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Achtes Kapitel

So nützlich die Anklagen in einer Republik sind, so verderblich sind die Verleumdungen.

Als Furius Camillus durch seine Tapferkeit Rom von den Galliern befreit hatte, räumten ihm alle Bürger den ersten Rang ein, ohne daß sie sich an Ansehen und Rang etwas zu vergeben glaubten. Nur Manlius Capitolinus konnte es nicht ertragen, daß jenem so viel Ehre und Ruhm zuteil ward. Er glaubte sich durch die Rettung des Kapitols um das Heil Roms ebenso verdient gemacht zu haben wie Camillus, und meinte, ihm auch sonst an kriegerischem Ruhm nicht nachzustehen. Voller Neid konnte er sich über den Ruhm des Camillus nicht beruhigen, und da er im Senat keine Zwietracht säen konnte, wandte er sich an das Volk und streute verschiedene schlimme Gerüchte unter ihm aus. Unter anderm behauptete er, das zur Abfindung der Gallier gesammelte, aber nicht abgelieferte Geld sei von einzelnen Bürgern zurückbehalten worden. Würde es herausgegeben, so könnte man es zum öffentlichen Nutzen verwenden, indem man die Abgaben des Volkes erleichterte oder seine Privatschulden bezahlte. Solche Reden machten auf das Volk derartigen Eindruck, daß es sich zusammenrottete und zahlreiche Ausschreitungen in der Stadt beging. Da dies dem Senat mißfiel und die Sache ihm wichtig und gefährlich erschien, ernannte er einen Diktator, Vgl. Livius VI, 11 ff. um den Fall zu untersuchen und die Wut des Manlius zu zügeln. Der Diktator ließ ihn sogleich vorladen, und beide traten öffentlich einander gegenüber, der Diktator inmitten des Adels, Manlius inmitten des Volkes. Manlius wurde aufgefordert, zu sagen, bei wem sich der fragliche Schatz befände; denn dies zu erfahren wäre der Senat ebenso begierig wie das Volk. Manlius ging auf die Frage nicht ein, sondern antwortete ausweichend, er brauchte es ihnen nicht zu sagen, da sie es ja wüßten; worauf ihn der Diktator in den Kerker werfen ließ.

Diese Geschichte zeigt, wie verabscheuungswürdig in freien Städten und in jedem andern Staat die Verleumdungen sind und daß man zu ihrer Unterdrückung kein Mittel scheuen darf. Dazu aber ist nichts geeigneter, als den Anklagen weiten Spielraum zu geben, denn so nützlich diese in einer Republik sind, so schädlich sind die Verleumdungen. Zwischen beiden besteht auch noch der Unterschied, daß Verleumdungen nicht durch Zeugnisse und andre Rechtsmittel bewiesen werden müssen, so daß jeder von jedem verleumdet werden kann. Nicht aber kann jeder angeklagt werden, denn Anklagen bedürfen vollgültiger Zeugen und beweiskräftiger Tatsachen. Angeklagt wird bei den Behörden, beim Volk, beim Rat, verleumdet auf den Plätzen und in den Hallen. Die Verleumdung ist da am häufigsten, wo die Anklagen am seltensten sind und am wenigsten für ihre Annahme gesorgt ist. Deshalb muß der Gesetzgeber einer Republik Einrichtungen treffen, daß man jeden Bürger ohne Furcht und Scheu anklagen kann. Ist dies aber geschehen und wird gut darauf gehalten, so müssen die Verleumder streng bestraft werden. Sie können sich dann über ihre Bestrafung nicht beklagen, da ihnen ja die Anklage gegen den heimlich Verleumdeten freisteht. Wo dies aber nicht gut eingerichtet ist, entsteht immer große Unordnung, denn die Verleumdungen erbittern, aber sie bessern nicht, und die Erbitterten sinnen auf Vergeltung, da sie die üble Nachrede eher hassen als fürchten.

Rom war in dieser Hinsicht, wie gesagt, gut eingerichtet, unsre Stadt Florenz aber stets schlecht. Auch hatte die in Rom getroffene Einrichtung viele gute, die in Florenz getroffene viele schlimme Wirkungen. Wenn man die Geschichte von Florenz liest, wird man sehen, wieviel Verleumdungen jederzeit gegen die Bürger verbreitet wurden, die mit wichtigen Staatsgeschäften betraut waren. Von dem einen hieß es, er hätte Staatsgelder unterschlagen, von dem andern, er hätte ein Unternehmen nicht durchgeführt, weil er bestochen worden sei; ein dritter hätte aus Ehrgeiz den und den Nachteil herbeigeführt. Hieraus entsprang allerseits Haß, vom Haß kam es zu Zwistigkeiten, von da zu Parteiungen und zum Untergang des Staates. Hätte in Florenz eine Einrichtung zur Anklage der Bürger und zur Bestrafung der Verleumder bestanden, so wären zahllose Unruhen vermieden worden. Denn verurteilt oder freigesprochen, hätten solche Bürger der Stadt nicht schaden können, und es wären weit weniger angeklagt als verleumdet worden, denn, wie gesagt, kann man nicht jeden so leicht anklagen wie verleumden.

Unter anderm benutzten auch manche, die sich emporschwingen wollten, die Verleumdungen mit Erfolg gegen einflußreiche Bürger, die sich ihren Gelüsten widersetzten. Sie ergriffen die Partei des Volkes, bestärkten es in seiner Abneigung gegen jene und machten es sich so zum Freunde. Beispiele lassen sich zur Genüge anführen; ich will mich mit einem begnügen. Das Florentiner Heer belagerte Lucca (1430) unter dem Befehl des Kommissars Messer Giovanni Guicciardini. Infolge seiner schlechten Maßregeln oder seines Unglücks gelang die Eroberung nicht. Wie sich die Sache nun auch verhalten mochte, Guicciardini wurde beschuldigt, er habe sich von den Lucchesern bestechen lassen. Diese Verleumdung wurde von seinen Feinden aufgegriffen und brachte ihn in die größte Verzweiflung. Er wollte sich freiwillig in Haft begeben, um sich zu rechtfertigen, konnte dies aber nie erreichen, da in der Republik keine entsprechende Einrichtung bestand. Die Folge war eine große Erbitterung zwischen den Freunden Guicciardinis, zu denen die Mehrzahl der Vornehmen zählte, und denen, die in Florenz nach Umwälzungen trachteten. Der Haß nahm aus diesen und ähnlichen Gründen solchen Umfang an, daß der Untergang der Republik daraus erfolgte. Durch die Herrschaft des Cosimo de' Medici (1389-1464), seit 1434 Oberhaupt von Florenz.

Manlius Capitolinus war also ein Verleumder und kein Ankläger, und die Römer zeigten in diesem Falle genau, wie man Verleumder bestrafen soll. Man muß sie nämlich als Ankläger auftreten lassen, und erweist sich die Anklage als wahr, sie belohnen oder doch nicht bestrafen; erweist sie sich aber als falsch, so muß man sie bestrafen wie Manlius.


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