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Trockene Heide

Es dämmerte über der braunen Heide. Schärfer hoben sich die dunkeln Fuhrenmauern vom heller werdenden Himmel ab, die Sterne verblaßten, das Geplärre der Frösche ließ nach, und das seltsame Getrommel der Bekassine ertönte an Stelle des Fröschechors, der leise Morgenwind trug Hahnenschrei von dem fernen kleinen Heidedorfe zu mir herüber. Langsam sank der Mond zu meiner Linken hinter den Wald.

Anderthalb Stunden, von zweieinhalb Uhr bis jetzt – vier Uhr – hatte ich regungslos, gelehnt auf den Jagdstuhl, die Krempe des grünen Hutes tief in der Stirn, den Kragen der grünen Joppe hochgezogen, die Hände in den Ärmeln versteckt, verborgen hinter den graugrünen, in die Erde gesteckten jungen Fuhren gestanden, regungslos, jedes Räuspern unterdrückend, jede Bewegung vermeidend, wartend auf den Einflug des Birkhahnes am Platze. Heute muß der Hahn mein werden; gestern hat ihn mir der Fuchs vergrämt.

Es wird heller und heller. Der Wind weht Hundegebell zu mir herauf, lebhafter, häufiger meckert die Himmelsziege auf der sauren Wiese, eine Mücke umsummt mich und setzt sich an meine Wange. Ohne mich zu rühren, blase ich sie mit schiefem Munde fort. Eine Eule umflattert mich lautlos und verschwindet wie ein Schatten. In den hohen Fuhren beginnt die Misteldrossel zu flöten, klingenden Fluges ziehen Wildenten vorüber. Halbrechts von mir, hinter jenen hellbraun blühenden Postbüschen und hellgrün knospenden Jungbirken schreckt ein Reh, das mich gewittert hat.

Noch immer kein Fauchen, kein Kullern des Hahnes hörbar. Ungeduld rüttelt an meiner Bewegungslosigkeit. Jeden Fuhrenzweig vor mir kenne ich auswendig, jede braune Knospe, jede welke Nadel habe ich ausstudiert, jede Harzgalle betrachtet, jeden kristallklaren Harztropfen der geknickten und gebogenen Zweiglein bemerkt. Das Auge sucht neue Zerstreuung.

Spitzmausgezwitscher, scharf und dünn, ruft meine Augen zum Boden. Zwei sammetbraune, putzige, langrüsselige Mäuschen jagen sich zwischen meinen Füßen, beschnüffeln das betrante Leder und beriechen sich im Moose. Meine Augen bleiben am Boden, in grünem Moose und aschgrauer Renntierflechte hängen. An meinen Gamaschen ist ein Heidekrautästchen geblieben. Vorsichtig strecke ich die Hand aus, bücke mich leise, nehme das Büschel ab und stecke es in das dritte Knopfloch der Joppe. Heide, ob rosig blühend, ob rötlichsilbern verwelkt, immer bist du meinem Herzen lieb. Kein Buchenwald, kein Eichenforst lockt mich so sehr, wie die Heide. Schlanke, hellbraune, grünschuppige Stengel, zierliche Blütchen, seidig glänzend, zarte Griffel lugen aus ihnen hervor, poetisch das Pflänzchen, gepflückt in der Hand, poetisch zu Milliarden Quadratmeilen bedeckend. Jugendbilder umrahmt der Zweig an meiner Brust, lustige, lachende Bilder. Westpreußens braune Heiden tauchen vor mir auf, jene Heiden, denen die Glöckchenheide fehlt, wo am sandigen Graben die weiße Zaunlilie blüht und im Herbst das gelbe Katzenpfötchen. Falterjagden auf der Heide zur Knabenzeit, dann, später, Schlendergänge über knisternden Heideboden, das Gewehr im Arm ... sonnige Tage ... Nur einmal hat mir die Heide, die trockne Heide, tiefes Herzeleid gebracht. Es war ein strenger westpreußischer Winter. Meine selige Mutter erzählte uns von ihren westfälischen Heiden, von der schönen Erika, die dort wächst – ich kannte sie nicht – und sagte: »Meine liebste Blume ist das Heidekraut.«

Den ganzen Tag ging mir das Wort im Kopfe herum. Der andere Tag war ein Sonntag. Zitternd vor Kälte kam ich aus der Kirche, stürzte eilig die heiße Milch hinunter und rannte dann los durch die verschneiten Straßen dem Moore am Seeufer zu. Tiefverschneit war das Moor, zerfallene Torfhaufen, Birkenbüsche und Wacholder, alles war weiß verhüllt, bittere Kälte beengte den Atem, hungrig und müde saßen die Nebelkrähen am Wege. Mit kalten Händen wühlte ich im kalten, harten Schnee. Fußtief mußte ich scharren, dann riß ich aus dem gefrorenen Moorboden Busch um Busch braunen Heidekrautes. Unter meinem Überrocke barg ich mit frostroten Händen den Schatz und lief dann nach Hause. Am Ofen taute ich den harten Schnee von den Zweigen, schnitt sie sauber zurecht, band sie mit grünem Sammetbande und brachte den Busch in die Küche. Meine Mutter war mit dem Sonntagsbraten beschäftigt. »Hier, Mama, ist ein Heidbukett,« sagte ich vor Freude strahlend. Die überbeschäftigte Mutter meinte nachlässig: »Die ist ja abgeblüht, solche wollte ich nicht.« – Ich warf den Strauß in die Herdflamme und ging stumm hinaus, trotzig die Tränen bekämpfend, aber mir war sehr traurig zumute.

Das war das einzige Mal, daß meine Mutter mir weh tat. Ich glaube, es war der größte Schmerz meines Lebens ...

Auch heute noch, nach zwanzig Jahren, steigt es mir heiß in die Augen, wenn ich daran denke. Aber die müssen jetzt klar sein; schnell, unvorsichtig fahre ich mit der Hand über die Wimpern.

Ein warnendes »dock dock dock« klingt aus den Postbüschen; polternd fliegt der Birkhahn auf den Platz vor meinen Schirm, doch das Warnen der Hennen schreckte ihn wieder hoch. Ich reiße das Gewehr an die Backe und lasse es wieder sinken; der Hahn ist aus Schußweite. Für heute morgen ist es aus mit der Balz; der dürre Heidezweig ist schuld daran.

 

Druck und Einband von Hesse & Becker, Leipzig.

 


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