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Das Erwachen des Waldes

Weder die Kohlmeise war es, die den Wald weckte, und auch nicht Amsel und Fink; der Kauz tat das.

Eines Abends, als die Luft weich und warm war, stieß er dreimal seinen gellenden Ruf aus, heulte dann laut auf und kullerte darauf eine Viertelstunde in einem fort.

Das muß wohl der Haselbusch gehört haben; als am andern Tage die Sonne schön warm schien, reckten sich seine Kätzchen und streckten sich, bis sie als lange gelbe Troddeln an den Zweigen hingen und goldenen Staub auf die letzten Schneeflecke streuten.

Als das die Kohlmeise sah, lachte sie fröhlich und sang das Lied, das sie seit dem Herbst vergessen hatte, und der Kleiber nahm auf dem höchsten Hornzacken des alten Überhälters Platz und verkündete allen Bäumen und Büschen des Waldes, daß der Haselbusch blühe und daß nun die bessere Zeit herannahe.

Da fühlte die Erle, die mürrisch am Bach stand, ein seltsames Kribbeln unter der Borke, und wenige Tage darauf prangte ihre düstere Krone im Schmuck rötlichbrauner Kätzchen. Auch das Geißblatt, das an jedem sommerhellen Wintertage den Versuch gemacht hatte, seine Knospen zu öffnen, entfaltete seine Blätter, so daß hier und da im Gebüsch ein heller grüner Schimmer zu sehen war.

Das freute den Baumläufer so sehr, daß er, der viele Monate lang höchstens ganz leise gepiept hatte, wenn er an den Stämmen emporhuschte und nach Käferchen suchte, plötzlich hell an zu singen fing. Sofort begann ein Ringeltäuber zu rufen, der Buntspecht hing sich an einen Ast und trommelte, daß es weithin schallte, die Amsel versuchte, ob sie ihr Lied noch zusammenbekommen könne, die Blaumeise, die Nonnenmeise und die Tannenmeise klimperten und klingelten, ein Rotkehlchen ließ sich erst schüchtern und dann kecker vernehmen, und die Stare im Wipfel der hohen Samenbuche pfiffen, was sie nur konnten, und schlugen aufgeregt mit den Flügeln. Sogar die Krähe und der Häher vergaßen für eine Weile, an ihre Magen zu denken, und quietschten, quarrten und quackelten vor Frühlingslust auf ganz wunderliche Weise.

Es blies wohl noch einmal ein barscher Wind, ein kalter Regen fiel, herbe Schneeflocken flogen, und die Gräben bezogen sich aufs neue mit Eis; dann war es wieder so still wie um die Mitte des Winters, so daß die blühenden Haseln und Erlen gar nicht in den stummen Wald zu passen schienen und das vorwitzige Laub des Geißblattes wie ein schlechter Witz wirkte. Doch bald wehte es wieder weich vom Süden, die Sonne schien von Tag zu Tag schöner und wärmte den Waldboden so lange an, bis die Simsen sich rührten und nicht nur frische Blätter durch das morsche Vorjahrslaub bohrten, sondern auch ihre braunseidenen Blütenrispchen entfalteten. Der Sauerklee hüllte die faulen Baumstümpfe in helles Grün, hier und da spreizte der Aaronstab seine fetten Blätter auseinander, und das Schafkraut bedeckte den Bachrand mit saftigem Kraut.

Eines Tages, als der Wind aus der blühenden Zitterpappel eine lange silbergraue Troddel in den wilden Stachelbeerbusch warf, wachte der auf und bedeckte sich schleunigst mit grünen Knöspchen. Ein Buchfink, der unter ihm Körner gesucht hatte, merkte, daß nun auch seine Zeit gekommen war. Er flog in einen Traubenkirschbaum, dessen schwarzes Astwerk über Nacht unzählige helle Knospen getrieben hatte, und versuchte zu singen. Erst ging es nicht besonders; doch am zweiten Tage brachte er seine Weise zur Hälfte zusammen, und am dritten Tage kam er zu Ende damit, wenn es sich auch immer noch etwas stümperhaft anhörte und er fast jedesmal darin steckenblieb. Aber als die Traubenkirsche schon so grün war, daß sich das Geißblatt vor ihr verstecken mußte, war der Fink so weit, daß er mit seinem Schlage das Geklingel der Meisen übertönte.

Es war aber auch die höchste Zeit gewesen. Die Rotkehlchen kehrten in solchen Mengen zurück, daß sie die Dämmerung mit ihren süßen Liedern belebten; eines Morgens schlug die erste Märzdrossel von der Spitze einer Fichte, am Abend schallte der ganze Wald von den jauchzenden Flötentönen, so daß sich Braunelle und Zaunkönig, Laubvogel und Meise, Ammer und Star gehörig anstrengen mußten, um einigermaßen zu Wort zu kommen, und wenn der Finken nicht so viele gewesen wären, hätten sie vor den Drosseln und Amseln zurückstehen müssen. So aber drangen sie mit ihrem Geschmetter, des Tages über wenigstens, doch durch.

Mittlerweile hatte der Wald ein anderes Aussehen bekommen. Zwar standen die Buchen noch so kahl und nackt wie im Winter da, die Fichten machten finstere Mienen, und die Eichen zeigten Gesichter, als trauten sie weder der Sonne noch dem Drosselschlage. Aber das Unterholz zwischen ihren Stämmen begrünte sich immer mehr. Das Geißblatt hatte große Blätter, die Traubenkirsche war von oben bis unten grün, und ihre Blütenknospen schwollen von Tag zu Tag an, der Weißdorn verzierte sein metallenes Gezweig mit hellen Blattröschen, die Eberesche trieb silberne Sprossen, der Stachelbeerbusch prangte in vollem Blattschmuck, und das faule Laub auf dem Waldboden verschwand unter jungem Gras und frischem Grün, über dem sich hier und da eine weiße, gelbe oder blaue Blüte erhob.

Während bisher nur abends einzelne bleiche Motten zwischen den Stämmen umhergetaumelt waren, tanzte eines Vormittags der erste Zitronenfalter über die rosenroten Glocken der Windröschen, und auch ein Pfauenaugenpaar wirbelte dahin. Um die goldgelb blühenden Saalweiden am Waldrand summten Bienen, brummten Hummeln, blitzten Fliegen, in schillerndes Erz gepanzerte Laufkäfer rannten hastig über die Wege, es schwirrte und flirrte von schimmernden Motten und blanken Käferchen, und in den Gräben und Teichen paddelten die Grasfrösche umher und mischten ihr Gemurre zwischen die übrigen Stimmen des Waldes.

Ein lauer Regen kam der Sonne zu Hilfe. Da schwoll und quoll das Moos am Boden, färbte der grüne Algenanflug an den Buchen sich freudiger, und die grauen und braunen Flechten an den Eichen wuchsen auf doppelte Größe an, die Schnecken verließen ihre Winterlager und krochen über die Wege, und während bis dahin nur hier und da eine Blume zwischen dem jungen Grün sichtbar war, verschwand es mit einem Mal vor den Tausenden und aber Tausenden von weißen Windröschen und rotem Lerchensporn, zwischen denen die aufgeblasenen Blumen des Aaronstabes hervorprotzten und die Farne ihre goldbraunen Wedel aufwickelten.

Als dann das Milzkraut den ganzen Bachlauf mit goldenem Saum verbrämte, zwischen dem blau und rot die Lungenblumen und schneeweiß der Sauerklee blühten, als das Moschusblümchen seinen schwülen Duft dem Geruch des jungen Laubes beimengte, die Hagebuche alle ihre Knospen sprengte und jeder Tag eine neue Vogelstimme mitbrachte, so daß von früh bis spät des Singens und Klingens kein Ende war, kam ein Wiedehopf und meldete der Rotbuche, es würde nicht lange mehr dauern, daß der Kuckuck rufen würde, und wenn sie dann nackt und kahl dastände, müßte sie sich schämen. Das nahm eine jüngere Buche sich zu Herzen; sie öffnete an ihren unteren Zweigen einige Knospen und ließ ein Dutzend Blättchen heraus, so daß es aussah, als tanzten hellgrüne Schmetterlinge um sie her. Ihrem Beispiel folgten andere, und bald zog sich quer durch den Wald eine Wolke von jungem Laub, das wie Smaragden im Sonnenlicht glühte, höher und höher stieg, schließlich auch die Kronen mit der leichtsinnigen Farbe des Lenzes schmückte und die Luft mit seinem frischen Hauch erfüllte, so daß die Menschen tiefer atmeten und dankbar emporblickten.

Als der Wald nun ganz und gar grün aussah, stellte sich auch der Kuckuck ein und läutete so lange die Frühlingsglocke, bis Trauerfliegenschnäpper und Gartenrotschwanz es vernahmen, eilig herbeizogen und fröhlich in den frisch belaubten Zweigen sangen, und dann kam die Nachtigall angereist und jubelte, bis die Eichen sich endlich rühren ließen und ihre knorrigen Zweige mit winzigen Blättchen und zierlichen Blütchen schmückten.

So kam es, daß der Wald aufgeweckt wurde, und Meise, Fink und Amsel taten so, als sei das ihr Verdienst. Aber der Kauz hatte es vollbracht mit scharfem Pfiff, gellendem Geheul und dumpfem Rollen, und niemand dankte es ihm.


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