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Der Knick

Die Sonne fängt sich vor dem Knick, meinem lieben Knick. Denn er ist mir lieb, weil er mir im Frühling die ersten Blumen gibt, sommertags mir Schatten spendet, im Herbste mich mit Brombeeren labt und heute die Sonne festhält, damit sie mich wärme.

Ich kauere auf dem knorrigen Eichenknubben, der aus der steilen Böschung herauskriecht, und sehe den Saatkrähen zu und den Dohlen, die mit heiserem Gequarre und schrillem Gekicher über mich hinwegziehen, und dem Zaunkönige, der vor mir in dem über und über mit hellblauen Pfläumchen bedeckten Schleebusche umherschlüpft, bis er weiter schnurrt und in dem Nesselgestrüppe verschwindet.

Ich lasse mir die Wintersonne in das Gesicht scheinen und denke an alle die Stunden, die ich hier erlebte, an den alten Fuchsräckel mit dem silbergrauen Balge, den ich mitten im Schneegestöber vor einem Jahr hier schoß, an den Reiher, den ich an dem Tränketeiche dort vor dem Heck erbeutete, an den Bock, dem ich hinter dem Knick auf dem Redder die Kugel antrug.

Lustige Lockrufe ertönen. Wie ein Flug von großen bunten Schmetterlingen aus Ländern, wo Palmen wachsen, flattert es heran und fällt auf den dürren Disteln ein. Stieglitze aus Nordasien sind es, viel prächtiger gefärbt als die hiesigen. Fröhlich drehen und wenden sie sich, daß die knallroten Köpfe und die goldgelben Flügelspiegel nur so flunkern und flimmern, zupfen die Wolle aus den Distelköpfen und ziehen die Körner hervor, zanken ein bißchen und stieben mit fröhlichem Gezwitscher von dannen.

Aus dem fahlen Gestrüpp, das im Spätsommer bunt von blauen Glocken, gelben Königskerzen und rosenrotem Kunigundenkraute war, schlüpft eine Brandmaus hervor. Reizend sieht sie aus in dem zimmetroten Pelze, den auf dem Rücken ein scharfer Aalstrich ziert, und hell leuchtet der schneeweiße Bauch. Sie hüpft hin und her, nimmt hier ein Körnchen auf und zerraspelt es, fängt eine Wintermücke, die ihr entgegenschwebt, und springt mit einer Weißdornfrucht zwischen den Zähnen in ihr Versteck zurück.

Wehmütige Lockrufe kommen näher. Eine Schar Dompfaffen aus Nordland, stärker als unsere, lassen sich auf dem Wildapfelbaume nieder. Herrlich stechen die abendrotfarbigen Brüste der Hähne von dem blaugrauen Rückengefieder und den stahlschwarzen Schwingen ab, zwischen denen jedesmal, wenn ein Schwänzchen emporwippt, der weiße Bürzel aufblitzt. Unaufhörlich flötend flattern die schmucken Vögel von Zweig zu Zweig, zerknabbern hier eine Knospe, zerklauben dort eine Beere, und verlieren sich am Ende des Knicks in dem Bornbusche.

Als ich im Vorherbste hier auf den Bock ansaß, haben mich die Dompfaffen so gut unterhalten, daß ich den Bock verpaßte. Damals blühten die Disteln purpurrot, und wie reines Gold leuchteten der Rainfarren, die Pfauenaugen und Admirale flogen und die Schillebolde flirrten hin und her. Ein Dompfaffenpaar mit seiner flüggen Spätbrut taucht vor mir auf. Die Vögel waren so vertraut und benahmen sich so niedlich beim Fressen und Füttern, daß ich den Bock ganz vergaß und erst wieder an ihn dachte, als er dicht neben mir laut schreckend absprang. Ich bekam ihn aber drei Tage später und zwar auf ganz seltsame Weise.

Es war ein stürmischer Morgen, als ich über das Heck stieg und den Kleeschlag abspähte. Da hörte ich im Nachbarkampe ein sonderbares Schnauben. Ich stieg vorsichtig auf eine kahle Stelle des Knicks und sah acht Stück Jungvieh, die in geschlossener Reihe gegen eine Zeitung anrückten, die der Wind hin- und herwirbelte. Warf es sie nach den Rindern hin, so prallten sie mit hochgehobenen Schweifen entsetzt zurück; lag das Blatt aber still oder rührte es sich nur wenig, so zogen sie mit gesenkten Stirnen darauf zu, als sei es ein Raubtier.

Dieser Kampf zwischen dem einen Stück Papier und den acht jungen Rindern sah so putzig aus, daß ich wiederum den Bock vergaß, bis er auf einmal mitten auf dem Redder stand, feuerrot in der Sonne leuchtend. Schnell strich ich an einem Eschenschafte an und gab ihm die Kugel. Als ich ihn dann aufgebrochen hatte und im Windschatten an dem Knick lag, wo die Bienen und Hummeln um die roten süß duftenden Kleeköpfe summten und brummten, den Kuhtauben zusah, die sich an dem Tümpel tränkten, und der Ringelnatter, die sich im Sande sonnte, hörte ich etwas schrillen und flattern, und ein Hermelin mit einer flüggen Amsel im Fange schlüpfte dicht an mir vorbei, von den alten Vögeln mit wütendem Gezeter verfolgt.

Vielleicht ist es dasselbe Stück, das dort angehüpft kommt. Damals war es braun; heute ist es schneeweiß bis auf das Rutenende, das schwarze Näschen und die kohlschwarzen blanken Seher. Ich zirpe den Mausepfiff. Sofort hält es im Laufen inne, macht ein Männchen, äugt scharf nach mir hin, verschwindet in einer Furche und taucht dicht vor mir wieder auf, verjagt sich aber, weil die Luft ihm meine Witterung zubringt und hastet in das Gestrüpp. Dreimal mäusele ich es wieder heraus, ebenso oft verschwindet es und kommt dann nicht wieder.

Seltsame Laute erschallen. Eine Schar Krammetsvögel bleibt in der Eiche hängen, ratscht und tratscht und hastet mit Lärm weiter. Dann pfeift, zwitschert, trillert, flötet und kichert es, und geführt von einem Buntspechte erfüllt eine Meisenschule das Buschwerk mit buntem Leben. Kohlmeisen sind es mit goldgelben Brüsten, zierliche Blaumeisen, lustige Sumpfmeisen, behende Tannenmeisen und wunderlich anzusehende Schwanzmeischen, dazu noch ein halbes Dutzend winziger Goldhähnchen und einige schüchtern piepsende Baumläufer, die wie Mäuse an den Eichenknorren entlang rutschen. Mit Getriller und Geflöte, Gewisper und Gezirpe huscht das Völkchen den Knick entlang.

Dort hinten, wo das Rauschen der See herkommt, steigt es dick und dunkel herauf, die Sonne verliert ihre Kraft und verschwindet. Es fängt langsam und verloren an zu schneien. Bei solchem Wetter verläßt der Fuchs schon früh seinen Bau und schnürt die Redder entlang. Ich will zusehen, ob ich ihm nicht irgendwo begegne, denn zu viele Hühner hat er in den letzten Tagen den Kossäten weggeholt. Ich will mich just erheben, da bricht es links im Nesselgestrüppe, und hervor schiebt sich ein seltsamer Klumpen. Erst kann ich daraus nicht klug werden, dann sehe ich, daß es eine Fasanenhenne ist, die der Fuchs im Fange hat. Da der Wind gut ist und der Brombeerbusch mich deckt, lasse ich Reineke so nahe heran, daß ich seine gelben Seher erkenne und nehme ihn dann unter Feuer. Wie vom Blitze erschlagen bleibt er liegen.

Nichts weiter hatte ich vor, als ich mich hier hinsetzte, als mich im Windschatten zu sonnen. Und nun hat er mir doch allerlei Schönes gewiesen und mir viele gute Beute beschert, mein lieber Knick.


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