes zurückgehalten. Der Befehl, die Waffen niederzulegen, aber wirkte wie ein Donnerschlag auf das tapfere Heer, und erst nach hartem Kampfe siegte die strenge, soldatische Disziplin über ihre Verzweiflung – die Schweizergarde brachte ihrem Herrn das letzte, schwerste Opfer: sie legte die Waffen nieder.

Ludwig hatte die Tragweite seines Befehls nicht übersehen. Um einige Schuldige zu schonen, hatte er das Leben seiner ergebensten und treuesten Untertanen auf das Spiel gesetzt.

Als die tapferen Krieger die Reichsversammlung verließen, wurde die Mehrzahl niedergeschossen. Ungefähr zweihundert wurden gefesselt und später getötet, und den Rest säbelte der Pöbel nieder. Das war das Ende der treuen Schweizergarde – ein Schandfleck in den Blättern der Geschichte, den kein Blut und keine Tränen auslöschen werden. – – – – – –

Der Abend brach herein. In den Tuilerien hauste der Pöbel, mordend und zerstörend. Die entsetzlichsten Szenen spielten sich in den Sälen ab, die einst die stolze Heimstätte der Könige von Frankreich gewesen. Berauschte Männer saßen in der Königstracht auf dem Thron. Frauen aus den untersten Volksschichten mit dem Stempel der Roheit auf den verzerrten Zügen wandelten in den Gewändern Marie Antoinettes durch die Säle, mit den Kleinodien der Königin behängen.

Die Keller waren erbrochen, Blut und Wein rannen in Strömen. Die Kammerfrauen und mehrere Ehrendamen, darunter die Prinzessin von Tarente-La-Tremouille, Cécile de Saint Hilaire und die junge Pauline Tourzel, waren im Schlosse zurückgeblieben. Zitternd hielten sie sich in Marie Antoinettes Zimmer verborgen, als der Kampf begann. Aber man hatte es nicht auf ihr Leben abgesehen.

»Man tötet keine Weiber,« schrie ein breitschultriger Kerl, als die Frauen, um Schonung flehend, der wilden Rotte entgegentraten. Die Schwerter wurden gesenkt, und über Blut und Leichen half man ihnen die Treppen hinab.

Dunkler wurden die Schatten, das Morden dauerte fort. Endlich ergriff das Feuer, das sich vom Karussellplatz über die nächsten Straßen verbreitet hatte, auch das Schloß. Weithin leuchtete die rote Lohe, als sei sie dem Blute der Toten entsprossen, unter dem Krachen der Balken und dem Knistern der Flammen verklangen die letzten Seufzer der Sterbenden. Dann ward es still in den weiten Sälen, die Sommernacht kam mit tausend Sternen herauf, und das Mondlicht warf seine bleichen Lichter auf den zerstörten Thron von Frankreich.

*

Um Mitternacht verließ ein trauriger Zug die Reichsversammlung. Der entthronte König wurde mit seiner Familie nach dem naheliegenden Feuillantkloster überführt.

Nach langen, schweren Stunden, in jeder Minute vom Entsetzlichsten bedroht, wurde der Entschluß gefaßt, die Gefangenen in den Temple zu bringen. Zuerst hatte die Reichsversammlung das Schloß Luxemburg zu ihrem Aufenthalt bestimmt, aber die Kommune erklärte den alten Palast Marias von Medici für ungeeignet, weil seine großen Keller Gelegenheit zur Flucht bieten könnten.

Als Marie Antoinette das Wort Temple vernahm, erbebte sie vor Schrecken. Schon als junge Dauphine hatte sie eine unerklärliche Furcht vor den verwitterten Türmen der alten Residenz der Tempelherren gehabt – heute erklärte sie sich diese düstere Vorahnung. Die Prinzessin von Lamballe, Frau von Tourzel und ihre Tochter waren die einzigen, welche Erlaubnis erhielten, die Gefangenen zu begleiten, alle übrigen waren ausgeschlossen.

Um neun Uhr abends nahm das Königspaar unter heißen Tränen von seinen treuen Dienern Abschied. Zwei Stunden später hielt der Wagen am Gitter des Temple. Das Tor war so niedrig, daß die Majestäten beim Eintritt die Köpfe neigen mußten.

Es war spät geworden, als Marie Antoinette ihre Kinder zur Ruhe brachte. Weinend neigte sie sich über den kleinen Karl Ludwig, und ganz leise, so daß die Wächter es nicht hören konnten, betete das Kind sein Abendgebet: »Allmächtiger Gott! der mich geschaffen und erlöst hat, ich liebe dich! Erhalte das Leben meines Vaters und meiner Familie! Beschütze uns gegen unsere Feinde! Gib meiner Mutter, meiner Tante und meiner Schwester die Kraft, deren sie bedürfen, um ihr Leiden zu tragen.« Dies Gebet ist von der Königin verfaßt und von ihrer Tochter, der späteren Herzogin von Angouléme, aufbewahrt und mitgeteilt worden.

»Amen,« sagte die Königin und küßte ihren Liebling.

Da schlangen sich zwei weiche Arme um ihren Nacken. »Weine nicht, chère maman,« flüsterte der Kleine und schmiegte sein zartes Gesichtchen an ihre tränenfeuchte Wange. Sie küßte ihn noch einmal, dann setzte sie sich neben dem ärmlichen Bettchen nieder und hielt die Kinderhände in den ihren, bis Karl Ludwig eingeschlafen war.

Durch die vergitterten Scheiben leuchtete der Vollmond, seufzend sah sie hinauf, und durch ihre Seele zog die bange Frage, wie es um sie und ihre Lieben stehen werde, wenn der Mond sich wieder runde. Mit einem letzten Blick auf den schlummernden Königsknaben verließ sie den öden Raum und begab sich in ihr Schlafgemach, welches sie mit ihrem Töchterlein teilen sollte. Todmüde legte sie sich zur Ruhe nieder, aber es kam kein Schlaf in ihre Augen. Immer wieder mußte sie nach den vergitterten Scheiben hinüberblicken. Die gekreuzten Eisenstäbe sagten ihr alles.

Seit unten die Tür ins Schloß gefallen, und der Schließer den rostigen Schlüssel gedreht, stand's fest in ihrer Seele: hier gab's keine menschliche Hilfe mehr – denn Wunder tat nur Gott.


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