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Künstlerische Kodakgeheimnisse.

Natürlich will der Amateur ein Verhältnis zur Kunst haben. Wozu hat er sich denn einen Kodak gekauft? Ein Rezept, schwarz auf weiß, wäre jedem das liebste. Denn die photographische Kultur hängt, wie man weiß, von der Fähigkeit des Amateurs ab, seine Aufgabe ebenso sachlich als künstlerisch aufzufassen. Aber gerade dafür gibt es kein Rezept. Den geistigen Blick richtig einzustellen, ist alles, was sich mit gutem Gewissen tun läßt.

Eine Amateuraufnahme nennen wir künstlerisch, wenn sie durch interessante Licht- und Schattenwirkungen dem Gegenstand eine ungewöhnliche Charakteristik verleiht. Die Mittel sind also Licht und Schatten mit ihren Abtönungen der Schwarz-Weiß-Skala, die uns durch die Feinheit der Nuancen bis zu einem gewissen Grade die abwesende Farbigkeit suggerieren kann. Der Zweck ist die Darstellung des Charakteristischen. An dem Gegenstande interessiert uns nicht das Allgemeine, sondern das Charakteristische. Nicht der Hund im allgemeinen interessiert uns, sondern die eigenartige Hunderasse, die charakteristischen Merkmale, die besondere Schönheit oder Häßlichkeit. Wir wollen die Natur nicht in ihrem Alltagsgesichte, sondern bei einer ihrer interessanten Unwillkürlichkeiten überraschen, die für uns neu und originell sind und ein unverhofft Gesicht der sonst so sattsam bekannten Menschen und Dinge darstellen. Nur auf diese Art vermehren wir den Schatz unserer Seelenbilder und entheben uns der abstumpfenden Gewohnheit. Unser Kodak ist ein Mittel, in das unbekannte Land der Überraschungen, der wundervollen und seltenen Augenblickserscheinungen, der seltsamen Gesichte, die das Leben geheimnisvoll vertiefen, vorzudringen, und in der Tat gelingt dem Kodak mancher Zufall, über den wir unseren Augen nicht trauen. Aber der Kodak soll nicht bessere Augen haben als wir, denn sonst sind wir in der Lage des Jägers, der nur aus Zufall trifft. Wir können nicht Überraschungen bieten, wenn wir nach Art der mittelmäßigen Berufsphotographen Menschen und Dinge zusammenstellen und der Natur gewissermaßen Gewalt antun. Es darf also weiterhin bemerkt werden, daß das willkürliche Gruppieren die Gefahr einschließt, durchaus konventionell Genreszenen zu bilden. Die künstlerische Liebhaberphotographie strebt natürlich auch in ihren Studienaufnahmen (photographische Aufnahmen sind stets nur Studien) eine bildmäßige Wirkung an, d. h. sie wählt einen Hauptgegenstand, konzentriert auf ihn alle Aufmerksamkeit und vermeidet in der Umgebung des Gegenstandes alles, was nicht zur Steigerung, sondern eher zur Schwächung der Charakteristik beitragen könnte. Die Bildmäßigkeit beruht auf der Einheit der Wirkungen und die Einheit setzt nur einen einzigen geistigen Mittelpunkt im Bilde voraus, während zwei solcher Mittelpunkte die Einheit stören und sich gegenseitig aufheben würden. Es ist klar, daß dieser geistige Mittelpunkt nicht nur in einem Dinge, sondern auch in einer Mehrheit von Dingen, in einer Handlung oder in einer Mehrheit von Personen bestehen kann. Das Über- und Unterordnen der Dinge bei voller Wahrung der natürlichen Freiheit ist eine besondere Kunst, die leicht zu Fehlgriffen führt. Der richtige Amateur wird die Natur, wo er sie trifft; bei ihrer Eigenart und Unwillkürlichkeit zu überraschen suchen, und die Gewaltsamkeit eines Eingriffes vermeiden. Den rechten Augenblick wahrzunehmen ist die Kunst des Amateurs. Die schwere Kunst des Sehens ist seine Aufgabe. Sobald er die besitzt, ist die zweite, aber nicht minder unerläßliche Forderung, dieses künstlerische Sehen durch die technische Qualität seiner photographischen Aufgaben sichtbar zu machen. Schlechte Aufnahmen wirken wie erblindete Spiegel, die von der empfundenen Herrlichkeit nichts erkennen lassen. Es gibt natürlich kein Rezept. Wir haben lichtschwache Aufnahmen gesehen, die künstlerisch vollendet sind, obzwar lichtschwache Aufnahmen sehr häufig die Folgen von Belichtungs- und Expositionsfehlern sind und als technische Mängel an sich gar nichts Künstlerisches haben. Es läßt sich also nicht sagen, daß die scharfen Aufnahmen oder die lichtschwachen Aufnahmen an sich gut oder nicht gut sind. Was gut oder nicht gut ist, darüber entscheidet immer die Besonderheit des Falles.

Unter diesen Voraussetzungen müssen wir trachten, den zu photograhpierenden Gegenstand möglichst groß in die Bildfläche zu bringen. Ganz in den Vordergrund. Wenn wir diesen Grundsatz konsequent durchführen, kommen wir dahin, auch in der kleinen Bildfläche eine monumentale Wirkung zu erzielen, indem wir das Objekt so groß als möglich nehmen. Diese Forderung schließt naturgemäß aus, zuviel auf die Platte bringen zu wollen. Größe und Einfachheit sei das Bestreben. Der Amateur sehe sich daraufhin die Werke moderner Maler an, etwa die Bilder Ferdinand Khnopffs. Der Künstler geht in seinen Zeichnungen so weit, daß er die obere Stirnhälfte einer aufrechten Figur in dem Bilderrahmen verschwinden läßt, von den unteren Partien gar nicht zu reden. Trotz der Kleinheit des Formates wirken solche künstlerische Darstellungen größenhaft. Ebenso eindrucksvoll sind die alten Medaillen und Münzen bis ins XVIII. Jahrhundert oder die Holzschnitte um die Zeit Dürers. Der Grund ihrer machtvollen künstlerischen Wirkung ist bis zu einem gewissen Grade derselbe. Wir werden immer finden, daß in solchen Fällen das Dargestellte sehr vereinfacht und so groß in den Vordergrund gestellt ist, daß es die Bildfläche ausfüllt und fast darüber zu treten scheint. Es ist kaum eine Spur von Perspektive darin. Auch das alte Porträt bis ins XVIII. Jahrhundert ist durch dieselben Eigenschaften ausgezeichnet. Es gibt immerhin einige künstlerisch empfindende Photographen, die diesen Wink bemerkt haben. Aber der großen Zahl der Amateure scheint dieses Gesetz unbekannt zu sein. Man wird verstehen, was es für Porträtaufnahmen bedeutet. Wie eindringlich und lebensvoll wirkt ein Kopf, der die ganze Bildfläche einnimmt. Angenehm schon deshalb, weil alsdann alles störende Beiwerk fehlt. Die Aufnahme mag verschleiert sein, das kann unter Umständen die Wirkung um einen starken künstlerischen Akzent bereichern. Wir müssen nicht alles mit pfründnerhafter Deutlichkeit vor Augen haben. Namentlich in einer Porträtaufnahme, die nur das Gesicht möglichst groß bringt, kann trotz oder vielleicht wegen einer gewissen Undeutlichkeit die Phantasie des Betrachters zur Mitarbeit angespornt werden.

siehe Bildunterschrift

Konventionelle Photographie. Gezwungene Stellung, süßlich genrehaft, unkünstlerisch, »berufsmäßig«. Photograph. Unkultur. (Siehe Kap.: Kodakgeheimnisse.)

Wir pflegen dann zu sagen, das Bild sei sprechend, es sei geheimnisvoll belebt oder es sei geistvoll. Was in Wahrheit spricht, ist nicht das Bild, sondern die angeregte Phantasie, die es mit Leben oder mit Geist ausstattet, und die, weil sie Spielraum findet, Stimmung oder Seele hineinträgt. Hier liegt eines der größten Geheimnisse der Kunst vor, dessen sich bis zu einem gewissen Grade auch der Amateurphotograph bemächtigen darf. Nicht was er sagt, sondern was er verschweigt, macht bekanntlich den Meister des Stiles. Die bekannten Verfahren der hochentwickelten Amateurphotographie, die auf Vereinfachung des Tons, Verflüchtigung verwirrender Details und Milderung der Übergänge in der Schwarz-Weiß-Skala abzielen, sind ebenfalls durch dieses Gesetz der künstlerischen Wirkung begründet.

siehe Bildunterschrift

Photograph. Kultur. Künstlerische Kinderaufnahme. Gegen eine sonnenbeleuchtete Wand photographiert. (Siehe Kapitel: Kodakgeheimnisse.)

Vor allem soll der Amateur nie vergessen, daß seine Aufnahmen stets nur als Studium aufzufassen sind. Sie sollen niemals Gemälde sein wollen. Die Amateuraufnahmen nehmen daher einen Platz neben den Skizzen eines Zeichners ein. Wenn man diesen Rang festhält, wird der Amateur nicht leicht auf Irrwege geraten. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, was Maler beispielsweise in ihr Skizzenbuch einzutragen pflegen. Bald ist es ein charakteristischer Kopf, bald eine Hand, bald ein interessanter Wegstein oder ein Stück kunstvoll geflochtener Zaun, eine geschnitzte Tür, ein Blumenfenster, eine Rosenlaube, ein auf die Architektur angesehener Gartenausschnitt, ein altheimischer Hausflur, ein altväterisches Hausmöbel oder eine Kaminecke usw. Das Stoffgebiet ist unerschöpflich und findet nur seine Grenze in der Fähigkeit des Amateurs zu sehen. Die schwere Kunst des Sehens ist ein Erziehungsprodukt, das aus einer Vielheit geistiger und künstlerischer Interessen kommt und keineswegs lediglich durch die photographische Tätigkeit erzielt werden kann. Es ist durchaus nicht gleichgültig, wie wir einen Gartenausschnitt oder eine Hausansicht aufnehmen. Soll die Aufnahme in jeder Hinsicht wertvoll sein, dann ist nicht allein der zufällig angetroffene Zustand der Beleuchtung maßgebend, sondern zugleich auch die künstlerische Rücksicht auf die stoffliche Charakteristik, die keineswegs von jedem Standpunkt aus gleichwertig ist. Dafür aber entscheidet in diesem Falle unser Architekturgefühl. Das ist eine Sache, die auf ein anderes Blatt gehört. Diese Andeutung muß genügen, um dem Amateur und vor allem dem Anfänger, der das obige bedacht hat, zur Erkenntnis zu bringen, daß nichts besseres zu tun ist, als auf das Detail loszugehen. Stellen wir z.B. die Amateurphotographie nochmals in die Parallele mit der Skizze. Die Skizze entsteht vorwiegend aus der Absicht, aus der verworrenen Vielheit der Dinge ein interessantes Glied, ein Detail, wie oben bereits aufgezählt, herauszugreifen, und möglichst groß und eindringlich zu behandeln. Es heißt also nicht, möglichst viele Details auf einem Bilde zu häufen, sondern im Gegenteil ein bestimmtes Detail zum Hauptgegenstande zu machen in der Form, wie es in den obigen Zeilen des Amateurphotographen vorgeschlagen ist. Der Vergleich mit der Skizze ist sehr lehrreich. Es kann zwar behauptet werden, daß die Skizze nur eine Vorarbeit zu einem Gemälde darstellt und nur Mittel zum Zweck ist, während die Amateurphotographie Selbstzweck ist und daher anderen Gesetzen gehorche. Das ist aber nicht richtig. Denn erstens ist die Skizze als Zweig der Graphik auch Selbstzweck geworden und stellt in den Reproduktionsabarten, wie in der Steinzeichnung oder im Holzschnitt, dieselbe Erfüllung der Forderung nach dem Einfachen und Monumentalen dar, die wir von der Amateuraufnahme verlangt haben, und zweitens ist die Photographie auch vielfach Mittel zum Zweck geworden und hat ebenso wie die Skizze als Vorarbeit des Malers zu den höheren Zwecken seiner Gemäldeschöpfungen zu dienen, sei es als Gedächtnisstütze oder zur Korrektur des Sehens. Schließlich darf man nicht übersehen, daß ein großer Teil der modernen naturalistischen Malerwerke, ungeachtet ihres Formates und ihrer Technik, eigentlich als Studien anzusprechen sind.

Die Amateurphotographie kann für die heutige Kultur, die im Zeichen der Volkskunst und der Heimatskunde steht, viel Ersprießliches leisten, wenn sie sich auf diese Gesetze zu beschränken weiß. Generalansichten, umfassende Landschaftsbilder, Panoramen geben uns gar nichts. Wir müssen uns heute vielmehr darauf besinnen, daß in der Welt der Erscheinungen, namentlich soweit sie vom Menschenwerk abhängt, das Kleine und Einzelne bis ins Detail von Schönheit und Kunst erfüllt sein muß, wenn das Ganze und Große in Ordnung sein soll. Es gibt in dieser Hinsicht keine Erkenntnis, wenn man alles nur in Bausch und Bogen nimmt. Wenn wir die Schönheit alter Städte und Dörfer erkennen, muß uns alles bis ins einzelne interessieren, vom Prellstein bis zum Schornstein. Die Amateurphotographie sei der Ausdruck dieses neuerwachten Interesses. Sie wird geistige und künstlerische Nahrung bringen, wenn sie all dieses Einzelne möglichst groß und gut bringt. Es fehlt aber noch sehr viel dazu. Wenn nicht dieses Zielbewußtsein allgemein fehlen würde, stände es z. B. auch mit der Ansichtskartenindustrie besser. Auch die müßte dem allgemeinen Zuge der Zeit folgen, wenn die photographische Kultur höher stände und es als ausgemacht gelten würde, daß mit den allgemeinen Ansichten und den öden Genrebildern niemandem gedient ist und daß wir an ihrer Stelle ganz etwas anderes brauchen. Was wir brauchen, sind gutgesehene, großaufgefaßte, charakteristische Details. Die Natur, das Leben, die Kunst ist reich daran, wir brauchen nur die Augen aufzutun.


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