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Die Frühlingsblumen

Mit verdrießlichem Gesichte stand der Tag auf. Nun hat er die mürrische Laune überwunden und zeigt eine zufriedene Miene.

Die gelben Löwenzahnblüten am Raine danken es ihm und öffnen sich, bunte Schmetterlinge tanzen ausgelassen über die Landstraße, überall flattern Lerchen aus den lachenden Saaten auf und erfüllen die frische Luft mit fröhlichen Stimmen.

Die Sonne soll uns den Weg weisen. Voll und heiß scheint sie gegen den Vorwald, dessen Rand dichtes Gebüsch verschleiert, lustig grünender Weißdorn, fröhlich blühende Schlehen, strahlende Weidenbüsche und von den grauen Ranken der Waldrebe umsponnener Bergholunder, über und über mit grünlichen Blütentrauben bedeckt.

Hier hüpft und schlüpft es in einem fort und singt und klingt auf mannigfache Art. Aber wie sich auch Ammer und Laubvogel, Rotkehlchen und Braunelle, Meise und Fink anstrengen, der Knirps von Zaunkönig überstimmt sie doch alle mit seinem keck hinausgeschmetterten Liedchen.

Das braune Falllaub am Boden ist fast verschwunden unter jungem Grase und frischen Blüten, weißen und gelben, blauen und roten, bunt durcheinander gemischt, eine immer schöner als die andere. Aber ob auch die Windröschen so zierlich, die Waldveilchen so herzig und der Lerchensporn so üppig ist, die Himmelsschlüssel überragen sie alle an Vornehmheit und Würde.

Einen leichten Pfirsichduft entlockt ihnen die Sonne. Er mengt sich mit dem Geruche der Erde und dem Hauche, der aus den aufbrechenden Knospen quillt, bis er unter dem Atem des Moschusblümchens verschwindet oder vor dem des Waldmeisters, dessen schwache und doch so kecke Quirle überall das alte Laub durchbrechen.

Es raschelt im Gebüsch; eine Waldmaus springt dahin. Es ruschelt im Grase; eine Eidechse schlüpft von dannen. Im Moose schimmert eine Blindschleiche, die sich da sonnt, und in dem kleinen Wasserbecken leuchtet es feuerrot und himmelblau auf. Es sind Bergmolche, die dort emportauchen, um Luft zu schnappen, und wieder hinabsinken und auf dem Grunde ihre seltsamen, lächerlichen Minnespiele treiben.

Ein Pfauenauge schwebt vorüber. Ein anderes tanzt darauf zu. Munter wirbelt das Paar dahin. Ihm folgen zwei Zitronenvögel, ein grünlich weißes Weibchen, stürmisch von dem goldenen Männchen getrieben. Zwei Krähen stechen sich, wie Esel quarrend, in der Luft. Zärtlich heult der Täuber, steigt stolz über die Kronen und klatscht laut die Schwingen gegeneinander, um der Liebsten zu gefallen. Zu demselben Zwecke trommelt der Specht so unverdrossen, und aus keinem anderen Grunde fühlt sich der Grünfink bewogen, den Flug der Fledermaus nachzuäffen.

Dort hinten ist eine neue Farbe im Walde. Eine Buche ist es, die an den untersten Zweigen ihre Knospen geöffnet. Lauter goldgrüne Schmetterlinge scheinen den silbernen Stamm zu umflattern. Das sieht so wunderschön aus, daß wir uns hier lagern müssen, um uns in Ruhe daran zu freuen, und an den Windröschen darunter, den weißen, verschämten, den gelben, kecken, an dem protzenhaften, gespreizten Aronstab und dem wunderfeinen, zierlichen Sauerklee, der den moosigen Stumpf mit leuchtenden Blättchen und schimmernden Blütchen verhüllt.

Die Drosseln schlagen, die Finken schmettern, ein Täuber ruft, ein Bussard schreit aus der Höhe herab, und doch ist es, als wäre es still, friedlich still hier im Walde. Verstohlen flattert eine Krähe von Ast zu Ast und bricht heimlich Nestreiser. Ein Eichkätzchen hüpft über den blumigen Erdboden und scharrt nach Käfern. Zwei helle Tauben schweben heran, blicken lange umher und lassen sich endlich im Grunde nieder, wo das goldene Milzkraut den Spring rund umher einfaßt und weiterhin die Lungenblumen versuchen, ihre rosenroten und himmelblauen Blüten dagegen zur Geltung zu bringen.

Die Sonne versteckt sich, die Blumen verblassen, das Grün verdunkelt sich. Ein kühler Luftzug kommt über den Berg und bewegt die Wipfel. Die Vögel verstummen zumeist. Ein Fink schlägt noch; auch er hört auf, und einzig und allein die Spechtmeise läßt unaufhörlich ihr eintöniges, ermüdendes Geflöte hören. Wir steigen bergab und wieder bergauf und abermals hinab, bis dahin, wo ein Wiesental sich öffnet, und da finden wir die Sonne wieder und Vogellieder und Blumen, soviel Blumen unter den hohen Eichen, daß jedes Fleckchen erfüllt von ihnen ist. Und damit der Weg nicht zu sehr von dieser Pracht absteche, haben ihn die Ahornbäume mit goldenen Blütenbüscheln bestreut.

Wir müssen wieder rasten, so schön ist es an diesem Ort. Das Moos ist weich und die Sonne warm, ein Bächlein ist da, das uns allerlei erzählt, und so kommen und schwinden die Stunden, wie die goldenen Falter, die zwischen den silbernen Stämmen auftauchen und untergehen. Menschenstimmen, ein wenig zu laut für diesen Tag, treiben uns weiter, durch düsteres Tannicht, durchzittert von dem Liebesgezwitscher unsichtbarer Goldhähnchen, durch helles Buchenholz, erfüllt vom Geschmetter der Finken, über eine breite, von Wildfährten gemusterte Trift, durch enge Stangenörter, wo die Sauen im festen Boden gebrochen haben, an Buchenjugenden vorbei, deren Vorjahrslaub in der Sonne wie Feuer lodert.

Ohne Plan und Ziel schweifen wir dahin, bis der Tag zur Neige gehen will und der weite, grüne Teppich von Bärenlauch, der den Hang bedeckt, sein lustiges Funkeln einstellt und herb und streng aussieht und die weißen Windröschen ängstliche Gesichter bekommen. Die Dämmerung erwacht und tritt aus den Dickungen in das hohe Holz, eindringlicher klingt das Lied des Rotkehlchens; bald wird die Eule rufen. Aber noch einmal beschert uns dieser Frühlingstag ein kostbares Geschenk. Hier im jungen Stangenort, rechts und links von dem schmalen Steige, hat er so viel rote und weiße Blumen ausgeschüttet, daß unsere Augen ganz groß werden. Von allem, was uns dieser Tag bot, ist dieses das Herrlichste.

Schiene die Sonne, flögen die Falter, schimmerten die Stämmchen, nicht so wunderbar anzusehen wäre dann dieser Zaubergarten wie nun, wo die Jungbuchen stumpf und hart aus der märchenhaften Blütenfülle herausstreben und das Summen der Hummeln ein fernes Glockengeläute vortäuscht.

Wir stehen und starren und staunen und wissen: immer, nach Jahren noch, werden wir dieses Tages Ende, dieser Stunde hier und ihrer Gabe dankbar gedenken.


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