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Das Brandmoor

Hohe alte Birken begleiten die feste Straße, die durch das Dorf führt; ihre dünnen, lang herabhängenden Zweige pendeln im lauen Winde langsam hin und her.

Nördlich des Doppeldorfes endet die feste Straße, hören die alten Birken auf. Der Knüppeldamm beginnt; jüngere Birken mit krausen Kronen besäumen ihn. Die Torfschuppen, die Häuser, die Gemüsegärten, die Kleewiesen bleiben zurück; das Moor allein herrscht noch. Weit und breit liegt es da, zur linken Hand von Wald begrenzt, rechter Hand von der hohen Geest umschlossen.

Gewaltige Torfmieten, hier von hellbraunem Neutorf, dort von dunklem Alttorf gebildet, erheben sich rechts und links von dem mit graubraunem Staub bedeckten Damm, den ein schmaler Strich blühenden Heidkrauts einfaßt. Hier und da starren Haufen von ausgegrabenem Wurzelwerk, Reste eines alten Waldes, der vor Jahrhunderten von dem Torfmoose aufgesaugt wurde. In den abgebauten Abstichen wuchern Binsen und Rischbülten; zwischen ihnen stockt junger Birkenaufwuchs.

Es ist stiller im Moore geworden. Die Hunderte von fremden Arbeitern, die noch vor kurzem hier schafften, sind in ihre Heimat gezogen. Nur dort und da sieht man noch die weißen Hemdsmaugen und die hellen Fluckerhüte einheimischer Torfarbeiter aufleuchten. Die Bienen läuten, die Moormännchen zirpen, die Hänflinge schwatzen, die Heuschrecken geigen, und zwitschernd schießen die Schwalben in lockeren Verbänden über den weiten, breiten, von den blühenden Moorhalmen bräunlich gefärbten Plan.

Immer noch begleitet fertiger Torf, geringelt oder aufgemietet, den Damm. Hinter dem allerletzten Hause, neben dem hohe Sonnenblumen eine fremde Farbe in das Land bringen, hört er dann auf. Noch einige Kleewiesen grünen, eine Roggenstoppel schimmert goldig, reifender Buchweizen schiebt sich bis an den Weg, durchsetzt mit den hohen, rosenroten Blütenrispen des Weidenröschens, und dann ist hier nichts als Moorhalm und Moorhalm und Moorhalm, dichtstehend, als habe Menschenhand ihn gesät.

Braune Lieschgrasfalter tanzen über den Weg, Trauermäntel spielen um die Stämme der Birken, Libellen flirren dahin, Sandkäfer blitzen auf. Stumm flattert ein bräunlicher Vogel von dem alten Wurzelknorren davon, der Steinschmätzer ist es, silbern leuchtet sein Schwanzgrund. Über dem alten Abstiche rüttelt der Turmfalk, auf eine Maus lauernd. In der Ferne schaukelt eine helle Weihe langsam dahin.

Die braunen Moorhalme machen der rosenroten Heide Platz. Stärker wird das Geläute der Bienen. Überall flattern winzige blaue und ab und zu auch ein goldroter Falter. Rundherum geigen die Grillen, zirpen die Moormännchen. Dann und wann flattert ein weißer Schmetterling dahin. Der Schrei einer dahinstreichenden Krähe sticht hart ab von den vielen kleinen, zu einer großen eintönigen Weise verbundenen Stimmen.

Zur Linken, wo der Handweiser steht, führt ein Querdamm. Hinter ihm ist die ganze Fläche von einem einzigen, grelleuchtenden Rosenschein erfüllt. So rot blüht die Heide nicht, und so hoch bollwerkt sie nicht. Weidenröschen sind es, Millionen, die das Moor bedecken und in Zauberfarben hüllen. Es sieht aus, als wäre das Morgenrot auf den Boden gefallen und dort liegengeblieben. Ein einziges himbeerrotes Blumenbeet ist die weite Fläche.

Denn da war im vorigen Jahre der große Brand, der von Pfingsten bis in den Winter hinein währte. Dreihundert Morgen Moor verkohlten bis auf den Sandgrund. Alle Arbeit war vergebens; es währte weiter, brannte noch unter dem ersten Schnee langsam fort. Die Menschen konnten nur dafür sorgen, daß das Feuer den Damm nicht übersprang; dann wäre bei der Trockenheit das gesamte Moor ausgebrannt, und aus wäre es gewesen mit der blühenden Torfindustrie in der ganzen Gegend.

Endlich erstickten Regen, Schnee und Frost den Brand, der ein halbes Jahr gewütet hatte. Auf die schwarze Torfkohle und die gelbe Asche flogen, vom Winde getrieben, die wolligen Samen des Weidenröschens von allen Seiten, klebten dort fest und warteten, bis es Frühling wurde. Dann keimten sie und bedeckten den schwarzen, gelbgefleckten Brandplan mit frischem Grün. Als es dann Sommer war, sprossen daraus lange Rispen, ganz mit rosigen Knospen bedeckt. Die sprangen dann auf und da, wo es im Jahre vorher rot flatterte und weiß qualmte und dann schwarz starrte, blüht und glüht und leuchtet es nun von morgenrotfarbigen Blumen.

Wunderschön sieht das aus, doch der Bauer, der uns begegnet, blickt mit bösen Augen danach hin. Milliarden von weißflockigen Samenkörnchen wird der Herbstwind über das Moor führen und da abladen, wo später Hafer und Buchweizen wachsen soll; das wird ein schlimmes Dreschen werden, wenn sich die Samenwolle in das Getriebe der Maschinen setzt und ihr Staub die Lungen der Menschen erfüllt, daß sie vor Atemnot bei der Arbeit umfallen. Schon hat hier und da eine Staude die roten Blumen in weiße Flotten verwandelt, dort hinten sieht eine ganze Fläche aus, als läge Schnee darauf, und bald wird das ganze weite, breite, rosige Blumengefilde ein weißes Feld sein, und hinterher wird ringsherum das Moor silbern schimmern von den verwehten Samenfederchen.

Noch aber blüht es in rosiger Pracht über der schwarzen, von Algenanflug und Jungmoos seltsam und unheimlich gefärbten Fläche. Gespenstig starrt dort ein hoher, verkohlter Baumstrunk in die Luft, von dem der Raubwürger Umschau hält und mit klirrendem Warnruf weiterstreicht, wie wir ihm uns nähern. Das aber, was da schwarz und steif wie ein verbrannter Stamm das große rosige Blumenbeet überschneidet, ist der Schäfer, der da, auf seinen Stab gelehnt, steht und strickt. Neben ihm liegt sein gelber Hund und die Schnucken weiden die junge Heide ab, die zwischen den verkohlten Stengeln ausgeschlagen ist.

Schlimm hat das Feuer gewütet. Der Damm ist bestreut mit armdicken, verkohlten Knüppeln, den Resten der in langer Arbeit hergestellten Befestigung der Moorstraße. Daneben steht ein verkohlter Stuken bei dem andern. Bis auf den Sand, auf dem der von dem Torfmoose begrabene Wald stand, ist der Torf ausgebrannt, so daß die Sümpfe nach jahrhundertelanger Verborgenheit wieder zutage traten. Drei Jahrzehnte wird es dauern, ehe hier wieder abbaufähiger Torf gewachsen ist. Der zarte grüne Anflug, der den schwarzen Grus und die gelbe Asche überzieht, ist der Anfang dazu. In einigen Jahren werden hier zwischen den Binsen und dem Wollgrase die hellen Torfmoospolster schwellen, nach unten absterben, nach oben weiterwachsen, und langsam zu einem einzigen großen, nassen Kissen zusammenquellen.

Hier in den alten Abstichen wächst der Torf schon wieder. In dem einen schwimmen, von den goldgelben Lippenblüten des Wasserschlauchs überragt, dichte Torfmoosballen. Der andere daneben ist ganz ausgefüllt von den saftiggrünen Blättern und den breiten weißen Löffelblumen des Schweineohrs. Was vermodert und zu Boden sinkt, wird erst Schlamm und dann Torf, und darauf wächst das Torfmoos, bis es den Rand des Kolkes erreicht hat, über ihn hinausquillt und immer höher wächst, die Binsen und das Risch an seinen Ufern überwuchert und höher und weiter wächst, und sich mit den benachbarten Torfmoospolstern vereinigt. Wo man jetzt trockenen Fußes geht, da wird es dann feucht und unwegsam, und je höher das Moor wächst, um so nasser und tiefer wird es werden. Da, wo jetzt das goldrot in der Sonne leuchtende Reh durch die rosenroten Blumen zieht, wird der Brachvogel stelzen und die Heerschnepfe brüten, und wo sich jetzt in dem Brandgrus das Birkwild badet, wird die Ente einfallen, und im Mai wird dort, wo heute eine rote Rispe neben der anderen steht, das Wollgras das Moor mit dichten weißen Flocken bedecken, daß es wie überschneit aussieht.

Dann, nach Jahrzehnten, wird der Torf wieder reif sein, und die Bauern werden ihn stechen, ringeln, in Mieten häufen und, wenn er dürr genug ist, einfahren, wenn nicht, wie im letzten Sommer, wieder Feuer auskommt und alles hier eine rote Glut unter dem Boden und ein weißer Rauch über ihm ist, denn ein brennend fortgeworfenes Streichholz genügt schon, um das trockene Gras zum Brennen und das Moor zum Glimmen zu bringen. Unter dem Heidkraut glüht der Brand dann in aller Heimlichkeit weiter, frißt und frißt und wächst und wächst, bis er so groß ist, daß an kein Löschen mehr zu denken ist und dem Menschen nichts mehr übrig bleibt als dafür zu sorgen, daß es nicht das meilenbreite Moor verzehrt.

Die Strahlen der Abendsonne fallen auf das große Blumenbeet; herrlicher als zuvor prangt es, und glüht und leuchtet und verschwimmt, als wolle es sich von dem Boden losreißen, gen Himmel steigen und als Abendröte mit den Wolken verschmelzen. Und dabei ist es ein rosenrotes Leichentuch, das die Stätte bedeckt, wo die Birkhenne auf dem Nest verbrannte und das Rehkitz in die unterirdische Glut fiel und verkohlte, und um das herum die Bauern standen mit schwarzen, von Schweiß mit Striemen durchzogenen Gesichtern und rußigen Händen, mit bitteren Mienen in den Rauch starrten, aufseufzten und dann wieder darangingen, dem Brande zu wehren, damit er nicht weiterfräße und über das Jahr, soweit man sehen kann, alles ein einziges, wunderbares, rosenrotes Leichentuch sei.


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