Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die »herrschaftliche« Wohnung

I.
Tapeten und Zimmermalerei

Es hat für uns nur mittelbaren Wert, ob die Straßenbilder nach den heute üblichen Anschauungen schön sind oder nicht; viel wichtiger für die Schönheit der Stadt ist die Beschaffenheit der Wohnräume, wichtiger als die Außenseite ist die Innenseite. Häuser mit glänzenden Fassaden und häßlichen unzweckmäßigen Wohnungen sind ebenso abstoßend, wie gezierte Menschen, die unter glänzendem Firnis eine schmutzige, niedrige Seele bergen. Irgendwie kommt immer einmal ein Zipfel davon zum Vorschein. So ist es auch mit der Stadt. Die Schönheit muß gleichsam von innen nach außen strahlen. Wenn im Innern der Häuser alles aufs beste gestellt ist, dann wird sie wie heimliches Licht durch die Mauern leuchten, die keines weiteren Schmuckes bedürfen, um die Stadt lieblich und wohnlich erscheinen zu lassen. Das ist bei dem Parvenügeschmack einer herrschaftlichen Wohnung gar nicht möglich, wenn man bedenkt, was unter diesem Reklametitel angeboten wird.

siehe Bildunterschrift

Ein abschreckendes Beispiel von Deckenmalerei; Mißverstandene Moderne. Schauderhafte Pflanzenstilisierungen; in den sogenannten besseren Wohnungen zu treffen.

Für die Herstellung einer solchen schundmäßigen herrschaftlichen Wohnung kommen außer dem »Architekten« und Maurermeister noch eine ganze Reihe anderer Berufe in Betracht, Bautischler für die Türen und Fenster, Zimmermaler und Tapezierer, Ofensetzer, Schlosser usw., die in ihrer Arbeitsleistung und in ihrem Geschmack erst tüchtig herunterkommen mußten, ehe sie das nötige Zeug für eine solche herrschaftliche Wohnung hatten. Aber das Publikum fängt doch an, unter dem Einfluß der mehrfach unternommenen Kulturarbeit Besseres zu verlangen. Gute und anständige Arbeit, die auf einfachen und reinen Geschmack hält, und sich beraten läßt, ist immer hoch im Kurs gestanden. Heute mehr denn je. Ich will nun sagen, wie diese Zimmermaler und Dekorateure die Wände der durchschnittlich sogenannten herrschaftlichen Wohnung zu verunstalten pflegen. Ein Beispiel soll für viele gelten. Eine Zimmerdecke war bemalt und zeigte die Imitation einer Holztäfelung. Abgesehen von der Unerfreulichkeit einer solchen Nachahmung, sah die Vertäfelung so aus, wie echtes Holz niemals aussieht.

siehe Bildunterschrift

Wie die Wände der Durchschnittswohnungen verunstaltet werden. Ein Beispiel für viele. Mißverstandene Moderne.

Dafür aber war mit reichlicher Phantasie ein undefinierbares Gitterwerk darübergemalt. In der Mitte der Decke befand sich eine Gipsrosette mit der plastischen Nachbildung von Kastanienblättern und -früchten, untermischt mit Eicheln und Eichenblättern. Auch in den Hohlkehlen, wo die Decke auf den Wänden aufruht, sind Reliefs von Fruchtzweigen, Äpfel, Birnen und Kirschen, aufgetragen. Ich glaube, daß es solche Obstgattungen sind, denn die Mache ist so roh erbärmlich, daß sich das gar nicht genau sagen läßt. Die unerträglichen Farben und Muster der Papiertapeten, welche die Wände bekleideten, entzieht sich der näheren Beschreibung. Wir bringen einige Illustrations-Beispiele dieser abstoßenden Produkte, mit denen die Tapetenfabrikanten ihr Publikum, und das ist vor allem der Kreis kleiner Handwerker, mit dem Neuesten und Modernsten versieht. In einem anderen Raume hat die erstaunliche Phantasie des Zimmermalers Schwertlilien, Zyklamen und Wasserrosen auf der Decke vereinigt. Auch hier hat die ergänzende Hand des Plastikers nachgeholfen. Denn in der Hohlkehle unterhalb der Decke zieht sich ein Relieffries mit Zyklamen und in der Mitte der Decke prangt eine Rosette mit Sonnenblumen. Auch die in der Natur sehr dekorativ wirkende Distel hat den unschuldigen Anlaß gegeben, daß die in Sehnsucht nach Disteln sich verzehrende Einbildungskraft des Malermeisters einen ganzen Raum mit solchen Darstellungen bedeckte. Rosen scheinen sehr beliebt. Sie treten an den Wänden und Decken in allen Größen auf. Von der Knospe bis zur vollen Erschlossenheit. Vom zarten Hauch des blassen Rosa bis zur Farbeglut in der Stärke eines sehr verdünnten roten Rübensaftes. Überhaupt diese Farben. In der Farbenanschauung dieser gänzlich irregeleiteten Werkleute sind die widerwärtigsten, süßlichsten Schattierungen gleichbedeutend mit fein oder vornehm. Ich will nun gar nicht behaupten, daß diese Gewerbsleute all diese schauderhaften Pflanzenstilisierungen und Farbengebungen selber erfinden. Ich glaube auch nicht, daß sie jemals über das nachdenken, was sie da machen. In diesen Niederungen gibt es überhaupt noch keine Begriffe oder Maßstäbe für das, was ein halbwegs unverdorbener Geschmack natürlich und richtig findet. Auch diese Unseligen sind das Opfer von gewissenlosen Spekulationen, die sich mit dem Vertrieb von teuren und spottschlechten Vorlagenwerken befassen. Diese Handwerksgesellen malen einfach nach den Vorlagen, die sie in die Hand bekommen und die ihnen deshalb gut und modern erscheinen, weil sie ihnen der Agent um ein sündhaftes Geld hinaufgeschwatzt hat. Aber es geschieht ihnen ganz recht. Wer heute ein Fach ausübt und sich an der Einrichtung und Ausgestaltung von Wohnräumen beteiligt, muß wissen, was in der Welt vorgeht. Er muß das Streben unserer Künstler und Reformer kennen, und die Tatkraft besitzen, sich an die Menschen zu wenden, die ihm das Rechte zu raten und zu geben imstande sind. Denkfaulheit gilt als keine Entschuldigung. Denn nur Denkfaulheit und Indolenz, wenn nicht noch schlechtere Eigenschaften sind die Ursachen solcher Erscheinungen. Zu beklagen sind nur die, welche durch solche Verhältnisse gezwungen sind, in derart beschaffenen Wohnungen zu hausen. Wer es halbwegs tun kann, läßt von den Wänden all diesen Unrat herunterreißen und herunterwaschen, bringt einfache, klare Farben an, etwa bis zur Türhöhe, schönes Perlgrau mit einem einfachen Fries abgeschlossen und darüber die Wände und die Decke weiß. Einfach weiß. Man kann es natürlich auch anders machen. Der gute Geschmack findet ungezählte Möglichkeiten. Harmonische farbige Behandlung mit Ausschluß der schmutzigen Farben macht viel aus. Das macht hell und luftig und gibt den Menschen und den Möbeln in solchen Räumen sofort ein günstiges Aussehen.

Aber damit ist noch nicht alles getan. Denn wir haben es auch mit den Öfen zu tun.

siehe Bildunterschrift

Gotischer Ofen
(15. Jahrhundert) Fürstenzimmer

siehe Bildunterschrift

Renaissance-Ofen
(17. Jahrh.; Hohenveste Salzburg. Burg Trausnitz bei Landshut.

II.
Die Öfen.

siehe Bildunterschrift

Empire-Ofen.

siehe Bildunterschrift

Häßlicher mit Zieraten überladener Ofen aus den heutigen Mietwohnungen.

Den Öfen gegenüber ist man machtlos. Soll man sie hinauswerfen? Das ist leichter gesagt, als getan. In der Mietwohnung steht man doch immer auf dem Sprung. Daher überlegt man sich's genau, ob man die unverhältnismäßig hohen Kosten wagen soll, trotz der Ungewißheit des Bleibens. Aber abgesehen davon, werde ich überhaupt den idealen Ofen bekommen? Ich lasse diese Frage offen mit der Hoffnung, daß die Zeit und der Fortschritt einmal eine günstige Antwort geben wird. Wann das sein wird, läßt sich gar nicht voraussagen. Das hängt von den Ofenfabrikanten ab, die noch immer fest und steif glauben, daß die schrecklichen Ofengebilde, die sie herstellen, Ausbünde von Schönheit sind.

siehe Bildunterschrift

Häßlicher mit Zieraten überladener Ofen aus den heutigen Mietwohnungen.

siehe Bildunterschrift

Weißer Kachelofen in anständiger schlichter Form für die Mietwohnung.

Man muß also diese Spottgeburten in den Zimmern belassen, die von unten bis oben mit greulichen Ornamenten über und über bedeckt und mit ungeheuerlichen Auswüchsen und Bekrönungen behaftet sind, dem Kopfschmuck aufgedonnerter Schlittenpferde oder kriegslustiger Indianer nicht unähnlich.

siehe Bildunterschrift

Einfacher, schöner Ofen mit keramischer Reliefplastik.

siehe Bildunterschrift

Derbe bäuerliche Ofenform von durchaus anständigem Ansehen.

Bis in meine Träume hinein beunruhigt mich das Bild dieses Ölgötzen, das immer schrecklicher wird, wenn ich die Gedanken zurückleite auf die liebliche treuherzige alte Hafnerkunst. Was ist aus dieser urwüchsigen derben und doch so feinen Meisterkunst geworden, die einst in die Kacheln und Fliesen ein Abbild des Lebens hineinmodelte, mit gar lustigen Farben und schönen Glasuren ein ganzes buntes Bilderbuch, ergötzlich anzusehen als Chronik und Spiegel der Zeit, darin sich zeigte, wie die Welt sich in des Meisters Herz und Hirn abbildete, und im Thon wieder erwuchs. Die Hafnerkunst stammte direkt von Gott, denn auch der liebe Herrgott hat den Menschen zuerst aus Thon geknetet. Also folgte der gute Hafner seinem allmächtigen Lehrmeister, indem er in der frommen Einfalt seines Herzens alles getreulich nachbildete, was das Leben, die Welt und die Seele boten. Die ganze biblische Geschichte und alle Heiligen, auch die hohen Herren und Gönner mit ihrem Wappen und großen Taten, das Leben des eigenen Volkes, wird in den Kacheln herzinnig dargestellt und des Meisters eigen Leid und Freud, die Seligkeiten und Bitternisse seines heiligen Ehestandes fließen mit ein. Wir können die ganze rührende Geschichte an den Resten nacherleben, die sich im germanischen Museum zu Nürnberg und in anderen lokalen Sammlungen befinden, und mit besonderem Vergnügen erinnern wir uns des Prachtofens auf der Hohenveste Salzburg, den der wackere und handfeste Bischof Leonhard v. Keutschach zu seiner eigenen und Gottes Ehr im XV. Jahrhundert setzen ließ. Die Entwicklung des Thonofens hat mannigfache Wandlungen durchgemacht. Bei unseren Großeltern haben wir ihn in zylindrischer Form, blühweiß glasiert, gleichsam als Postament für die schöne Alabasterfigur, die er trug, vorgefunden. Das war doch immerhin auch etwas, mit dem sich's leben lassen konnte. Wie entsetzlich gemein sieht doch der Unhold aus, den sie uns heutzutage für die herrschaftliche Wohnung aufhalsen. Die Leute sind von dem Wahnwitz besessen, daß jedes Kachelstück ornamentiert sein muß. Darum ist auf jedem solchen Stück eine abscheuliche Pflanzenstilisierung aufgepreßt. Aufgepreßt, was den falschen Anschein einer gewissen Verwandtschaft mit der guten Handwerkskunst der alten Hafnerei erwecken soll. Die drohend ausladende Bekrönung ist dagegen nebst eben solchen albernen Pflanzenzieraten mit Muschelornamenten und anderen an das Barock anklingenden Verunzierungen versehen. Bei den Leuten herrscht nämlich die fixe Idee, daß wenn etwas herrschaftlich sein soll, unbedingt etwas Barockes darauf sein muß. Eigentlich liegt eine gewisse Logik in diesem Irrsinn. Alle barocken Formen kleiden uns demokratische Menschen ebenso schlecht, wie das, was sich mit der Bezeichnung »herrschaftlich« deckt. Wir, die wir eine Mietwohnung oder auch ein eigenes Wohnhaus inne haben, sind doch um Gotteswillen keine Herrschaften. Der Begriff Herrschaft gehört einer feudalen Zeit an, deren künstlerische Ausdrucksform das Barock war. Man kann daraus auch erkennen, wie lächerlich es ist, wenn Menschen heute noch ihre Wohnungseinrichtungen oder ihre Häuser in Barockstil bauen lassen. Die Ofenfabrikanten, die sich doch am wenigsten einbilden dürfen, daß sie mit den feudalen Begriffen des Herrschaftlichen und des Barocken eine Verwandtschaft haben, sind lächerlich genug, noch immer barock anmutende Öfen zu bauen, die natürlich beim näheren Ansehen alles andere sind, denn barock. Die Ausrede, daß das Publikum es so wünscht, ist einfach absurd. Das Publikum will vorderhand noch gar nichts. Es nimmt, was da ist, und wenn es einmal was Anständiges haben will, hat es seine liebe Not, das Rechte zu bekommen. Daran sind eben die Herren Fabrikanten schuld, die ihren eigenen minderwertigen Geschmack als den Geschmack des Publikums ausgeben und auf diese Art das Niveau herunterbringen. Es gibt natürlich auch unter den Ofenfabrikanten Ausnahmen; es ist anzunehmen, daß auch in dieser Fabrikation die Tage des rohen Ungeschmacks zu zählen sind. Wir, die Käufer, oder das Publikum, wir wollen gar keine ornamentierten Kachelöfen, weil wir ohnehin wissen, daß wir eine gute anständige handwerkliche Arbeit dieser Art unter keinen Umständen bekommen würden. Die gute alte Hafnerkunst ist längst eingegangen, und wenn hie und da ein wirklicher Kunsttöpfer sich mit der Sache aufs neue befaßt, so ist das vorderhand eine Ausnahme, mit der die Allgemeinheit nicht rechnen kann. Wir wollen auch keine Imitationen von alten Legendendarstellungen, wir wollen auch keine barocken Kacheln, keine Delfterkopien, und am allerwenigsten wollen wir die furchtbaren pseudomodernen Pflanzenstilisierungen. Wir wissen ganz genau, daß die maschinelle Herstellung mit gepreßten Ornamenten Handarbeit vortäuschen will, was in jeder Hinsicht der Ausdruck einer unanständigen Gesinnung ist. Wir wollen aber die Unanständigkeit nicht dulden und werden, da kein anderes Mittel hilft, das Publikum und die öffentliche Meinung gegen einen solchen Unfug mobilisieren. Es gibt auch eine anständige maschinelle Herstellung, ein maschinenglattes Erzeugnis, das den Charakter seiner Herstellung offen und ehrlich zur Schau trägt. Ja, wir ziehen die ganz glatten Formen schon deshalb vor, weil sie keine Staub- und Schmutzfänger sind und nicht die Unsummen täglicher Reinigungsarbeiten verlangen, die wir jetzt aufbieten müssen. Vor allem aber ziehen wir die ganz weißen Glasuren vor, weil Weiß, abgesehen von der blanken und sauberen Erscheinung, für die Farbe, die wir den Möbeln oder den Wänden geben, keine Gefahr bedeutet. Es verhält sich also indifferent, so wie alles in der Mietswohnung, das wir unverändert hinnehmen müssen, einen indifferenten Charakter haben soll. Es ist ebenso gut, andere Farben zu wählen, wenn sie nur schön sind. Sollte an dem Ofen eine kleine halbrunde Nische vorgesehen sein, so daß wir im Interesse einer künstlerischen Belebung selbst eine kleine Plastik, etwa ein Stück Kopenhagener Porzellan hineinstellen können, so ist es natürlich um so besser. Was die Form des Ofens betrifft, so ist zu verlangen, daß er nicht die Höhe des Türstocks überragen soll. Nach einem guten Grundsatz soll er sogar ausdrücklich die gleiche Höhe wie die Tür tragen. Durch diese Übereinstimmung empfangen wir von vornherein eine ruhige Gliederung des Raumes durch die Betonung einer gleichmäßigen Höhe, einer Horizontalen, die uns für die Anbringung der Wandbilder wichtig sein wird. In bezug auf die äußere Umrißlinie ergibt sich aus dem Gesagten, daß sie sehr einfach und klar sein sollen, so unauffällig als möglich, ohne Kurven, ohne Bekrönungen und ohne Herausgrabungen. Das haben, wie oben erwähnt, unsere Großväter schon sehr gut verstanden, indem sie ihren Öfen die Formen von einfachen stereometrischen Gebilden gaben, von Zylindern, aufrechtstehenden Rechtecken, steilen Pyramidenstutzen oder Obelisken. Ich sage das nicht, um die Meinung zu erwecken, daß wir die Biedermeierformen einfach nachahmen sollen. Wir müssen auf Grund eigenen Nachdenkens zu dem kommen, was uns frommt. Vielleicht ist der Ofen überhaupt nur mehr eine Frage der Zeit, solange es aber noch Öfen gibt, dürfen wir verlangen, daß sie ein rechtschaffenes Aussehen haben.

III.
Türen und Fenster.

Ungefähr zwei Dutzend Handwerksgesellen habe ich schon gefragt, warum sie die Holzteile, namentlich an Türen und Fenstern mit der widerlichen braunen Sauce bestreichen, und dann mit einer künstlichen Maserung versehen. Die Antwort war immer so ziemlich die gleiche: »Das weiß ich nicht«. Oder: »Weil man's immer so macht.« Also Gewohnheitsverbrechen, dachte ich. Es ist zudem gar nicht wahr, daß man's immer so macht. Denn, die alten Häuser, die unsere Großeltern bewohnten, hatten ausnahmslos weißgestrichene Fenster und Türen. In ganz Holland sieht man blau oder schwarzgrün gestrichene Holzteile, zuweilen auf dem Lande weiß und rot gemusterte. In vielen deutschen Gegenden streicht der Bauer Tür und Fenster in irgend einer schönen heraldischen Farbe. Es ist also nicht wahr, daß man's immer so gemacht hat, nämlich in holzbrauner Naturimitation. Sodann fragte ich, welche Holzart er in seiner Maserung künstlich nachahme. Das wußte ebenfalls keiner zu erklären. Obschon ich bemerkt hatte» daß sich einzelne Gesellen viel Mühe gaben, so etwas wie Phantasie in ihren künstlichen Maserungen zu betätigen. Ein andermal stellte ich die Frage, warum sie die vielen Kehlstöße in dem Rahmenwerk und die kassettenartigen Täfelungen in den Füllungen anbrächten. Es trage nichts zur Schönheit bei und sei überflüssig, ja sogar schädlich, weil sie das Mädchen nur mit dem Pinsel rein bekommt und die Türen mit einem allzubilligen Aufwand anspruchsvoll macht. Es gäbe Möbel aus sehr kostbarem Holz, die mit ihren glatten Flächen viel schlichter seien.

siehe Bildunterschrift

Sachlich gediegene Form einer Türklinke und das Gegenteil.

Natürlich erhielt ich auch darauf keine befriedigende Antwort. Ich mußte erkennen, daß es Leute gibt, die ihr Leben lang eine Arbeit verrichten, und niemals darüber nachgedacht haben, warum sie diese Arbeit so und nicht anders machen, und die niemals ein Verlangen tragen, sich darüber Rechenschaft zu geben, ob diese Arbeit auch zweckmäßig und nicht verbesserungsbedürftig sei. Ich fürchte, daß die Mehrzahl der Gewerbe sich heute in diesem Fall befindet, und daß von dieser Seite keine Besserung zu erwarten ist, wenn nicht von außen her durch einen energischen Druck eine kultiviertere Anschauung hinein getragen wird. Natürlich sind auch in erster Linie die Erbauer und ihre Hilfsleute schuld, die es ja auch anders verlangen könnten. Aber die wollten eine herrschaftliche Wohnung bauen, d. h. eine solche, die nach recht viel aussieht, wenn auch nichts dahinter ist, als billige und schleuderhafte Mache. Denn dabei denkt der Spekulant am meisten zu verdienen. Zu diesen herrschaftlichen Begriffen gehört natürlich eine übermäßige Höhe und Breite der Tür, die zwei Flügel haben muß. Eine einfache mäßig große Tür aus ganz schlichtem, glattem Rahmenwerk, mit glatten Füllungen, genügt dieser Sorte Menschen nicht, die blenden will. So kommt es, daß nichts der näheren Prüfung standhält. Auch die Türklinke nicht. Aus ganz schlechtem Kompositionsmetall sind die Bestandteile ausgepreßt, mit ganz überflüssigen Kannelierungen versehen, und mit einem undefinierbaren Ornament überladen, haben diese Metallguß-Bestandteile eine Form, die in jeder Beziehung unsauber und unhandlich ist. Ganz einfache glatte, sich gut in die Hand schmiegende Türklinken und flache, unverzierte Schlüsselschilde mit Verzicht auf jede extravagante Linienführung gehören heute noch zu den größten Seltenheiten, obzwar gerade an solchen Erzeugnissen ein überaus großer starker Bedarf ist.

siehe Bildunterschrift

»Moderne Tür« mit einem Viel-zu-viel an Zierat. Bedenklicher Geschmack.

Zum Teil trifft das über die Türen gesagte auch für die Fenster zu, namentlich in Hinsicht auf den Anstrich, auf die Zierate und Riegel. Es scheint zur Regel erhoben, daß ein Zimmer zwei schmale, hohe Fenster haben muß. Daß ein niederes breites Fenster in der Mitte der Wand weitaus zweckmäßiger ist, das haben weder die Erbauer der Miethäuser noch die Tür- und Fensterfabriken jemals überlegt. Nach ihrer Anschauung muß die herrschaftliche Wohnung hohe Fensterflügel haben, mit Spiegelscheiben natürlich. Also möglichst große ununterbrochene Glasflächen, dabei wird die Anlage so getroffen, daß das Oberlichtfenster als einziges Stück quer über die beiden Fensterflügel gelagert wird.

siehe Bildunterschrift

Alte weiße Tür, zweifellos vornehm.

Es ist infolge seiner Größe und Höhe gar nicht oder nur mit großer Anstrengung zu öffnen, weshalb man es in der Regel unterläßt. Nun aber lüftet ein Zimmer nur dann gründlich, wenn die schlechte Luft, die an der Decke lagert, abziehen kann. Das geschieht natürlich niemals, wenn nur die bei der verhältnismäßig großen Zimmerhöhe ziemlich tiefsitzenden Doppelflügel des Fensters geöffnet sind. Gewissermaßen Bestandteil der Fenster nach außen hin bilden die Schutzbleche, deren Bestimmung ist, die Jalousien im aufgezogenen Zustand zu verkleiden. Diese Art der Verkleidung ist in einem unvergleichlichen Grad häßlich und wirkt obendrein lächerlich, weil die steife Blechborte in der Regel so behandelt ist, als ob sie eine Draperie oder Posamentrie darstellen würde.

siehe Bildunterschrift

»Dekorateurkünste«, die vor keiner Geschmacklosigkeit zurückschrecken. Unsachliche, unmotivierte Draperien, die nur im Wege sind. Staubfänger und Bazillenherde.

Wir bemerken an den älteren Hausbauten, die aus der Biedermeierzeit stammen und nicht etwa durch spätere Zutaten oder Renovierungen verunstaltet sind, daß die früheren Generationen den Unfug, den wir an unseren Fenstern und Türen rügen müssen, sich nicht gestattet haben.

siehe Bildunterschrift

Draperie mit Posamenten, nur der Dekoration wegen da. Die Schals lassen sich nicht vorziehen. Kein Mensch kann das Zeug rechtfertigen, selbst der Tapezierer nicht. Wozu ist es da? Doch nicht der Schönheit wegen! Schön ist anders.

Also muß diese »Mode« zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten sein und wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß dieser Zeitpunkt ungefähr um 1870 liegt, wo mit dem Aufkommen des sogenannten altdeutschen Stils und der anderen Stilkarikaturen das Zerrbild der herrschaftlichen Wohnung auftauchte. Die neue kunstgewerbliche Bewegung hat es noch nicht ganz hinwegzufegen vermocht. Die Bestandteile dieses Zerrbildes der allgemeinen Lächerlichkeit preisgegeben stellen wir im Bilde die geschilderten Türen und Fenster, wie wir sie in den meisten Wohnungen antreffen, guten Beispielen gegenüber. Wie selten finden wir die geschilderte angenehme Tür und einen Fenstertypus, der ein einziges breites Fenster vorstellt, einen guten Lichteinfall gewährt, links und rechts im Zimmer tiefe Ecken läßt, und dadurch die Möbel- und Sitzanordnungen erleichtert. Dieses gute Fenster hätte keine großen Spiegelscheibenflächen, die mehr als Löcher, denn als Flächen wirken, sondern eine ziemlich enge quadratische Sprossenteilung, die die Geschlossenheit der Wand augenfällig erhöht und in den oberen Partien kleine aufschließbare Teile zur Lüftung zuläßt.

siehe Bildunterschrift

Ein sogenanntes »gotisches« Fenster. Die Tapezierer machen noch immer »Stil«. Sie glauben wirklich, daß zur Zeit der Gotik die Fenster so ausgesehen haben!

IV.
Der Grundriß.

Diesmal geht's den »Architekten« an oder den Maurermeister. Er ist beides in einer Person. Architekt nennt sich heute schon jeder Handlanger. Sogar der Tischler schämt sich Tischler zu sein und nennt sich lieber Innenarchitekt. Möbelzeichner und unfertige Kunstgewerbeschüler lassen den Architektentitel auf ihre Visitenkarte drucken und sind gemacht. Du lieber Himmel! So hat jedes sein Plaisierchen. Wenn einer der alten Maurermeister, die vor 80 oder 100 Jahren noch die entzückenden Dorf- und Kleinstadthäuser gebaut haben, das Treiben dieser »Architekten« ansehen könnte, der würde bedenklich das Haupt schütteln und sich bald wieder auf's Ohr legen, um diesen Greuel nicht mitzuerleben.

siehe Bildunterschrift

Ein Türbehang im »Empirestil«. Die richtige Empirezeit betonte selbst in den Draperien die Architektur des Fensters oder des Türrahmens. Was tun diese Leute? Sie betonen nichts als ihren eigenen Unverstand. Schund, der sich vornehm gibt.

Daß Gott erbarm! Wie sich der heutige Architekt der Spekulationshäuser die herrschaftliche Wohnung gedacht hat, ist doch gar zu kläglich. Der Grundriß belehrt uns, daß dieser Mensch, auch er stellt einen Typus dar, von dem Leben und den Bedürfnissen der Inwohner und ihrer Hauswirtschaft, die obendrein auch eine oder mehrere Dienstpersonen inbegreift, keine Ahnung hat, oder geflissentlich daran vorbeisieht. Wie sehr diese Art Wohnungen bloß darauf angelegt sind, durch äußere Nichtigkeiten zu blenden, beweist ein Blick in die Nutzräume, die in der Regel mehr als stiefmütterlich behandelt sind.

siehe Bildunterschrift

»Fenstervorhang im Renaissance-Charakter« sagt der Tapezierer. Das bedeutet in Wirklichkeit Aussperrung von Licht und Luft, Unmöglichkeit, die Oberlichten zu öffnen, und im übrigen eine sehr üble Mache aus einem augenscheinlich minderwertigen Zeug.

Man wird den Mißstand sofort begreifen, wenn man erfährt, daß im englischen Hause etwa [2/3] des ganzen Hauses den Nutzräumen angehören, während in unseren durchschnittlichen größeren Mietwohnungen, die den obigen hochtrabenden Titel führen, die Nutzräume etwa auf das Sechstel der ganzen Wohnung beschränkt sind. Dieses Sechstel umfaßt Küche, Speisekammer, Mädchenkammer, Bad und Klosett. Dabei ist der Grundriß so genial angelegt, daß in der Regel der Vorsaal keine ins Freie führende Lichtöffnung hat, also vollständig dunkel ist und häufig nicht anders gelüftet werden kann, als vermittels des Klosetts. Sehr häufig ereignet sich der Fall, daß die Mädchenkammer von der Küche abgezwickt und durch eine dünne eingesetzte Wand von ihr getrennt ist.

siehe Bildunterschrift

»Ein modernes Winterfenster«. Der Mann wußte nicht, daß Moderne gleichbedeutend sein soll mit Geschmack, Gediegenheit und Sachlichkeit. Das Obige ist das schnurgerade Gegenteil. Die Sucht nach Originalität fällt unangenehm auf. Aber der Zweck ist gar nicht erreicht. Man soll sich vor diesen und ähnlichen Ziermachereien hüten.

Es gehört zur Regel, daß die Mädchenkammer nicht größer wird, als gerade hinreichend notdürftig ein Bett aufzunehmen. Es kommt auch vor, daß das Badezimmer der Mädchenkammer abgerungen ist, namentlich wenn diese billigermaßen etwas größer gelungen ist. In jedem Fall ist die Sache so menschenfreundlich eingerichtet, daß das Mädchen Sommers und Winters entweder die Annehmlichkeit des heißen Badeofens oder den warmen Dunst der Küche in ihrer Kammer mitgenießt. Dabei ist es schon als ein Akt weiser Voraussicht zu rühmen, wenn die Mädchenkammer überhaupt mit einem Fenster versehen ist, was gar sehr oft nicht der Fall ist. Wie aber wird es der Fall sein, wenn bei einer solchen herrschaftlichen Wohnung zwei oder drei Dienstmädchen in Betracht kommen, was ziemlich wahrscheinlich ist. So weit hat die Denkkraft des Entwurfskünstlers nicht gereicht, und somit bleibt die Frage eine Preisaufgabe, die keine Aussicht hat, jemals eine Lösung zu finden.

Man darf nicht vergessen, daß es sich hier um Wohnungen handelt, die schon in dem Ansehen eines verhältnismäßig hohen Komforts stehen. Wenn aber hier noch alles im Argen liegt, wie muß es erst mit den mittleren und kleinen und schließlich kleinsten Wohnungen beschaffen sein, die wie bekannt, je kleiner, verhältnismäßig desto teurer sind und desto schlechter. Die das wucherische Spekulationsprinzip mit rücksichtsloser Nacktheit enthüllen, nachdem das fadenscheinige Mäntelchen der Herrschaftlichkeit den mittleren und kleineren Wohnungen versagt ist. Die Sache wurde von den Wohnungsreformern schon nach allen Richtungen hin und her gewendet und alle Quellen des Übels sind von ihnen aufgedeckt worden. Denn es ist schließlich nicht der einzelne Hausbauer, nicht der einzelne Architekt oder Maurermeister daran schuld, es sind auch große wirtschaftliche Faktoren daran beteiligt, die zur Bodenpreissteigerung, zum Bodenwucher und zu allen mehr oder minder traurigen Folgeerscheinungen geführt haben. Das sind sattsam bekannte Dinge. Wir brauchen uns zum Glück hier nur mit der ästhetischen Untersuchung zu befassen, die das Übel besonders sinnfällig macht und daher am besten den Nagel auf den Kopf trifft. Wir sagen uns auch, daß es schließlich wieder die Einzelnen sein müssen, die mit der Erkenntnis und mit der Reform beginnen wenn sie je eine allgemeine werden soll. Es darf nicht gesagt werden, daß in der so beschaffenen herrschaftlichen Mietwohnung nicht die Annehmlichkeiten zu verwirklichen sind, wie sie etwa ein kleines englisches Arbeiterhaus bietet. Daß wir diese Annehmlichkeiten nicht haben, liegt zum größten Teil in dem Unverständnis und in der Prahlsucht der Erbauer, die einen kostbaren verschwenderisch großen Teil des Hauses einem herrschaftlich anmutenden Hausflur und einem monumentalen Vestibül opfern. Diese Raumverschwendung, die niemanden zur Freude, vielmehr allen zu Leid ist, und nicht den geringsten praktischen oder ästhetischen Wert repräsentiert, muß natürlich von den Mietern bezahlt werden, die sich einer solchen äußerlichen Verschwendung zuliebe gerade an Wohnräumen verkürzt sehen, die für die Hauswirtschaft am unentbehrlichsten sind, nämlich an breiten, behaglichen, lichten Nutzräumen. Ungefähr sechs Mietparteien enthält solch ein herrschaftliches Miethaus. Ich möchte sehen, was für ein ausgezeichnetes Wohnungswesen jeder durchschnittliche Architekt mit denselben Mitteln zuwege bringt. Ich meine natürlich nicht, daß man zu diesem Zweck englische Architekten kommen lassen muß. Wir haben genug tüchtige deutsche Künstler, die es ebenfalls können und deren es solche in allen Städten gibt. Aber die sind in der Regel am wenigsten beschäftigt. Wenn ich nun doch wieder auf das englische Beispiel verweise, so geschieht es, um den Beweis zu führen, daß solche einer inhaltlosen Förmlichkeit dienenden Hausfluren und Stiegenhäuser ausschließlich dem Parvenügeschmack angehören, der nur dort nicht zu Hause ist, wo eine gute altbürgerliche Hausbautradition erhalten blieb. Von dort her empfangen wir das Beispiel, daß es ganz gut möglich ist, vier und auch sechs Familien unter einem Dach unterzubringen und einer jeden die Möglichkeit eines gesunden, behaglichen Wohnens in Verbindung mit entsprechendem Gartenanteil zu ermöglichen und das lästige Bewußtsein einer Mietwohnerschaft fast gänzlich auszuschließen. Was bei den größeren Wohnungen möglich ist, geschieht dort auch bei den kleineren und kleinsten, bei den Arbeiterwohnungen. Die deutsche Kultur möge sich jenes Beispiel zum Muster nehmen. Denn schließlich hängt alles vom Wohnen ab. Gesundheit und Kraft des Volkes und die Schönheit des Landes.


 << zurück weiter >>