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Libellen

Grün sind die Wälder, die Wiesen sind bunt, laut ist das Gebüsch, und die Luft lebt von kleinem Getier. Und doch fehlte noch etwas in dem bunten Bilde, ein silbernes Blitzen, ein goldenes Funkeln, ein weiches Knistern, ein hartes Rascheln.

Kein Mensch vermißte es, und nun es da ist, um alle Gräben flirrt, an allen Teichen schwirrt, die Wiese belebt und die Heide erfüllt, sieht jedweder darüber hinweg.

Die erste Blume, den ersten Falter begrüßt der Mensch mit frohen Blicken; andächtig stimmt ihn das erste Lerchenlied, und sogar das Erscheinen des Maikäfers ist ihm eine Freude; aber die Wasserjungfern, deren funkelnde Leiber und schillernde Flügel soviel Leben in die Landschaft bringen, die sieht er kaum, und sieht er sie, so bleiben seine Augen kalt, und sein Herz erwärmt sich nicht.

Aber wären sie nicht da, so wäre der Sommer nicht so lustig; verpfuscht wäre er und mißlungen, fehlten ihm die schimmernden, flimmernden Schillebolde, deren Leiber wie aus Edelerz gebildet sind, und deren Flügel aussehn, als beständen sie aus Tautropfen und Sonnenschein, deren Pracht herrlicher ist als die der schönsten Falter, und deren Flug stolzer ist als der der Schwalben. Zu fein sind sie für der meisten Menschen plumpe Sinne, zu schnell für ihre langsamen Augen, die wunderbaren Sonnenscheinflieger.

Denn die Sonne ist ihr Gestirn; ohne sie leben sie nicht. Je heißer sie scheint, desto besser geht es ihnen. Dann fahren sie hin und her und morden, was ihre Flugbahn kreuzt und schwächer ist als sie, Mücke und Fliege, Käfer und Schmetterling, streiten, mit den Köpfen gegeneinander anrennend, um die Weibchen, bis sie sich eins erkämpfen und, zu seltsamem Schnörkel mit ihm verschlungen, ihre wilde Fahrt fortsetzen. Sobald sich aber die Sonne hinter den Wolken versteckt, der Himmel grau und die Luft kühl wird, verlieren sie allen Mut und jede Kraft; matt sinken sie hinab, klammern sich an Halmen und Stengeln fest, unfähig, zu rauben, nicht imstande, sich zu freun. Doch wenn Sonnenlicht und Sonnenwärme ihnen neues Leben schenken, dann tauchen sie wieder auf, um die Luft mit Silbergeflitter und Seidengeknitter zu erfüllen, unbeachtet von der Menge, aber doch von heimlicher Wirkung auf Auge und Herz des Menschen.

Der sieht sie nur, wenn sie ihn dazu zwingen, wenn sie sich zu Tausenden und Hunderttausenden zusammenrotten, so daß die blödesten Augen danach blicken müssen. Wohin sie sich auch richten, Libellen und nichts als Libellen; an allen Zäunen und Hecken, an allen Bäumen und Büschen, an allen Mauern und Wänden haften sie, vom ersten Fluge ermattet, und die Luft ist erfüllt von ihnen; in ein und derselben Richtung, mit seltsam stetigem Fluge, gänzlich verschieden von den jähen, hastigen Bewegungen, die sie sonst zeigen, fahren sie dahin, hier eine, da drei, dort wieder welche, und immer neue, einzelne kleine Trupps, dichte Schwärme, eine unendliche unregelmäßige Heerschar von unzählbar vielen Stücken.

Woher kommen sie? Vielleicht aus dem meilenweit entfernten See oder aus dem noch entfernteren Flusse. Dort haben sie über ein Jahr als sonderbare, gespenstige, breitbäuchige, dickköpfige, glotzäugige, dünnbeinige, schlammfarbige Larven gelebt; haben ihre Unterkiefer mit der furchtbaren Greifzange vorangeschnellt, anfangs, um winzige Krebstiere von Punktgröße zu fangen, dann, als sie nach jeder Häutung wuchsen, um sich an Froschlarven, Schnecken, Würmern und Fischbrut langsam und bedächtig heranzupürschen oder, kopfüber an einem Rohrhalm hängend, sie durch die Anstandsjagd zu erbeuten. Den Winter verbrachten sie fast ohne bewußtes Leben, halbstarr am Boden liegend; im Frühling warfen sie das Larvenkleid ab und nahmen Nymphenform an, und schließlich, als der Mai eine Hitzwelle nach der anderen über das Land fluten ließ, verließen sämtliche Nymphen derselben Art und Altersgruppe an ein und demselben Tage das Wasser, krochen an Schilf, Rohr und Ufersteinen empor, die Hülle zerbarst, und aus den unheimlichen Geschöpfen des Wassers wurden die reizenden Luftwesen.

Aber wohin wandern sie, und aus welchem Grunde? Wir wissen es nicht. In der Richtung, die der Zug einhält, liegt auf viele Meilen hin kein See, kein Strom, die ihnen dazu dienen könnten, ihre Eier abzulegen. Und warum wandern sie nicht Jahr für Jahr, sondern nur in großen Abständen? Wir haben keine Antwort auf diese Frage. Und weshalb wandern bei uns nur zwei Arten, der Breitbauch und der Vierfleck, aber keine der vielen anderen, ebenso häufigen Arten? Wir finden keine Erklärung dafür. Wir sind sehr aufgeklärt geworden heute; wir glauben nicht mehr, daß, wenn Schillebolde und Weißlinge in unzählbaren Scharen reisen, oder wenn Seidenschwänze und andere fremde Vögel sich sehen lassen, oder wenn ein Schwanzstern am Himmel steht, daß das Zeichen seien, die der Himmel uns gibt, auf daß wir uns auf Krieg, Pest und Hungersnot vorbereiten sollen. Darum sind wir aber doch nicht viel klüger als unsere Urahnen und haben für Vorgänge, die wir Tag für Tag um uns sehen, keine Deutung, denn auf der Schule lernen wir wohl, wie das Okapi lebt und was ein Kiwi ist, von den Libellen aber, die Tag für Tag unsere Blicke kreuzen, lehrt man uns fast nichts.

Schmetterlinge und Käfer, allbekannte Tiere, sammeln wir, Molche und Laubfrösche, nicht minder uns vertraut, halten wir in Aquarien und Terrarien; wem aber fällt es ein, sich über die vielfachen Formen der Wasserjungfern zu unterrichten, von der gewaltigen Edellibelle bis zur stecknadelfeinen Schmaljungfer, und wen gelüstet es, ihre Larven zu halten und zu beobachten? Kaum, daß wir an der Schleuse stehn bleiben und dem Hochzeitsfluge der prachtvollen, tief dunkelgrün, prächtig blau und vornehm braun gefärbten Seejungfern vor der Schilfwand zuschauen, wahrlich ein Bild, das jedes Menschen Auge freuen muß. Achtlos gehn wir vorüber, blitzt die ganze Weißdornhecke von den Flügelchen der himmelblau, blutrot und grasgrün gefärbten Schlankjungfern, und wir denken nicht daran, stehn zu bleiben, jagt die herrliche Waldlibelle so dicht an uns vorüber, daß wir das köstliche Blau ihrer mächtigen Augen, die edle Färbung ihres schlanken Leibes und den feinen Goldglanz ihrer Schwingen genau zu erkennen vermögen.

Gerade der Edellibelle zuzusehen, lohnt sich. Ihr Flug allein ist der Aufmerksamkeit wert. Er ist so sicher, so stetig, so zielbewußt wie der des Falken, so schnell wie der der Schwalbe, und doch ohne Hast und Unruhe; Schnelligkeit und Ruhe sind in ihm vereint. Es ist ein rasendes Gleiten, ein jähes Schweben, eine Gelassenheit bei aller Geschwindigkeit, herrlich anzusehn. Wie ein himmelblauer Pfeil durchschneidet sie die von allerlei Kleingetier durchblitzte Luft auf der Jagd nach Beute. Ein Zufahren, und der weiße Falter ist gepackt; im Fluge verzehrt sie ihn und streut seine lichten Schwingen in das dunkle Moos. Hell leuchtet sie dort auf, wo die Sonne den Weg bescheint, um gleich darauf im tiefen Schatten zu verschwinden. Denn sie scheut den Schatten keineswegs, wie die anderen Jungfern; sie ist so stark, daß sie auch ohne Sonnenlicht auskommen kann, und eine Edellibelle sogar, die seltsame, eulenäugige Abendjungfer, verschläft den Tag über im Blätterschatten und fliegt erst bei Sonnenuntergang aus, und erst, wenn das Tageslicht gänzlich geschwunden ist, kehrt sie in ihr Versteck zurück, um es wieder zu verlassen, wenn die Sonne abermals nahen will. Sobald ihr voller Schein aber da ist, verschwindet die Abendlibelle wieder und macht den Tagjungfern Platz, den großen und kleinen, breiten und schmalen, denen, deren Leib wie grünes oder rotes Erz aussieht, oder die den Eindruck machen, als seien sie mit hellblauem Mehl bestäubt. Das schwirrt und flirrt laut und leise, ruschelt und raschelt, fährt jäh dahin, flattert langsam umher, blitzt und blinkt und gleißt und glimmert; eine ist immer noch schöner als die andere.

Aber die allerschönste, das ist die Libellenkönigin. Größer als die anderen Edellibellen ist sie, noch viel vornehmer gefärbt und stolzer als alle anderen in ihrem Fluge. Wo es wild und lustig hergeht, da wohnt sie nicht. Der stille, einsame, verborgene Waldsee ist ihr Reich; dort herrscht sie unumschränkt. Sie ist kühn und mutig; naht sich ein Reh dem Ufer, oder gar ein Mensch, sofort ist sie da, betrachtet den Eindringling, und im nächsten Augenblick jagt sie schon wieder dort, wo die Mummeln ihre weißen Blüten entfalten, oder da, wo der Pfingstvogel sein Nest gebaut hat. Bald hier, bald dort leuchtet ihr königsblauer Leib auf; soeben schimmerten ihre goldenen Flügel noch an der Krone der Eiche vorüber, und jetzt blitzen sie schon über der rosenroten Dolde der Blumenbinse und gleich darauf über den weißen Nixenblumen. Jetzt jagt sie in heftigem Ansturme ein fremdes Männchen ihrer Art in die Flucht, und nun hat sie eine fette Schlammfliege gepackt, die sie eben verzehren will, als sie ein Weibchen erspäht; die Beute zwischen den Zangen haltend, jagt sie hinter ihm her, treibt es über die Binsenhalme und an den Schwertlilien vorüber, in den dunkeln Wald hinein und auf das blanke Wasser hinaus, um dann in rastlosem Auge weiterhin ihr Gejaid fortzusetzen.

Wie der stille Waldsee seine eigene Libellenart hat und die kühle Schneise, so leben am Seeufer andere Arten als bei der Mergelgrube. Das Bergland besitzt seine besonderen Formen und Moor und Heide desgleichen, während andere am liebsten im grünen Wiesenlande jagen oder über den gelben Getreidefeldern, überall, wo sie sich zeigen, der Landschaft einen Zug von Lebensfreude und Sorglosigkeit verleihend. Aber das sieht nur so aus, denn es sind grimme Mörder, die zierlichen Geschöpfe. Wie die zierlichen Schmaljungfern winzige Fliegen und Blattläuse von den Blättern pflücken, so erhaschen die größeren Arten alles das, was sich in der Luft tummelt, falls es nicht zu dickschalig und zu groß ist. Die einen jagen auf Mücken und Stechfliegen, die anderen auf Bremsen und Falter, und da sie viel Nahrung brauchen, um den Kräfteverlust, den ihr rasender Flug hervorbringt, zu ersetzen, so nützen sie wohl ebensoviel, wenn nicht mehr, als die Vögel, die sich von Ungeziefer nähren, und so machen sie das wieder wett, was sie als Larven an Fischbrut sündigten. Sie selber aber dienen allerlei Getier zur Nahrung. Die dicke Kreuzspinne fängt sie im Netze, die schlanke Eidechse hascht sie im Sprunge, der Würger spießt sie auf einen Dorn, der Turmfalke greift sie am Tage, und bei Nacht nimmt die Nachtschwalbe sie von den Zweigen.

Doch ihre Bedeutung liegt nicht in ihrem Nutzen und Schaden. Ob dürre Heide oder üppige Wiese, ob tosender Wildbach oder langsamer Fluß, ob ernstes Moor oder lachendes Tal, mehr als alle anderen Insekten geben sie der Landschaft Leben. Achten wir auch nicht bewußt auf sie, das Blitzen ihrer Flügel, das Funkeln ihrer Leiber, das leise Ruscheln und das laute Rascheln ihrer Schwingen hinterläßt doch seine Eindrücke bei uns.

Nicht das, worauf wir bewußten Blickes unsere Augen richten, wirkt am stärksten auf uns; gerade das, was wir anscheinend übersehen, erregt zumeist die tiefsten Stimmungen, läßt uns, ohne daß wir es ahnen, den Tag schöner finden, das Leben leichter tragen, und sei es auch nur das Knistern und Schimmern der Libellen.


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