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Der Fluttümpel

Einen ganzen Tag und eine volle Nacht schlugen die Wogen über den Strand. Ein jedes Mal, wenn sie ankamen, luden sie totes und lebendes Getier, Steine und Tang ab, nahmen dafür aber große Mengen Sand mit, so daß den ganzen Strand entlang eine Reihe von Tümpeln entstand.

Die meisten von ihnen waren so flach, daß sie die Sonne heute in wenigen Stunden austrocknete. Der eine aber hier hinter der Barre von Feuersteinknollen, Seegras und Miesmuscheln, die die Wogen anhäuften, hat den Sonnenstrahlen widerstanden, denn er ist anderthalb Fuß tief, zwanzig Schritte lang und zehn breit.

Ein Meer in kleinem Maßstab ist dieser Flutkolk. An mehreren Stellen liegen Feuersteine, die dicht mit ledrigem Blasentang bewachsen sind, dessen Laub bis an den Spiegel reicht. Auf anderen Steinen, die das Wasser hier hinschleuderte, wuchern zarte Tange von hellgrüner Farbe, auf anderen wieder zierliche Algen, braun, rot und grün gefärbt. Der Boden des Tümpels besteht aus klarem Sande und den Schalen von Muscheln und Schneckengehäusen.

Die See hat so viele Dorsche, Knurrhähne und Butts auf den Strand geworfen, daß die Möwen und Krähen überreichlichen Fraß finden, und so kümmern sie sich nicht um das Getier, das in dem Kolke lebt, und auch die Brandenten, die bei hohem Seegange gern in ihm herumschnattern, gründeln heute, wo das Meer still wie ein Spiegel daliegt, in der Seegraswiese im Seichtwasser, in dem es von Fischbrut, Schnecken und Garnelen wimmelt. So haben die Tierchen in dem Tümpel vorläufig Ruhe.

Hurtig schießen die jungen Dorsche durch das Wasser und jagen auf winzige Krebschen. Sobald aber unser Schatten auf den Wasserspiegel fällt, huschen sie unter die Steine oder verbergen sich zwischen dem Blasentang, und die Garnelen fahren von dannen und graben sich blitzschnell in den Kies ein. Eine durchsichtige Qualle schwimmt langsam an der Oberfläche. Jetzt schließt sie sich über einem halbtoten jungen Dorsch und sinkt mit ihm zu Boden, um ihn aufzusaugen, und dicht neben ihr kriecht ein Seestern und sucht nach lebenden Miesmuscheln.

Zwischen dem zarten hellgrünen Tange bewegt sich etwas, das wie ein abgerissenes Seegrasblatt aussieht. Es ist eine Seenadel. Ganz langsam bewegt sich der grasgrüne, stricknadeldünne Fisch dahin. Weiterhin zwischen dem Blasentang schwimmt ein bräunlicher, größerer, und allmählich entdecken wir ein ganzes Dutzend der seltsamen Fische zwischen den roten, braunen und grünen Algenbüschen. Auch einige fadendünne Jungaale schlängeln sich am Rande des Tümpels dahin und suchen einen Ausweg, denn das Brackwasser ist ihnen leid und es drängt sie nach dem Flusse. Sogar eine winzige Scholle ist hier gefangen. Sie hat sich bis auf die Augen eingewühlt und ist kaum sichtbar.

Da wir ganz stilliegen, zeigt sich immer mehr Leben. Flohkrebse schießen zwischen den Algen hin und her, die Dorsche necken sich und die Garnelen wagen sich wieder hervor. Hier vor uns tauchen zwei winzige schwarze Punkte auf, und da und dort ebenfalls. Es sind die Augen eines kaum zolllangen, schlanken Krebses, der durchsichtig wie Glas ist, so daß wir ihn nur an den Augen und an dem bräunlichen Darminhalt erkennen. In Menge sind diese Tiere hier in dem Tümpel; aber jetzt, wo der Schatten einer vorüberfliegenden Möwe auf das Wasser fiel, sind sie sämtlich verschwunden, und trotz aller Mühe finden wir keinen von ihnen wieder, bis auf einmal die schwarzen Augen wieder auftauchen und sie uns verraten.

Doch nicht nur im Wasser ist reiches Leben, auch der Sand birgt es, wie die vielen feinen Löcher andeuten, mit denen er gemustert ist. Kleine, schwarze, glatte, halbflügelige Wühlkäfer sind es, die hier wie Maulwürfe graben und den winzigen Fliegenlarven nachstellen, die sich von den faulenden Stoffen nähren, mit denen der Sand durchtränkt ist. Auch ein sonderbarer kleiner, glasheller Krebs, der Meerfloh, lebt unter dem Sande, wir brauchen nur ein wenig zu scharren, und eine ganze Menge der merkwürdigen Tiere kriecht hervor, hüpft eilig weiter und bohrt sich schnell wieder ein. Und heben wir hier den faulenden Blasentang auf, so finden wir einen Verwandten von ihm, den bräunlichen Strandfloh, der sich mit ängstlichen Sprüngen vor dem Sonnenlichte zu retten sucht.

Winzige Uferkäfer, in schimmerndes Erz gekleidet, rennen über den Sand, und bald hier, bald da blitzt es auf, um sofort wieder zu erlöschen. Das ist der Meerstrandsandläufer, ein wunderschöner, grauer, weißgebänderter Raubkäfer mit blaugrünem, glänzendem Unterleibe, den er jedesmal zeigt, wenn er auffliegt, um Strandfliegen zu fangen, die zu Tausenden hier umherschwirren. Er ist ein reines Sonnentier. Je heißer die Sonne scheint, um so reger ist er. Bei trübem Wetter verliert er, wie die Wasserjungfern, die Flugkraft, verbirgt sich im Gekräut und wartet bessere Tage ab. Ganz sein Gegenteil ist ein Verwandter von ihm, ein platter Laufkäfer von bleichgelber Farbe mit schwarzem Sattel, der sich hier überall unter hohlliegenden Steinen findet, wo er den Tag verbringt, um sich erst in der Nacht hervorzuwagen und auf schlafende Strandfliegen zu jagen.

Wenn die Sonne noch einige Tage scheint, so verdunstet das Wasser auch in diesem Tümpel, er trocknet aus, die Dorschbrut und die Garnelen sterben ab und die anderen zarten Krebse, die Schnecken und Flohkrebse verkriechen sich unter dem Tang und warten, bis der Sturm abermals die Wellen bis hierher wirft und wiederum, während er totes und sterbendes Getier am Strande aufhäuft, den Fluttümpel mit neuem Leben erfüllt.


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