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In der hohen Heide

Sonne auf den Kopf und Wasser unter die Füße muß der Honigbaum haben, wenn er rechtschaffen blühen soll.

Im vorvorigen Sommer hatte er zuviel Wasser unter sich und gar keine Sonne über sich und so brachte er es nicht zum Blühen. Im vorigen Sommer ging es ihm umgekehrt, und wieder wurde es nichts mit ihm. Dieses Jahr aber hat er es damit richtig getroffen, und so blüht er, wie lange nicht mehr.

So ist denn alles rosenrot rechts und links von der schnurgeraden, mit hohen Hängebirken eingefaßten Straße, die sich bei dem einsamen Wirtshause zwillt, in dem ich abgestiegen bin. Da geht es heut laut zu, denn es ist Sonntag und von allen drei Seiten kommen Heidfahrer zu Fuß und zu Rad, mit Gespannen und in Kraftwagen angeströmt und erfüllen das Gelände um den Krug mit Gelächter und Gesang. Das ist nicht nach meinem Geschmack, und so stehle ich mich durch die Fuhren nach der hohen Heide hin, wo ich sicher bin, keinem Menschen zu begegnen.

Die Sonne meint es gut; kein Wölkchen ist an dem hohen, hellen Himmel, der sich über den rosenroten Plan spannt. Kreuz und quer über den Weg flirren die Schillebolde, grüne Sandkäfer schwirren vor mir auf, winzige blaue Falter flattern um die blauen Glocken- und gelben Habichtskrautblüten, und die warme Luft, die von Honigduft und Kiengeruch erfüllt ist, bebt von dem Geläute der Bienen und dem Geschrille und Gezirpe der Heuschrecken und Grillen. Die grünen, braunspitzigen Moorhalme neben dem Fußwege schimmern wie Seide und die roten, gelben, blauen und weißen Feuersteinsplitter im Graben blitzen und funkeln nur so.

Die Fuhren werden sparsamer und hören schließlich ganz auf, die Machandelbüsche werden kürzer und seltener und bleiben zuletzt völlig weg, und platt und kahl erstreckt sich die Schnuckenheide mit ihren knapp handhohen, zertretenen, verbissenen Heidkrautbüschen, deren dürftiges Gezweig auf seltsame Weise gewirbelt ist und flach auf dem Boden anliegt. Trotzdem aber der Schäfer, der dort an dem Anberge hütet, seine dreihundert Schnucken Tag für Tag hier über die Heide treibt, blüht sie dennoch auf das beste und gibt den Immen reiche Beute.

Ich gehe auf den alten Schafkoben zu, der sich dort oben zwischen glatten Birken und knorrigen Eichen erhebt, umstanden von Hunderten von hohen und breiten, schlanken und krummen Machandelbüschen, von denen manche dreifache Manneshöhe und mehr haben, und die vielfach auf ganz alberne oder unheimliche Weise verrenkt und verbogen sind und teilweise wie Untiere, teils wie menschliche Gestalten aussehen. Mehr als einmal habe ich, wenn ich zwischen Tag und Nacht am grauen Vormorgen den schmalen Fußweg zwischen ihnen dahinschritt, schnell nach der Büchse gegriffen, einmal, weil ich meinte, ein Hirsch stände vor mir, ein anderes Mal, weil ich einen Wilddieb zu sehen glaubte. Und es waren doch nur Machandelbüsche, die mich zum Narren gehalten hatten.

Die Fährte eines guten Hirsches steht nagelfrisch in dem anmoorigen Boden des Weges. Der muß ich nachgehen. Sie steht gerade auf den alten Schafstall zu, unter dessen moosigem Strohdache ich manche Nacht geschlafen habe, wenn ich zur Brunft hier weilte. Hier um die alte, dicke, von dem Weidenbohrer ganz durchlöcherte Birke, der der letzte Sturm den halben Wipfel ausbrach, ist ein buntes Geflatter und ein lautes Gesummse. Über ein Dutzend Trauermäntel schweben um den blutenden Stamm, auch einige Admirale, oder sitzen an der Rinde und saugen, desgleichen Hornissen, Wespen, Schmeißfliegen und allerlei Käfer. Aber so sehr mich das bunte Treiben auch fesselt, ich blicke doch daran vorbei, denn der mannshohe Wacholderbusch ist ganz kurz und klein geschlagen, und wie ich ihn absuche, finde ich ganze Fetzen noch feuchten Bastes von dem Geweihe des Hirsches, dessen er sich hier heute nacht entledigte, und so gehe ich seiner Fährte weiter nach, quer über den Anberg, hinter dem die Köpfe krauser Fuhren hervorsehen.

An dreien von ihnen hat der Hirsch wieder geschlagen; schon von weitem leuchten die verwundeten Stämme, und einige andere weisen ältere Male von den vorigen Nächten auf, auch sind wieder einige Machandelbüsche zuschanden gemacht, und die Reste der roten, gelben und weißen Pilze, die über die hellgrünen Polster der Krähenbeere und das dunkle Gezweige der Bärentraube verstreut sind, geben an, daß der Hirsch sich an ihnen geäst hat. An der Quelle, die in dem moorigen Grunde liegt, hat der Hirsch geschöpft; seine Fährte steht zwischen den frischgrünen, mit kupferroten Fruchtrispen gezierten spitzen Beinheilblättern, die aus den wirren Wollgrasbülten hervorsprießen, geht dann durch das üppige Schlingwerk von weiß blühendem Schweinsohr hindurch, das das Wasserloch ausfüllt, und wendet sich der hohen Heide zu. Mir ist warm geworden, denn die Sonne sticht; über Nacht wird es ein Gewitter geben. Da hinten über der dunkelen Wohld stehen weiße Wetterköpfe vor dem hellen Himmel. Ich kühle die Stirn und die Hände mit dem Quellwasser und lasse mich für ein Viertelstündchen auf einem der drei großen Findelsteine nieder, die hier nebeneinander ruhen und zwischen denen die Reste einer Birkhenne liegen, die der Habicht kröpfte. Auf der großen Sandwehe unter mir rennt der Brachpieper zwischen den blaugrünen Büschen des Schafschwingels umher und ruft ab und zu traurig, und auf einen der fünf spitzen Machandelbüsche, die dort dicht beieinander im Kreise stehen, läßt sich der Raubwürger nieder, wippt bedächtig mit dem langen Schwanze, fliegt weiter, sein buntes Gefieder entfaltend, rüttelt eine Weile, stößt nieder und stiebt mit seiner Beute den Fuhren zu. In der Ferne ertönt ein weiches, wehmütiges Flöten. Sechs Brachvögel kommen angestrichen und fallen auf der graswüchsigen Flanke des Anberges ein, wo sie lange mit hohen Hälsen sichern und dann kopfnickend nach Gewürm suchen.

Vor mir in den Doppheidbüschen bewegt sich etwas; eine Mooreidechse flitzt hervor und rennt über den in allen Farben glitzernden Kies, wo sie sich ganz platt macht und von der Sonne durchbraten läßt. Über ihr an einem Heidkrautzweig frißt die fingerdicke, leuchtend hellgrüne, herrlich rosenrot getüpfelte Raupe des Nachtpfauenauges. Weiterhin rennt ein grauer, weißgebänderter Raubkäfer hastig dahin, eine blinde Fliege in den scharf gezähnten Zangen haltend. Eine Schnarrheuschrecke mit himmelblauen Unterflügeln kommt angerasselt und läßt sich auf einem roten Feuerstein nieder, wo sie wie ein dürres Stückchen Holz aussieht. Zur Linken schiebt sich der dicke Kopf einer Grille unter einem Grasbüschel her, fährt aber wieder zurück, sowie ich den Kopf wende. Um alle Heidbüsche flattern Bläulinge und ab und zu tanzt ein bräunlicher Lieschgrasfalter vorüber.

Ich erhebe mich. Die Eidechse schlüpft unter den krausen Machandelbusch, die Heuschrecke schnarrt davon, und die Brachvögel fliegen laut klagend von dannen. Ich gehe wieder der Fährte nach, die auf die hohe Heide zusteht. Immer länger wird das Heidkraut; stellenweise reicht es mir bis über die Knie und bringt es zu mehr als fingerdicken Stämmen, die üppig grünen und überreich blühen. Das Gesumme der Bienen, die hier zu Tausenden schwirren, weil hinter dem Machandelhagen ein großes, an hundert Körbe fassendes Immenschauer steht, klingt wie das Brausen einer fernen Orgel und die Luft ist gesättigt mit Honigduft. Es ist alles ein und dasselbe Heidkraut, das hier wächst, denn die Doppheide blieb im Grunde zurück, aber unglaublich ist die Verschiedenheit an Wuchs und Färbung. Hier ein sparriger Busch mit langen, dünnen, weißlich blühenden Zweigen, da einer, kurz beastet und kraus und tief rosenrot, dort ein schneeweißer, der weithin leuchtet. Dieser Busch breitet seine vielen Zweige flach über den Boden aus, jener besteht aus einem Stamme mit einer runden, dichten Krone. An dem einen Busche ist das Laub freudig grün, an einem anderen trübe, weiterhin bräunlich und dort gar kupferfarbig oder blutrot. Am reizendsten aber sieht die Heide hier dicht vor meinen Füßen aus. Da hat der Bauer den Boden abgeplaggt und ein junger zarter Heidbusch steht neben dem andern, hellgrün belaubt, und über und über hellrosenrot blühend.

In der langen, mehr als kniehohen Heide habe ich die Fährte verloren; ich muß sie auf den Sandwehen und den abgeplaggten Stellen wiedersuchen. Einen Bogen nach dem anderen schlage ich, finde auch übertägige Fährten in Menge, die frische aber nicht. So wate ich denn auf und ab in dem rosigen Blütenmeer, atme nichts als Honigduft, höre nichts als Immengeläute, sehe den silbernen und goldenen Schillebolden nach, die hin und her flirren, und den Schnarrheuschrecken, die laut rasselnd vor mir auffliegen und dabei ihre scharlachroten Unterflügel aufleuchten lassen, nehme einen versteinerten Seeigel mit, trete einen der wenigen Hasen heraus, die hier auf der hohen Heide leben, beobachte lange die glatte Natter, die sich vor dem krausen Brombeerbusch, der einen roten Findelstein umspinnt, sonnt, und die Goldregenpfeifer, die in der grasigen Delle um das Wasserloch rennen und alles Getier mit klagendem Rufe vor mir warnen, und steige höher und höher, bis ich ganz oben auf dem Heidberge bin.

Da sieht es seltsam aus. Große und kleine Machandelbüsche, alle möglichen putzigen oder unheimlichen Gestalten vortäuschend, stocken hier, und zwischen ihnen erheben sich absonderlich verbogene und gekrümmte Fuhren sowie ganz wahnsinnig gewachsene Fichten. Als sie noch jung waren, haben die Schnucken sie verbissen. So wuchs die eine wie eine Leier, die andere wie eine Harfe, diese hat zwei Spitzen, jene drei, die dort sogar sieben, weswegen sie einem Armleuchter ähnelt. Auch die Birken, die hier stehen, haben zumeist einen ganz verrückten Wuchs und die wenigen Eichen ebenfalls. Einige stolze Stechpalmen, hier kraus, da spitz, sind aufgekommen, etliche Faulbaumbüsche sowie Brombeeren, Rosen und Weißdornen. Weidenröschen, Glockenblumen, Habichtskraut, Kartäusernelken und Knopfblumen erheben über den krausen, grauen Flechten und dem glatten goldenen Moose ihre roten, blauen und gelben Blüten, zwischen dem vielfarbigen Geschiebe protzen allerlei grelle Pilze, und aus dem silbern blitzenden Kronsbeerenrasen funkeln die roten Früchte und schimmern die zierlichen weißen Blüten.

Ich werfe mich unter eine wie ein Schirm gewachsene Fuhre auf das dichte Krähenbeerenpolster und sehe in das rosenrote Land unter mir, in dem die Fischteiche silbern blitzen, und das dort hinten, wo es wieder hoch ansteigt, von dunklem Walde besäumt ist, der eine Kirchturmspitze überschneidet und eine Mühle, deren Flügel sich langsam drehen, denn ein heißer Wind hat sich aufgemacht. Er rüschelt in der langen Heide, raschelt in den hohen Halmen und raunt in den wirren Kronen der gespenstigen Bäume und vermischt sein Gesäusel mit dem Geläute der Immen und dem Geigen der Grillen zu einer wunderlichen Schlummerweise. Mir wird zumute, als läge ich auf einer rosenroten Wolke und würde von ihr in den Himmel getragen, von dem der Lobgesang der Engel und der Schall silberner Glocken herniederklingt. Dann ist auf einmal die Heide himmelblau und der Himmel heiderot, bis das Bild sich wieder umkehrt, der Traum verfliegt und ich wieder die Bienen summen und die Grillen fiedeln höre. Doch aus den kleinen Stimmen höre ich allerlei Worte heraus und der Wind singt ein ganz bestimmtes Lied, dessen Worte ich nur halb verstehe und dessen Weise ich bloß ein einziges Mal gehört habe.

Ich muß wohl eine geraume Weile geschlafen haben, denn nun steht die Sonne als runde, rote Scheibe schon tief über der hohen Geest, und die Fischteiche im Grunde sehen nicht mehr wie Silber, sondern wie Gold aus. Das Summen der Bienen ist leiser geworden, die Grillen geigen lauter. Nur wenige blaue Schmetterlinge fliegen noch, und hier und da taumelt ein rostroter Abendfalter in unstetem Fluge dahin. Ich steige den Berg hinab und suche so lange, bis ich die Fährte wieder habe, die auf das Porstbruch zusteht, über der vor der schwarzen Wohld wie ein Gespenst eine helle Weihe hin und her schaukelt. Bis in die Wohld hinein halte ich die Fährte; dann drehe ich um und steige wieder den Heidberg hinauf.

Kühl weht der Wind. Das Summen der Bienen hat aufgehört. Die Heide strömt keinen Honiggeruch mehr aus. In Nebel schwimmen die Tiefen; am Himmel steigt dunkles Gewölk empor, in dem die Sonne zerlodert. Wandernde Brachvögel rufen kläglich; die Kraniche, die sich im Bruche versammeln, schreien heiser. Die langen Heidbüsche zappeln hastig hin und her; gespenstig zuckeln die Machandeln. Schwer fällt die Dämmerung hernieder, spinnt Himmel und Erde zusammen und verschmilzt die Nähe mit der Ferne. In den rauhen Fuhren ist ein verhaltenes Seufzen und von der Quelle weht ein banges Schluchzen her.

Der helle Tag hält den Atem an; ächzend und stöhnend schleicht die Nacht über die hohe Heide.


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