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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die Härte des Manlius Torquatus und die Milde des Valerius erwarben beiden den gleichen Ruhm.

In Rom waren zur selben Zeit zwei ausgezeichnete Feldherren, Manlius Torquatus und Valerius Corvinus, Vielmehr Marcus Valerius Corvus, der Held des ersten Samniterkrieges (343-341 v. Chr.) beide gleich an Verdiensten, Triumphen und Ruhm. Diesen Ruhm erwarben sie sich dem Feind gegenüber durch gleiche Tapferkeit, aber dem Heere gegenüber durch ganz verschiedene Behandlung der Soldaten. Denn Manlius führte den Oberbefehl mit jeder Art von Strenge und erließ den Soldaten keine Strapazen und Strafen; Valerius hingegen behandelte sie in jeder Weise freundlich und mit vertraulicher Leutseligkeit. Der eine ließ seinen Sohn hinrichten, um sich Gehorsam zu verschaffen, der andre tat niemand etwas zuleide. Trotz so verschiedenen Verhaltens hatten beide die gleichen Erfolge, sowohl dem Feind gegenüber als zum Nutzen der Republik und zum eignen Vorteil. Nie wich ein Soldat aus der Schlacht, empörte sich gegen sie oder verweigerte ihnen irgendwie den Gehorsam, obwohl Manlius in seinen Befehlen so hart war, daß man alle Befehle, die zu weit gingen, Manliana imperia nannte.

Hier ist nun zuerst zu untersuchen, warum Manlius so streng verfahren mußte, zweitens, warum Valerius so menschlich verfahren konnte, drittens, warum ihr entgegengesetztes Benehmen den gleichen Erfolg hatte, und schließlich, welches besser und nachahmenswerter ist.

Betrachtet man den Charakter des Manlius von der Zeit an, wo Livius ihn zuerst erwähnt, so findet man einen sehr tapfern Mann, voller Liebe gegen Vater und Vaterland, voller Ehrfurcht gegen seine Vorgesetzten. Man erkennt dies aus dem Zweikampf mit dem Gallier, aus der Verteidigung seines Vaters gegen den Tribunen und aus den Worten, die er vor dem Kampf mit dem Gallier zum Konsul sprach: Iniussu tuo adversus hostem nunquam pugnabo, non si certam victoriam videam. Livius VII, 10 (361 v. Chr.). Für die Verteidigung des Vaters gegen den Tribunen s. Buch I, Kap. 11, dieses Werkes. (Ohne dein Geheiß werde ich nie mit dem Feinde kämpfen, auch wenn ich den sichern Sieg vor Augen hätte.) Gelangt nun ein solcher Mann zu einer Befehlshaberstelle, so will er, daß alle ihm gleich sind, sein tapfrer Geist läßt ihn schwere Dinge befehlen und verlangt die Ausführung dieser Befehle. Es ist aber eine sehr wahre Regel, daß auf die Ausführung harter Befehle mit Härte gehalten werden muß, widrigenfalls man sich getäuscht sieht. Will man also Gehorsam finden, so muß man zu befehlen verstehen; das aber versteht nur, wer sich mit dem, der gehorchen soll, vergleicht. Findet er das rechte Verhältnis, dann soll er befehlen; findet er es nicht, dann soll er es lassen. Darum sagte ein weiser Mann, um einen Staat mit Gewalt zu beherrschen, müßten die Kräfte des Zwingherrn und der Bezwungenen im rechten Verhältnis stehen. Wo dies der Fall sei, könne man glauben, daß die Herrschaft von Dauer sei. Wäre aber der Unterdrückte stärker als der Unterdrücker, so könne man täglich das Ende der Gewaltherrschaft erwarten. Um aber zu unserm Gegenstand zurückzukehren, sage ich: um starke Taten zu befehlen, muß man selbst stark sein. Wer aber diese Stärke besitzt und solche Taten befiehlt, kann die Ausführung nicht mit Sanftmut erwirken. Wer hingegen diese Stärke des Geistes nicht besitzt, der hüte sich vor außerordentlichen Befehlen. Er kann bei gewöhnlichen Befehlen seine Milde zeigen, denn die gewöhnlichen Strafen werden nicht dem Fürsten, sondern den Gesetzen und Einrichtungen zugerechnet. Man muß also annehmen, daß Manlius zu seinem strengen Verfahren durch die ungewöhnlichen Befehle gezwungen wurde, die er seiner Natur nach gab. Dergleichen Befehle sind in Republiken nützlich, weil sie deren Einrichtungen zu ihrem Ursprung und zu ihrer alten Trefflichkeit zurückführen. Ja, wäre eine Republik so glücklich, oft Männer zu haben, die durch ihr Beispiel die Gesetze erneuern und den Staat nicht allein auf der Bahn des Verderbens aufhalten, sondern ihn zurückführen, so würde sie ewig bestehen. Manlius war ein solcher Mann. Durch die Härte seiner Befehle hielt er die römische Kriegszucht aufrecht. Hierzu zwang ihn zuerst seine Natur und dann das Verlangen, das ausgeführt zu sehen, was er aus natürlicher Neigung befohlen hatte.

Andrerseits konnte Valerius milde verfahren, da er sich damit begnügte, auf die Befolgung der gewöhnlichen Kriegsregeln der römischen Heere zu halten. Da diese gut waren, so reichten sie hin, ihm Ehre zu machen, und da sie nicht schwer zu beachten waren, hatte er es nicht nötig, Übertretungen zu bestrafen, denn es gab entweder keine, oder hätte es doch welche gegeben, so hätte man ihre Bestrafung, wie gesagt, nicht der Härte des Befehlshabers, sondern den Einrichtungen zugeschrieben. Valerius konnte also stets milde verfahren und sich dadurch den Dank der Soldaten und ihre Zufriedenheit erwerben, und so konnten beide den gleichen Gehorsam finden und bei verschiedenem Benehmen die gleichen Erfolge erzielen. Wer sie aber nachahmen will, kann sich leicht verächtlich oder verhaßt machen, wie ich oben an Scipio und Hannibal zeigte; nur durch hervorragende Tapferkeit kann man diesen Übeln entgehen.

Es bleibt uns noch zu untersuchen, welches Verfahren löblicher ist. Ich halte das für sehr ungewiß, da die Schriftsteller beide Arten loben. Allerdings stellen sich die, welche die Lebensregeln der Fürsten aufstellen, mehr auf seiten des Valerius als des Manlius, und der bereits erwähnte Xenophon stimmt in vielen Zügen von der Milde des Kyros fast mit dem überein, was Livius von Valerius sagt. Denn als Valerius als Konsul den Samnitern gegenüberstand und der Tag der Schlacht herankam, sprach er zu seinen Soldaten mit der gleichen Milde wie sonst, und Livius sagt nach dieser Rede folgendes: Non alius militi familiarior dux fuit, inter infimos militum omnia haud gravate munia obeundo. In ludo praeterea militari, cum velocitatis viriumque inter se aequales certamina ineunt, comiter facilis vincere ac vinci, vultu eodem; nee quemquam aspernari parem, qui se offerret; factis benignus pro re; dictis, haud minus libertatis alienae quam suae dignitatis memor; et quo nihil popularius est, quibus artibus petierat magistratus, iisdem gerebat. VII, 33. Vor der Schlacht am Berg Gaurus (343 v. Chr.) (Kein Feldherr war mit den Soldaten vertraulicher; wie die niedrigsten Soldaten nahm er alle Dienste willig auf sich. Auch zu den Lagerspielen, wo die Gleichstarken im Laufen und Ringen Wettkämpfe veranstalteten, war er stets freundlich bereit, gewann oder unterlag mit gleicher Miene und verschmähte keinen, der sich ihm zum Wettkampf anbot. Er belohnte jede Tat. Im Reden vergaß er nie, was er der Freiheit andrer und der eignen Würde schuldig war, und was ihn am beliebtesten machte: er versah sein Amt in derselben Weise, wie er sich darum beworben hatte.) Auch von Manlius spricht Livius ehrenvoll. Er zeigt, wie die Strenge, die er durch die Hinrichtung seines Sohnes bewies, das Heer so gehorsam machte, daß dadurch der Sieg der Römer über die Latiner herbeigeführt wurde. In der Schlacht am Vesuv (340 v. Chr.). Vgl. Livius VIII, 7 ff. Ja, ergeht in seinem Lobe so weit, daß er nach der Beschreibung der Schlacht, der Gefahren, die das römische Volk dabei lief, und der Schwierigkeiten des Sieges damit schließt: nur die Tapferkeit des Manlius habe den Römern diesen Sieg verschafft. Bei der Vergleichung der beiderseitigen Streitkräfte versichert er, der Teil habe gesiegt, der den Manlius zum Anführer gehabt hätte.

Erwägt man also alles, was die Schriftsteller darüber sagen, so läßt sich schwer ein Urteil fällen. Um jedoch die Sache nicht unentschieden zu lassen, meine ich, daß für einen Bürger, der unter den Gesetzen einer Republik lebt, das Verfahren des Manlius löblicher und ungefährlicher ist. Es kommt allein dem Staat zugute und dient in keiner Weise dem Ehrgeiz eines Einzelnen, denn wenn man jeden gleich hart behandelt und nur das öffentliche Wohl im Auge hat, kann man sich keine persönlichen Freunde oder Parteigänger erwerben. Es gibt daher in einer Republik nichts Nützlicheres und Achtenswerteres, als eine solche Handlungsweise, denn sie schadet dem öffentlichen Wohl nicht, und es kann kein Verdacht gegen Privatgewalt aufkommen. Mit der Handlungsweise des Valerius verhält es sich umgekehrt. Denn ist ihre Wirkung für die Öffentlichkeit auch die gleiche, so entstehen doch viele Bedenken wegen der besonderen Zuneigung, die der Feldherr sich bei den Soldaten erwirbt und die bei längerem Oberbefehl der Freiheit verderblich werden kann. War das aber bei Valerius nicht der Fall, so kam das einzig daher, daß die Denkart der Römer noch unverderbt war und daß er nicht lange und ununterbrochen den Oberbefehl führte.

Haben wir aber, wie Xenophon, einen Fürsten im Auge, so werden wir ganz auf Seiten des Valerius treten und von Manlius abgehen, denn ein Fürst muß bei seinen Soldaten und Untertanen Gehorsam und Liebe suchen. Gehorsam verschafft ihm die Beobachtung der Verfassung und der Ruf der Tapferkeit. Liebe erwirbt er sich durch Herablassung, Leutseligkeit und Milde und die übrigen Eigenschaften, die Valerius besaß und die Xenophon dem Kyros zuschreibt. In der Kyropädie. Vgl. auch Herodian, I, 4, wo der sterbende Mark Aurel den Commodus zu Güte und Menschlichkeit ermahnt; Seneca, De Clementia, I, 8, und Diodor, XXVII, 18. S. auch Buch III, Kap. 19, Anm. 107, und Kap. 20, letzter Absatz dieses Werkes. Denn wenn ein Fürst persönlich beliebt ist und seine Soldaten an ihm hängen, so verträgt sich das durchaus mit der Verfassung einer Monarchie. Hängt aber das Heer an einem Bürger, so verträgt sich das nicht mit der Verfassung eines Freistaats, die Gehorsam gegen Gesetz und Obrigkeit fordert.

In der ältern Geschichte der Republik Venedig liest man folgendes. Nach der Rückkehr der Galeeren brach zwischen der Bemannung und dem Volke ein Streit aus, der zu Aufruhr und Blutvergießen führte und der sich weder durch die öffentliche Gewalt noch durch die Ehrfurcht vor angesehenen Bürgern, noch durch die Furcht vor der Regierung beilegen ließ. Da erschien vor den Seeleuten ein Edelmann, der im Jahre zuvor Admiral gewesen war, Pietro Loredan. und sofort stellten sie aus Liebe zu ihm den Kampf ein. Dieser Gehorsam erregte beim Senat so großes Mißtrauen, daß man sich alsbald durch seine Gefangenschaft oder seinen Tod vor ihm sicherte.

Ich ziehe also den Schluß, daß das Verfahren des Valerius bei einem Fürsten nützlich, aber bei einem Bürger verderblich ist, nicht nur für das Vaterland, sondern auch für ihn selbst. Für das Vaterland, weil es den Weg zur Tyrannei bahnt; für ihn, weil der Staat bei einem Verdacht gegen seine Handlungsweise gezwungen ist, sich zu seinem Schaden vor ihm zu sichern. Umgekehrt ist das Verfahren des Manlius bei einem Fürsten schädlich, bei einem Bürger aber nützlich, besonders für das Vaterland, und auch für ihn selbst selten schädlich, außer wenn der Haß, den ihm seine Strenge zuzieht, durch den Argwohn vermehrt wird, den das durch seine andern Vorzüge erworbene große Ansehen erregt, wie unten an Camillus gezeigt werden soll.


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