Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[Vorworte]

Vorwort zur ersten Auflage.

Der begeisterte Kunstapostel John Ruskin sagte vom guten Geschmack, daß er eine sittliche Eigenschaft sei. In der Tat müssen wir in dem guten Geschmack eine geistige Kraft erblicken, die das Lebensbild harmonisch bestimmt. Sie erscheint uns höchst wertvoll in einer Zeit, die mit so vielen häßlichen Dingen erfüllt ist und den Kampf gegen diese Häßlichkeit aufgenommen hat.

In der Festigung und in der Förderung des guten Geschmackes liegt eine ungeheure Aufgabe, in der sich nicht nur die kunstgewerblichen Interessen, sondern alle Kulturfragen unserer Zeit begegnen. Von der Hebung des guten Geschmackes hängt nicht nur die Veredlung der Arbeit, sondern die geistige und wirtschaftliche Wohlfahrt, die Freude und Schönheit des Daseins ab.

Daß diese Aufgabe durchaus gemeinnützig und keineswegs etwa auf das Kunstgewerbe allein beschränkt ist, geht schon aus der bekannten Tatsache hervor, daß es noch sehr viele sogenannte kunstgewerbliche Gegenstände gibt, oder schlechthin sogenannte Kunstgegenstände, die durchaus nicht geschmackvoll sind, während wir häufig auf anderen Gebieten, die nicht dem Kunstgewerbe angehören, Äußerungen des höchsten Geschmackes erblicken können. Ein gut gearbeiteter Schuh kann außerordentlich geschmackvoll sein; ebenso ein Reisekoffer, wenn er aus gutem Leder gefertigt und zweckmäßig eingerichtet ist, oder ein eleganter Wiener Fiaker, ein Ruderboot, ein Smoking, ein Salonrock aus gutem Stoff und von guter Fasson, ein praktischer, sauberer Arbeitskittel, ein Automobil, ein zweckmäßig konstruiertes Sportkostüm und hundert ähnliche Dinge, die streng genommen mit Kunst nichts zu tun haben und doch einen untrüglichen Maßstab für die Gesetze des guten Geschmackes im Alltag liefern. Im Gewerbe und daher auch in jenem Teil des Gewerbes, den wir nach einer Konvention unserer Zeit Kunstgewerbe nennen, kann es sich gar nicht um das Wesen der Kunst handeln, sondern um den guten Geschmack, d. h. um die Aufgabe, unsere Möbel, das Kleingerät, die Innenausstattung und alles, was drum und dran hängt, auf die Höhe des guten Schuhwerkes, des Wagenbaues oder des Schneiderrockes zu bringen. Der gute Geschmack ist für den Tischler, für den Tapezierer, für den Metallarbeiter ebenso verbindlich, wie für den Schuster, den Schneider, den Stellmacher. Der gute Geschmack ist aber nicht nur verbindlich für den Hersteller, sondern vor allem für den Käufer, sowie für den Händler oder Kaufmann, weil sich kein Mensch zu den Gebildeten rechnen darf, der nicht imstande ist, den guten Geschmack durch die Tat auszudrücken.

Der Tischler z. B. tut nur seine Pflicht, wenn er das beste Holz, die beste Bearbeitung und die beste Form in seiner Arbeit liefert. Wenn er auf die schlichteste, sachlichste und unmittelbarste Art auf das Ziel losgeht und die Form seiner Möbel den menschlichen Bedürfnissen und den menschlichen Maßverhältnissen anpaßt, wenn er dabei arbeitet wie ein Ingenieur oder wie ein Schneider, das Leben nach allen Seiten befragt, und immer im Auge hat, daß kein Ornament, kein Aufputz, den er etwa für künstlerisch hält, täuschen kann, wenn in seiner Arbeit ein Mangel an Umsicht, an Denkkraft oder an Gediegenheit auftritt. Nach unserem derzeitigen Sprachgebrauch und den augenblicklich gegebenen Umständen entspringend, würden wir eine solche vollkommene Arbeit künstlerisch nennen, hauptsächlich aber nur deshalb, weil sie die Forderung des guten Geschmackes erfüllt.

Wir vergessen zu leicht, diese einfachen Erfahrungen für den gesamten Haushalt unseres Lebens nutzbar zu machen. Sehr rasch tritt eine Inkonsequenz ins Dasein, indem wir die Dinge ungeprüft hinnehmen, und aufhören uns Rechenschaft zu geben über die charakteristischen Merkmale von Gut und Schlecht. Unser Gewissen ist vollkommen beruhigt, wenn der Verkäufer erklärt hat, die Ware sei das Allerneueste, Allerfeinste, Allermodernste und werde von allen gekauft. Am schlimmsten steht es mit den sogenannten Kunstgegenständen, mit all der Ziermacherei an praktischen Gebrauchsdingen, mit jener unechten Art von Kunst, die nichts weiter ist, als eine der zahlreichen mehr oder weniger geglückten Spekulationen auf die Torheit des Publikums. Die Mehrzahl der Menschen hört auf, die Vernunft zu gebrauchen, wenn es sich um diese hypnotisierenden Scheinwerte handelt, um die Lächerlichkeiten gewisser Moden, um Produkte, die auf den falschen Schein hin zurecht gemacht sind und keiner Prüfung standhalten, um jene Billigkeit, die unter dem sogenannten vornehmen Anstrich fast durchwegs unechtes Material, schleuderhafte Mache und betrügerische Gesinnung deckt.

Was das schlimmste ist, die Gewöhnung an die häßlichen und schlechten Dinge haben die Sinne abgestumpft und die Meinung erzeugt, daß der Schund als die Äußerung des Ungeschmackes ein notwendiges Übel sei, das wir nicht abschaffen können. Die ganze Maskerade von Lüge und Heuchelei wirkt verderbend bis in die innere seelische Verfassung und bestimmt nicht nur das äußere Lebensbild, soweit es die Häuser, die Wohnungen und zum Teil die Kleidung betrifft, sondern auch den Verkehr der Menschen untereinander, die Umgangsformen, das geschraubte und gezierte Wesen, die inhaltlosen Förmlichkeiten, die Titelsucht, Unterwürfigkeit und Kriecherei nach der einen Seite, Unmenschlichkeit, Gefühllosigkeit und Unterdrückung nach der anderen. Der gute und der schlechte Geschmack wurzelt in der Gesinnung. »Sag mir, was du liebst oder was dir gefällt, und ich sage dir, was du bist.« Es kommt nicht so sehr darauf an, was wir denken oder glauben, sondern darauf, was wir tun. Eine Krisis des Geschmackes ist daher zugleich eine moralische Krisis, und wie weit die sittlichen Folgen des schlechten Geschmackes gehen, können wir an den Schäden ermessen, die sich aus der Verwahrlosung, aus der Neigung zum falschen Schein, aus der Versessenheit auf unechten Prunk, auf die Geziertheit und Unechtheit, auf die parvenühafte Talmieleganz ergeben, sowie aus den Schunderzeugnissen mit ihren nachteiligen Folgen für die Hersteller wie für die Besitzer. Aus diesem Grunde ist der schlechte Geschmack verabscheuungswürdig, eine Hemmung des Fortschrittes, ein schwerer Rückstand von Barbarei und Unmenschlichkeit und verdient mit allen Mitteln bekämpft zu werden.

Die Gesetze des guten Geschmackes, die sich im einzelnen da und dort erfüllen und deren Ausdruck Schlichtheit und Gediegenheit ist, müssen im ganzen Umkreis unseres Daseins zur Wirksamkeit gelangen, wenn wir eine harmonisch abgerundete Kultur erlangen wollen. Der gute Geschmack verpflichtet uns zur Pflege des Schönen. Der Mangel an Schönheit beeinträchtigt unsere Daseinsfreude und unsere Arbeitsfreude, und dieser Mangel ist es, woran die Menschheit leidet. Wir leiden unbewußt unter der beständigen peinigenden Einwirkung der Häßlichkeit, ob sie sich in den Formen des Kleingerätes, in den Werken der Technik oder der Architektur darbietet.

Im praktischen Leben jedoch besitzt der gute Geschmack eine einschneidende, soziale Kraft, indem er uns bemüßigt, in allen unseren Einkäufen dem Händler und dem Erzeuger gegenüber den Grundsatz der gediegenen Herstellung zu betonen und dazu beizutragen, das Können und Ansehen der gewerblichen Arbeit und mithin den Arbeiter in seiner menschlichen und wirtschaftlichen Wohlfahrt zu fördern. Die Reinheit und Echtheit des guten Geschmackes ist an ein allumfassendes Gesetz der Schönheit gebunden und beruht in der entwickelten Fähigkeit, aus dem Kern der Dinge zu schöpfen und die schlichte Liebe zu allem zu betätigen, was geliebt zu werden verdient. Die Erziehung zum guten Geschmack ist die allerdringendste Bildungsangelegenheit, die nicht nur sichere Herrschaft über die äußere Form bedeutet, sondern eine strenge Disziplin des Charakters, Vornehmheit der Gesinnung und Übung der seelischen Kräfte. Er ist eine durchaus aristokratische Eigenschaft, das Gegenteil von Gemeinheit im Denken und im Handeln, das untrügliche Kennzeichen der kultivierten Persönlichkeit, die mit dem Feinsten, das die Welt bietet, in Übereinstimmung lebt; er ist, kurz gesagt, Inhalt und Sinn der Bewegung, die Kultur verbreiten will.

Dresden-Blasewitz.
Joseph Aug. Lux.

 

Vorwort zur zweiten Auflage.

Drittes bis siebentes Tausend.

Der Erfolg der ersten Auflage, die in kurzer Frist vergriffen war, und die überaus zahlreiche und geradezu enthusiastische Zustimmung der Presse, von den begeisterten persönlichen Briefen ganz zu schweigen, haben uns, Autor und Verleger, belehrt, daß mit diesem Werk der Nagel sozusagen auf einen seiner vielen Köpfe getroffen worden ist. Man könnte sagen, daß ein unausgesprochenes latentes Bedürfnis mit diesem Werk der Nützlichkeit erkannt und erfüllt worden ist. Die Nachfrage ist groß, und sie wächst immer noch. Wir schließen hieraus, daß das Buch noch lange ein Führer sein wird zum formalen Schönen oder, besser gesagt, zum Zeitgemäßen, weshalb wir das Buch in zwar sorgfältig durchgesehener, aber im wesentlichen unveränderter Form wieder auf den Geschenkstisch legen. Der Zweck dieses Buches ist es zwar, sich überflüssig zu machen, aber soweit sind wir noch lange nicht in Dingen des guten Geschmackes. In der vergangenen kurzen Jahresfrist seit dem ersten Erscheinen hat sich weder soviel geändert noch gebessert, daß wir uns auch nur eine Zeile hätten ersparen können. Wenn dieses Buch einmal in allen Händen gewesen sein wird, dann freilich können wir einen anderen Ton anschlagen. Hoffen wir's!

Z. Z. Altmünster am Traunsee.
Joseph Aug. Lux.


 << zurück weiter >>