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Das Porträt.

Eine Stadt, die hunderttausend Einwohner hat, kann keine zwei Porträtmaler ernähren. Das gibt zu denken. Im Nebenzimmer hängt das Porträt der Großmutter. Sie sieht aus, wie in ihren besten Jahren, als Frau, da sie schon alle ihre Kinder gehabt hat. Acht an der Zahl. Wie gut sie aussieht! Die dunklen Haare sind in der Mitte gescheitelt und ziehen in schönem Schwung stark in die Schläfe hinein. Das blaue Seidenkleid ist tief ausgeschnitten, ein feines Spitzentuch trägt sie darüber. Um den schönen Hals läuft eine neunfache Perlenschnur, vorne von einer großen Brosche zusammengehalten. Sie trägt die großen, aber ungemein fein und leicht gearbeiteten Ohrgehänge aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren. Und schön gefaßte Ringe, Topas, Amethyst und Chrysopras. Stundenlang könnte man sie ansehen. Wie schön sie ist! Überallhin folgen einem ihre Blicke. Stellt man sich links, rechts, in die Mitte, immer blickt sie einen an mit den braunen, klaren, gütigen Augen. Der Maler ist gar nicht bekannt. Aber das Bild lernt man lieben und im Bilde die Frau. Bald hat sie einen unverlierbaren Platz in der Seele und lebt mit uns, obzwar sie längst tot ist. Im Leben haben wir sie nie gesehen. Ein Jugendbildnis ist noch da. Da war sie Mädchen, trug einen bebänderten Florentinerhut und weiße duftige Tüllkleider. Ein Pastell, blaß und rührend anzusehen. Ausgebleicht, aber rosig umhaucht, wie verdorrte Rosen. Das war eine kunstfrohe Zeit, Großmutters Jugendtage! Aus allen Familien sind uns von damals Bildnisse überliefert, Ölporträts, Pastelle, Lithographien, Miniaturen von Daffinger und Genossen auf Elfenbein kunstreich gemalt. Dieselben Personen, meistens in den verschiedenen Lebensepochen dargestellt, Grillparzer, die Fröhlichs, Schubert, all die Großen ihrer Zeit, noch aus ihren berühmten Tagen, was das Bemerkenswerte an der Sache ist; von den Bildnissen Unberühmter, die nur Familienwert haben, gar nicht zu reden. Diese ganze Kunstblüte ist untergegangen. »Welch edler Geist ward hier zerstört«! Auf hunderttausend Einwohner kommen heute keine zwei Porträtmaler. Wie werden wir unseren Enkeln im Gedächtnis bleiben? Wird unser Bild in ihrem Seelenleben gegenwärtig sein, mitwirkend in ihrem Tun und Lassen, geliebt und verehrt, wie unsere selige Großmutter? Wir lassen uns photographieren. In einer Anzahl von Jahren ist die Photographie verblaßt, ausgeblasen, unkenntlich, eine Fratze. Vielleicht heben sie die Nachkommen auf, vielleicht. Aber ansehen tut man sie nicht, zeigen noch weniger. Es ist unerquicklich. Name sind wir dann, leerer Schall. Und dann erst wirklich gestorben. Liebe Großmutter, du lebst! Nein, wir lassen uns auch porträtieren! Wir gehen in irgend eine große photographische Anstalt, wo viele junge Maler im Tagelohn angestellt sind, und bestellen das »Porträt«. Es ist zwar nur ein photographischer Grund, aber schön angefärbelt. Sehr süß und schmeichelhaft, als ob wir nicht Menschen, sondern Porzellanpüppchen wären. Aber es gefällt den Leuten und es ist modern. Drum tut es nichts, daß dieser Schund siebzig bis achtzig Gulden kostet. Meistens soll es eine Überraschung sein, ein Geschenk für die Frau des Hauses, für den Ehegatten. O Glück! O Wonne! Alles ist Festfreude. Am Geschenk darf man nicht mäkeln, darum wird der kritische Verstand beizeiten totgeschlagen, wofern er überhaupt da war. Zum Schluß liebt man, was man hat und sieht nur das sündhafte Geld darin, das es gekostet hat. Für dasselbe Geld bekommt man auch ein gutes Porträt. Man wende sich an die Akademie, an die Kunstvereine, an die jungen, fertigen Künstler. Die gehen mit Feuereifer daran, sie brauchen nicht mehr unwürdige Arbeit zu tun, Bilderbogen kolorieren, Nikolo und Krampusse für den Christkindelmarkt fabrizieren, um das Leben zu fristen. Alle Porträtmaler hätten auf einmal zu tun. Und in jedem Hause könnten ein paar Bildnisse sein, die einen wahren Familienschatz bilden.

Aber dem steht manches entgegen. Leider zum Teil die jungen, fertigen Künstler selbst. Sie sind betört durch das Riesenphantom, das »Künstlerpreis« heißt, den die Künstler von Ruf zu erzielen pflegen.

»Warum sollten wir nicht auch ...?« Kommt man in eine von jungen Künstlern veranstaltete Ausstellung, fällt nichts so sehr auf als die hohen Preise. Es ist ein öffentliches Geheimnis, daß dieselben Bilder um tatsächliche Kaufbeträge erhandelt werden, die zwergenhaft sind im Vergleich zu den verlangten Riesensummen. Aber es ist einerseits unwürdig ein Bild um 500 Gulden anzubieten und schließlich 60 Gulden dafür zu nehmen, und andererseits werden durch übertriebene Forderungen die meisten Leute abgeschreckt. Mehrstellige Künstlerpreise kommen mit dem Alter und Ansehen von selbst. Während unsere Künstler darben, sind beispielsweise die französischen Maler das Verkaufen gewöhnt. Das machen die billigen Preise.

Und dann die Leute. Die sagen, die Photographie tut denselben Dienst. Das ist nur bedingtermaßen wahr. Die Photographie gibt zwar alle Einzelheiten genau wieder, aber rein äußerlich, auf chemisch-mechanische Weise. Darum hat sie immer etwas mechanisches, seelenloses. Ihre Vorzüge und künstlerischen Möglichkeiten sind anderer Art, wie wir später hören werden. Auch sie bedarf der künstlerischen Hand, wenn sie für uns was bedeuten soll; aber gerade das ist beim gewöhnlichen Berufsphotographen leider noch so ziemlich ausgeschlossen. Ich finde es ganz begreiflich, daß Leute die gelungenste Photographie mit den Worten zurückweisen: »Das bin ich nicht!« In den photographischen Ateliers kommt das täglich vor. Nicht darauf, wie wir im Auge des leblosen, mechanischen Apparates uns darstellen, kommt es an, sondern darauf, wie wir im Auge des Menschen erscheinen. Darauf ist unser Empfinden, ja unser ganzes Sein gestellt. Darum kann diese Photographie nie die Geltung eines Porträts haben.

Da gibt es wieder Leute, die behaupten, die Bildniskunst ist die niedrigste Gattung der Malerei. Es ist gelegentlich schon geschrieben worden. Es ist gesagt worden, daß es eigentlich recht widerwärtig sein müsse, täglich fremde Augen, Ohren, Nasen zu malen, nichtssagende Gesichter, die dem Maler doch langweilig und gleichgültig sein müssen. Da tut er eben seine Pflicht, schafft treu und fleißig wie ein Handwerker, und was derlei Ansprüche mehr sind.

siehe Bildunterschrift

Alte echte Goldschmiedekunst. 1. Englische Goldbrosche, IV. Jahrhundert. 2. 3. 5. Romanische Goldringe. 4. Russischer Anhänger.

Ich habe immer eine heimliche Sehnsucht gehabt, Porträtmaler zu sein. Bildniskunst, sie ist der Gipfel der Malerei. Ich habe die ganze klare Empfindung, daß ein Maler, der Künstler ist, nichts malt, was ihm gleichgültig ist, daß er Psycholog genug ist, um in jedem Antlitz einen Schimmer Seele zu entdecken, und daß er den Pinsel nicht eher anrührt, bis er sich über den inneren Menschen klar geworden. Denn das ist seine Kunst, daß er den Menschen nicht wie die Photographie in der äußerlichen Zufälligkeit des Augenblicks darstellt, sondern dessen innere Züge ergreift und den Charakter mit allen seinen Möglichkeiten offenbart. Diese innerliche Ähnlichkeit ist künstlerisch wichtiger, als die bloß äußerliche. Ihm werden die feinen Linien und Fältchen des Antlitzes, in denen soviel Schicksal liegt und die der ungeschickte Photograph, der schmeicheln will, mit Vorliebe wegretouchiert, besonders kostbar sein, und er wird das Auge, das wir immer zuerst suchen, wie den Weg zur Seele, als wichtigste Offenbarungsquelle behandeln. Das Porträt ist Geschichtsmalerei im höchsten Sinne. Und dann, wenn der Künstler aus jenem Modell nur herausholt, was ihm interessant scheint, das Modell gleichsam nur als den Vorwand für seine persönliche Auffassung benützt, selbst auf die Wahrscheinlichkeit hin, daß die Ähnlichkeit etwas lose und mittelbar wird, ist dadurch die Sache nicht um so reizvoller und kostbarer?

Nicht allein für den Maler ist die Sache interessant, auch für den Besteller. Der weiß, der Künstler malt aus innerer Anschauung heraus, also das Bild, das er in seiner Seele von ihm gewonnen hat. Er malt ihn, wie wir im Auge des Menschen erscheinen. Es liegt darin etwas, das uns allen sehr nahe geht. Das Auge des Nächsten ist in Wahrheit unser Wächter. Der einsame Mensch verwildert. Unsere gesellschaftliche Kultur ist auf das fremde Auge gestellt. Sie spitzt sich im Kerne auf die unausgesprochene Frage zu: »Werde ich gefallen?« Das Maßgebende aber wird sein, wie uns der Künstler mit seinen verfeinerten und verschärften Sinnen auffaßt. Er wird uns mit keiner Wahrheit verschonen. Wir werden in seiner Darstellung nicht aussehen wie im Alltag, sondern wie an einem Festtag des Lebens, etwa in seinem höchsten Augenblick, in dem sich unser verborgenstes Wesen zum stärksten Ausdruck sammelt.

Kann das die Photographie leisten?

Ich habe von der Großmutter keine Photographie, das gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Angenommen es gäbe eine solche und ich besäße nichts von ihr, als diese Photographie, so würde sie wirken, wie erblindete Spiegel. Die Großmutter wäre sodann nie für mich gewesen. Die Bildniskunst hat mich sie verehren gelehrt. Groß und liebenswert steht die Frauengestalt vor meiner Seele, und während ich dieses niederschreibe, fühle ich ihren warmen Blick auf mir ruhen. Ihr Geist umschwebt noch den späten Enkel. Großmutter, du lebst!


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