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Sechstes Kapitel
Ein edles Herz

Das Aug wird matt, die Hand wird welk,
Die Hand, die einst so schön gewesen!
Ich schau ihr still ins Angesicht,
Als müßtest du im Lenz genesen.

Als müßte all die Poesie,
Der Jugendglanz, der dich umgeben,
Vom Todestraume auferstehn
Und voll erblühn zu neuem Leben!

Ein zartes Knösplein kannt ich einst
Und liebt und pflegte es vor allen –
Mein Herz, vergaßest du der Zeit
Und daß im Herbst die Blätter fallen?

 

Während Frankreichs Ritterschaft in Scharen das Land verließ, während es immer einsamer um den Thron wurde, während das unglückliche Königspaar sich von den Nächststehenden verlassen sah und Marie Antoinette vergeblich nach ihren alten Freunden ausschaute, war ein fremder Edelmann in ihrer Nähe geblieben, von dem einzigen Wunsche beseelt, ihr im Unglück Treue und Anhänglichkeit beweisen zu können – Graf Axel Fersen.

Während der wachsenden Unruhen war er im Lande. Im Januar 1790 verließ er seine Garnison in Valenciennes und bezog das alte Hotel, das er während der Glanzperiode der schönen Königin bewohnt, an die er als junger Kavalier sein Herz verloren. Er war gegangen, als ihnen beiden das Leben lachte, als die Liebe ihm in der Gestalt jenes hinreißenden Wesens verlockend entgegentrat, licht wie der Sonnenstrahl, der die Firn der Berge umleuchtet, klar und hell – und doch war's die Sünde, er brauchte nur die Bibel aufzutun, da stand's in nackten, dürren Worten, ein unantastbares Gottesgebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!

Er hatte gekämpft bis aufs Blut und gesiegt. Kein Mensch hatte es gewagt, den Namen des schwedischen Kavaliers in Verbindung mit den häßlichen Gerüchten zu nennen, die über die Königin kursierten. Er war vom ersten bis zum letzten Augenblick der Edelmann geblieben, tadellos in Gesinnung und Tat – sein Auftreten imponierte dem französischen Adel, und wenn derselbe es auch nicht für nötig hielt, sich nach dem sittenreinen Vorbilde zu richten, so nahm er doch den Hut davor ab und hatte ein anerkennend verbindliches Wort dafür.

Fersen war die Meinung der französischen Höflinge gleichgültig, seine Handlungsweise war nicht dem Wunsche entsprungen, vor jener leichtlebigen und durchaus nicht einwandfreien Schar gerechtfertigt dazustehen, er war stolz und kühl und ging seinen Weg für sich. Als Christ hatte er gehandelt, indem er ging, als ein Mann, der das Liebste auf Erden hoch und heilig hält, als ein Kleinod, einen Juwel ohne Makel. Daß andere seinen Edelstein mit Schmutz bewarfen, war der Schmerz seines Lebens, doch nicht seine Schuld. Er war zur rechten Zeit gegangen, in dem Augenblick, als die holde, vereinsamte Frau in seiner Liebe zu finden wähnte, was das Weib zum Manne zieht, als böse Zungen zu zischeln begannen, wenn der Schönste unter den Kavalieren am Hofe von Versailles dem Königspaar seine Aufwartung machte.

Jahre und Zeiten waren darüber hingegangen. Der schwedische Edelmann hatte die erste große Liebe seines Lebens nicht vergessen. Aber was der Jüngling erkämpft, war dem Manne verblieben: der Sieg und die stille Kraft, das Leid, die Einsamkeit seines Lebens zu tragen. Und in dieser Kraft kehrte er zurück, als ein lange Gewanderter, als einer, der bewährt worden. In dieser Kraft trat er vor die Frau, deren Bild in seiner Seele lebte, mit jener warmen, uninteressierten Freundschaft, welche an der Grenze zwischen Liebe und Verehrung steht – klar, keusch, wunschlos. Er schien es nicht zu bemerken, daß ihr lichtes Haar schneeweiß geworden, daß das Leid ihren Zügen seinen Stempel aufgeprägt für immer, daß die junge, glückstrahlende Königin ein müdes, blasses Weib geworden, durch Gram und Entbehrung gealtert. Hell und sonnig stand die schöne vergangene Zeit vor seiner Seele, da er der begünstigte Kavalier Marie Antoinettes gewesen, da das Leuchten ihrer Augen, das Lied ihrer Lippen, der Gruß ihrer weißen Hand ihm gegolten – dies Glück dankte er heute der Verlassenen durch unwandelbare Ergebenheit und Treue.

Als er zum erstenmal die Tuilerien, die längst ihr Gefängnis geworden, betrat, saß sie in ihrem Gemach, einem Raum, dessen verfallene Pracht seltsam mit dem düsteren Schicksal der unglücklichen Fürstin übereinstimmte. Auf ihrem verblichenen Haar spielte die Wintersonne, tiefe Schatten lagen unter den einst so lachenden Augen. Sie trug ein schlichtes, violettes Gewand, ein weißes Spitzentuch verhüllte Brust und Schultern. Es lag etwas Jungfräuliches in der zarten Frauengestalt, die still am Fenster über eine Arbeit gebeugt saß und nun fragend aufschaute und sich mit leicht geröteten Wangen erhob, dem Kommenden entgegenzugehen. Leichte Befangenheit malte sich in dem durchsichtigen Antlitz, und doch war sie ganz Königin. Der Mann auf der Schwelle des öden Gemaches schaute sie einen Augenblick an, als müsse er sich überzeugen, daß sie dieselbe sei, die er einst gekannt, dann verneigte er sich tief vor ihr, als stände er am Thron von Frankreich.

Sie eilte auf ihn zu und streckte ihm beide Hände entgegen, feine, weiße, königliche Hände, denen man's nicht ansah, daß sie seit Wochen und Monden mancherlei Arbeit taten. »Graf Fersen,« sagte sie leise, »welch ein Wiedersehen!« Das war der alte geliebte Ton, und doch wie anders, als sei die Glocke aus Edelmetall zersprungen, und kein Meister könne den Schaden heilen.

Und dann setzte sie sich auf ihren alten Platz in die Sonne und gebot ihm mit ihrer unnachahmlichen Grazie, ihr gegenüber Platz zu nehmen. Er mußte sie immer ansehen, diese Frau, die Elend und Entsagung tausendmal härter bedrücken mußten, als jede andere, aber er fühlte es bald heraus: ihr Königsstolz war noch ungebrochen. Mit der alten Würde, aber in einem Ton, der ihm das Herz zerriß, entschuldigte sie die Unordnung, die Nacktheit des alten, so lange unbewohnten Schlosses. »Sie wissen,« sagte sie mit zuckenden Lippen, »wir ahnten nicht, daß wir hier stranden würden.«

Es war ihm unmöglich, ein Wort darauf zu erwidern, stumm neigte er sich über ihre Hand – eine Träne fiel darauf nieder.

Seit die Prinzessin von Lamballe zurückgekehrt war und schluchzend am Halse ihrer Königin gehangen, war's das erstemal, daß die Treue an ihr Gefängnis pochte und an ihrer Seite saß und ihr Herzeleid mit ihr trug. Die hellen Tränen rannen ihr über die Wangen, die unwandelbare Ergebenheit, die der schwedische Kavalier ihr entgegenbrachte, rührte sie in tiefster Seele, und als Fersen ihr seinen Arm und seine Kraft mit demselben Feingefühl anbot, mit welchem er ihr früher seine Liebe verborgen, da zauderte sie nur wenige Augenblicke, die treue Hand zu ergreifen und ihm zu versprechen, seine Hilfe anzunehmen, wenn die Zeit gekommen sei. Ein schmerzliches Lächeln spielte bei diesem letzten Zusatz um ihre Lippen.

»Wenn die Zeit gekommen ist,« wiederholte sie. »Gott gebe, daß sie noch kommt, ich fürchte, die rechte Stunde ist versäumt.«

Er war in allem, was ihre Rettung anbetraf, Optimist. »Nein, Majestät, noch ist es nicht zu spät,« sagte er, »aber wir dürfen nicht ein zweites Mal den geeigneten Moment versäumen.«

Sie schwieg, er merkte, daß sie seinen reifenden Plänen noch nicht zugänglich sein werde, und verschob seine Vorschläge auf eine gelegenere Stunde. Die Hauptsache war ihm heute gewesen, daß sie es wußte: er war zu aller Zeit für sie da, sein ganzes Leben war ihrem Dienst, ihrer Rettung geweiht. Und die unglückliche Königin verstand diese tiefe, wahre Freundschaft, die niemals das eigene Glück suchte, sie verstand sie und erwiderte sie aus tiefstem Herzen. Auch sie hatte manches erfahren und gelernt in harter Schule und war geläutert aus derselben hervorgegangen. Ruhig trat sie dem Manne entgegen, den sie so heiß geliebt, sie konnte ihm gegenüberstehen ohne Reue, und ihm hatte sie nichts vorzuwerfen, sie hatte ihm nur zu danken. Liebe hatte er sie gelehrt, und dann war er gegangen, und sie hatte, freilich nach langem Kämpfen und Irren, den Weg zu dem Herzen des Mannes gefunden, dem sie die Treue gelobt vor Gott. Und nun trat er als Freund zu ihr, bereit, alles für sie zu opfern – einen Augenblick stand sie überwältigt da, die Treue war ihr ein so seltener Gast geworden, daß sie's kaum glauben konnte, daß sie mit Gefahr des eigenen Lebens an ihre Tür klopfte und sich ihr zu eigen gab.

»Ihre Anhänglichkeit bewegt mich tief, lieber Graf,« sagte sie, als sie ihm die Hand zum Abschied reichte, »keine Gabe der Welt könnte mich heute mehr erquicken, als das Bewußtsein, daß ein treues Herz für mich schlägt!«

Er sah sie mit einem langen Blick an. »Es gibt kein größeres Glück für mich, als Eurer Majestät dienen zu dürfen,« sagte er schlicht und küßte ihre Hand.

Und dann war er gegangen. In Gedanken verloren stand Marie Antoinette am Fenster und sah der hohen Gestalt nach, bis sie ihren Blicken entschwunden war. Seufzend legte sie die Hand über die heißen Augen, an die klopfenden Schläfen, teilnahmslos stärkte sie auf die Straßen hinab, wo die Menge sich darum stritt, wer der Majestät die größte Beleidigung zugefügt habe.

In der Seele der verlassenen Frau war die Erinnerung an vergangene Zeiten erwacht. In Trianon blühten die Rosen, alles um sie her war Glanz und Sonne, und die Welt huldigte der Schönsten unter den Frauen, die das Diadem getragen. Hinter liliendurchwirktem Schleier schlief ihr Königsknabe, das Kind von Frankreich, und lächelte erwachend der jungen Mutter entgegen. Ein Kavalier mit klarer Stirn und ernsten Augen stand an ihrer Seite, und sie zeigte ihm den Thronerben. Mit melancholischem Lächeln blickte der junge Offizier auf Maria Theresias Enkel, dann neigte er sich tief über die Hand seiner Königin und sagte leise: »Gott segne das Kind von Frankreich!«

Ihr Auge streifte mit stummer Frage sein trauriges Antlitz, dann senkte sie verwirrt den Blick. War's der Gram um das Frauenherz, das ihm angehörte mit all seinen Gedanken und ihm doch nicht angehören durfte, den sie darin las? War's der Kampf mit dieser königlichen Minne, der Streit mit der Sünde verbotenen Begehrens, des Begehrens im feinsten Sinne, ohne welches das Weltkind nicht zu leben weiß, weit entfernt, ein Unrecht darin zu erblicken? Sah er's darin? Er war ein Christ, nicht nur dem Namen nach, mit Leib und Seele, mit dem Verstand und ganzen Herzen war er's – ungeteilt. Der Kampf war an ihn herangetreten, und er hatte gesiegt und sie, die er liebte, zum Siege geführt. Aber es war ein Sieg voller Schmerzen gewesen, und die schöne, angebetete Frau konnte den fremden Kavalier nicht vergessen, wenn sie auch ihre Pflicht wieder erkannte. Doch aus Pflicht lieben, ist harte Arbeit, und harte Arbeit war's ihr allezeit gewesen, dem Manne, dem sie angehörte, mehr als ihre Achtung zu schenken. Erst als die Not an ihre Tür klopfte und sie zu Leidensgefährten machte, kam sie ihm näher. Ludwigs schwankendes, zaghaftes Wesen bedurfte eines Haltes, sie war's, die sich stark machte und ihm energisch in allen Schwierigkeiten zur Seite stand. War er in Schwermut versunken, sie richtete ihn auf, wußte er nicht mehr aus noch ein, so kam sie ihm mit ihrem Rat zu Hilfe. Das Mitleid, das schon so oft wärmere Gefühle geweckt, schuf auch in ihrem Innern eine Wandlung, und als sie in den dunkelsten Zeiten die Geduld und Ergebung ihres Gemahls bewundern lernte, schenkte sie ihm ihr Herz. Dann nahte ihr der Mann, den sie so heiß geliebt, als Freund, und sie konnte ihm gegenübertreten, wie er ihr gegenübertrat – mit reinem Herzen.

Sie faltete still die Hände und dankte Gott, daß es so war. Wäre sie nicht frei gewesen, sie hätte ihn von sich weisen müssen mit blutendem Herzen, nun aber konnte sie ruhig seine tiefe, gereifte Freundschaft erwidern und sich an der Treue erquicken, die ihr so selten begegnete. Es war ihr ganz eigen ums Herz, daß sie so still geworden, daß sie so wunschlos war in noch jungen Jahren. Wie heiß hatte sie's einst ersehnt, mit ihm am Fjord zu sitzen und das Meer leuchten zu sehen, hoch im Norden, wo die Treue wachte und die Föhren ihr einförmiges Lied um die Klippen rauschten. Es gab eine Zeit in ihrem Leben, da sie ihre Krone darum gegeben hätte, wenn sie ihr Haupt an seiner Brust hätte bergen dürfen, wenn sie den Kuß seiner Liebe auf den Lippen gefühlt.

Und von dem allen war nur eines geblieben: die tiefe herzliche Dankbarkeit für die hellen Stunden, für die Bewahrung vor der Verletzung eines heiligen Gottesgebots – nichts weiter, und doch war's das Größte, das sie empfangen konnte: der Sieg über ihr Herz, ein Kleinod, das nur wenige erringen.

Ein Lächeln ging über ihre zarten Züge, wie der milde Glanz der späten Sonne.

Da scholl Lärm und Geschrei zu ihr empor. Eine Horde Jakobiner und einige halbbetrunkene Fischweiber standen unter den Fenstern der Königin und riefen die schamlosesten Beleidigungen herauf.

Flammende Röte stieg in die Wangen der blassen Frau, aller hochaufgerichtet blieb sie stehen und blickte, die Arme verschränkt, mit majestätischer Würde auf den Pöbel nieder. Ein Zug tiefster Verachtung lag auf ihrem Antlitz, als sie sich endlich langsam abwandte und bis in die Mitte des Gemaches schritt. Da verließen sie die Kräfte, laut aufschluchzend schlug sie die Hände vor das Antlitz.

Zwei Arme umschlangen sie; Ludwig, der dem Auftritt von seinem Zimmer aus beigewohnt, war hereingetreten und nahm sie still ans Herz. Ein Strom von Tränen erleichterte sie. Er aber blickte die Frau, die er mehr als alles andere auf Erden liebte, mit seinen treuen, ehrlichen Augen an, als wollte er sagen: »Du bist dennoch meine Königin.«


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