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Fünfzehntes Kapitel

Wie die Samniter in verzweifelter Lage die Religion als letztes Hilfsmittel benutzten.

Die Samniter hatten mehrere Niederlagen durch die Römer erlitten und waren zuletzt in Etrurien geschlagen worden. Im dritten Samniterkrieg (298-90 v. Chr.), insbesondere bei Sentinum (295). Ihre Heere und Feldherren waren gefallen, ihre Bundesgenossen, die Etrusker, Gallier und Umbrer besiegt; nec suis, nec externis viribus iam stare poterant, tamen bello non abstinebant, adeo ne infeliciter quidem defensae libertatis taedebat, et vinci quam non temptare victoriam malebant. Livius X, 31. (Obwohl sie sich weder durch eigne noch durch fremde Kraft aufrechterhalten konnten, ließen sie doch nicht vom Kriege. Trotz aller Mißerfolge wurden sie der Verteidigung der Freiheit nicht überdrüssig und wollten lieber besiegt werden als den Sieg nicht versuchen.) So beschlossen sie denn, die letzte Probe zu machen. Da sie nun wußten, daß sie zum Siegen den Soldaten zähen Willen einflößen mußten, hierzu aber die Religion das beste Mittel bietet, kamen sie auf den Gedanken, durch ihren Priester Ovius Paccius einen alten Opferbrauch zu erneuern. Diese Zeremonie vollzog sich folgendermaßen. Als das feierliche Opfer vollbracht war und alle Anführer des Heeres zwischen den geschlachteten Opfertieren und den flammenden Altären geschworen hatten, nicht aus dem Kampfe zu weichen, riefen sie die Krieger einzeln herbei und ließen sie zwischen den Altären im Kreise vieler Hauptleute mit gezücktem Schwert in der Hand zuerst schwören, nichts von dem, was sie hören oder sehen würden, zu sagen. Dann ließen sie sie mit furchtbaren Worten und grauenvollen Sprüchen schwören und den Göttern geloben, den Befehlen ihrer Feldherren in allem zu gehorchen, nicht aus dem Kampfe zu weichen und jeden, den sie fliehen sähen, niederzumachen, widrigenfalls der Fluch die Häupter ihrer Familie und ihr ganzes Geschlecht treffen sollte. Als einige Soldaten erschraken und nicht schwören wollten, wurden sie sofort von ihren Hauptleuten niedergemacht, worauf alle Nachfolgenden, durch die Furchtbarkeit dieses Anblicks erschreckt, den Eid leisteten. Um den Glanz des Heeres noch zu erhöhen, hatten sie die Hälfte ihrer Streiter, die sich auf 40 000 Mann beliefen, mit weißen Röcken und Helmbüschen geschmückt, und so angetan, stellten sie sich bei Aquilonia auf. 293 v. Chr. Vgl. Livius X, 38. Papirius zog ihnen entgegen. Zur Ermutigung seiner Soldaten sagte er: Non enim cristas vulnera facere, et picta atque aurata scuta transire rornanum pilum. Livius X, 39. (Der Helmschmuck schlägt keine Wunden, und durch gemalte und vergoldete Schilde dringt der römische Speer.) Und um seinen Soldaten die hohe Meinung zu nehmen, die sie wegen des geleisteten Schwurs von den Feinden hatten, sagte er, der Schwur müsse sie eher furchtsam als tapfer machen, denn sie hätten nun zugleich ihre Mitbürger, die Götter und die Feinde zu fürchten. Es kam zur Schlacht, und die Samniter wurden geschlagen, weil die römische Tapferkeit und die durch die früheren Niederlagen erzeugte Furcht den Siegeswillen brach, den ihnen die Kraft der Religion und der geleistete Schwur hätte geben können. Trotzdem sieht man, daß sie keine andre Zuflucht mehr zu haben glaubten und kein anderes Mittel, Hoffnung zu schöpfen und die verlorene Kraft wiederzuerlangen. Das zeigt zur Genüge, welche Zuversicht aus dem rechten Gebrauch der Religion entstehen kann. Obschon diese Begebenheit eigentlich unter die auswärtigen Ereignisse gehört, habe ich sie hier eingefügt, da sie von einer der wichtigsten inneren Einrichtungen des römischen Staates abhängt und ich diesen Gegenstand nicht zerreißen, noch öfter darauf zurückkommen wollte.


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