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Die Frau für die Kunst.

Viele Zeichen sprechen dafür, daß die Frauen ihre Aufgabe dem modernen Kunstgewerbe gegenüber noch nicht erkannt haben. Während ihre Empfänglichkeit und Begeisterung für die Dichtkunst und die Musik nicht leicht versagt, entbehrt die Kunst im Gewerbe noch zum großen Teil der geistigen Mitwirkung von jener Seite her und bildet seltsamerweise fast ausschließlich eine Angelegenheit der Männer. Während im Konzertsaal oder im Rezitationssaal die Frauen und Mädchen den größeren Teil des Publikums ausmachen, sind sie in den kunstgewerblichen Vortrags- oder Verhandlungsabenden nur ausnahmsweise zu Gast und verharren auch hier meistens in Passivität. Diese Teilnahmslosigkeit ist um so unbegreiflicher, je mehr sich die Fragen des modernen Kunstgewerbes als eine Lebensangelegenheit der Frauen herausstellen. Es gibt in der Tat wenig Erzeugnisse des Kunstgewerbes, denen die Frau nicht prüfend, wählend und kaufend gegenübertreten muß. Denn alle Angelegenheiten der künstlerischen Gestaltung im Kunstgewerbe bewegen sich im Umkreis von Haus und Heim und bestimmen das äußere Bild unserer Lebenskultur. Die Männer berühmen sich, wie bekannt, des traurigen Vorrechtes, von den Dingen, die das Haus und Heim angehen, nichts zu verstehen und überliefern diese wichtige Domäne des Lebens, von der unzählige Industrien und Arbeitsexistenzen abhängen, dem Geschmack der Frau, die durch ihre Entscheidung je nach dem Grad ihrer Geschmacksbildung Segen oder Unheil stiftet. Daß es heute noch Menschen gibt, die sich zu den »Gebildeten« rechnen, und unumwunden erklären, von Kunst nichts zu verstehen, ist das Zeichen einer schlimmen Bildungsverfassung, die sich auf vielen Gebieten in einer kulturellen Rückständigkeit ausdrücken muß. Kunstverständnis ist freilich zum großen Teil persönliche Empfindungssache; da aber die Kunst durch das Gewerbe so tief ins Leben greift, tiefer als etwa die Literatur und die Musik, so hängt sie mit vielen ethischen, wirtschaftlichen und praktischen Lebensbeziehungen zusammen, so daß es geradezu als ein schwerer Defekt bezeichnet werden muß, wenn sogenannte gebildete Leute sich darauf etwas zugute halten, von der Kunst in ihren elementaren Lebensvoraussetzungen nichts zu verstehen und sich daher der Aufklärung, dem Verständnis und der Teilnahme an den schweren Problemen unserer Zeit verschließen. Die Folge davon ist, daß ein großer Teil des Publikums keine Ahnung von der tiefgreifenden sozialen und ethischen Bedeutung der modernen Kunstbewegung hat und daher nicht weiß, welche Forderungen es für seine Bedürfnisse im Geiste dieser fruchtbaren Bewegung an die Dinge, die es erwirbt, stellen soll. Nachdem nun im Durchschnitt der Mann sich in den Fragen, die die Form und Gestaltung des Heims betreffen, in seiner Hilflosigkeit an den Geschmack der Frau wendet, so erwächst für die Frau die Verpflichtung, sich mit den Grundsätzen und Problemen des Modernen Kunstgewerbes vertraut zu machen, sich Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, um die Erzeugnisse auf ihren Gehalt hin prüfen zu können, wenn sie nicht als Hemmschuh in der Kulturentwicklung den lebendigsten Interessen des Volkes widerstreiten soll. Wir können aber die Wahrheit nicht verhehlen, daß die Frau heute noch nicht diese wichtige Kulturaufgabe zur Genüge versieht. Es genügt nicht, daß man sich zu kaltstaunendem Besuch in den Kunstausstellungen einfindet und sich für den persönlichen Bedarf mit den Erzeugnissen der Schundproduktion begnügt. Wir können, wenn die Mittel beschränkt sind, unser Leben auf die äußerste Einfachheit einschränken, aber es gibt keinen zwingenden Grund, zur trügerischen Billigkeit der Schundproduktion Zuflucht zu nehmen. Die Schundproduktion ist der Ausdruck eines schlechten, vollständig irre geleiteten Geschmackes, die ihren Bestand nur dadurch rechtfertigt, daß es tatsächlich so viele Käufer gibt, die die Existenz einer solchen Produktion ermöglichen. Die meisten Menschen ahnen gar nicht, bis zu welcher Schundmäßigkeit das heutige Lebensbild und die diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Gesinnungen gesunken sind. Daß wir eine solche, noch geradezu allmächtig herrschende Schundproduktion haben, liegt an dem Publikum und somit auch an den die Einkäufe besorgenden Frauen. Es gibt ganz selbstverständlich noch eine Reihe von anderen Ursachen, die außerhalb der Geschmacksbildung liegen und auf die ich in diesem Zusammenhang nicht einzugehen brauche, im übrigen aber ist den Frauen die größere Hälfte der Schuld beizumessen, weil ja gerade im Haushalt und in der Gestaltung des Heims, sowie in allen Fällen des persönlichen Bedarfes, die Entscheidung auf ihren Geschmack gestellt ist. Es ist daher tief bedauerlich, daß die Frauen, die sich auf den sonstigen Lebensgebieten an den Aufgaben der Zeit sehr energisch betätigen, gerade dem Kunstgewerbe gegenüber, in dessen Hintergrund der Großteil der nationalen Arbeit steht, die geistige Mitarbeit versagen und in dem Irrtum befangen bleiben, als ob es sich in der modernen Kunstbewegung um eine bloß vorübergehende Modesache handelte. Das große Publikum und darunter vornehmlich auch die Frauen, ist in diesem Wahn befangen und verkennt zu seinem eigenen großen Nachteil, daß es sich in dem Kampf um das moderne Kunstgewerbe vor allem um einen sittlichen Gesundungsprozeß handelt, der in künstlerischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht gleichbedeutsam ist. Was das moderne Kunstgewerbe anstrebt, sind die Merkmale der inneren und äußeren Gediegenheit, die Verdrängung der Schundarbeit auf allen Gebieten, die Hebung der Arbeitsfreude und der Arbeitstüchtigkeit, die Herrschaft der Qualität, die allein berufen ist, im Wettbewerb der Völker auf dem Weltmarkt den Sieg davon zu tragen. Der wirtschaftliche und soziale Gedanke des modernen Kunstgewerbes greift weit aus, indem er mit der Veredelung der Arbeit zugleich die Veredelung der Gesinnung, der Ansprüche und des ganzen Lebensbildes bezweckt. An dieser Steigerung des Schönheitsbegriffes, der von den Forderungen der Zweckmäßigkeit, Sachlichkeit, der soliden Arbeit, des guten Materials untrennbar ist, sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die Verkäufer oder Händler und vor allem auch die Käufer, das Publikum ethisch und wirtschaftlich beteiligt, weil schlechte Qualität oder Schundware keinem Menschen, der auf sich etwas hält, dauernd Freude machen kann. Wenn auch niemand in der Welt ernstlich daran zweifeln kann, daß der Gedanke einer solchen Veredlung siegen wird, so ist dennoch die Sachlage heute noch bedenklich genug, wenn man den geistigen Rückstand des Publikums dieser Bewegung gegenüber ermißt. Ich kann nicht glauben, daß eine geistige Unfruchtbarkeit vorliegt, ich will vielmehr annehmen, daß es nur einer energischen Aufforderung bedarf, um die Frau zur Bundesgenossin in dieser edlen Sache zu machen. Denn soviel scheint mir gewiß, daß der Kampf der Frau um die geistige Gleichberechtigung und um die daraus entspringenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte, nicht mit Erfolg geführt werden kann, wenn sich die Frauen nicht entschlossen und befähigt zeigen, in der bedeutsamsten Kulturbewegung des XX. Jahrhunderts ein Echo zu geben. Das muß unbedingt verlangt werden, wenn nicht den Frauen die Berechtigung und die Fähigkeit abgesprochen werden soll, die Kinder zu Menschen zu erziehen, die einmal imstande sind, den Kulturaufgaben der neuen Zeit gerecht zu werden. Die Hoffnung, die wir auf die Frauen als unsere natürlichen Bundesgenossinnen setzen, ist nicht aufzugeben, aber um Klarheit und Verständigung zu schaffen, muß gezeigt werden, woran es die Frau unseres Jahrhunderts bisher hat fehlen lassen. Man werfe doch einmal einen Blick in die Legion von Frauenzeitungen und Hausblättchen, die zu 100 000 im Volke abgesetzt werden, und man wird finden, daß kaum noch ein erleuchtender Gedanke unserer neuen und tiefeingreifenden bildsamen Ideenmacht in jene Niederungen hineingedrungen ist. Dort herrscht noch in allen Fragen des Geschmackes und der Gestaltung eine geradezu babylonische Verständnislosigkeit, haarsträubende Geschmacksverirrungen und eine betrübende Verkennung aller sachlichen und ethischen Grundlagen unserer Kulturarbeit. Schundmäßigkeit ist die Marke. Es ist bekannt, daß jede Art von Schund sich mit der Maske einer gewissen Modernität einschmuggelt und daß die Tagesmode darin das äußerste leistet. Modeneuheit hat in der Regel Schundmäßigkeit zur Voraussetzung, und in der Modenarrheit machen alle diese Hausfrauenblättchen getreulich mit. Es ist klar, daß ein Frauenpublikum, das seinen Geschmack und seine Ansprüche an die Erzeugung aus diesen trüben Quellen bezieht, nicht imstande sein kann, auf die Produktion veredelnd zu wirken und vom Händler, beziehungsweise vom Fabrikanten Qualität, d. i. solide Arbeit, sachliche Gestaltung und echtes Material zu erzwingen. Der findige Händler bequemt sich mit Leichtigkeit dem Ungeschmack, der ihm vielleicht persönlich näher liegt, an, weil er dadurch die Neigung des Publikums zu erschmeicheln hofft, und zwingt seinerseits die Industrie zur Qualitätsverminderung, zum Surrogatenwesen und zur Verschlechterung der Erzeugnisse, wofern nicht von Haus aus schon aus anderen Ursachen diese Neigung besteht. Nicht auf die Gediegenheit, sondern vor allem auf den Reiz der Neuheit ist der Ehrgeiz gerichtet. Warum haben wir keine lichtechten Stoffe? Der Fabrikant würde ganz bestimmt mit größerer Vorliebe lichtechte Stoffe herstellen, der Färber erlebt in seiner Arbeit sicherlich eine gewaltige Förderung, wenn er sein Können geschätzt weiß. Wir haben keine lichtechten Stoffe, weil das Publikum nicht gewöhnt ist, Garantien für die Lichtechtheit zu verlangen. Ja, es wirft nicht einmal die Frage auf. Wie augenscheinlich das Publikum gegen sein eigenes Interesse handelt, erhellt aus der Tatsache, daß die Kleiderstoffe und die Möbelstoffe heutzutage in der Regel nur auf Wochen, bestenfalls auf Monate hin standhalten und fortwährende Neuanschaffungen erzwingen, während die Seiden und sonstigen Stoffe unserer Großmütter und Urgroßmütter Generationen überstanden und noch den späten Enkeln ein Entzücken verursachen. Man muß nachdrücklich die Schauläden befragen, um den Geschmack des Publikums festzustellen. Was die Frauen hinsichtlich ihrer Kleidermoden, ihrer abenteuerlichen und lächerlichen Hutformen verlangen oder sich bieten lassen, spottet jeder Beschreibung. Dem ungeheuerlichen, wogenden Aufputz der Hüte entspricht die völlige Unsachlichkeit der eigentlichen Hutform und in der Regel die völlige Minderwertigkeit des Materials. Es ist natürlich, daß infolge der Unzweckmäßigkeit, der Minderwertigkeit und der, auf den bloßen Reiz der Neuheit gerichteten Forderung von Saison zu Saison die Formen und Materialien und »Neuheiten« gewechselt werden, daß also von Saison zu Saison neuerliche Ausgaben auf die unzweckmäßigsten Dinge der Welt verwendet werden müssen. Welch ein Segen wäre es nun für die Industrie, für die Arbeiter, für die Geschäftswelt und nicht zuletzt für das kaufende Publikum, wenn an Stelle dieser atemlosen Hetze von Neuheiten die Pflege der Qualität treten würde. Die Qualität kann natürlich nicht ganz billig sein. Kein denkender Mensch wird aber leugnen, daß die immer wiederholte Neuanschaffung schlechter Erzeugnisse wesentlich teurer ist, als die erhöhte Auslage für die dauerhafte Qualität, ganz abgesehen davon, daß wir durch die Gediegenheit in unserer inneren Verfassung nur gewinnen können. Es ist doch eine recht bezeichnende Tatsache, daß es den Frauen nicht gelungen ist, eine sachliche und zweckmäßige Gestaltung des Kleides in Verbindung mit gewissen ästhetischen Gesetzen zu entwickeln und zur Herrschaft zu bringen. Warum kann sich das sogenannte Reformkleid nicht behaupten, selbst, wenn es bestimmte praktische Forderungen erfüllt? Ganz einfach, weil mit den schlechten Stoffen und miserablen Farben, die in der Regel herhalten müssen, keine Freude erzielt werden kann. Die Sache würde an und für sich keine welterschütternde Bedeutung haben, wenn dieselbe Grundstimmung nicht zugleich auch in den anderen Erzeugungen festgehalten würde. Es ist nicht leicht möglich, Küchengerätschaften, Metallgeräte, Bestecke, Gefäße usw. aufzutreiben, die anstatt durch störende, überflüssige Verzierungen durch wohlüberlegte, sachliche Gestaltung im Verein mit solidester Ausführung hervorragen. Wie sieht es nun in den Wohnungen aus, die vornehmlich auf die Augen der Frau gestellt sind, mit den Öfen, den Tapeten, den Fenstern, den Vorhängen, den Bildern und Bilderrahmen und endlich mit dem Hausrat, den Kunstwerken, Galanteriewaren und den oft barbarischen Erzeugnissen der sogenannten Luxusindustrie? Wo sind die Grundsätze einer durchaus sachlichen Gestaltung und einer soliden Ausführung in gutem, dauerhaftem Material, mit vollster Klarheit und Eindringlichkeit bis in die kleinsten Details erkannt und wirksam? Glauben Sie denn, daß die Kunst im Hause von all dem überflüssigen Plunder abhängt, den die Industrie als Kunstgegenstände auf den Markt wirft, von den lächerlichen Zieraten und Schnörkeln, mit denen die Wände und Gebrauchsgegenstände einschließlich der Wände überwuchert sind, um in der Regel die unsolide Mache und das minderwertige Material zu verkleiden? Die deutschen Frauen mögen nicht vergessen, daß ihre englische Nachbarin über das nach Billigkeit und möglichst – Vielaussehen erpichte Hausmutterideal geringschätzig lächelt und daß keine englische Hausfrau, wenn sie nicht sehr übel daran ist, sich im Laden etwas vorsetzen läßt, was sie nicht auf Grund eingehender Kenntnis und Erfahrung auf die Qualität, auf die Herstellungsart und Sachlichkeit geprüft hätte. Allerdings kann man einwenden, daß auch in England viel Schundware verkauft wird. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß jede Art von Schundproduktion in England, auch wenn sie nicht aus Deutschland kommt, als »Made in Germany« bezeichnet wird. Ein Volk, das mit so herrlichen Eigenschaften, mit außerordentlicher Begabung und Tüchtigkeit ausgestattet ist, wie das deutsche Volk, hat es nicht länger nötig, sich diesen Schimpf gefallen zu lassen. Unsere Frauen müssen das Bewußtsein haben, daß in der nationalen Arbeit Rückstände zu überwinden sind, die nicht überwunden werden können, wenn sie sich ihrerseits nicht einer ganz neuen Bildung, ganz neuen Idealen, wie sie in der modernen Kunstgewerbebewegung gegeben sind, anschließen und diese hier entwickelten Gesinnungen tagtäglich im Leben praktisch üben. Denn wir können nicht leugnen, daß Deutschland zulange billige Massenarbeit, Schundarbeit exportiert hat, und daß die Kultur, die doch auch im Ausland fortschreitet, endlich des Schundes überdrüssig wird. Wohin muß ein Volk kommen, das, wie das unsrige, immer mehr genötigt ist, teuere Rohstoffe einzuführen und zu verarbeiten und dagegen billige Schundarbeit auszuführen? Muß sich dabei nicht ein Defizit ergeben, das unser Volk kulturell und wirtschaftlich bis in die Wurzel hinein schädigt? Wir stecken heute derartig im Schund, daß nur eine starke innere Bewegung, die sich über alle Kreise erstreckt, eine Umbildung herbeiführen kann. Auf Tritt und Schritt sind wir vom Schund umlauert. Treten wir in ein großstädtisches Kaufhaus ein, das ja ein Spiegelbild für die meisten Kaufhäuserverhältnisse abgibt, so finden wir unter dem sogenannten feinen Anstrich fast durchwegs unechtes Material, Produkte, die auf den falschen Schein zurechtgemacht sind und keiner Prüfung standhalten. Wir finden Schreibmappen, Albums mit Lederdecken aus gepreßtem Papier, Schuhsohlen aus Pappendeckel, Schildpattkämme aus Celluloid, französische Bronzen aus Zinkguß, »echtimitierte« Nickel- und Bronzegarnituren für Schreibtische aus gestrichenem Eisenguß, Seidenblusen mit 70 % Baumwolle, echte »vergoldete« Schmucksachen, Portemonnaies und Brieftaschen, in Farbe und Geruch Juchtenleder vortäuschend, Schraubenzieher aus Eisen, die sich bei der ersten Schraube verbiegen, Zangen, die sofort zerspringen, bunte Stoffe und Gewebe, die im ersten Sonnenstrahl die Farbe wechseln, kurz ein Tausenderlei, das viel verspricht und nichts hält. Während wir in schlechten Surrogaten alles finden können, hat es seine liebe Not, auch nur einen einzigen dieser Gegenstände, und sei er noch so einfach, in wirklich echtem Material und wirklich anständiger Arbeit zu erlangen. Achselzuckend bedauert der Verkäufer, daß nach einem solcherart beschaffenen Gegenstand keine Nachfrage und daher kein Vorrat ist. Die Sache geht soweit, daß die Frau, die weiß, daß Battist, Linnen oder reine Baumwolle haltbarer und anständiger ist, viel lieber eine weniger haltbare Bluse kauft, wenn sie nach Seide aussieht.

Aber das ist es gerade, daß im Publikum selber der Sinn für die Echtheit und Gediegenheit, der zunächst zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit zwingt, fehlt, und daher keine Nachfrage nach solcherart beschaffenen Dingen ist. Hier setzt nun das moderne Kunstgewerbe ein und sucht diesen Gedanken der Veredlung und Vereinfachung zur Geltung zu bringen. Dieser Gedanke enthält zugleich eine Bereicherung, indem er den Arbeitswert und die Tüchtigkeit zur Geltung bringt und wirtschaftlich fruchtbar macht, indem er mit dem Grundsatz bricht, das an sich kostbare Material durch Verfälschung und unsolide Arbeit zu verschwenden. Indem er die deutsche Arbeit auf eine ethische Grundlage stellt, hinsichtlich der Qualität konkurrenzfähig macht, dem Ausland die Spitze bietet und von dem Druck schlecht entlohnter Schundarbeit befreit. In diesem Gedanken liegt eine zwingende Aufforderung, die sich an das ganze Volk richtet, vor allem aber an die Frauen, die als Käufer entscheiden. Mögen doch diese Frauen sich an den köstlichen Hausrat erinnern, an die Erbstücke aus Großmutters und Urgroßmutters Zeit, die wir mit zärtlichem Gedenken hüten! Mögen sie doch nicht das Entzücken vergessen, das jeden ergreift, der den Taffet aus Großmutters Feiertagskleid befühlt, das zerknüllt durch ein Menschenalter in der Kommode gelegen ist und in ungeschwächter Farbenreinheit und in keiner Falte gebrochen, unverwüstet dasteht, um noch den Kindeskindern einen Prachtstaat zu gewähren, der mit den heutigen Mitteln gar nicht möglich wäre. Die Großmütter wußten noch, was sie verlangen durften, sie hatten Kultur. Die heutigen Frauen mögen darüber nachdenken, was ihre Kinder und Kindeskinder einmal von ihnen denken werden, wenn noch eine Spur von dem erbärmlichen Kram, damit sich die heutigen begnügen, auf sie vererbt wird. Muß es nicht ein ganz niederdrückendes Gefühl sein, zu wissen, daß wir bei unseren Nachkommen bestenfalls mitleidige Geringschätzung ernten können? Ist es nicht im Hinblick auf uns selber ein beschämendes Gefühl, daß der Großteil der Frauen in dem Hindämmern an wertlosen Bändern und Kram, in der stumpfen Teilnahmslosigkeit gegenüber jener Schundarbeit, die unser wirtschaftliches Ansehen, unsere fruchtbaren Kräfte herunterbringt und unser Fortkommen hindert, verharren? Das deutsche Kunstgewerbe hat den überzeugenden Beweis geliefert, daß es anders sein kann. Es hat uns die Möglichkeit gezeigt, daß wir in die erste Reihe der produktiven Kulturvölker vorrücken und tonangebend sein können, wenn wir nur wollen. Die deutschen Frauen dürfen sich nicht länger der unendlich segensreichen nationalen Aufgabe verschließen, sie müssen tätigen Anteil nehmen und sich, wie in allen Zeiten einer großen Bewegung, noch mehr als in der Musik und in der Dichtkunst als unsere Bundesgenossinnen, als Förderinnen und unermüdliche Mitarbeiterinnen fühlen.

Was sollen die Frauen nun tun? Sie sollen nicht länger von fernher zusehen und tun, als ob sie die ganze Sache nichts anginge, sie sollen die kunstgewerblichen Veranstaltungen besuchen, sich geistig in den Besitz des ganzen Fragenkomplexes setzen, sie sollen aus eigener Initiative Erklärungen, Demonstrationen und Erläuterungen veranlassen, sie sollen sich in Vereinigungen zusammentun, und die Aufgabe stellen, bei allen ihren Einkäufen und Anschaffungen auf Grund der solcherart erworbenen Einsicht immer wieder nach der Qualität fragen, die Materialien prüfen, die Solidität der Arbeit, die Sachlichkeit und Nützlichkeit als Prinzip der formalen Gestaltung untersuchen und dahin zu kommen trachten, daß der lächerliche Tand aus ihrem Gesichtskreis verschwindet und daß das wirklich Notwendige in vollendetster Form und Gediegenheit hervorgebracht werde. Ich bin überzeugt, daß die ganze Industrie mit Vergnügen die Schwenkung mitmacht, und daß die Widerstrebenden, jene, die in der Unsolidität ihre Zuflucht suchen, den Widerstand schleunigst aufgeben werden, sobald sie sich von dem überlegenen Publikum geschlagen wissen. Ob arm oder reich, sie können alle in ihrem Kreis zum Besten der Sache wirken. Die Arbeiterfrau, einmal über das Wesen der Sache aufgeklärt, wird sich kaum mehr von dem Ratenhändler den niederträchtigen Schund anhängen lassen, der trotz der Billigkeit noch immer sündhaft teuer ist. Die wohlsituierte Frau wird durch ihre Ansprüche an edle Arbeit ihrerseits bewirken, daß der Geist der Schönheit, der mit edler und gediegener Arbeit gleichbedeutend ist, sich an den fernsten Arbeitsstätten wird entfalten können, und daß tüchtige Arbeit endlich ihren verdienten Marktwert erhält. Es wird dann kaum möglich sein, daß Schmutz und Verwahrlosung als das Nachtstück unserer gefirnißten Scheinkultur der Armut zur Entschuldigung dient, denn gerade durch die Arbeitserhöhung soll der Armut diese peinlichste und betrübendste Erscheinung genommen werden. Es liegt natürlich nicht alles, was in dieser Art gutzumachen ist, bei den Frauen, sondern es liegt zu einem schweren Teil auch bei den Männern und gerade bei jenen sogenannten »Gebildeten«, die glauben von der Kunst als sozialen Faktor nichts verstehen zu müssen. Wenn aber der Vorwurf einer großen Unterlassungssünde die Frauen schärfer treffen muß, so liegt es daran, weil sie, nach den Worten der Dichter als die Hüterinnen der Ideale erscheinen und weil sie bei ihren Männern und über diese Männer hinaus die gerechte Sache befestigen und verwirklichen können, wenn sie nur wollen. Und sie werden es.


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