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Neunzehntes Kapitel

Nach einem ausgezeichneten Fürsten kann sich ein schwacher halten; nach einem schwachen aber kann sich mit einem zweiten schwachen kein Reich behaupten.

Betrachtet man die Eigenschaften und die Handlungsweise des Romulus, Numa und Tullus, der ersten drei römischen Könige, so erkennt man, daß Rom ein großes Glückslos zog, da es zuerst einen sehr tapferen und kriegerischen, dann einen friedlichen und frommen und hierauf einen König hatte, der Romulus an Tapferkeit gleichkam und den Krieg mehr liebte als den Frieden. Denn Rom mußte anfangs einen Ordner des bürgerlichen Lebens haben, aber die folgenden Könige mußten auch zur Tapferkeit des Romulus zurückkehren, sonst wäre Rom verweichlicht und zur Beute seiner Nachbarn geworden. Daraus ergibt sich, daß ein Herrscher, der nicht so tapfer ist wie sein Vorgänger, den Staat durch dessen Tapferkeit noch aufrechterhalten und die Früchte seiner Anstrengungen genießen kann. Hat er aber ein langes Leben oder folgt ihm ein andrer ohne die Tapferkeit des ersten, so muß das Reich notwendig zugrunde gehen. Besitzen dagegen zwei Fürsten hintereinander große Tapferkeit, so sieht man sie häufig das Größte vollbringen und ihren Ruhm bis zum Himmel erheben.

David war ohne Zweifel ein Mann von hervorragender Erfahrung im Kriegswesen, voller Kenntnisse und Urteilskraft, ja, seine Tapferkeit war so groß, daß er alle seine Nachbarn besiegte und niederwarf und seinem Sohn Salomo das Reich im Frieden hinterließ. Salomo konnte es durch die Künste des Friedens und des Krieges erhalten und die Früchte der väterlichen Tapferkeit glücklich genießen. Nicht so konnte er das Reich seinem Sohne Rehabeam hinterlassen, und da dieser an Tapferkeit dem Großvater und an Glück dem Vater nachstand, behielt er kaum den sechsten Teil seines Erbes. Der türkische Sultan Bajesid, der den Frieden mehr liebte als den Krieg, konnte die Früchte der Anstrengungen seines Vaters Mohammed genießen, Mohammed II. (1451-81) eroberte 1453 Konstantinopel und unterwarf den Peleponnes, Epirus, Albanien und Bosnien. Die Regierung seines Sohnes Bajesid II. (1481-1512) war tatenlos. der seine Nachbarn wie David niedergeworfen hatte und ihm ein befestigtes Reich hinterließ, das er durch die Künste des Friedens leicht erhalten konnte. Hätte aber sein Sohn Selim, Selim I. (1512-21) eroberte Armenien, Syrien, Arabien und Ägypten. der jetzige Großherr, dem Vater und nicht dem Großvater geglichen, so wäre das Reich zugrunde gegangen; indes scheint sein Ruhm den des Großvaters noch überstrahlen zu sollen. Diese Beispiele beweisen, daß sich nach einem ausgezeichneten Fürsten ein schwacher halten kann; unter einem zweiten schwachen aber kann sich kein Reich behaupten, es sei denn, daß es sich wie Frankreich durch seine alten Einrichtungen von selbst erhielte. Schwach aber sind alle Fürsten, die sich nicht auf den Krieg verstehen.

Ich ziehe also den Schluß, daß die große Tapferkeit des Romulus dem Numa Pompilius erlaubte, Rom viele Jahre lang durch die Künste des Friedens zu regieren. Auf ihn aber folgte Tullus Hostilius, der durch seine Tapferkeit den Ruf des Romulus wiederherstellte; auf ihn Ancus Marcius, der so veranlagt war, daß er den Frieden benutzen und den Krieg ertragen konnte. Anfangs die Bahn des Friedens beschreitend, erkannte er bald, daß ihn die Nachbarn für weibisch hielten und gering schätzten, und so sah er ein, daß er zur Erhaltung Roms zu den Waffen greifen und dem Romulus, nicht dem Numa, nachstreben müsse. Daraus mögen sich alle Fürsten, die einen Staat zu regieren haben, eine Lehre ziehen. Wer dem Numa gleicht, wird die Herrschaft behalten oder nicht behalten, je nachdem die Umstände oder das Glück sich wenden; wer aber dem Romulus gleicht und wie er klug und tapfer ist, wird sie unter allen Umständen behalten, wenn er nicht von einem hartnäckigen und übermütigen Feinde gestürzt wird. Hätte Roms dritter König seinen Ruf nicht mit den Waffen wiederhergestellt, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß Rom später nie mehr oder doch nur mit der größten Schwierigkeit Fuß gefaßt und derartige Erfolge errungen hätte. Und so war es unter den Königen stets in Gefahr, unter einem schwachen oder schlechten Herrscher zugrunde zu gehen. Vgl. Kap. 10, Abs. 3, am Schluß.


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