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Eine Vorfrühlingsstunde

Der Kolkrabe war es, der zuerst den Frühling ansagte.

Eines Tages flog er ganz anders, als sonst, um die hohe Zinne, die sich über die Wand hinausreckte, und anders klang auch sein Ruf.

Viel heißer hatte im Winter die Sonne oft genug gegen die steile Wand gebrannt, als an dem Morgen, der den Raben auf zärtliche Gedanken brachte, denen er mit Flug und Stimme Ausdruck gab, und oft genug war der Föhn an der Zinne entlanggekeucht und hatte mit seinem schwülen Atem den Schnee zum Antauen gebracht, ohne daß der Rabe sich darum gekümmert hätte.

Nun aber, wo die Sonne nur so brannte und die Luft hell und dennoch weich war, saß der Rabe oben auf der Klippe und sang, sang nach seiner Art. Mit gesträubten Kehlfedern saß er da, schnalzte, schnarrte und quarrte, stieg dann hoch empor, schwebte laut rufend wie ein Adler im Kreise, warf sich hinab, daß es brauste und rauschte, nahm seiner Frau gegenüber Platz, die auf einem Felsblocke saß und an einem Knochen herumhackte, trippelte hin und her, zitterte mit den Flügeln und quietschte, quiekte und quakte ihr allerlei Zärtlichkeiten zu.

Das brachte die Fluhlerche, die auf dem Dache des Heustadels umherschlüpfte und Spinnen fing, zum Nachdenken. Sie setzte sich auf den Giebel, steckte den Schnabel in die Luft, bedachte sich noch ein Weilchen und fing erst leise und dann immer lauter zu singen an. Wenn im Winter die Sonne recht schön schien, hatte sie ab und zu auch einmal ein wenig gezwitschert, nun aber brachte sie richtig ihr Lied heraus, wenn es auch hier und da noch ein bißchen unsicher klang. Ebenso wie sie, tat es die schwarzköpfige Bergmeise, und ein Goldhähnchen tat es ihr nach; es sträubte die feurig leuchtenden Scheitelfedern, machte sich ganz lang und dünn auf der Spitze der Fichte und sang sein kleines Liedchen lustig in den lachenden Vormittag hinein.

Als das den andern Tag ebenso ging und den folgenden nicht minder, faßte die Bergheide Mut. Sie hatte schon seit dem Herbste ihre Blüten fertig. Und wenn die Sonne auch noch so schön schien und der Föhn den Schnee über ihr forthauchte, so hatte sie beiden doch nicht getraut, und am anderen Tage deckte Neuschnee sie wieder zu und sie mußte noch lange schlafen. Nun aber reckte sie sich ein wenig, öffnete ihre grünen Kelche, färbte sie und strahlte am Tage darauf in rosenroter Pracht, und fand sofort Liebhaber, die sie umflogen, blitzende Fliegen und schimmernde Erdbienen. Und sofort waren auch bunte Schmetterlinge da, Füchse und Pfauenaugen, die sich auf den gelben und grauen Flechtenkringeln an den Felsen sonnten und fröhlich über den tauenden Schnee hinflatterten.

Ich sitze auf meiner Wurzelbank, räkle mich in der Sonne und sehe durch die Äste der Fichten, an denen lange graue Bärte leise schwanken, nach dem hellblauen Himmel, unter dem mit gellendem Jauchzen die Wanderfalken ihre stolzen Kreise ziehen. Es raschelt über mir, gluckst, faucht und schnalzt. Eine schwarze Eichkatze rennt auf einem Aste entlang, von einer silbergrauen verfolgt. Jetzt sitzen sie sich gegenüber, schnicken mit den Schwänzen, geben wunderliche Laute von sich, springen aufeinander los und fahren rasselnd von dannen, daß Rindenschuppen und Flechtenspreu glimmernd und flimmernd herunterwirbeln.

Ich richte mich auf und stütze mich auf den Ellenbogen, so daß ich in die Klamm hineinsehen kann. An ihrem Rande tritt ein Reh herum und äst sich an dem Heidelbeergestrüpp auf den aperen Stellen. Über ihm in der Eberesche, deren Beeren seit gestern mißfarbig und runzelig geworden sind, macht ein Dompfaff seiner Braut auf sehr würdige Weise den Hof; darüber in der Fichte balgen sich zwei Buchfinken mit viel Lärm um das Weibchen. Weiterhin singt eine Kohlmeise auf eine Art, daß mein Herz mitsingen muß, und eine Tannenmeise zwitschert auf ganz wunderliche Weise ihrem Liebchen das alte, nie veraltende Lied von der Liebe zu. Mitten im schäumenden Gischt aber trippelt mit hängenden Flügeln und breit gefächertem Schwanze ein schwarzkehliger, gelbbäuchiger Bergstelzenhahn umher und sucht das Herz seines Weibchens, das am Ufer nach Wintermücken springt, mit seinem Gequirle und Geschrille zu rühren.

Wie anders ist es hier geworden seit dem Tage, da der Kolkrabe den Vorfrühling einsang. Tag für Tag stieg ich an der Wand empor, ohne etwas anderes zu hören, als das rauhe Quarren der Krähen, das wehmütige Flöten der Dompfaffen und das schüchterne Piepen der Goldhähnchen, und ich bekam nichts zu sehen, als den Schnee, die graubärtigen Fichten und hier und da eine mürrische Klippe. Jetzt aber ist überall Leben da, und Farbe, und Bewegung. Schwebefliegen blitzen durch die Luft, Käfer rennen über die Wurzeln, Falter flattern zwischen den Stämmen dahin. Hier blüht ein Busch rosiger Heide mitten im Schnee, da glühen auf einem funkelnden Moospolster goldene Früchtchen, dort schwenkt die Zwergerle goldstäubende Kätzchen. An dem Stamm der alten Zirbe rutscht der Baumläufer empor, hin und wieder vergnügt singend, über ihm sitzt ein kleiner Finkenvogel, wendet sich hin und her und zwitschert in einem fort, lustig trillern und kullern die Haubenmeisen, und gellend jauchzt der Grauspecht, wie ein grüner Pfeil mit feuerroter Spitze dahinfahrend.

Ich gehe der Zinne zu, deren kahle Steilwand sich wuchtig aus dem Schnee reckt. Die Sonne treibt mir den Schweiß aus der Stirn und brennt mir auf die Backen, daß sie feuern, und der Schnee blitzt und funkelt, daß ich kaum darauf hinsehen kann. Wie riesige Fackeln stehen die kahlen Lärchen darin und leuchten, als wären sie aus reinem Golde. Unter die stärkste von ihnen, der der Sturm die Spitze abbrach, setze ich mich auf einen alten Stumpf und sehe auf den schmalen Wasserfaden zwischen schimmernden Moospolstern, auf denen hurtige Spinnen dahinrennen. Hoch über mir rufen die Jochkrähen und schweben leicht wie Schwalben auf und ab, und unter mir lärmen Flüge von Kreuzschnäbeln und Krammetsvögeln an der Bergflanke entlang.

Ich freue mich über jedes blühende Moospolster, über alle die bunten Flechten an den grauen Felsen, über die vielen rosigen Heideblüten und über die eine, die der Seidelbast dort in der Felsritze der Sonne entgegenstreckt, sehe dem Pfauenauge zu, das auf einem goldgelben Flechtenkringel sitzt und seine wunderbaren Schwingen weit ausbreitet, und der großen Schwebfliege, die vor mir in der Luft hängt und nun da und jetzt dort und nun wieder hier ist, entdecke ein winziges nacktes Schneckchen, das hinten auf dem Leibe ein flaches Schälchen trägt und schnell, wie ein Wurm, über das nasse Brunnenmoos kriecht, und dann fährt mir ein Schauer über den Rücken, denn vor mir stöhnt es und knirscht es und rollt es und poltert und stäubt; eine Lawine ist zu Tal gefahren.

Doch ich bin gesichert hier; die Wand der Zinne deckt mich gegen die Tücken der Firnfrau, und so bleibe ich und warte auf das Schönste, Allerschönste, das der Berg an kleinem Leben beherbergt. Da klingt auch schon das silberne Stimmchen, da glüht das rosenrote Flämmchen, da huscht mit halb entfalteten Flügeln der Mauerläufer empor, jedes Ritzchen mit dem zierlichen Schnabel nach Spinnen und Käfern absuchend und dazwischen sein Lenzliedchen singend. Jetzt läßt er sich von der Wand fallen und schwebt dahin, wo sein Weibchen umherklettert, und wie zwei große rosenrote Schmetterlinge schweben die beiden Vögel nach der Spalte, die die Wand zerklüftet.

Ich warte, daß meine Lieblinge wiederkehren, doch ich lauere vergeblich. Ich strecke die Hand aus, um mir einen blühenden Zweig Heide zu brechen, ziehe sie aber wieder zurück. Es sind erst so wenige Büsche da, die hier blühen, sie haben so lange auf den Frühling warten müssen, und liegen vielleicht morgen schon wieder unter neuem Schnee begraben.

Ich will warten, bis der ganze Hang rosenrot von den Heidblüten glüht und jeder Busch mich bittet, zur Erinnerung an ihn mir einen Zweig mitzunehmen; jetzt sehen die Sträuchlein aus, als bäten sie mich, ihnen nicht die erste Freude an der Sonne und der warmen Luft zu verderben, der kurzen Freude dieses Tages.

Schon ist sie vorüber. Dicke Schneewolken steigen über die Zinne und stellen sich vor die Sonne. Die hellen Farben sind fort; kalt geht die Luft und der Kolkrabe ruft rauh, wie mitten im Winter. Die bunten Falter sind verschwunden, kein Vogel singt mehr, und die Bergheidblüten sehen aus, als ob sie frören.

Neuschnee wird sie morgen zudecken, und der Nachwinter wird noch eine Weile hier herrschen.


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