Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Bohldamm

Wo die Hauptstraße des Dorfes, nachdem sie die Bruchwiesen hinter sich gelassen hat, im Holze verschwindet, wird sie zum Bohldamme.

So wird der Weg immer noch genannt, obgleich er nur noch an den ganz tiefen Stellen, die in nassen Zeiten wegsacken, mit Bohlen festgemacht ist, denn seitdem das Bruch und das Moor durch den Kanal entwässert sind, und die Beeke an mehreren Stellen abgefangen und in die Fischteiche geleitet werden, hat auch der Weg Grund bekommen.

Ich gehe ihn jeden Tag, denn er schneidet das Holz mitten durch und auch den großen Windbruch, auf dem vor drei Jahren ein Mittwinternachtsturm einige Tausend Fichten und Fuhren auf die Köpfe stellte, so daß die Bauern den Rest bis auf einige Eichen- und Buchenüberhälter abtrieben. Auf diesem großen Kahlschlage steht der beste Bock in der ganzen Gegend, den ich nun schon seit zwei Wochen weidwerke.

Erst mochte ich den Bohldamm nicht leiden; ich liebe die heimlichen Steige und die halb verwachsenen Holzwege und der Damm war mir zu breit und zu licht und in der Hauptsache auch zu gerade. Aber da ich ihn jeden Tag gehen mußte, so gewöhnte ich mich an ihn, wie an alles Unvermeidliche, und jetzt gehe ich ihn gern, denn ich habe allmählich seine Schönheiten entdeckt, die ich anfangs übersah, weil sie zu offen daliegen. Und gehe ich ihn, so sehe ich nicht nur nach den Fährten in dem dunkelbraunen Boden und spähe die Blößen ab, die zu beiden Seiten liegen, und die graswüchsigen Gestelle, die auf den Damm auslaufen, sondern nehme alles mit, was er zu bieten hat. Es ist jeden Tag dasselbe und immer etwas anderes.

Wie immer, so empfängt mich auch heute der Zaunkönig mit heftigem Gezeter, sobald ich bei dem kleinen Kahlschlage bin. Auf dem Geländer der Holzbrücke, die über die Beeke führt, sitzt, wie jeden Nachmittag, der Goldammerhahn und singt: »Wie wie hab ich dich lieb, lieb.« Unter der Brücke steht natürlich wieder der zweipfündige Hecht und schießt davon, sobald mein Schritt herannaht, und derselbe dicke grüne Frosch stürzt sich an derselben Stelle in den Kolk. Mitten in der Wiese steht selbstverständlich die alte Standricke und ihre beiden Kitzchen hopsen um sie herum, und auf dem Pfahl an dem Hauptstaugraben blockt der Bussard und lauert auf Wühlmäuse, während rechts und links von dem Holze die beiden Krähenpaare ihren Jungen die Käferjagd beibringen. Ganz hinten an der Beeke steht, wie gewöhnlich, dann noch der Reiher, und ein Ende dahinter stelzt der einsame Storch herum, der dieses Jahr unbeweibt geblieben ist und sich ganz an den Wald gewöhnt hat, vielleicht, um nicht Tag für Tag das Eheglück des glücklicheren Nebenbuhlers mitansehen zu müssen.

Der Nordwestwind treibt Herden von bleigrauen und weißen Wolken über den Wald, dessen dunkelgrüne Kronen bald leise summen und brummen. Bis hier unten hin kann der Wind aber nicht kommen; da ist es still und warm, so daß die Schillebolde um die Pumpkeulen und Schwertlilien des Grabens flirren und die weißen und braunen Falter um die roten Köpfe der hohen Disteln flattern dürfen, zwischen denen sich weiße Dolden ausbreiten, auf deren jede eine kleine Gesellschaft von Schwertfliegen und Bockkäfern am Schlürfen und Schmausen begriffen ist. Ab und zu drängt sich ein Faulbaum über den Graben, über und über besetzt mit blitzblanken, schwarzen, roten und grünen Beeren, manchmal ganz berankt von Gaisblatt, das bald mit wachsgelben, bald rot und weiß gemusterten Blumen prahlt. Hier und da zwängen mächtige Horste von brusthohem Adlerfarn den schmalen, festgetretenen Fußweg ein, auf dem sich die Blindschleichen so gern sonnen.

Ich gehe ganz langsam und sehe gewohnheitsmäßig, den Kopf nach links und rechts, wo sich die dicken, roten, mit Nonnenschmetterlingen stark besetzten Stämme der Fuhren aus den Bickbeeren, Farren und Moorhalmen erheben, zwischen denen sich an den offeneren Stellen ganze Gruppen von braunen Knollenpilzen erheben, oder ein grellroter Hutschwamm, während überall an den Grabenborten die reifen Kronsbeeren wie Rubine funkeln. Einmal bleibe ich stehen und sehe der glatten Natter nach, die, von meinem Schatten getroffen, sich eilig in das Gestrüpp flüchtet, dann, um auf die Habichte zu horchen, die unaufhörlich zur Linken rufen, und zum dritten Male, um die Schmalricke vorbei zu lassen, die hundert Gänge vor mir über den Damm zieht und in dem Holzwege verschwindet. Ich warte eine Weile, ob nicht ein Bock hinter ihr herbummelt; aber es kommt keiner, und ich schlendere weiter, bis ein heftiges Geräusche und Gerassel in der Eiche mich wieder zum Stehen bringt; zwei Eichkatzen sind es, die sich jagen. Sie schnalzen und fauchen mich an und hüpfen dann weiter.

Wo die Hellbeeke die Moorbeeke trifft, mache ich halt, denn zu schön ist es hier. Aus grüner Dämmerung kommt der quicke, klare Bach und vermischt sich mitten im Wege mit dem goldbraunen Wasser des Moorbaches, eine breite Furt bildend, deren kiesiger Grund von den Rädern der Torfwagen tief genarbt ist. Mächtige Königsfarne mit herrlichen Wedeln spiegeln sich in den klaren Fluten der beiden Bäche, und ihre Ufer sind dicht bestanden mit einem zartgefiederten Schachtelhalm, der den Boden zwischen den Ellern und Birken mit einem hellgrünen, duftigen Schleier überzieht, aus dem hier und da der Weiderich seine goldenen Blütenbüschel hervorstreckt. Ich lehne mich an das Geländer des ersten Steges und sehe den Ellritzen zu, die zwischen lang hinflutendem schwarzem Gekräute hin- und wiederhuschen, sehe den goldbraunen und dunkelblauen Wasserjungfern zu, die um das Schilf bei dem zweiten Stege flirren, höre auf den unheimlichen Ruf des Schwarzspechtes, der aus dem tiefen Holze herüberklingt, spreche die Spur, die im feuchten Sande steht, als die des Otters an, der über Nacht wohl bei den Fischteichen geraubt hat, und vergesse ganz, weshalb ich hier bin, bis ein scharfes Aufquietschen mich weckt.

Ein Torfgespann kommt heran geschwankt. Zwei schwarzbunte Kühe ziehen den hochbepackten Wagen; ein langer Bauer geht daneben. Er grüßt mich nur mit den Augen, behält aber die engen Lippen aufeinander. Bei der Furt machen die Kühe halt, tränken sich und setzen sich dann wieder in Bewegung, daß das Wasser aufspritzt und alle Elleritzen unter die Wurzeln der Ellern fahren. Quietschend und knarrend verschwindet das Gespann hinter der Wegebiegung, und ich gehe weiter, bis ich vor dem Lichtschlage bin, auf dem mein Bock ab und zu auch steht. Heute ist es da leer, nur eine Ringeltaube poltert in die Höhe und schwingt sich weiter, eine Braunelle schlüpft schrill piepsend in das Buschwerk, und dann ist dort nichts zu sehen, als eine große, goldflüssige, blaugezierte Wasserjungfer, die unablässig auf und ab jagt, manchmal ganz dicht an meinem Gesichte her, als wenn ich weiter nichts wäre als ein Busch. Aber der Wespenbussard, der nun angeschwebt kommt und mich just eräugt, wie er sich auf der Blöße niederlassen will, erschrickt heftig und stiebt ungestüm ab.

Hinter dem Lichtschlage ist am Rande des Grabens ein großer runder Klecks von Bachvergißmeinnicht, und mitten darin sitzt, in der Sonne wie eine märchenhafte Blume aussehend, ein goldroter Dukatenfalter. Er sitzt ganz still und saugt, und ich sehe ihm so lange zu, bis ein klagender Schrei meine Blicke aufwärts ruft. Hoch über den Kronen kreisen dort vier Habichte, das Brutpaar aus dem Malleu mit seinen beiden Jungen. Wieder klagt der Schwarzspecht und trillert dann laut, baldigen Regen verkündend, und wie zur Bestätigung meckert an dem Bachkolke ganz unvermittelt ein Laubfrosch los, der erste, den ich hier vernehme. Ein Ringeltäuber ruft, noch einer und ein dritter und vierter, und ein Hohltäuber heult dumpf. Die Sonne sticht; die Mücken werden lästig. Eine dunkle Wand schiebt sich am Himmel empor, es grummelt hinter dem Moore, und einzelne Regentropfen fallen. Ein Häher flattert über den Weg und kreischt bei meinem Anblicke gellend auf, und in demselben Augenblicke fährt hinter dem Bollwerk von Adlerfarn links am Damme das Haupt eines Bockes auf, der erst nach mir hin, und dann nach der anderen Seite hin sichert. Ich nehme ihn in das Glas und sehe, daß es der gute Sechserbock ist, den ich schon viermal schußgerecht hatte, der aber leben bleiben soll. Er zieht quer über den Damm in die hohen Fuhren hinein.

Nun bin ich vor dem großen Windbruche, nehme die Büchse von der Schulter und spähe umher, ob ich den alten Bock nicht sehe. Aber zur Rechten des Dammes ist kein roter Fleck und zur Linken steht nur die alte Geltricke da, die ich fast jedesmal um diese Zeit antreffe, und die sich ganz vertraut an den dunkelroten Pilzen äst. Ich schleiche mich an der Blöße vorbei und komme zu einer anderen, kleineren, die ganz mit verblühtem, hohen Kreuzkraute bestanden ist, das mit seiner fahlgrauen Farbe fast gespenstig wirkt, um so mehr, als ein Busch grellrot blühender Weidenröschen hinter den gelbbraunen Stengeln deren Leblosigkeit noch mehr hervorhebt. Dann geht es durch hohe Moorhalme, die den Fußpfad beengen, und deren Blütenrispen dicht mit schmalen, schwarzflügeligen, gelbbäuchigen Fliegen besetzt sind, dahin, wo im vorigen Jahre Feuer auskam und zwanzig Morgen Fuhrendickung vernichtete. Die ganze Fläche ist ein einziges rosenrotes Blumenbeet, so dicht stehen die Weidenröschen hier.

Ein Endchen weiter liegt ein vermoorter Windbruch hart am Wege, ganz erfüllt von Schwertlilien, die im Mai über und über mit den großen goldenen Blumen bedeckt waren. Ich stehe und sehe der großen Wasserjungfer zu, die über den starren Blättern auf und ab fliegt, da leuchtet etwas Feuerrotes zwischen ihnen auf, und etwas Blankes blitzt. Der Schwarzstorch ist es, der hier auf Frösche und Mäuse pirscht. Alle Augenblicke schnellt sein Hals hoch und er späht umher, ob ihm keine Gefahr drohe. Die tief herabhängenden Zweige der Espe verbergen mich; so kann ich den heimlichen Urwaldvogel lange beobachten und mich an seinem erzfarbigen Gefieder erfreuen, das in den schrägen Sonnenstrahlen bald kupferrot, bald stahlgrün funkelt. Eine geraume Weile sehe ich ihm zu, bis er plötzlich einen langen Hals macht, sich dann duckt und zwischen den Faulbaumbüschen abstiehlt. Schwere Tritte knirschen auf dem Kiese des Fußpfades; sechs Waldarbeiter, die vor dem Moore die Besamungen freimähten, kommen hintereinander angeschritten. Hinter ihren Köpfen blitzen die Sensen. Jeder nickt mir stumm zu und ich gebe jedem den Gruß ebenso zurück.

Mooriger wird der Weg. Alle tieferen Stellen sind mit Ästen belegt. Der Bestand rechts und links besteht fast nur aus Birken und Ellern; große, breite Kissen von Silbermoor bedecken den Boden; dazwischen nicken schön gebogene Riedgräser und stolze Farren. Die untergebauten Fichten sehen dürftig und krank aus; die meisten sind dicht mit grauen Flechten bedeckt; viele hat der Sturm mitten im Bestande umgeworfen, so lose stehen sie hier. Hinter dem Graben aber wird der Boden sandig, hebt sich ein wenig, die Birken bleiben zurück, und stolz erheben starke Fuhren und Tannen ihre krausen Häupter und spitzen Wipfel, und wo der Boden noch mehr aufsteigt, treten immer mehr Eichen und auch Buchen an ihre Stelle.

Ich kehre um, denn im Westen ist der Himmel ganz dunkelblau, hinter dem Moore donnert es heftiger, und es regnet wieder. Die Dämmerung umspinnt die Bäume. Die Nonnen fliegen immer mehr; Hunderte und aber Hunderte taumeln zwischen den roten Stämmen umher, und die Wegegräben sind bedeckt mit ihnen. Vor dem großen Windbruche mache ich noch einmal halt; kein Reh steht darauf. Wieder war mein Weidwerken vergeblich. Und es war es doch nicht. Ich sah so viel Schönes an Pflanzen und Getier, an Licht und Schatten, daß der Pürschgang sich dennoch lohnte.

Der Regen läßt nach. Der Westhimmel hellt sich auf. Auf blauem Grunde steht die goldrote Sonne; sie erinnert mich an den goldenen Falter auf den blauen Bachblumen, das Schönste, was mir heute der Gang den Bohldamm entlang bot.

Ein kleiner Schmetterling zwischen den ganz gemeinen Blumen, weiter nichts; und doch so schön, daß ich den Anblick nie vergessen werde.


 << zurück weiter >>