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Der Geschäftsladen.

Was das Aussehen alter Geschäftsläden in mittelalterlichen Bauten so anziehend macht, ist nicht etwa irgend ein besonderer sichtbarer Schmuck. Wir können an ihnen in der Regel nichts entdecken, was auf die Absicht eines besonderen Schmuckes hinweisen würde, es sei denn, daß an den Traghölzern über der Eingangstür oder den Fenstern der Versuch gemacht ist, die Jahreszahl, den Namen des Besitzers oder ein Symbol der Zunft anzubringen, um eine dekorative Wirkung zu erzielen. Sicherlich besteht darin nicht die Hauptsache. Der harmonische Eindruck wird eher durch einen gewissen Geist der Wohnlichkeit, der alles aufs beste unterhält, hervorgebracht und bei näherer Betrachtung ergibt sich, daß Wohnen und Arbeiten, Handel und Wandel auf gleichen Bedingungen beruhen, als unzertrennliche Einheit für die Architektur des Hauses sowie des Geschäftsladens den Ausschlag gibt. Wohnhaus und Geschäftshaus sind in den alten kleinen Verhältnissen eine Einheit. Das alte Städtebild empfängt von den zahlreich abgestuften persönlichen Einzelexistenzen, die sich in der Hausarchitektur nach außen hin aussprechen, ein charakteristisches, wechselvolles und lebendiges Bild. Im unteren Stockwerk hatte man den Laden, oben wohnte man. Das Wohnen ist entscheidend für den gesamten äußeren Zuschnitt.

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Neues Schilderunwesen. Der Brunnen kommt auf diesem unruhigen zerfetzten Hintergrund um jede anständige Wirkung.

Alte holländische Läden in Häusern, die Geschäfts- und Wohnhäuser in einem sind, lassen die konstruktive Einheit der unteren Ladenräume mit den oberen Wohnräumen noch ganz klar erkennen. Die moderne Baukunst in England und Holland nimmt das alte Bauprinzip wieder auf, löst die unteren Teile zwischen den Konstruktionslinien in eine Flucht von Fenstern auf, die zum Teil nach außen ausbauchen, und setzt oberhalb der starken sichtbaren Teilung, die das Untergeschoß vom Obergeschoß trennt, die Wohnhausarchitektur fort.

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Wie der Brunnen wirkt ohne den unruhigen Schilderhintergrund.

Die Charakteristik besteht wie in den guten Zeiten der Baukunst darin, daß die inneren durch die Konstruktion und den Zweck bedingten Verhältnisse in der Außenerscheinung klar zutage treten. Das geschieht auch dann, wenn das Geschäftshaus nicht zugleich auch als Wohnhaus verwendet wird und die oberen Stockwerke entweder als Mietwohnungen oder als Kontor und Lagerräume dienen. Der letztere Umstand hat die beengende Form des alten Bürgerhauses ganz gesprengt und zu dem modernen Bauorganismus des reinen Geschäftshauses geführt, das nun in allen Teilen seine geschäftliche Bestimmung klar zum Ausdruck bringt und nichts mehr von dem alten Geist der Wohnlichkeit enthält. Das Prinzip der Sachlichkeit, das an den mittelalterlichen Werken zur höchsten künstlerischen Entfaltung der Charakteristik geführt hat, bezweckte neuestens den großen Vorteil, daß die Geschäftsportale jene rein äußerlich angeklebte Maske an den Geschäftsläden der neueren Zeit in Wegfall kommt. Diese sogenannten Portale, die mit einer Reihe von Auslagefenstern an den Häuserfronten aufgestellt werden, täuschen eine Holzarchitektur vor, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist und in dieser Form auch nie vorhanden sein kann. Das sichtbare äußere Übergewicht der oberen Mauermassen und die dünnen Fensterstäbe, in die sie sich scheinbar in den Geschäftsportalen und Auslagekästen des Erdgeschosses auflösen, stehen in einem solchen schreienden Mißverhältnis, daß es nur durch die abstumpfende Macht der Gewohnheit zu erklären ist, wenn diese Widerwärtigkeit allgemeine Geltung gefunden hat. Ganz abgesehen von den unsagbar häßlichen Details, mit denen die Portaltischler ihre Machwerke verzieren, und von der niederträchtigen braunen Farbe, die den unmöglichen Eindruck dunklen, schweren Eichenholzes hervorrufen soll.

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Altwiener Laden, nicht höher als nötig, um die Waren gut zu sehen.

Der Geschäftsladen hat sich aus dem Handwerksladen entwickelt. Ursprünglich war er die Werkstatt selber. Die Holzkonstruktion des Hauses hatte darauf Bedacht zu nehmen, daß ein niederes breites Fenster blieb, geeignet, darin die Waren auszustellen und durch das Fenster selber mit den Kunden zu verkehren. Die entwickelten Formen des bürgerlichen Hauses beschränken sich im Untergeschoß an der Vorderfront auf das bloße Gerippe der Holzkonstruktion, das mit Sprossenwerk und Fenstern ausgefüllt wird und eine große Lichtzufuhr in die also entstandene Diele gestattet, wo eine Treppe in die oberen Räume, d. h. ins eigentliche Wohnhaus hinaufführt. Erst in den oberen Stockwerken sind die Wände der ursprünglichen Holzarchitektur verschalt, oder das Fachwerk mit Backstein ausgefüllt. Das untere Geschoß, die Diele als Geschäftsraum und Arbeitsraum, zerfällt wieder in mehrere Abteilungen, davon die vorderen Teile an der Straßenseite als Laden, die hinteren als Werkstatt, Arbeitsraum oder Lagerraum dienen. Auch im Steinbau ist die Entwicklung der Gewölbe ähnlich, wenngleich die Fensteröffnungen in den Dimensionen beschränkt sind. Zuweilen ist der Hausflur zu Hilfe genommen, wie in den alten Bäckerläden, die nur den Kundenverkehr durchs Fenster gestatten, oder es ist, wie in einigen heute noch bestehenden Handwerksläden, Tür und Fenster zu einer Einheit zusammengerückt. In allen Fällen aber ist das Entscheidende für die Ästhetik des Ladens, daß die konstruktiven Elemente seine äußere Form bestimmen. Selbst bei jenen alten Kaufmannshäusern, deren Untergeschosse in lauter Fensterflächen aufgelöst sind, wird die Geschlossenheit der Erscheinung niemals beeinträchtigt. Zwar hat das Glas in großen Flächen, wie in den heutigen Spiegelscheiben, für das Auge nicht den Wert eines körperhaften Baustoffes. Große Fensterscheiben unterbrechen die Geschlossenheit des festen Baubestandes., und erscheinen als Loch oder Höhle. Die alten Baukünstler haben diese Gefahr mit feinem Takt umgangen. Sie haben die Luftigkeit und Leere der verglasten Flächen mit einem möglichst engen, quadratischen Sprossenwerk ausgeglichen und auf diese Art die ebenmäßige Geschlossenheit der Bauerscheinung gerettet. Man kann diese Wahrung des künstlerischen Charakters noch an den Läden des XVIII. Jahrhunderts ersehen und an den vereinzelten Beispielen moderner Baukunst in England und Holland, die an die Tradition des bürgerlichen Baugedankens der Heimat anknüpft.

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Altwiener Laden. Einfache geschmackvolle Fenster ohne aufdringliche »Portal-Architektur«. Man erinnere sich an die Geschmacks-Roheiten, die an den heutigen Geschäfts-»Portalen« herrschen.

Durch die Entfernung der unzweckmäßigen Geschäftsportale und Bildung eines natürlichen architektonischen Verhältnisses zwischen Haus- und Geschäftsarchitektur ist viel für die Schönheit der Straße erreicht. Zwar stellen die neuen Geschäftshäuser, die keinem anderen Zweck zu dienen haben, eine neue Konstruktionsform dar, die ihre Bestimmung ausdrückt. Die Untergeschosse sind in mächtige Spiegelscheiben aufgelöst, die oberen Stockwerke sind ebenfalls ihrem Zweck gemäß als Lagerräume gestaltet. Eisenkonstruktion oder Eisenbeton bilden die konstruktiven Elemente, die verhältnismäßig als schmale Rippen zutage treten und die baustoffliche Charakteristik der Architektur ergeben. Es ist die Form des großen modernen Warenhauses. Sie wird aber selten eine wirklich erfreuliche Erscheinung bieten. Die Geschlossenheit der Straße, sowie des Bauwerkes an sich, wird durch die ungeheuren Fensterflächen, die als gähnende Höhlen erscheinen, auf das empfindlichste gestört. Das Auge, das sich dadurch verletzt fühlt, empfindet ganz richtig, daß die Wucht der oberen Baumassen nicht von den schmalen Einfassungen der riesigen Spiegelflächen getragen werden können und daß im Inneren des Gebäudes statische Momente wirksam sein müssen, die sich nach außen hin nicht vollends erklären. In der Tat wird Eisen für sich allein niemals als künstlerischer Baustoff gelten können. Den Übergang zur Steinkonstruktion mit einem entsprechenden größeren Maß an Körperlichkeit stellt das Betoneisen dar. Was das Auge als unzulänglich empfindet, hat sich schließlich auch aus eminent praktischen Gründen als unzweckmäßig erklärt. So findet mit neuen Hilfsmitteln eine künstlerische Annäherung an die natürlichen und ewigen Baustoffe aus Holz und Stein statt. Aber selbst dann, wenn die Konstruktionslinien entschieden genug sind, den Augenschein zu rechtfertigen, wird die ununterbrochene riesenhafte Fensterfläche einen unerquicklichen Eindruck hervorrufen. Die übermäßigen Dimensionen dieser Flächen aus Glas, die wegen ihrer Durchsichtigkeit gar nicht als Fläche empfunden werden, rechtfertigt man in der Regel mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit reichlicher Lichtzufuhr. Beim näheren Zusehen stellt sich aber heraus, daß man aus Furcht vor Lichtmangel in das gegenteilige Extrem verfallen ist. Es zeigt sich nämlich, daß innerhalb einer riesigen Glasfensterfläche der modernen Geschäftshäuser ein Unter- und ein Obergeschoß eingebaut sind, daß sich also zwei Stockwerke hinter einer einzigen Fensterwand verbergen. Also hatte auch hierin die ursprüngliche Empfindung unseres Auges recht, die einen ästhetischen Fehler vermutet hat. Es wird zwar auch gesagt, die Geschäftswelt brauche große Fenster, um ihre Waren bequem und gut sichtbar auszustellen. Die Schönheit einer Geschäftsstraße beruhe also auf den mächtigen Fenstern. Das ist wiederum nur zum Teil richtig und das empfindliche Auge, das das Maß der Schönheit und Zweckmäßigkeit als den zweifachen Ausdruck ein und derselben Eigenschaft a priori erkennt, behält abermals recht. Denn es stellt sich heraus, daß der obere Teil der übermäßigen Glasfenster mit einer Draperie oder ähnlichem Zeug verhängt ist. Um Waren gut auszustellen, ist der obere Raum der riesigen Spiegelscheibe gar nicht verwendbar. Man leidet also offenkundig an einem Zuviel von Lichteinfall und Raum. Nun darf man nicht vergessen, daß bei den teueren Grundpreisen in den Geschäftsstraßen der tote Raum in der oberen Hälfte der übermäßigen Spiegelscheiben einen enormen Verlust an Mietzins darstellt. Da aber einmal in der Geschäftswelt der Wahn verbreitet ist, daß eine derartige Aufmachung eine Lebensnotwendigkeit bildet, so sieht sich der Nachbar, der nicht in der Lage war ein eigenes Geschäftshaus zu erbauen, veranlaßt, seine Gewölbeöffnungen zu vergrößern und ebenfalls solche ungeheure Spiegelscheiben einzusetzen. Auf diese Art ist schon manches gute alte Bauwerk in barbarischer Weise verhunzt worden. Moderne Baukünstler, namentlich in England und Holland, haben sich, wie oben ausgeführt, die Weisheit der heimischen Bauüberlieferung zunutze gemacht, indem sie die großen Fensterflächen, soweit sie durch die Notwendigkeit berechtigt waren, durch das engmaschige Netz quadratischer Sprossenteilungen in eine Menge kleiner Größen zerlegt und auf diese Art den geschlossenen Charakter einer möglichst ununterbrochenen Fläche wieder hergestellt. Ein anderer Baukünstler, A. Messel in Berlin, hat seinen Zweck in ästhetisch befriedigender Weise durch eine enge Pfeilerstellung nach dem Prinzip des gotischen Steinbaues erreicht. Nicht nur die Feinheiten des Details, sondern vor allem auch die Geschlossenheit der äußeren Gesamterscheinung in Verbindung mit der zweckmäßigen Durchbildung wirken entscheidend, daß wir Wertheims Warenhaus als schön empfinden.

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Moderner Laden in sehr geschmackvoller Behandlung der Schaufenster und Oberlichtfenster.

Die Schaufenster eines Geschäftshauses dienen vor allem zur Schaustellung der Waren. Dieser Zweck war gegeben, als sich die primitiven Handwerkerläden bildeten. Das Gassenfenster der Werkstatt, aus dem sich im Laufe der Entwicklung die Schaufenster bis zu den Ungeheuerlichkeiten neuzeitlicher Spiegelscheibenportale ausbildeten, hat insofern ihren Zwecken besser entsprochen, als die ausgestellten Waren sowohl von außen als auch von innen gesehen werden konnten. Ein Schaufenster kann nur dann als zweckmäßig gelten, wenn die Warenausstellungen darin sowohl von der Straße aus, als auch vom Innern des Ladens gut sichtbar sind. Der Bau des Geschäftshauses und die Einrichtung von Warenläden muß mit dieser Rücksicht rechnen. Unsere meisten Geschäftsfenster gleichen unserem schlechten Theater. Sie huldigen der Kulissenwirtschaft, die nur eine schöne Seite nach dem Publikum zeigen, die Straßenseite. Das gute Schaufenster hat zwei Seiten, eine nach außen und eine nach dem Inneren, die beide gleich gut sichtbar sind, und das ausgestellte Material nach jeder Richtung hin der Prüfung darlegen. Das schlechte Auslagearrangement ist letzten Endes auf schlechte Architekten zurückzuführen. Es gibt keine Ursache, die nicht nach allen Richtungen wirkt.


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