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Das Schaufenster.

Man wird verstehen, daß die Wohnräume mit unserem Kleide, mit unseren Lebensgewohnheiten und Ansprüchen in Übereinstimmung sein müssen, und man bedarf Räume, die mit unseren Bewegungen nicht in Widerspruch stehen, die ein freies und dennoch ruhiges und gelassenes Wesen zulassen. Man geht weiter, und verlangt es von seiner Umgebung, von den öffentlichen Lokalen, den Geschäftsläden, den Wohnhäusern und ihren Fassaden. Man muß es mit immer lauterer Stimme verlangen, gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte, wo man so sehr darauf erpicht ist, den Mangel an schöpferischer Kraft durch Ziermacherei und dekorativem Aufputz zu verkleiden.

Der besprochenen Absicht gegenüber, die Geschäftsläden mit sogenanntem künstlerischem Schmuck zu versehen, ist es notwendig zu betonen, daß die gute Wirkung keineswegs von dem Aufputze im einzelnen, der viel eher störend und unkünstlerisch erscheinen kann, abhängt, als vielmehr von den guten und richtigen Maßen und von den schönen Raumverhältnissen. Diese überflüssige Putzmacherei ist es, was man fälschlich als Kunst begreift. Der beste künstlerische Ladenschmuck wird immer nur die vornehme Einfachheit und Zweckmäßigkeit sein.

Der Künstler ist bereit und befähigt, diese Ansprüche zu erfüllen, sobald das Publikum gewillt ist, ihm mit Verständnis zu folgen. Es ist nicht unangebracht, in diesem Zusammenhange auf die Schriften von Alfred Lichtwark hinzuweisen, der über die Ästhetik des Geschäftsladens einige beherzigenswerte Winke gibt. Man lese einmal nach, was in seinem Buche »Blumenkultus« über die Blumenläden steht. Er geht vom Schaufenster aus, von dem ja der Vorübergehende die nachdrücklichste Belehrung zu empfangen pflegt. Auf manchen Gebieten, denen der Frauenmode z. B., ist ihr Anblick eigentlich in höherem Maße ausschlaggebend als der Besuch des Ladens. Das Schaufenster markiert nur die großen Linien der Bewegung. Es ist dem Tagesgeschmack prophetisch ein gutes Stück voraus. Heute erscheint der Hut, den die fortgeschrittenste Frau in einer Woche erst aufsetzen wird. Die neuen Farbennuancen der Hüte, Blumen und Seidenstoffe werden dem Auge in den Auslagen zuerst als das Ziel der neueren Gewöhnung vorgestellt, und hier hat es Zeit, nebenbei und ohne Anstrengung eine alte Gewöhnung zu besiegen und eine neue aufzunehmen.

Vom Schaufenster der Blumenläden kann man nun nicht behaupten, daß es in demselben Maße eine führende Rolle spielt, wie das der Modistin. Die bewegliche und unbewegliche Ausstattung des Blumenladens, von der sich das farbige Material abhebt, ist meist kläglich, wenn sie nicht aus einem Hintergrund von grünen Büschen besteht, der wenigstens nicht verdirbt. Wie ein genial begabter Fachmann seinen Laden einrichten würde, läßt sich nicht ausdenken.

Vielleicht würde er ihn behandeln wie eine Zimmerdecke mit weißlackierten Vertäfelungen und würde darin auf kleinen Tischen, wie man sie im Zimmer hat, einzelne einfache, vornehme Vasen mit Sträußen aufstellen, die Schöpfungen seines eigenartigen Talentes. Wenn ihm dann ein Wurf geglückt wäre, den er als die Eingebung einer ganz besonders glücklichen Stunde empfände, dann würde er vielleicht nichts weiter zeigen, als dieses eine Kunstwerk, genau wie eine Pariser Modistin, die wohl einmal in ein weiträumiges Schaufenster nichts als einen einzigen Hut stellt.

So lautet es bei Lichtwark.

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Denn unter dem Ladenpersonal gibt es eine Vorzugsklasse, und diese Klasse bilden die Auslage-»Arrangeure«. Er will den Spaziergängern Abwechslung und Unterhaltung bieten, um den Reklamezweck des Schaufensters zu erhöhen. Flugs wird es unter seiner Hand zur kleinen Bühne, wo sich seine bildnerische Phantasie auslebt. Seide ist dann nicht mehr Seide, Stiefel sind dann nicht mehr Stiefel, sondern Rohstoff für seine höheren Zwecke. Er bildet aus schillernder Seide einen Wasserfall und errichtet aus Schuhen Pyramiden. Er baut einen Leuchtturm im Meer und ein vorüberfahrendes Schiff. Der Turm ist mit roten Servietten umwickelt, ein Vorsprung bildet eine Veranda am Turm, ebenfalls sehr sinnig aus Servietten gebildet, darauf eine Puppe steht mit einem Fernglas in der Hand. Sie sieht nach dem Schiffe aus. Dieses ist 1,50 m lang, aus Karton, mit weißen Herrenhemden bekleidet; der Halsausschnitt mit eingelegter blauer Gelatine stellt ein Kajütenfenster vor. Das Schiff ist mit Taschentüchern ausgefüllt und eine Atlasfahne oben am Maste trägt eine Reklameaufschrift. Herrlich! Und läßt sich einmal wirklich nichts besseres erfinden, dann bildet er aus Chiffon eine Säulenhalle und zwischendurch aus verschiedenem Zeug einen wallenden Vorhang, daraus aus Pappe das Modell eines menschlichen Beines hervorragt, mit einem Damenstrumpf bekleidet; als Trumpf legt er dem Bein an Stelle des Strumpfbandes eine Krawatte aufs Knie.

Er hat mehr erreicht als er wollte. Er hat erreicht, daß ein geschmackvoller Mensch dort nicht mehr seine Krawatte kaufen wird. Durch solche Anstrengungen wird die Phantasie des Nachbarn zu noch größeren Bocksprüngen gereizt. Hier liegt der Reklamewitz im Überbieten. Und wenn alles versagt, muß der Klopfapparat helfen, der die Stelle des Ausrufers vertritt. Denn es stellt sich immer heraus, daß die Reizmittel, die meistens in das Gebiet des groben Unfugs gehören, auf die Menge sehr bald eine abstumpfende Wirkung ausüben. Teilnahmlos gehen dann die Leute an dieser Geschmacklosigkeit vorüber. Denn das ist Gesetz, daß weniger mehr bedeuten würde. Das Anziehende liegt darin, das Charakteristische des Warenlagers zu zeigen, und es so zu zeigen, daß man es auch gut sehen und beurteilen kann.

Das kann ganz einfach geschehen. Freilich das Einfache ist das Allerkomplizierteste. Es wäre unbillig, von jenen Läden zu schweigen, wo dieses Prinzip bereits wirksam ist, und die eine Zierde der Straße sind. Vielleicht hat hierin die Modistin den Anfang gemacht. Vor der Hand sind es die Herrenmodeläden und einige andere, die unter dem Einfluß der englischen Mode stehen und geschmackvolle Arrangements zeigen. Trotzdem kann es in einem sehr feinen Hutladen passieren, daß eine Riesenpalme ins Fenster gestellt und Hüte darunter gelegt werden. Wozu die Palme? Das Wesentliche eines Schaufensterarrangements besteht darin, daß man den einzelnen Gegenstand vorteilhaft zur Geltung bringt, seinem Material, seiner Eigenart gemäß. Wie? Zu jedem Geschäfte anders. Eine Angabe würde nur die Gestaltungsmöglichkeit begrenzen, und dem Genie sollen keine Grenzen gesetzt werden. Daß die Farbenzusammenstimmung von größter Wichtigkeit ist, braucht kaum gesagt werden. Aber das ist wieder eine sehr heikle Sache. In deutschen Hauptstädten hat man sich an die Künstler und Architekten gewendet, und es könnte auch bei uns vorkommen, daß sie in dieser Sache zu Rate gezogen werden, was jedenfalls ein wünschenswertes Ziel ist.

Dann ist auch eine Hebung der Schaufensterarchitektur zu erwarten, eine Voraussetzung für die künstlerische Schaufensteranordnung.


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