Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schilderwesen.

Künstlerisch ausgeführte Schilder für Kaufläden und Straßennamen – was meinen Sie dazu? Für und wider ist erörtert worden. Das liebliche Bild alter Städte mit schön bemalten Haus- und Ladenschildern spricht ebensosehr dafür, wie der ungeordnete, daher unübersichtliche und häßliche Zustand des heutigen Schilderwesens. Ein Protest des empfindlichen ästhetischen Gewissens gegen die chaotische Wirrnis großstädtischer Schildereien liegt in dem Begehren einer künstlerischen Gestaltung der Firmenschilder und Straßentafeln.

Und doch wäre diese künstlerische Gestaltung ein Unglück. Fehlt jetzt schon alle Übersichtlichkeit und Ordnung, um wieviel mehr müßte sie fehlen, wenn jedes Schild nebst seinem praktischen Zweck noch eine Nebenabsicht erfüllen und durch irgend welche originelle Neuheiten in Form, Farbe und malerischem Inhalt die Nachbarn zu übertrumpfen versuchen würde. Der Fehler schlechter Bilderausstellungen, die zuviel und das Viele zu gedrängt bringen, würde sich auf der Straße wiederholen. Ließen sich die Eindrücke, die nur das Auge empfindet, dem Ohr vermitteln und in Töne übertragen, es gäbe die schrecklichste Katzenmusik, die je gehört war. Mag jedes Schild für sich ein malerisches Kunstwerk sein, in dem gedrängten Nebeneinander mit den Nachbarschildern würde die beabsichtigte künstlerische Wirkung gerade ins Gegenteil umschlagen. Die Sache hat in Paris und Wien mit einigen schwachen Versuchen angefangen und ist alsbald gescheitert, was ein Beweis ist, daß für eine derartige »Ausschmückung« glücklicherweise kein Bedürfnis vorliegt.

Aber auch die Misere unseres heutigen, das Straßenbild verunzierenden Schilderwesens blieb bestehen. Es ist kein ernst zu nehmender Versuch zu einer Besserung bisher vorgeschlagen worden, weil in den beteiligten Kreisen die Reformbedürftigkeit mehr geahnt als klar erkannt worden ist, wie der oben geschilderte mißglückte Versuch beweist. Die Baupolizei hat sich mit den ästhetischen Angelegenheiten des Städtebaues bisher nicht abgegeben, und wenn sie es getan hat, so geschah es gewöhnlich mit wenig Glück. In Deutschland hat man gegen die Schädigung von landschaftlich hervorragenden Gegenden durch Reklameschilder bereits ein Gesetz erwirkt; zum Schutze der Städte gegen Reklameschilder als Denkmalschädling ist unseres Wissens weder bei uns noch anderwärts etwas geschehen; es ist jedem freigestellt, Plätze und Straßen durch grenzenlose Marktschreierei zu schädigen. Gegen den hastenden Geschäftssinn und gegen die aufdringliche Nichts-als-Reklame hat sich das ethische Volksbewußtsein nicht aufgebäumt. Unverkennbar ist eine Schärfung des ethischen Gefühls nötig. Nur einzelne Stimmen haben sich gelegentlich gegen solche Verunstaltungen erhoben und nach einem Denkmalschutzgesetz verlangt.

Die künstlerische Reform ist also noch immer zu tun übrig. Auf rationelle Weise durchgeführt, müßte sie damit beginnen, von den Häusern alle Schilder abzuräumen. Ein Staunen müßte über die Menschen kommen, über all die Schönheiten, die plötzlich zutage treten. Dinge, die man zuvor nicht gesehen hat, obgleich sie da waren. Schöne, alte Tore, weitausgebauchte Balkone und Erker, groß und einfach gegliederte Fassaden, edle Plastik und hie und da Wappenschmuck. Die Straßen hätten mit einem Male ein ganz verwandeltes Aussehen. Eine leise Ahnung von der Größe vergangener Baukunst, die in den verwitterten Steinen fortlebt, käme wieder ins Bewußtsein der Heutigen. Und wie die Menschen davon gehoben und erstaunt, an soviel Schönheit achtlos vorübergegangen zu sein, sich umblicken, um den neuen und doch ganz alten Zustand näher ins Auge zu fassen, begegnen sie ungeahnten Offenbarungen. Sie gingen täglich an einem monumentalen Brunnen vorüber, von dem sie nicht viel mehr wußten, als daß in der Nähe ein Wagenstand ist und daß man ihm ausweichen müßte, wenn man an ihn nicht anrennen wollte. Nun zeigt es sich plötzlich, daß es ein schöner Brunnen ist. Das hatte man früher, abgelenkt durch die aufdringlichen Schilder an den Platzwänden ringsum, gar nicht bemerkt. Jetzt ist es auch zu erkennen, mit welchem Takt die Erbauer den Brunnen im Verhältnis zu den umliegenden Gebäuden behandelten. Alles schließt sich zu einer Einheit zusammen und jedes einzelne behält seine volle künstlerische Geltung. Die Schilder haben die ganze, großempfundene Einträchtigkeit zunichte gemacht. Sie haben, indem sie sich beharrlich dem Auge aufdrängen, unsere ganze Aufmerksamkeit von der maßvollen schlichten Größe abgelenkt, und an allem Sehenswerten vorbeigeleitet. Die Menge ist auf diese Art kunstblind geworden.

Eine solche Radikalkur, die künstlerisch sicher gerechtfertigt ist, wäre in unseren praktischen Tagen allerdings nicht durchführbar. Wo einst der Patrizier wohnte, oder vor den Toren der betreßte Lakei stand, lärmt heute das Getriebe des Geschäftsverkehres. Der Kaufmann braucht Firmenschilder. Für ihn ist die Pracht an den Toren und die einsame Schönheit der Hausfront ein sehr überflüssiges und daher beschwerliches Ding. Die Kunst, die wir daran bewundern, ist für ihn ein abgetaner Begriff. So gut es geht, behilft man sich. Man behängt Tore und Mauern ohne Rücksicht auf ihren Wert als Kunstdenkmal, und führt den kläglichen Zustand herbei, der vielfach als eine Notwendigkeit unserer Zeit erklärt wird.

Es ist eine sehr anfechtbare Meinung, daß dieses Schilderunwesen eine Notwendigkeit des heutigen Handels sei.


 << zurück weiter >>