Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundfünfzigstes Kapitel

Von einem Trugbild des Guten getäuscht, begehrt das Volk oft seinen Untergang und läßt sich leicht durch große Hoffnungen und dreiste Versprechungen hinreißen.

Nach der Eroberung von Veji 396 v. Chr. Vgl. Livius V, 24. kam das römische Volk auf den Einfall, daß es für Rom vorteilhaft wäre, wenn die Hälfte der Einwohner nach Veji zöge. Denn da diese Stadt ein großes Gebiet und viele Häuser habe, auch nahe bei Rom sei, so könne man die Hälfte der römischen Bürger bereichern, ohne daß bei der Nähe von Veji der Gang der Staatgeschäfte gestört werde. Der Gedanke schien dem Senat und den einsichtigen Römern so zwecklos wie schädlich, und sie erklärten offen, lieber sterben zu wollen, als in diesen Beschluß zu willigen. Bei dem Streit, der darüber entstand, geriet das Volk derart in Wut gegen den Senat, daß es zu Kampf und Blutvergießen gekommen wäre, hätte sich der Senat nicht durch einige alte und geachtete Bürger gedeckt, deren ehrwürdiges Wesen den Übermut des Volkes zügelte.

Hierbei ist zweierlei zu bemerken. Erstens begehrt das Volk, von einem Trugbild des Guten getäuscht, oft seinen Untergang. Wird ihm also nicht von einem Manne, zu dem es Vertrauen hat, begreiflich gemacht, was gut und was übel ist, so entstehen in einer Republik zahlreiche Gefahren und Nachteile. Trifft es sich aber, daß das Volk niemand traut, wie es bisweilen vorkommt, wenn es früher schon durch die Dinge oder die Menschen getäuscht wurde, so stürzt es sich notwendig ins Verderben. Deshalb sagte Dante in seiner Abhandlung »De Monarchia«, das Volk schreie oft: Es lebe mein Tod und es sterbe mein Leben! Von diesem Mangel an Vertrauen kommt es bisweilen, daß in Republiken gute Maßregeln nicht ergriffen werden, wie wir es oben von den Venezianern gesagt haben. Nach der Niederlage bei Agnadello (Vailà) im Jahre 1509. Vgl. Kap. 6 und Buch III, Kap. 11 und 31. Denn als sie von vielen Feinden angegriffen wurden, konnten sie sich nicht entschließen, einen von ihnen, bevor alles verloren war, zu sich herüberzuziehen, indem sie ihm freiwillig Besitzungen abtraten, die sie den andern abgenommen hatten, und um derentwegen sich die Fürsten gegen sie verschworen und ihnen den Krieg erklärt hatten.

Erwägt man indes, wozu sich ein Volk leicht und wozu es sich schwer überreden läßt, so ist folgender Unterschied zu machen. Entweder zeigt das, wozu du das Volk überreden willst, auf den ersten Anblick Gewinn oder Verlust, oder es erscheint als ein mutiger oder ein feiger Entschluß. Zeigt sich nun bei einem Vorschlag, den man dem Volk macht, ein Gewinn, obwohl ein Verlust damit verbunden ist, und erscheint er mutig, obwohl er den Untergang der Republik bedeutet, so wird sich die Menge stets leicht überreden lassen. Dagegen wird es immer sehr schwer sein, sie zu Entschlüssen zu bringen, die nach Feigheit oder Verlust aussehen, auch wenn Heil und Gewinn damit verbunden sind. Dies wird durch zahlreiche Beispiele, römische und fremde, alte und neue, bestätigt. So entstand in Rom eine Mißstimmung gegen Fabius Maximus, weil er dem römischen Volk nicht beibringen konnte, daß es für die Republik vorteilhafter sei, den Krieg gegen Hannibal in die Länge zu ziehen und sich auf keinen Kampf einzulassen; denn das Volk hielt diesen Plan für feig und sah den Nutzen davon nicht ein, und Fabius konnte ihm diesen Nutzen nicht mit hinreichenden Gründen beweisen. Livius XXII, 15 ff.

Wie blind die Völker in ihren kühnen Entschlüssen sind, zeigt das Beispiel der Römer. Das Volk hatte den Fehler begangen, dem Reiterobersten des Fabius Marcus Minucius Rufus. Vgl. Livius XXII, 27 f. die Vollmacht zu geben, sich auch gegen den Willen des Diktators in einen Kampf einzulassen. Infolge dieser Vollmacht wäre das Heer beinahe vernichtet worden, hätte Fabius durch seine Klugheit nicht Abhilfe gefunden. Unbeirrt durch diese Erfahrung, wählte das Volk später den Varro Gajus Terentius Varro. Vgl. Livius XXII, 35. zum Konsul, dessen ganzes Verdienst darin bestand, daß er auf allen Plätzen und an allen öffentlichen Orten Roms versprochen hatte, den Hannibal zu vernichten, sobald man ihm Gewalt dazu gäbe. Die Folge war die Schlacht bei Cannae und fast der Untergang Roms.

Ich will hierfür noch ein zweites römisches Beispiel anführen. Hannibal war schon acht bis zehn Jahre in Italien gewesen und hatte das ganze Land mit römischen Leichen bedeckt. Da erschien im Senat Marcus Centenius Paenula, ein Mann aus dem niedersten Volke, der jedoch einen Rang im Heer bekleidet hatte, und erbot sich, wenn man ihm Vollmacht gäbe, überall in Italien, wo er wolle, Freiwillige zu werben, den Hannibal in kürzester Zeit lebend oder tot auszuliefern. Vgl. Livius XXV, 19. Dem Senat schien dieser Antrag zwar tollkühn; er sagte sich aber, wenn man ihn ablehnte und das Volk es erführe, so könnten daraus Unruhen, Mißvergnügen und Unwille gegen den Senatorenstand entstehen. Der Senat willigte also ein und wollte lieber alle, die dem Paenula folgten, in Gefahr bringen, als neuen Unwillen im Volke erregen; denn er wußte wohl, daß ein derartiger Vorschlag sehr geeignet war, Beifall zu finden, und daß es sehr schwer war, ihn dem Volke auszureden. Paenula zog also mit einem ungeordneten Haufen gegen Hannibal aus und war kaum auf diesen gestoßen, als er mit allen, die ihm folgten, geschlagen und vernichtet wurde.

In Athen konnte Nikias, ein sehr ernster und einsichtsvoller Mann, das Volk durchaus nicht davon überzeugen, daß die geplante Unternehmung gegen Sizilien 415-413 v. Chr.

verkehrt sei. So ward der Beschluß gegen den Willen der Vernünftigen gefaßt, und der völlige Ruin Athens war die Folge. Als Scipio zum Konsul ernannt war 205 v. Chr. Vgl. Livius XXVIII, 45. und einen Feldzug nach Afrika verlangte, durch den er Karthago völlig zu vernichten versprach, fand er keinen Anklang beim Senat, der die Ansicht des Fabius teilte. Nun drohte er, die Sache vor das Volk zu bringen, denn er wußte wohl, wie dergleichen Vorschläge den Völkern gefallen.

Auch unsre Stadt Florenz liefert Beispiele dafür. Messer Ercole Bentivogli, der Anführer der Florentiner Truppen, und Antonio Giacomini schritten nach ihrem Sieg über Bartolommeo d' Alviano bei San Vincenti zur Belagerung Pisas. S. Lebenslauf, 1505. Das Unternehmen wurde auf Messer Ercoles kühne Versprechungen hin vom Volke beschlossen, obwohl viele einsichtsvolle Bürger es tadelten; sie waren aber ohnmächtig gegenüber dem allgemeinen Willen, der sich auf jene kühnen Versprechungen gründete.

Es gibt also kein leichteres Mittel, eine Republik, wo das Volk die Macht in Händen hat, zugrunde zu richten, als sie in tollkühne Unternehmungen zu verwickeln; denn wo das Volk etwas zu sagen hat, wird es immer darauf eingehen, und die Andersdenkenden werden kein Mittel dagegen haben. Geht aber darüber der Staat zugrunde, so noch häufiger die Bürger, die an der Spitze solcher Unternehmungen stehen. Erfährt das Volk, das den Sieg als gewiß voraussetzte, die Niederlage, so schiebt es die Schuld weder auf das Schicksal, noch auf das Unvermögen des Führers, sondern auf seine Bosheit und Unwissenheit und läßt ihn dann meist hinrichten oder einkerkern, oder es schickt ihn in die Verbannung, wie es zahllosen karthagischen und vielen athenischen Feldherren erging. Kein früher errungener Sieg kann ihnen helfen; die gegenwärtige Niederlage löscht alles aus. So erging es auch unserm Antonio Giacomini. Als er Pisa nicht erobert hatte, wie das Volk es sich nach seinen Versprechungen eingebildet hatte, fiel er bei ihm in solche Ungnade, daß er trotz vieler früher geleisteter guten Dienste sein Leben mehr durch die Barmherzigkeit derer behielt, die es in der Hand hatten, als aus irgendeinem andern Grunde, der ihn beim Volk verteidigt hätte.


 << zurück weiter >>