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Vom guten und schlechten Möbel.

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Die gewagtesten phantastischen Linien kann man bei allen unpassenden Gelegenheiten sehen, diese Zierbögen, diese Ziergalerien, an allen Ecken und Enden; sogar ein Zierkamin ist da, nebst den unvermeidlichen Zierschränkchen. Diese Art von »Zierat« fängt an, wo die Vernunft aufhört.

Die Elemente der Möbelformen, von denen folgendes handelt, sollten eigentlich Gemeingut sein. Es ist erstaunlich, wie wenig die Leute im allgemeinen von den Dingen verstehen, die so notwendig zu ihrem alltäglichen Leben gehören, wie die Wohnungseinrichtung. Daß sie möglichst effektvoll aussehe, ist alles, was man von der schönen Wohnung verlangt. Die Fachleute richten sich nach des Bestellers Wünschen und so verdirbt einer den anderen. In Schauladen, Ausstellungen und Wohnräumen bietet sich annähernd das gleiche Bild: ein größerer oder geringerer Aufwand von gutem Material oder aber auch echtscheinenden Surrogaten, glänzend und auf den äußeren Schein berechnet, höchste Modernität und reichliche Putzmacherei: alles ist sehr wirkungsvoll und doch im Grunde genommen hündisch. Seit einigen Jahren, da sich die Künstler der Sache angenommen, ist die Verwirrung heillos. Ihre persönliche Eigenart wurde alsbald zur Mode, nachgeahmt und schrecklich verzerrt, und dabei wurde das Wichtigste, das sie auszeichnet, ihre Grundsätze einer organischen Konstruktion, das einzige, das Gemeingut werden sollte, übersehen.

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Ein Beispiel aus der Biedermeierzeit, wo diese üble Ziersucht von heute nicht bekannt war. Die Leute waren auch im Möbelbau gewohnt, die Vernunft zu gebrauchen.

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Ein schlicht vornehmer moderner Raum von Bruno Paul, der auch [Rest fder Bildunterschrift fehlt im Buch. Re]

Die gewagtesten, phantastischen Linien kann man bei allen unpassenden Gelegenheiten wiederfinden; dem Besteller gefällt es und der Hersteller macht es, aber kein Mensch weiß, wozu und warum?

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Ein kaiserliches Zimmer aus der Kongreßzeit. Vornehmheit gibt sich schlicht. Parvenugeschmack ist anders.

Und doch ist das Wichtigste, zu wissen, wozu oder warum etwas so oder so gemacht wird, wenn ein anständiges Produkt zustande kommen soll. Die Tischler müßten arbeiten und Maßnehmen wie der Schneider, und die Besteller müßten nachdenken und mithelfen, das Rechte herauszufinden, auf das Notwendige bedacht und auf seine vollkommenste Erfüllung wie bei der Beschaffung ihrer Kleider; aber wie viele sind, die wirklich so tun?

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Hirngespinst eines irrenden Möbelzeichners. Um den Globus von dem babylonischen Sofa-Überbau zu holen, bedarf es einer Leiter. Den Schreibtisch vergleiche man mit jenem auf der gegenüberstehenden Seite 218.

Was also soll geschehen, um das Rechte zu bekommen? Angenommen, es handelt sich um die Herstellung eines Schreibtisches. »Wollen Sie einen Schreibtisch mit oder ohne Aufsatz, einen geraden oder einen halbkreisförmigen?« würde der Händler fragen. »Nußholz oder Eichenholz, gebeizt oder poliert, lackiertes Weichholz oder Mahagoni?« Ich erwidere, daß ein guter Schreibtisch zunächst gar nicht davon abhängt, ob er gerade oder halbkreisförmig gebaut, gebeizt oder poliert ist. Viel wichtiger zu wissen ist, welche Ansprüche die Art der Arbeit, die am Schreibtisch verrichtet wird, an die Benutzbarkeit stellt.

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Korrekter Schreibtisch. In jeder Hinsicht vernunftgemäß.

Der Schreibtisch einer Dame, die gelegentlich ein Billett, der Schreibtisch eines Kaufmannes, der Rechnungen schreibt, und der Schreibtisch eines Schriftstellers sind von Natur aus wesentlich verschieden. Was also zunächst entscheidet, ist die persönliche Beziehung des Schreibenden zum Schreibtisch, nicht allein in bezug auf alles, was der Schreibtisch aufzunehmen hat an Schriftstücken, Papieren, Büchern und anderen Gegenständen, sondern auch in bezug auf das menschliche Körpermaß, die für die Größenverhältnisse des Schreibtisches maßgebend sind. Der Schreibtisch muß buchstäblich angemessen sein. Ich werde also dem Handwerker, der den Schreibtisch auszuführen hat, eine Zeichnung anfertigen, in der alles bis aufs kleinste vorgesehen ist.

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Schlechter Schreibtisch. Verunglückte Renaissancekopie im Stil der üblen Vorlagenwerke.

Jene die sich nicht helfen können, müssen einen Architekten bitten, daß er Hebammendienste leiste, damit keine Mißgeburt zutage käme. Bei der heutigen Lage der allgemeinen Kultur ist der Künstler, ich meine hier den Architekten, ganz unentbehrlich. Vielleicht wird er mit dem Fortschreiten der künstlerischen Bildung ganz überflüssig, die jeden befähigen sollte, das häusliche Um und Auf richtig zu gestalten, ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Beim Schreibtisch also werde ich das Größenmaß in der Breite nach meinen seitlich wagrecht ausgestreckten Armen, von Fingerspitze zu Fingerspitze gemessen, in die Tiefe nach meinem wagrecht vorgestreckten Arm, von der Fingerspitze bis in die Achselhöhle gemessen, nehmen, weil alles auf dem Schreibtisch im Handbereich liegen muß.

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Alter Schreibtisch, geschlossen, wahrhaft vornehm mit seinen glatten Flächen, vernünftigen Formen und augenscheinlich schönen Materialeigenschaften. Qualität in dreifacher Beziehung, was Holz, Arbeit und Form betrifft.

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Eine andere gediegene Schreibtischform, neue Arbeit, nach Art der Sekretäre der Biedermeierzeit, durchaus sachlich und schön.

Ist er größer, so wirkt er unförmlich, ist er kleiner, so wirkt er unzulänglich. Die Höhe der Tischplatte wird nach dem sitzenden und schreibenden Menschen genommen. Sodann erfolgt die Bestimmung und Einteilung der erforderlichen Laden und Fächer und deren Anordnung, alles nach Maßgabe des persönlichen Bedürfnisses. Für den Aufsatz wird entscheidend sein, ob und wieviel Papiersorten er aufzunehmen hat, ob er eine Reihe Handbücher zu tragen hat und ob der Besitzer gerne einige Blumen im Glase oder in einer Vase auf demselben stehen hat. Ein seitlich herauszuschiebendes und unter der Tischplatte eingelassenes Brett wird als Aufwärter unter Umständen gute Dienste leisten. Die wichtigsten Konstruktionselemente sind nunmehr vorhanden.

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Ein Schreibtisch, neue Arbeit, Mahagoni, der die Form hat. – Eine der unzähligen Lösungen, die auf sachlicher Grundlage möglich sind.

Es bedarf nur mehr eines guten Materials, guter, solider Arbeit und es ist kein weiterer Schmuck oder irgend eine andere Kunst nötig, um ein brauchbares und schönes Möbel zu erhalten. Die Schränke und Schreibtische sollen entweder bis auf den Boden reichen und ohne Zwischenräume fest aufstehen, oder sie sollen »fußfrei« sein, d. h. auf Beinen stehen, die nicht unter 20 bis 25 Zentimeter hoch sind. Es ist das Merkmal eines schlechten Möbels, wenn es auf ganz kurzen Beinen steht, so daß kein Besen unten durch kann, den Staub hervorzukehren. Die unkontrollierbaren Schmutzwinkel sind zu vermeiden. Entweder die Beine so hoch, daß man bis zur Wand sehen kann, was obendrein ein Zimmer geräumiger erscheinen läßt, oder gar keine Beine, weil sich unter einem massiv aufstehenden Möbel keine Staubschicht bilden kann.

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Der ordinäre Geschmack kann die glatte schöne Form nicht ausstehen. Zumindest müssen Profilleisten, einige Verkehlungen als Staubfänger und ein maschinell gepreßtes höchst unzweckmäßiges Beschläge herhalten und für die »Schönheit« sorgen.

Zum Tisch gehört der Stuhl, also auch zum Schreibtisch. Sie bilden zusammen eine Einheit. Schreibtischsessel werden mit Rückenlehnen versehen, die nicht höher reichen als zur Schreibtischplatte, also unter den Schulterblättern abschließen. Beim Speisetisch mag das ganz recht sein, weil hohe Lehnen beim Servieren hinderlich sind, aber beim Schreibtischsessel treten persönliche Ansprüche wieder mehr in den Vordergrund. Wer es liebt, sich von Zeit zu Zeit bequem zurückzulegen und dem Kopf eine Stütze zu geben, wird sich ein Fauteuil bauen lassen müssen, wie sie unsere Vorfahren kannten. Aber man achte darauf, daß die Rückenlehnen gerade verlaufen, damit der hohe Stuhl an die Wand gerückt werden kann, ohne sie zu beschädigen, oder von ihr beschädigt zu werden. Die Polsterung mag der Rückenlinie folgen.

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Wie ein guter zweckmäßiger Damenschreibtisch aussehen könnte.

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Warum soll ein »Damenschreibtisch« um jeden Preis von kindischer Form sein, wie dieser? Mit Zier verunziert? Warum soll er nicht ordentlich auf den Beinen stehen, warum soll er nicht passende Laden und Fächer haben, damit Briefschaften, Papiere usw. gut untergebracht werden können? Weder die albernen Schnitzzierate noch der überflüssige Spiegel in der Rückwand können über diesen Mangel hinwegtäuschen. Puppenheim-Phantasie.

Von aller Art Stühlen gilt das Gleiche. Wo die Rückenlehne geschweift ist, greifen die Hinterbeine noch weiter heraus, um an die Sesselleisten zu stoßen, und die Lehne von der Wand abzuhalten. Wenn man von der Lehne rückwärts die Lotrechte fällt, so sollen die Hinterbeine mit dem Fußende etwas über die Lotrechte hinausgreifen.

Beim Speisetisch ist darauf zu sehen, daß man mit der Zarge und den Tischbeinen nicht in Kollision kommt. Man rückt die Tischbeine aus diesem Grunde gerne in der Mitte der Tischplatte zusammen und erhöht die Standfestigkeit durch eine angemessene Fußplatte, die alsdann mit Metall verkleidet werden muß, damit man unbesorgt die eigenen Beine darauf stellen kann.

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Biedermeier-Nachahmung. Als ob es auf die Schmuckkränze ankäme, die man bei dem sachlichen Biedermeier-Möbel vergebens suchen wird.

Was die innere Einteilung der Kleider- und Wäscheschränke betrifft, so kann jeder Kammerdiener ein übereinstimmendes Zeugnis abgeben. Es ist sehr zu verwundern, daß man fast nirgends ein Tischlererzeugnis dieser Art antrifft, darin eine zweckmäßige Einteilung vorgesehen wäre. Ein Raum, die eine Hälfte zum Hängen mit Kleiderhaken, die andere zum Legen mit Querbrettern, das ist die allgemeine primitive Einrichtung unserer Schränke. Sie ist natürlich ganz ungenügend.

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Die sachlichen Grundzüge, die in der heimischen Überlieferung liegen, sind hier dagegen in ausgezeichneter neuer Arbeit wieder aufgenommen. (Siehe auch Seite 231 und 239.)

Ein zweckmäßiger Herrenkleiderschrank muß ein Fach zum Hängen der Röcke und ein noch höheres Fach zum Hängen der ganz langen Kleidungsstücke vorsehen, ferner Laden zum Legen der Westen und Hosen unterhalb, einige Fächer für die Hüte oberhalb des Rockfaches, der Wäscheschrank muß eigene Fächer für die Kragen, für die Manschetten, für Kravatten, für die Hemden und für die sonstige Leibwäsche, alles in praktischer, übersichtlicher und handgerechter Anordnung besitzen.

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Unschöne Verhältnisse. Ungehörige Stilmeierei mit Biedermeier-Motiven.

Bei Serviceschränken und den sogenannten Bufetts ist gleichfalls zu fragen, was das Leben nötig hat, um den Raum rationell auszunützen und Übersicht, Handlichkeit und Ordnung in den Besitzstand zu bringen.

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Als gutes Gegenstück ein einfacher Waschtisch, der im guten Sinne Tradition hat, und von dem dasselbe gilt, was zu den Bildern auf Seite 229 und 239 gesagt ist.

Welche Art von Servicen und für welche Personenzahl sie unterzubringen sind, muß genau vorher bestimmt sein, um eine Anordnung zu treffen, die es ermöglicht, alles gesondert in Fächern zu halten, die leicht den Händen erreichbar sind, die vollständige Speise-, Tee-, Kaffeeservice usw., die Tischbestecke, die Tischwäsche, die Tischvasen und die sonstigen Tafelgegenstände aus Glas, Porzellan und Silber, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß ein möglichst großer Plattenraum zum Anrichten vorgesehen werden muß.

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Waschtisch, Bücherschrank nach Zeichnungen von Bruno Paul. Beispiele von einfachen schönen Lösungen, die eine gute Tradition verkörpern.

Soweit das kleine Einmaleins der Möbelformen.


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