Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kunstgenuß auf Reisen.

Mir wird bang, daß mein Kunstgenuß auf Reisen nicht zu kurz komme! Ungefähr 350 Museumszimmer habe ich in jeder Stadt durchgerannt, hier waren es mehr, dort weniger, alle meine Taschen sind vollgestopft mit Reisehandbüchern, unaufhörlich habe ich meine Nase ins Buch gesteckt, habe alle Katalognummern gelesen, alle Anmerkungen, die im Baedecker, im Burckhardt, im Gsellfels usw. stehen. In meinem Kopf geht's um wie ein Mühlenrad, und nun frage ich, bitte, habe ich für meinen »Kunstgenuß« alles Nötige getan, oder gibt es vielleicht noch ein Buch, noch ein Rezept, um mir noch eine stärkere Dosis Genuß zu verschreiben? Ich schleppe ganze Bücherladungen mit, die sollen mir, bitte, auf Reisen alles bedeuten, oder sollten sie nicht?

Sie bedeuten nichts, lieber Leser. Jahrzehntelang sind die Menschen mit den dicken roten Büchern in der Hand den bekannten Sternchen nachgejagt, kunstblind und naturblind, um schließlich von weiten Reisen ebenso naturblind und kunstblind wieder heimzukehren, wie sie ausgegangen waren. Erst jetzt fängt man zu merken an, daß die Menschheit an zahllosen Schönheiten, die sich überall auftun, daheim und in der Ferne, auf allen Wanderungen im Dorf und in der Stadt, ahnungslos vorübergehastet ist, an Schönheiten, die ob ihrer Schlichtheit unauffällig und anspruchslos für unser Leben, für unsere Kunst unendlich mehr bedeuten, als die atemlos durchrannten Museumszimmer jeder sogenannten Kunststadt. Volkstümliche Baukunst oder heimische Baukunst ist die Entdeckung der jüngsten Jahre. Die Bewegung des Heimatschutzes ist davon abgeleitet und ein neuer Baugedanke, die heimische Bauweise, die durch das Wort schon den beabsichtigten Anschluß an die örtliche, bauhandwerkliche Überlieferung, die Rückkehr zu ausdrucksvoller Schlichtheit, zum Altbürgerlichen, Ländlichen, Bäuerlichen andeutet. Bewußt oder unbewußt folgt diese heilsame Bewegung einem Anstoß, den England 50 Jahre vorher schon gegeben und der sich, auf den Lehren John Ruskins beruhend, in dem Schaffen eines hochentwickelten Architektengeschlechtes auf Grundlage örtlicher, anglosächsischer Überlieferungen ausdrückt. Die bürgerliche Bauweise auf dem offenen Lande ist in England im wahren Sinne des Wortes volkstümlich. Auch in der Malerei ist diese Bewegung maßgebend geworden für die Lokalisierung der Landschaftskunst und wir haben ganze Schulen, die unermüdlich sind in der liebevollen Schilderung der Heimat. Ja es ist uns sogar klar geworden, daß der Maler von der Luft der Heimat und der Art des Lichtes in seinem Sehen wesentlich bedingt ist, und daß der Maler des Nordens, der sich einfallen ließe, Spanien zu schildern, den Süden unwillkürlich durch das Medium seiner nordischen Licht- und Luftverhältnisse sehen würde. Abgesehen von dieser feinen persönlichen Differenzierung in bezug auf Licht und Farbe, darin sich die Individualität des Künstlers offenbart, ist das Gegenständliche der Kunst zu einem neuen Programm geworden, das ganz unerschöpflich ist. Nichts ist natürlicher, als daß der Kodak und hinter ihm die zahllose Schar der Wandernden und Reisenden die Schwenkung mitmacht, und den Kunstgenuß auf Reisen auf eine neue Grundlage stellt. Hier kommt nichts auf Bücher, sondern auf eigenes Sehen oder Empfinden, auf persönliche Entdeckung und Eroberung, auf Selbsttätigkeit und wirkliche Seelenbereicherung, kurz gesagt, auf eigene Wahrnehmung und dementsprechend auf schöpferischen Genuß an. Freilich findet sich das nicht so ohne weiteres, sonst wäre es ja längst gefunden worden und es ist daher nicht ganz zwecklos, das Auge auf Dinge einzustellen, die man vorher kaum eines Blickes gewürdigt hat. Denn alles Sein und Nichtsein in der Natur und in der Kunst hängt von unserer Fähigkeit und von der Auffassungskraft unserer Sinne ab. Es kommt schon ganz wesentlich auf die Organisation unseres Auges an und es ist daher ganz leicht zu entscheiden, wer mehr die Natur genießt: das Faultier, das zeitlebens in den Bäumen hängt, oder der Wanderer, der befähigt ist, die Schönheit des klaren Himmels und stattlicher Bäume an den Ufern eines klaren Sees zu ergreifen. Ganz ähnlich ist es mit den Dingen der Kunst. Nun einmal auf die Bahn des Entdeckens gedrängt, ist des Staunens kein Ende über die zahllosen künstlerischen Schönheiten, die sich auf dem offenen Lande, in der fremden Stadt, ja sogar in der eigenen Stadt auf denselben Straßen und Wegen, die wir sonst achtlos Tag für Tag gegangen sind, vor den gleichsam magisch gewordenen Blicken auftun. Die kleinste Stadt, ja, das kleinste Dorf bietet dem Kunstwanderer, der zu Schauen versteht, unerschöpfliche Genüsse. Wandert man durch die alten Gassen, kann man ungezählte künstlerische Erscheinungen wahrnehmen. Die Anlage der Straßen, in bezug auf ihre Breite, auf die Wandhöhen, auf die Windungen und die geschlossenen Perspektiven, die Lage der Häuser, die immer auf das Vorteilhafteste gestellt sind, anscheinend unregelmäßig und von mehr oder weniger unbewußter, künstlerischer, d. h. organischer Notwendigkeit diktiert. Die Fassaden, deren Ornamente die Fenster sind, und diese wieder beachtenswert durch Form und Stellung, die Türen und die Hausflure, die monumentale Ausbildung der Tore, die Stiegenaufgänge und Prellsteine, die koloristischen Eigenheiten der Hausfronten, die Vergitterungen der Fenster und der Türoberlichte, an denen sich oft eine erstaunliche Mannigfaltigkeit des ornamentalen und streng handwerklichen Sinnes bekundet, die alten Laden und Schaufenster und schließlich als hervorragender Schmuck der schlichten Hausformen, die oft prachtvoll gearbeiteten geschmiedeten oder gemalten Zunftzeichen, und Wirtshausschilder, über die Straße hängend und oft auch den ganz Teilnahmslosen zum Stillstehen zwingend, Malereien an der weißen Hauswand an gut sichtbarer Stelle, die Mutter Gottes mit dem blauen Mantel, überragt von der reich ornamentierten Laterne, das ewige Licht in roten Gläsern bergend, hochgegiebelte und absonderlich gehelmte Schornsteine und in der Reihe der einfachen Wohnbauten monumental wirkend irgend ein altes Schloßgebäude, jünger, als die auf sehr alte Tradition zurückreichenden Wohnhäuser, bewegter, festlicher, reicher in der äußeren Erscheinung, gewöhnlich aus der Barockzeit stammend, mit einem ganzen Schatz von geschichtlichen Überlieferungen und interessanten Kulturformen, nicht viel weniger interessant als die geistlichen Stifte, mit ihren prachtvollen Kirchen, Bibliotheken, Fürstensälen, reich an Malerei, Skulptur und Handwerkskünsten, und im Anschluß an diese Bauwerke große barocke Gartenschöpfungen mit Solitüden, Plastiken, Glashäusern und Lauben. Daneben die Reste kahler schmuckloser Verteidigungswerke, die Kultur der ersten Siedelungen verkörpernd, überwuchert von der Vegetation kleinbürgerlicher Mauergärten, zum Teil von verwitterten Stadtmauern geschützt, kleine Hausgärten, nach architektonischen Prinzipien zugeschnitten, regelmäßig und raumsparend, an denen alles interessant ist, die Anlage, die gepflanzten Blumengattungen, die bunten Bauernblumen, die Lauben und Laubengänge. Eine ganze Galerie unserer entzückenden Provinzstädte taucht empor und schon schweift der Blick über sie hinaus und weiter ins grüne Land, wo hinter den Obstbäumen da und dort die Dörfer hervorgrüßen. Von dem Städtchen zum Dorf unterwegs gibt die Kunst stetes Geleite. Hier sind die Wegsäulen interessant, die terrassenförmig abgebauten Weingärten, die Bauernhöfe mit den an der Hofseite umlaufenden Galerien, die in Holz gebaut, die Vorläufer ähnlicher, in den Bürgerhäusern vorkommender Steinkonstruktionen sind und uralter heimatlicher Abkunft. Im Dorfe ist der bäuerliche Kramladen jedenfalls auch des Studiums wert; hier sind die althergebrachten Töpferwaren, die primitiven und originellen Spielsachen und unter dem Wust schlechter importierter Fabrikswaren, da und dort auch die tüchtigen Erzeugnisse heimatlichen Gewerbefleißes, die guten Bauernstoffe mit originellen, strengen und zugleich dekorativen Mustern, dauerhaft und billig und von dem Landvolk hie und da noch, wenigstens für das Arbeitsgewand, verwendet. Das Arbeitsgewand der Männer ist in der Tat das noch am Leben erhaltene Stück ursprünglicher Heimatstracht, selbst dort, wo der alte Sonntagsstaat von der städtischen Kleidung verdrängt ist. Mit der alten schönen Tracht ist freilich auch vieles andere aus den Häusern verschwunden, das man nicht gerne vermissen sollte. Noch vor 10, 20 Jahren waren die Häuser angefüllt von dem alten, biederen Hausrat, einem Reichtum praktischer und solider Möbelformen, mit alten Gläsern oder Porzellan oder Steingut und sonstigen Gegenständen, die als Kunst im Hause anzusprechen sind; heute findet man allerdings nur vereinzeltes Erbgut und dieses oft im vernachlässigten Zustand. Die meisten haben sich neues, billiges Gerümpel angeschafft. Der Händler oder Trödler, der, wie wir sehen werden, auch eine kleine Rolle im Kunstgenuß auf Reisen spielt, hat den kostbaren alten Hausrat an sich gerissen. Es gehört mit zu den Pflichten einer auf diese Art geförderten Heimatpflege, die unwissenden Besitzer auf dem Lande über den Wert dieses alten Kulturbestandes aufzuklären, denn nur hier, wo dieser Besitzstand im Leben ein organisches Glied bildet, ist er schön und künstlerisch wertvoll; ins Museum verschleppt, sinkt er zum Gerümpel herab.

Dieses und noch viel mehr zu sehen und zu entdecken, ist unser neues Reiseziel und Inhalt unseres Kunstgenusses auf Reisen. Wir dürfen nicht meinen, daß es mit einem Male abgetan ist. Dieses organische Kunstbild ist so mannigfaltig, daß wir sicher sind, bei jedesmaliger Wiederkehr an demselben Orte neue und unerhörte Wahrnehmungen zu machen. Auf dieser Grundlage bildet sich allmählich eine neue Bildung aus, die uns das Erfassen dieser Eindrücke wesentlich erleichtern soll. Ich gehe hierbei immer von der Voraussetzung aus, daß wir hier im Interesse eines lebendigen und bleibenden Kunstgenusses nicht von der wissenschaftlichen oder literarischen Auffassung, sondern von der unmittelbaren, sagen wir notgedrungen »künstlerischen« Anschauung der Dinge ausgehen, weil es doch der eigentliche Zweck unserer Vergnügungs- oder Kunstreisen ist, eine möglichst plastische Anschauung von dem Zustand der Dinge zu empfangen und von diesem Zustand auf den geschichtlichen Werdegang und auf die Kultur zu schließen. Also nehmen wir den Stadtplan her, von dem wir in dieser Beziehung die nachdrücklichste Belehrung empfangen. Von den ganz großen Städten abgesehen, wo die Dinge in den letzten fünfzig Jahren geradezu auf den Kopf gestellt worden sind, bilden die mittleren noch immer ein wohlabgestuftes Bild ihres Kulturganges, den man mit annähernder Gewißheit aus dem Stadtplan ersehen kann. Zahllose Städte unserer Provinzen lassen durch ihren Lageplan einen gleichartigen Typus erkennen, der durch die Gleichartigkeit ihrer Entwicklung, sei es als Bürgerstadt oder als Fürstenstadt bestimmt ist. Wir erkennen hieraus ohne weiteres den Ausgangspunkt, den unsere Kunstwanderung zu nehmen hat. Der Lebenskern dieser typischen Städte ist der große Stadtplatz. Als Herz und Zentralpunkt des organisch gegliederten Gemeindewesens nimmt er die Lebensströme auf und läßt sie nach allen Teilen abfließen. Hier strömt alles zusammen, Wochenmarkt, geselliges Meeting, Sonntagsbummel, Festivität, das ganze bürgerliche Leben spielt sich hier ab. Der Platz erscheint als geräumiger Festsaal neben den schmalen Gassen, die dort einmünden und deren Engbrüstigkeit die Weiträumigkeit des Hauptplatzes noch monumentaler erscheinen läßt. Hier ist alles wohl und wohnlich gestellt, die Häuser, das Rathaus, der Brunnen, mittelalterliche Giebelfronten und die bewegteren, reich aber immerhin maßvoll ornamentierten Fassaden aus der Barockzeit, bezeichnen die Glanzpunkte einer baukünstlerischen ortstümlichen Entwicklung, in der da und dort ein Neubau aus den letzten Jahrzehnten gewöhnlich als wenig glückliche Stilkopie mit dem Mietkasernencharakter, wie ein Fremdkörper auffällt. Stadtplatz und Rathaus, beide monumental entwickelt, charakterisieren die Stadt als Bürgerstadt. Darin besteht in den meisten Fällen nicht allein die historische Grundlage, die wir aus dem Plan ablesen können. Nicht immer, oder wenigstens nicht allein hat die Bürgerschaft die Oberhand besessen, vielfach haben sich Fürst und Bürgerschaft in die Macht geteilt, was in dem Baugebilde der Städte wie in einer steinernen Chronik auf den ersten Blick zu lesen ist. Hier gibt der Stadtplan eine sehr wichtige Andeutung. Die Großzügigkeit des Fürsten hatte immer das Auge auf das Ganze gerichtet und den Bauplan der Stadt, wie es immer anging, seinen Absichten unterworfen. Er strebte nach Einheit und Zusammenfassung und das Schloß sollte der Kulminationspunkt sein. Der Plan von Karlsruhe ist vollständig dieser Absicht unterworfen; eine ähnliche Absicht zeigt sich in der Anlage von Schönbrunn in bezug auf Wien, und Potsdam hinsichtlich Berlin, wo indessen die ursprünglich geplante direkte Verbindung in Form einer riesigen Avenue in den Zeiten des sinkenden Ruhmessinnes einen mehrfachen Knick bekommen hat. Wo nicht Raum und die Mittel zu einer ähnlichen großartigen Baugesinnung, die durch Paris und die Tuilerien vorbildlich geworden, gegeben war, bemerken wir in solchen Fürstenstädten, zu denen die meisten Provinzstädte Süddeutschlands und Österreichs gehören, eine andere, gleichfalls interessante, in das Leben der Stadt tiefeingreifende Schloßanlage. Hier ist die Regel, daß sich das Schloß am nördlichen Rande der Stadt erhebt, denn der Fürst will einen Fuß in der Stadt haben und einen im freien Land. Beachtenswert ist die strategische Ausnützung des Terrains. Sind Erhebungen vorhanden, dann dominiert das Schloß in der Höhe und ist nach dem offenen Lande hin durch alte Wassergräben geschützt, wenn nicht ein Flußlauf die natürliche Schutzwehr bildet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß die altertümliche Befestigungsart, die Burganlage, den Grundstein dieser Schlösser gebildet hat. Erst gegen Ende des XVII. und im Anfang des XVIII. Jahrhunderts, als die burgenhafte Wehrhaftigkeit als Anachronismus empfunden wurde, empfingen diese Schlösser durch die Barockisierung den künstlerischen Lebenszuschnitt ihrer Zeit. Ursprünglich waren sie Zwingburgen oder Zwingschlösser. In den kleinen und übersichtlichen Stadtorganismen der Provinz ist diese Entwicklung ganz klar aus der Lage abzusehen, aber wir finden sie auch an den großen Fürstenstädten, wie in Berlin, Wien, Dresden, um nur einige zu nennen, wenngleich hier die Grundlinien durch die Neugestaltungen mehr oder weniger verwischt sind. Wie in Berlin das kaiserliche Schloß, erhebt sich auch in Wien »die Burg« am Rande der alten Stadt und ist hier von einer Wasseranlage, wo jetzt die Ringstraße steht, geschützt gewesen. In Dresden, wo das Schloß nach gleicher Gesetzmäßigkeit angeordnet ist, bildet der Einfluß der Elbe eine natürliche Wehr und Grenze. Die Vorstädte, die sich in der Neuzeit angliedern, bilden eine amorphe Masse. Hier ein künstlerisches Gestaltungsprinzip auszubilden, bleibt eine Aufgabe für die Zukunft. Aber auch hier kommt der »Kunstgenuß auf Reisen« nicht zu kurz. Wir vermeinen mit Unrecht, daß der Boden, auf dem die neuen schablonenmäßigen Häuserviertel sich erheben, keine Geschichte habe. Klingen nicht in den nichtssagenden Häuserzeilen alte Straßennamen wie verschollene Sagen auf? Die Geschichte alter Fluren und ihrer Menschen tönt verworren in der Namenlegende nach. Da und dort finden wir kristallinische Einflüsse in dieser amorphen Masse, vereinzelte Bauwerke, schlichte Bürgerhäuser aus der älteren Epoche, die den behäbigen Ausdruck früherer ländlicher Verhältnisse tragen. Jede solche Wahrnehmung kann eine Entdeckung sein und eine Gedankenanweisung in baukünstlerischer Beziehung. Aber das ist wahrlich nicht das einzige, was der Kunstwanderer in diesen öden Strecken finden kann. Zum Kunstgenuß auf Reisen gehört das Sammeln. Es gibt Narren und Fanatiker unter den Sammlern, aber das hindert uns nicht, in einer gutgeleisteten Sammlertätigkeit eine Kulturarbeit zu sehen. Es ist verwerflich, aus alten Kulturbeständen alles fortschleppen zu wollen, was nicht niet- und nagelfest ist, und wir haben vielfach die Aufgabe, die unerfahrenen Besitzer, namentlich auf dem Lande, aufzuklären, und für die Erhaltung der kulturhistorisch interessanten Dinge an Ort und Stelle zu sorgen. Aber eine gewisse Beweglichkeit der Dinge werden wir niemals verhindern können. Insofern wirkt der Sammler, wenn er einigermaßen von künstlerischen oder kulturhistorischen Gesichtspunkten geleitet ist, als erhaltende Kraft. Wir wüßten über die persönliche Kultur und über die alltägliche Kunstpflege der uns vorangegangenen zwei, drei Generationen herzlich wenig, wenn nicht der Sammler wäre und sein anrüchiger Helfershelfer der Trödler. Hier will ich ein Geheimnis verraten. Bei den kleinen Trödlern in den Vorstadtgassen kann der Kunstwanderer unter altem Schuhwerk und Lumpen zuweilen Ausgrabungen machen, die solche Tagereisen oftmals reichlich belohnen. Manches Glanzstück in den sauberen Schränken des Liebhabers ist aus dem wertlosen Trödel für geringes Entgelt herausgegraben worden. Jene entzückenden farbigen Geburtstags- und Brunnengläser, die inzwischen schon hoch im Kurs gestiegen sind und nach Amerika exportiert werden, Miniaturen, schöne Porzellane, altväterische Uhren, wertvolle Drucke, alte, interessante Schmuckformen und Metallgegenstände, Blumenstücke, Porträts und Möbel aus urgroßelterlichen Tagen, und mancher hat aus dem Trödlerladen für ein paar Gulden einen berühmten alten Meister heimgetragen. Man darf zwar nicht vergessen, daß 75 % aller Antiquitäten Falsifikate sind und daß mancher Sammler in seinem Leben nicht aufhört, Lehrgeld zu bezahlen. Immerhin entfällt der Großteil der Falsifikate auf die vielgesuchten Gegenstände, und der erfolgreiche Sammler, der gewisse Gattungen pflegt, hat stets zu einer Zeit begonnen, da seine Gegenstände vollständig ungeachtet und fast für nichts zu erstehen waren. Der Sammler ist es selbst, der durch seine Nachfrage Werte schafft und Preise bestimmt. Sein Verdienst ist da zu sehen, wo verkannte Werte zu neuem Ansehen gekommen sind. Für die Praxis ergibt sich der Wink, daß man seine Sammlung nicht mit gesuchten teuren Gegenständen anlegen soll, sondern ein Gebiet aufsucht, wo keine Vorgänger und daher auch keine nennenswerten Preise zu fürchten sind. Das ist freilich schwer, wofern sich die Sammlerobjekte über den inneren Wert alter Schuhnägel erheben sollen. Sicherlich gibt es hier noch Entdeckungen zu machen, und Entdeckungen persönlicher Art gehören, wie nun vielfach dargelegt, zum eigentlichen Kunstgenuß auf Reisen.

Keines der üblichen Reisehandbücher führt auf diesen Weg der Kunstbetrachtung und Reisebeobachtung. Sie bedürfen ausnahmslos der Ergänzung nach der Seite des Bodenständigen hin, des Heimatlichen und eben darin Urwüchsigen. Was hier zu sehen ist, kann übrigens gar nicht in Bücher gefaßt werden, sondern es muß gesucht, mit den eigenen Augen gesehen, mit den eigenen Empfindungen erfaßt werden. Es ist kein Zufall, daß das Hauptaugenmerk auf die Architektur des Volkes gerichtet ist und daß der Kodak im Dienste des Kunstgenusses auf die nichtssagende Totalansicht verzichtet und lieber Detailaufnahmen macht, die das Kleine und Unscheinbare möglichst groß darstellen. Die Schönheit eines Landes und der Natur ist wesentlich von dem Menschenwerk bestimmt, und in den entzückendsten alten Städten und Dörfern unserer Provinzen sind es nicht die vereinzelten monumentalen Werke, sondern die Unscheinbarkeit und Schlichtheit der gewöhnlichen Bürger- und Bauernhäuser und der sonstigen Bauten, die den Ausschlag geben. Sie bilden im Vergleich zu dem, was der Durchschnitt der heutigen Zeit schafft, einen so großen ästhetischen Wert, daß wir sie mit vollem Recht künstlerisch empfinden, obzwar die ursprünglichen Hersteller bei ihrer Arbeit gar nicht an Kunst dachten. Nichtsdestoweniger ist es ein guter Instinkt, der uns auf unseren Reisen und Wanderungen zur primitiven Baukunst des Volkes hinzieht, denn ein wachsendes Volk, das in seiner Bildung fortschreitet, ist ein bauendes Volk.


 << zurück weiter >>